Einmal im Leben immer weiter segeln: Das war der Wunsch von Ralf-Thomas Hillebrand. Nicht um die Welt wollte er, wie die meisten anderen Segelverrückten, sondern einfach weiter nach Nordosten - Sehnsuchtsziel Nordmeer. Nachdem er die Lofoten erkundet, auf den Spuren der Hanse nach Bergen gesegelt, die Einsamkeit der norwegischen Fjorde genossen, Tromsø erobert und das Nordkap rechts liegen gelassen hat, dringt er in die Barentssee vor - und verliert dabei fast sein Schiff. Und das ist keinesfalls die einzige Grenzerfahrung dieses Törns.
Auch wenn sich andere Sportboote rar machen in diesem Gebiet: Einsam ist der Skipper nie. Grind- und Pottwale, mehr oder minder skurrile Bewohner der Schärenlandschaften und von Zeit zu Zeit der Besuch der Ehefrau an Bord lassen kaum Langeweile aufkommen - vom anspruchsvollen Seerevier mal ganz abgesehen.
Doch nicht nur über die Reise an sich wird kurzweilig, spannend und zuweilen selbstironisch reflektiert, sondern darüber hinaus Einblick in historische Hintergründe gewährt: Wer weiß schon, dass bereits 1473 ein deutscher Admiral von Bergen aus auf Geheiß des Königs nach Grönland segelte, um dort nach den Nachfahren Eriks des Roten zu suchen - und schließlich sogar bis Labrador kam und somit die Ausläufer Amerikas weit vor Kolumbus "entdeckte"? Wie die ersten Bemühungen verliefen, die Nordostpassage als nördlichen Seeweg nach China zu finden? Dass Nansen nach seiner spektakulären Eisdrift mit der "Fram" und seinem anschließenden (vergeblichen) Versuch, den Nordpol auf Skiern zu erreichen, von einer britischen Expedition gefunden und nach Vardö, der östlichsten Stadt Norwegens, gebracht wurde?
Diese und andere Geschichten runden den Bericht ab und machen ihn zugleich zu etwas ganz Besonderem: Einem erlebnisreichen Erfahrungsbericht, der geschickt verknüpft wird mit einem bunten Exkurs durch die nordische Seefahrtsgeschichte.
Auch wenn sich andere Sportboote rar machen in diesem Gebiet: Einsam ist der Skipper nie. Grind- und Pottwale, mehr oder minder skurrile Bewohner der Schärenlandschaften und von Zeit zu Zeit der Besuch der Ehefrau an Bord lassen kaum Langeweile aufkommen - vom anspruchsvollen Seerevier mal ganz abgesehen.
Doch nicht nur über die Reise an sich wird kurzweilig, spannend und zuweilen selbstironisch reflektiert, sondern darüber hinaus Einblick in historische Hintergründe gewährt: Wer weiß schon, dass bereits 1473 ein deutscher Admiral von Bergen aus auf Geheiß des Königs nach Grönland segelte, um dort nach den Nachfahren Eriks des Roten zu suchen - und schließlich sogar bis Labrador kam und somit die Ausläufer Amerikas weit vor Kolumbus "entdeckte"? Wie die ersten Bemühungen verliefen, die Nordostpassage als nördlichen Seeweg nach China zu finden? Dass Nansen nach seiner spektakulären Eisdrift mit der "Fram" und seinem anschließenden (vergeblichen) Versuch, den Nordpol auf Skiern zu erreichen, von einer britischen Expedition gefunden und nach Vardö, der östlichsten Stadt Norwegens, gebracht wurde?
Diese und andere Geschichten runden den Bericht ab und machen ihn zugleich zu etwas ganz Besonderem: Einem erlebnisreichen Erfahrungsbericht, der geschickt verknüpft wird mit einem bunten Exkurs durch die nordische Seefahrtsgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2010NEUE REISEBÜCHER
Für die Tasche Als Ralf-Thomas Hillebrand im Mai 2008 in See sticht, hat er ein klar definiertes Ziel: den Norden. Von Stralsund aus möchte Hillebrand mit seiner 8,85 Meter langen Stahlyacht, der "Bombadil", nach Murmansk, Russland segeln. Alleine. Drei Monate Wasser, Felsen, Stürme, Flauten, Wellen und jeden Abend Fisch für eine Strecke, die man mit dem Flugzeug in drei Stunden zurücklegt.
Doch Geschwindigkeit spielt, zumindest zunächst, keine Rolle für Hillebrand, als er in Stralsund ablegt. Denn er will nicht nur in die Barentssee segeln. Eine Reise, wie er sie vorhat, führt automatisch auch immer zu einem zweiten Ziel, das auf keiner Karte verzeichnet ist: zu sich selbst.
Um auch wirklich anzukommen, hat Hillebrand einen gut bezahlten Job gekündigt. Er hat viel Geld für das digitale Funkgerät und die neue Rettungsinsel ausgegeben. So viel, dass er sich phasenweise ausschließlich von selbstgeangeltem Fisch und dem Dosenbier ernähren muss, das er vor der Abfahrt noch in Polen besorgt hat.
