Kaum je wurde der Beginn des Ersten Weltkriegs die zerbrechliche ländliche Idylle im Sommer 1914 so beiläufig und doch so eindringlich geschildert wie in den beiden meisterlichen Novellen Eduard von Keyserlings »Im stillen Winkel« und »Nicky«.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2014KRIEGSKLASSIKER
Zwei Novellen von
Eduard von Keyserling
Der Ausbruch des Krieges, der die Welt veränderte, fiel mitten in die Zeit der Sommerfrische, die Saison, in der die privilegierten Schichten sich dem Nichtstun und dem Wohlleben widmeten. Dem Übergang vom Scheinidyll in die unbegriffene Katastrophe hat kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller so subtil nuancierte und, bei aller impressionistischen Unschärfe, gnadenlose Psychogramme einer untergehenden Gesellschaft abgewonnen wie Eduard von Keyserling.
Der baltische Graf, der in der Schwabinger Bohème eine neue Heimat fand, starb 1918, nachdem er in einer von Krankheit, Verarmung und Vereinsamung geprägten Lebensphase seine besten Werke geschaffen hatte. Ein Jahr vor seinem Tod entstanden die Novellen „Nicky“ und „Im stillen Winkel“, die beide im August 1914 spielen und die Wirren des Kriegsbeginns in privaten Verhältnissen spiegeln, kunstvoll changierend zwischen feinnerviger Einfühlung und distanzierter Ironie.
Wie sich die Anfänge gleichen: Die junge Baronin „Nicky“ reist allein in den Kurort, wo ihr viel älterer Gatte sie nur am Wochenende besuchen wird. In den „stillen Winkel“ der eigenen Landvilla begibt sich die Bankiersfamilie von der Ost mit dem kleinen Paul; auch hier fährt der dominante Ehemann und Vater kurz darauf in die Stadt zurück. Was sich in der trägen Sommerluft an atmosphärischen Spannungen zusammenbraut und dann in Gewittern entlädt, wird enggeführt mit der inneren Unruhe der jungen Baronin, die ein exzentrischer Pianist auf ihr Erstarren in Adelskonventionen aufmerksam macht, beziehungsweise mit dem Familiendrama und den Pubertätsnöten des Einzelgängers Paul, der in einer verzweifelten Mutprobe seine Ängste besiegen will und dabei sein Leben lässt.
Hier wie dort trifft die Kriegsnachricht auf heillose Verhältnisse – und auf jene unheilvolle Mischung aus Konfusion und Contenance, deren epochale Folgen der Autor vorauszuahnen schien, auch wenn er sie nicht mehr erleben musste.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zwei Novellen von
Eduard von Keyserling
Der Ausbruch des Krieges, der die Welt veränderte, fiel mitten in die Zeit der Sommerfrische, die Saison, in der die privilegierten Schichten sich dem Nichtstun und dem Wohlleben widmeten. Dem Übergang vom Scheinidyll in die unbegriffene Katastrophe hat kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller so subtil nuancierte und, bei aller impressionistischen Unschärfe, gnadenlose Psychogramme einer untergehenden Gesellschaft abgewonnen wie Eduard von Keyserling.
Der baltische Graf, der in der Schwabinger Bohème eine neue Heimat fand, starb 1918, nachdem er in einer von Krankheit, Verarmung und Vereinsamung geprägten Lebensphase seine besten Werke geschaffen hatte. Ein Jahr vor seinem Tod entstanden die Novellen „Nicky“ und „Im stillen Winkel“, die beide im August 1914 spielen und die Wirren des Kriegsbeginns in privaten Verhältnissen spiegeln, kunstvoll changierend zwischen feinnerviger Einfühlung und distanzierter Ironie.
Wie sich die Anfänge gleichen: Die junge Baronin „Nicky“ reist allein in den Kurort, wo ihr viel älterer Gatte sie nur am Wochenende besuchen wird. In den „stillen Winkel“ der eigenen Landvilla begibt sich die Bankiersfamilie von der Ost mit dem kleinen Paul; auch hier fährt der dominante Ehemann und Vater kurz darauf in die Stadt zurück. Was sich in der trägen Sommerluft an atmosphärischen Spannungen zusammenbraut und dann in Gewittern entlädt, wird enggeführt mit der inneren Unruhe der jungen Baronin, die ein exzentrischer Pianist auf ihr Erstarren in Adelskonventionen aufmerksam macht, beziehungsweise mit dem Familiendrama und den Pubertätsnöten des Einzelgängers Paul, der in einer verzweifelten Mutprobe seine Ängste besiegen will und dabei sein Leben lässt.
Hier wie dort trifft die Kriegsnachricht auf heillose Verhältnisse – und auf jene unheilvolle Mischung aus Konfusion und Contenance, deren epochale Folgen der Autor vorauszuahnen schien, auch wenn er sie nicht mehr erleben musste.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
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