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Geschichten, Anekdoten und Gedanken aller Jahrhunderte klingen an in diesen fast spielerisch erzählten Betrachtungen über die Notwendigkeit von Kultur, die Rolle der Medien, das Judentum, die Klassiker, über Kunst und Grausamkeit. Alberto Manguel, ein begeisterter und begeisternder Erzähler, gibt in diesem Band auf höchst unterhaltsame Weise seine Leseerfahrungen und Erlebnisse in der Welt weiter. Er glaubt übrigens fest daran, dass Bücher besser und klüger machen.

Produktbeschreibung
Geschichten, Anekdoten und Gedanken aller Jahrhunderte klingen an in diesen fast spielerisch erzählten Betrachtungen über die Notwendigkeit von Kultur, die Rolle der Medien, das Judentum, die Klassiker, über Kunst und Grausamkeit. Alberto Manguel, ein begeisterter und begeisternder Erzähler, gibt in diesem Band auf höchst unterhaltsame Weise seine Leseerfahrungen und Erlebnisse in der Welt weiter. Er glaubt übrigens fest daran, dass Bücher besser und klüger machen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.1999

Leuchtfeuer der Zuckerhüte
Kein Reim auf Ratten: Alberto Manguel liebt die Unordnung

Die irischen Barden, heißt es, waren fähig, unliebsame Ratten zu Tode zu reimen. Im siebten Jahrhundert tötete der große Seanchan Torpest gleich zehn Nagetiere, die sich an seiner Speise vergangen hatten, indem er einen wirkungsvollen Gesang anstimmte. Wer sich lesend durchs Leben bewegt, den bauen solche Legenden auf. Sie erwecken die alte Vorstellung von der Magie der Zeichen, an die die Ohnmächtigen so gerne glauben. Aber vielleicht haben Worte ja tatsächlich eine Wirkung. Kein Wunder, daß der Autor der vielgepriesenen "Geschichte des Lesens", die vor einem Jahr auch auf deutsch erschien, immer wieder um diese Frage kreist.

Alberto Manguel, kanadischer Schriftsteller argentinischer Herkunft, orientiert sich auf seinem Leseweg an den Paradoxien und Spiegelwelten von Lewis Carrolls "Alice", denn hier findet sich die Leseerfahrung gebündelt in jener Verbindung von Autismus und Welteröffnung, Lust und Verlust, Kommunikation und Schweigen. In jedem Fall bleibt Lesen für ihn eine subversive Tätigkeit, würdig aller Igel und Maulwürfe. Mag die Literatur sich oft selbst blenden, so fällt doch dabei noch Licht auf die überholende Welt. Oft sitzt die literarische Phantasie genau im blinden Fleck des Autors und weiß mehr als sein Schöpfer. In der vorliegenden Sammlung von Essays über Bücher, Politik, Moral und Kultur zieht es Manguel hin zu denen, die wie Alice fremd durch eine finster spiegelnde Welt ziehen. Zu Borges etwa, dem er an vielen Abenden in Buenos Aires Stevenson, Kipling oder Dante vorlas und in dessen Erzählung vom "Aleph" er eine Chiffre der Liebe zu einer bestimmten Frau sieht. Nebenbei erfahren wir, daß das letzte Buch, das Borges sich vorlesen ließ, Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" war.

Subversion liegt der Begeisterung für einen anderen Argentinier zugrunde: Julio Cortázar. Er sprach mit seinen absurden Geschichten, in denen Wirklichkeiten wie Zuckerhüte verbrennen, die Stimmungslage einer Generation an. Diese erkannte sich ebenso in den Pariser Graffiti "Die Phantasie an die Macht" wieder, wie sie diese transzendierende Kraft in jenem Che Guevara aufflackern sah, zu dessen letzten Lebens- und Kampfschauplätzen inzwischen das staatliche bolivianische Reisebüro Ausflugstouren anbietet. Subversiv auch die Stellung der schwulen Literatur, der Manguel historisch nachspürt, von Whitman bis Hollinghurst, ohne dabei die politische Dimension der Ausgrenzung zu vergessen. Er weist darauf hin, daß in Deutschland den von den Nazis verfolgten Homosexuellen noch immer eine Entschädigung verweigert wird, und zwar mit der Begründung, daß sie ja wegen krimineller Vergehen verfolgt worden seien.

Immer wenn die lateinamerikanische Politik ins Spiel kommt, wird es ungemütlich in diesem Buch, das der Phantasie eben eine doppelte Aufgabe zuschreibt: Ausritt ins Ungewöhnliche ebenso wie gesellschaftliches Engagement. Wie reimt sich etwa Mario Vargas Llosas Politik mit seiner schriftstellerischen Phantasie? Abgrundtief wird der Blick in die menschliche Seele, wenn Manguel über seinen geliebten Lehrer schreibt, der die Schüler mit Kafka, Rimbaud und Merleau-Ponty begeisterte und ihnen einen Sinn für den Wert von Literatur vermittelte. Von ihm sollte sich eines Tages herausstellen, daß er die Junta jahrelang mit Berichten über die Schüler und deren Familien versorgt hatte: Feuer und Wasser, unvermischbar.

Chesterton bereitet Manguel ein merkwürdiges Glücksgefühl, denn hier finden die "siamesischen Zwillinge Gefühl und Verstand" wieder zueinander, es sei denn, der Autor fügt sich Selbstverletzungen zu mit seinen antisemitischen Ausfällen. Und noch Goethe, zu dessen "Wahlverwandtschaften" Alberto Manguel laufende Notizen führt, erinnert ihn an die Eiche auf dem Ettersberg: jenen Baum, unter dem sich Goethe mit der Frau von Stein zu treffen pflegte und der, geschützt durch das Naturschutzgesetz der Nazis, die Wäschekammern und Küchen des Konzentrationslagers Buchenwald überschatten sollte.

Manguel liest immer quer, bürstet seine Lektüre so, daß sie Funken schlägt oder zumindest stachelig wird. Und er ist ein Leser aus Passion und Lebenslust. Daher rührt seine Forderung nach einem Museum der Literatur dir unsere Kultur fortlaufend produziert. Nicht zuletzt in diesem Museum muß es dem Leser immer wieder gelingen, Werke aus den geordneten Regalen der Literaturgeschichte herauszureißen und sie sich neugierig, eifersüchtig und hoffnungslos subjektiv anzueignen. Eine Absage an das systematische Lesen also, ein Glaubensbekenntnis im Namen von Zufall, Lust und Eigensinn. Als Schutzpatron für diesen anarchistischen Leser empfiehlt sich der französische Moralist Joseph Joubert. Er hatte die nützliche Angewohnheit, die Seiten eines Buches, die er nicht mochte, herauszureißen.

Mit der Zeit stellte er sich so eine persönliche Bibliothek der ausgeweideten Bücher zusammen. Das sind Strategien, die im Zeitalter elektronischer Informationsflut überzeugen, der Manguel einen weiteren Essay widmet. Bücher werden, so seine Vermutung, nicht verschwinden, aber sie werden sich dorthin zurückziehen, wo sie anderen Speichermedien überlegen sind. Auch im Zeitalter der Ungereimtheit kann man noch immer mit Büchern nach Ratten werfen. ELMAR SCHENKEL

Alberto Manguel: "Im Spiegelreich". Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hirte. Verlag Volk und Welt, Berlin 1999. 360 S., geb., 44,- DM.

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