Über die Ostsee geht es raus auf die Nordsee und dann immer entlang der norwegischen Atlantikküste, während die Schneegrenze am Rand der Fjorde sinkt, die Pflanzenwelt karger wird, die Luft abkühlt. Hillebrand begegnet Menschen, die ihm von ihrem beschwerlichen Leben im Norden erzählen und von der Zeit, als die Deutschen ihr Land besetzt hielten. Daneben beschreibt er in Exkursen die Geburtstunde der "Hurtigruten", der Postschifflinien, die in unzugänglichen Regionen Nordnorwegens bis heute das schnellste Verkehrsmittel sind. Er erzählt die Geschichte des Fischers und Widerstandskämpfers Leif Andreas Larsen, den die Kampfbomber der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg vergeblich durch die Fjorde jagten und den die Norweger auch nach seinem Tod 1990 noch als Nationalhelden verehren.
All das hat Hillebrand unaufgeregt aufgeschrieben, ohne sich selbst als verwegenen Bezwinger der Arktis darzustellen. Den Polarkreis passiert er, ohne es zu merken. Die Angst, sein Schiff zu verlieren, bereitet ihm Albträume. Die arktische Mitternachtssonne ist letztendlich auch - nur Sonne.
Angekommen ist Hillebrand. In Murmansk. Und wohl auch bei sich selbst. Und trotzdem: Nach Tausenden Seemeilen Einsamkeit, Besuchen misstrauischer, russischer Geheimdienstler an Bord und dem andauernden Kampf mit dem widerspenstigen Dieselmotor kann auch die Aussicht auf den Alltag eine schöne sein. Am Schluss spielt die Geschwindigkeit dann doch eine Rolle. Schnell zurück. In den Süden.
das
Ralf-Thomas Hillebrand: "Im Süden der Polarkreis. Einhand nach Murmansk". Delius-Klasing-Verlag, 255 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Als Ralf-Thomas Hillebrand im Mai 2008 in See sticht, hat er ein klar definiertes Ziel: den Norden. Von Stralsund aus möchte Hillebrand mit seiner 8,85 Meter langen Stahlyacht, der "Bombadil", nach Murmansk, Russland segeln. Alleine. Drei Monate Wasser, Felsen, Stürme, Flauten, Wellen und jeden Abend Fisch für eine Strecke, die man mit dem Flugzeug in drei Stunden zurücklegt.
Doch Geschwindigkeit spielt, zumindest zunächst, keine Rolle für Hillebrand, als er in Stralsund ablegt. Denn er will nicht nur in die Barentssee segeln. Eine Reise, wie er sie vorhat, führt automatisch auch immer zu einem zweiten Ziel, das auf keiner Karte verzeichnet ist: zu sich selbst.
Um auch wirklich anzukommen, hat Hillebrand einen gut bezahlten Job gekündigt. Er hat viel Geld für das digitale Funkgerät und die neue Rettungsinsel ausgegeben. So viel, dass er sich phasenweise ausschließlich von selbstgeangeltem Fisch und dem Dosenbier ernähren muss, das er vor der Abfahrt noch in Polen besorgt hat.
Über die Ostsee geht es raus auf die Nordsee und dann immer entlang der norwegischen Atlantikküste, während die Schneegrenze am Rand der Fjorde sinkt, die Pflanzenwelt karger wird, die Luft abkühlt. Hillebrand begegnet Menschen, die ihm von ihrem beschwerlichen Leben im Norden erzählen und von der Zeit, als die Deutschen ihr Land besetzt hielten. Daneben beschreibt er in Exkursen die Geburtstunde der "Hurtigruten", der Postschifflinien, die in unzugänglichen Regionen Nordnorwegens bis heute das schnellste Verkehrsmittel sind. Er erzählt die Geschichte des Fischers und Widerstandskämpfers Leif Andreas Larsen, den die Kampfbomber der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg vergeblich durch die Fjorde jagten und den die Norweger auch nach seinem Tod 1990 noch als Nationalhelden verehren.
All das hat Hillebrand unaufgeregt aufgeschrieben, ohne sich selbst als verwegenen Bezwinger der Arktis darzustellen. Den Polarkreis passiert er, ohne es zu merken. Die Angst, sein Schiff zu verlieren, bereitet ihm Albträume. Die arktische Mitternachtssonne ist letztendlich auch - nur Sonne.
Angekommen ist Hillebrand. In Murmansk. Und wohl auch bei sich selbst. Und trotzdem: Nach Tausenden Seemeilen Einsamkeit, Besuchen misstrauischer, russischer Geheimdienstler an Bord und dem andauernden Kampf mit dem widerspenstigen Dieselmotor kann auch die Aussicht auf den Alltag eine schöne sein. Am Schluss spielt die Geschwindigkeit dann doch eine Rolle. Schnell zurück. In den Süden.
das
Ralf-Thomas Hillebrand: "Im Süden der Polarkreis. Einhand nach Murmansk". Delius-Klasing-Verlag, 255 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main