Kaum ein Berufsstand Ägyptens ist näher am Puls der Gesellschaft als die 250000 Kairoer Taxifahrer. Wer wissen will, was die Menschen umtreibt, liest keine Zeitung, sondern nimmt das Taxi und hört auf das, was ihm der Fahrer erzählt: "Wir leben in einer einzigen Lüge und glauben daran. Die Regierung ist nur dazu da zu prüfen, ob wir die Lüge wirklich schlucken, finden Sie nicht auch?" "Im Taxi" plaudert, diskutiert, feilscht und streitet Chalid al-Chamissi mit Fahrern, die im kleinen öffentlichen und doch abhörfreien Raum ihrer Wagen ihren Frust über das korrupte Regime und die allgegenwärtigen Missstände in Ägypten loswerden - mit immerhin einem Zuhörer: ihrem Fahrgast. Aus achtundfünfzig kurzen, pointenreichen Episoden entsteht ein großes Mosaik der ägyptischen Gesellschaft von heute, eine Hommage an die oft verschmähte Kultur der Straße. Nicht selten haben dabei die politischen Einsichten der Taxifahrer mehr Tiefgang als das ewige Geschwätz der Regierenden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2011Der Taxischreiber von Kairo
Vor der Revolution: Das erstaunliche Buch des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi
Revolutionen kündigen sich nicht an. Die Geheimdienste der Welt sind bislang noch von jedem Umsturz überrascht worden. Am Anfang steht oft eine diffuse Mischung aus Überdruss, Wut, Verzweiflung und einem irrationalen Glauben an die Veränderungsmöglichkeit einer scheinbar für immer unveränderbaren Welt. Niemand hat noch vor wenigen Wochen vorhersagen können, was inzwischen in Tunesien und jetzt in Ägypten geschehen ist.
Aber es gibt ein Buch, das in diesen Tagen erstmals auf Deutsch erscheint, in dem die ganze vorrevolutionäre Spannung in der Stadt Kairo, die Wut, der Überdruss, die Lethargie, der Höllenhumor und die Verzweiflung der Bewohner der ägyptischen Scheindemokratie aufs eindringlichste beschrieben sind: Das Buch "Im Taxi - Unterwegs in Kairo" des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi, 48, liest sich heute wie der Roman zur Explosion. Das Buch ist bereits 2007 mit großem Erfolg in Ägypten und danach in verschiedenen europäischen Ländern erschienen. Es ist eine Art kempowskihafte Alltagsmitschrift, ein kleines Echolot aus dem Kairo vor der Revolte. Alles wird mitstenographiert: die Gründung erster echter Oppositionsgruppen 2004, die steigenden Taxipreise an den Tagen der Demonstration, die Armut der 250 000 Taxifahrer der Stadt, kurze Porträts der sogenannten Gegenkandidaten, die im Präsidentenkampf scheinbar gegen Mubarak antraten und dabei lachend zugaben, sie selbst würden aber Mubarak wählen. Absurde Berichte aus einem Kafka-Reich, in dem man durch nichts je irgendetwas erreichen oder verändern kann außer durch Geld. Doch in all der Lethargie ist immer eine absurde Hoffnung erkennbar, dass dreißig Jahre Bewegungslosigkeit nicht in alle Ewigkeit fortbestehen müssen. Aber das liest man vielleicht auch von heute mit hinein.
Wir waren über all die Tage mit Chalid al-Chamissi per Mail in Kontakt. Jeden Tag hat er auf dem Tahrirplatz demonstriert. Freitagnachmittag schickt er endlich die zwei Worte: "He resigns". Danach schrieb er den Text, den wir auf dieser Seite drucken.
vw
Chalid al-Chamissi: "Im Taxi. Unterwegs in Kairo". Aus dem Arabischen von Kristina Bergmann. Lenos-Verlag, 190 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor der Revolution: Das erstaunliche Buch des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi
Revolutionen kündigen sich nicht an. Die Geheimdienste der Welt sind bislang noch von jedem Umsturz überrascht worden. Am Anfang steht oft eine diffuse Mischung aus Überdruss, Wut, Verzweiflung und einem irrationalen Glauben an die Veränderungsmöglichkeit einer scheinbar für immer unveränderbaren Welt. Niemand hat noch vor wenigen Wochen vorhersagen können, was inzwischen in Tunesien und jetzt in Ägypten geschehen ist.
Aber es gibt ein Buch, das in diesen Tagen erstmals auf Deutsch erscheint, in dem die ganze vorrevolutionäre Spannung in der Stadt Kairo, die Wut, der Überdruss, die Lethargie, der Höllenhumor und die Verzweiflung der Bewohner der ägyptischen Scheindemokratie aufs eindringlichste beschrieben sind: Das Buch "Im Taxi - Unterwegs in Kairo" des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi, 48, liest sich heute wie der Roman zur Explosion. Das Buch ist bereits 2007 mit großem Erfolg in Ägypten und danach in verschiedenen europäischen Ländern erschienen. Es ist eine Art kempowskihafte Alltagsmitschrift, ein kleines Echolot aus dem Kairo vor der Revolte. Alles wird mitstenographiert: die Gründung erster echter Oppositionsgruppen 2004, die steigenden Taxipreise an den Tagen der Demonstration, die Armut der 250 000 Taxifahrer der Stadt, kurze Porträts der sogenannten Gegenkandidaten, die im Präsidentenkampf scheinbar gegen Mubarak antraten und dabei lachend zugaben, sie selbst würden aber Mubarak wählen. Absurde Berichte aus einem Kafka-Reich, in dem man durch nichts je irgendetwas erreichen oder verändern kann außer durch Geld. Doch in all der Lethargie ist immer eine absurde Hoffnung erkennbar, dass dreißig Jahre Bewegungslosigkeit nicht in alle Ewigkeit fortbestehen müssen. Aber das liest man vielleicht auch von heute mit hinein.
Wir waren über all die Tage mit Chalid al-Chamissi per Mail in Kontakt. Jeden Tag hat er auf dem Tahrirplatz demonstriert. Freitagnachmittag schickt er endlich die zwei Worte: "He resigns". Danach schrieb er den Text, den wir auf dieser Seite drucken.
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Chalid al-Chamissi: "Im Taxi. Unterwegs in Kairo". Aus dem Arabischen von Kristina Bergmann. Lenos-Verlag, 190 Seiten, 19,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gestern gab der ägyptische Autor Khaled al-Khamissi im SZ-Interview eher einen trüben Einblick in seine Haltung gegenüber dem Westen, den USA und Israel. Heute preist Stefan Weidner seinen Roman "Im Taxi" als das ultimative Buch zur Revolution. In verschiedenen Episoden lässt al-Khamissi darin fiktive Taxifahrer zu Wort kommen, die dabei ihrer Frustration über die politische Lage in Ägypten freien Lauf lassen. Weidner ist begeistert: Denn in den Taxigesprächen werden die gesellschaftlichen Zustände nicht "schöngeistig" aufbereitet, sondern "sprechen für sich" und entwickeln so Schlagkraft, so der Rezensent, der auch die Übersetzung ins Deutsche mit ihrer Entscheidung, den Dialekt in schlichte Umgangssprache zu übertragen, sehr gelungen findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Chalid al-Chamissi leuchtet die ägyptische Gesellschaft aus,. sein Buch berührt durch Einfachheit und Authentizität." (Neue Zürcher Zeitung)