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Eine junge Frau zieht in einen Schrank. Ausgedient und knarzig steht er in einem Prager Hinterhof, der Winter naht. Es ist ihr Raum. Und es ist der radikale Entschluss, sich allen Zwängen, auch aller Geborgenheit zu entziehen, das Resultat zu vieler missglückter Anpassungsversuche.Tereza Semotamová rekonstruiert die mal absurden, mal bitteren Episoden jener Suche nach dem eigenen Weg in einer Welt, in der niemand mehr genau weiß, wo es eigentlich lang geht.

Produktbeschreibung
Eine junge Frau zieht in einen Schrank. Ausgedient und knarzig steht er in einem Prager Hinterhof, der Winter naht. Es ist ihr Raum. Und es ist der radikale Entschluss, sich allen Zwängen, auch aller Geborgenheit zu entziehen, das Resultat zu vieler missglückter Anpassungsversuche.Tereza Semotamová rekonstruiert die mal absurden, mal bitteren Episoden jener Suche nach dem eigenen Weg in einer Welt, in der niemand mehr genau weiß, wo es eigentlich lang geht.
Autorenporträt
Semotamová, TerezaTereza Semotamová, geboren 1983, ist Autorin, Publizistin, Übersetzerin. Sie studierte Germanistik und Drehbuch, schreibt Hörspiele, Features und Kolumnen, übersetzt deutschsprachige Literatur ins Tschechische, unterrichtet und arbeitet für die deutsch-tschechische Plattform já-du. Der Roman »Im Schrank« ist ihr erster eigener Roman, Auszüge wurden in der Anthologie »Die letzte Metro« (Voland & Quist 2017) erstmals auf Deutsch publiziert.

Lisa, MartinaMartina Lisa, geboren 1981, lebt als Übersetzerin und Dozentin für Deutsch als Fremdsprache in Leipzig. Sie übersetzt geisteswissenschaftliche, journalistische und literarische Texte für Radio, Film, Online- und Printmedien. Sie war Stipendiatin des Übersetzungsprojekts "TransStar Europa" und hat zuletzt die Anthologie "Die letzte Metro. Junge Literatur aus Tschechien" sowie den Roman "Im Schrank" von Tereza Semotamová übersetzt (beide Voland & Quist).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019

Dieses namenlose Du
„Im Schrank“, der Debütroman von Tereza Semotamová
Wenn Frauen in der Inneneinrichtung verschwinden, ist zuvor etwas Unaussprechliches geschehen. Das weiß man spätestens seit Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“, an dessen Ende die namenlose Erzählerin auf der Flucht vor den Traumata von Weltkrieg und Vergewaltigung in der Wand ihrer Wohnung verschwindet. Es dürfte kein Zufall sein, dass Tereza Semotamová in ihrem Debütroman „Im Schrank“, den Martina Lisa ins Deutsche übersetzt hat, eine Reihe von Bachmannzitaten verarbeitet: Auch ihre Erzählerin Hana zieht sich angesichts einer gewaltvollen Umwelt ins titelgebende Möbelstück zurück.
Der Schrank stammt aus dem Haushalt von Hanas Schwester, wo er zu Beginn der Erzählung aussortiert wird. Hana, die in Berlin Kunst studiert hat und nach mehreren Jahren als Bildhauerin in Deutschland soeben nach Prag zurückgekehrt ist, schleppt ihn in den nächsten Hinterhof. Dann zieht sie mit Schlafsack, einer Flasche Schnaps, einem Teesieder und ein paar Plastiktüten in den Schrank und beginnt ihren quälend langsamen Gang vor die Hunde.
Menschen mit Kinderwunsch, soviel sei gleich gesagt, ist von diesem Buch dringend abzuraten. Schon im ersten Kapitel erscheinen Schwangerschaft und Familienleben als Horrorszenarien. Die Kinder der Schwester werden nur als „Kind 1“ und „Kind 2“ bezeichnet, und auf den folgenden knapp dreihundert Seiten erhalten weder sie noch die Schwester noch Hanas übrige Verwandten einen Namen. Auch wenn sie Hana zum Teil liebevoll zu unterstützen versuchen, bleiben sie in erster Linie Funktionen des konservativen Systems Familie und keine Personen mit der eigenständigen Individualität, die ein Name andeuten würde. Folgerichtig kommt auch ein freies Zimmer in der Wohnung von Hanas Freundin Jana ab dem Moment nicht mehr als Zuflucht infrage, in dem sie und ihr Freund mit dem Ziel Familiengründung zu „karnickeln“ beginnen. Hana ist von diesem Lebensentwurf angeekelt, nimmt ihn als sinnentleert und unerträglich wahr, sucht aber gleichzeitig nach Nähe und hält sie, wenn sie gegeben wird, nicht aus.
In einer erzählerischen Materialschlacht aus Rückblenden, Träumen, Bewusstseinsströmen und psychedelisch anmutenden Sequenzen schält sich nach und nach heraus, was Hana so zugerichtet hat, dass ihr die Obdachlosigkeit im Hinterhof-Schrank annehmbarer erscheint als alle Hilfsangebote von Freunden und Verwandten: Eine toxische Beziehung in ihrer Vergangenheit, emotionaler und sexueller Missbrauch.
Eine kohärente Handlung gibt es nicht, die Erzählung ist ebenso fragmentiert wie Hanas Psyche es zu sein scheint. In fast jedem Kapitel tauchen neue Figuren auf, die genauso schnell wieder verschwinden; was Traum und was Realität, was Erinnerung und was Gegenwart ist, lässt sich fast nie mit Sicherheit sagen.
Diese Verwirrung nutzt Semotamová als konstituierendes Element: Hanas Ex-Freund wird in den Kapiteln, in denen er auftaucht, ebenfalls nicht mit Namen genannt, sondern stets nur als „du“ angesprochen. Weil auch die Orte der Handlung teilweise ganz unterschiedliche sind, ist man nie wirklich sicher, ob es sich bei diesem „du“ um dieselbe Person handelt oder um unterschiedliche Männer.
Insgesamt stellt sich beim Lesen schnell das Gefühl ein, eine Serie zu gucken, deren erste Staffel man verpasst hat: Permanent begegnen einem Figuren und Anspielungen, für die man Hintergrundinformationen zu brauchen scheint, die irgendwann schon einmal erwähnt wurden, die die Autorin aber in Wahrheit nie preisgibt. So ist wiederholt die Rede von einem mysteriösen „Fischi-Fischer“, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er in der Nachbarschaft wohnt und „verfügbar ist“ – was das aber bedeutet, und wer dieser Mensch ist, erfährt man nicht. Vielleicht handelt es sich bei ihm einfach um eine Metapher, die sich nicht auflösen lässt, denn Metaphern scheinen neben einem wahren Berg an Adjektiven zu den liebsten Stilmitteln der Autorin zu gehören – kaum ein Satz kommt ohne sie aus. Dabei kommt es immer wieder zu stilistischen Widersprüchen: Zwischen betont jugendsprachlichen Chatprotokollen stehen dann Szenen, in denen Hana „Maulaffen feilhält“ – eine von vielen altmodischen Formulierungen, bei denen man sich fragt, ob sie durch die Übersetzung in den Text geraten oder gewollt sind.
Das liest sich am Ende genauso anstrengend wie die larmoyante Mischung aus Liebeskummer, Gegenwartsmüdigkeit und postmoderner Depression der Erzählerin, die zwischendrin auch mal ausgiebig aus den „Leiden des jungen Werthers“ zitiert und – natürlich ganz selbstironisch – mit dem „Express Franz Kafka“ zu einem missglückten Date fährt. Wenn dann noch Hanas chinesische Freundin auf Wunsch ihrer Eltern einen deutlich älteren Mann heiratet – „sie ist doch Chinesin, ehrt die Mutter und so“ – oder dem vietnamesischen Ladenbesitzer, bei dem sich Hana während ihres Lebens im Schrank die Zähne putzt, eine „Lotosseele“ zugeschrieben wird, hat man eigentlich längst zu viele rassistische Klischees mitgenommen, um dieses Buch noch zu Ende lesen zu wollen.
Erst im letzten Drittel der Erzählung wird allmählich klar, dass Hanas Depression keine Attitüde, sondern eine lähmende, pathologische Realität ist. Semotamovás Debüt stellt sich damit als Roman über eine psychische Krankheit heraus, der diese nicht einfach analysiert oder beschreibt, sondern durch seinen Stil selbst performt.
Wenn Hanas Verhalten über weite Strecken überzogen, irrational und kaum nachvollziehbar ist, wenn die Welt, in der sie lebt, zugleich semantisch überladen und völlig sinnlos erscheint, ruft das genau die Art von wütender Verständnislosigkeit bei der Leserin hervor, mit der Außenstehende oft auf klinisch depressive Menschen reagieren.
Die Vehemenz, mit der es der Autorin gelingt, die krasse Hoffnungslosigkeit einer Depression zu evozieren, ist ziemlich beeindruckend und verstörend zugleich. Eine leichte Lektüre ist sie nicht.
LEA SCHNEIDER
Die wütende
Verständnislosigkeit bei
der Leserin, mit der
Außenstehende oft
auf Depressive reagieren
Tereza Semotamová:
Im Schrank. Roman.
Aus dem Tschechischen von Martina Lisa.
Voland & Quist,
Dresden 2019.
200 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Eine junge Frau zieht in einen Schrank. Warum sie das tut, erzählt die Autorin [...] in einem großartigen zeitkritischen Roman.« Karin Großmann, Sächsische Zeitung »Tereza Semotamová nimmt [...] diese absurde Ausgangsidee und webt sie gekonnt in eine realistische Erzählung ein, die von der Komplexität des Seelenlebens der Protagonistin und der poetischen Sprache lebt.« Nick Lüthi, Bookgazette »Das Unschöne derart schön in Worte gefasst, Ermattung, Verbitterung, schnödes Grau - all das bekommt in diesem Roman eine Poesie, die einen komplette Passagen immer und immer wieder lesen lässt.« Juliane Bergmann, NDR Kultur »In Semotamovás Erzählung finden sich unser aller Selbstbeschwichtigungen, Ausweichmanöver und Lügen, mit denen wir einigermaßen anständig und zufrieden durch Leben zu kommen hoffen [...].« Bettina Hartz, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung »Das Debut von Semotamová ist sprachlich brillant und kompositorisch einmalig. Und am Ende bleibt nur noch die große Frage,ob nun alles im Leben in Bewegung ist, oder am Ende alles zu akzeptieren bleibt [...]« Ruben Höppner, ReadOst