Auch wenn deutsche Behörden seit 2001 effektiver gegen Terroristenvorgehen, ist es ihnen nur mit viel Glück gelungen, Anschläge in derBundesrepublik zu verhindern: Deutschland steht heute mehr denn je imFadenkreuz von al-Qaida. Auch junge deutsche Muslime lassen sich in Pakistanausbilden, und sie drohen mit Attentaten.Innen- und sicherheitspolitische Aktionen reichen längst nicht mehr, um derBedrohung Herr zu werden. Deutschland braucht endlich eine umfassendeAnti-Terror-Strategie. Wer islamistische Terroristen wirksam bekämpfen will,muss eine länderübergreifende Politik entwickeln und seine Partner von deneigenen Konzepten überzeugen.Eine solche Strategie muss vor allem die Isolierung der Terroristen von ihrenSympathisanten anstreben. Missstände und Ungerechtigkeiten, dieunweigerlich die Anhängerschaft mehren, müssen identifiziert und nachMöglichkeit behoben werden. Nur so kann es gelingen, die Argumente derTerror-Rekrutierer zu entkräften. Und nur so lässt sich die Radikalisierung vonSympathisanten vermeiden sowie die Finanzierung und Logistik behindern -um im besten Fall die Terrorgruppen regelrecht auszutrocknen.Guido Steinberg ist promovierter Islamwissenschaftler und warTerrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Seit 2005 forscht er in der StiftungWissenschaft und Politik über die Politik des Nahen Ostens, u.a. zu denSchwerpunkten Persischer Golf und islamistischer Terrorismus.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2010Geschlossene Lebenskonzepte
Selbsternannte Gotteskrieger aus und in Deutschland
Über Monate hinweg saßen Rolf Clement und Paul Elmar Jöris in der ersten Reihe, direkt hinter der Glaswand. Im Oberlandesgericht Düsseldorf verfolgten die Hörfunkkorrespondenten den Prozess gegen den Kofferbomber Yussif al Hajj Dib und das Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe. Die oft abstrakt erscheinende Gefahr des islamistischen Terrors hatte hier ein Gesicht - das des deutschen Konvertiten Fritz Gelowicz etwa oder das des nie in Deutschland integrierten libanesischen Studenten al Hajj Dib. Über ihre Einblicke vor Gericht - in den von Richter Ottmar Breidling geführten 6. Staatsschutzsenat - haben die beiden Journalisten nun ein Buch geschrieben, angereichert durch Recherchen in Sicherheitskreisen und aus dem Umfeld der selbsternannten Dschihadisten. Das Fazit der Lebensläufe von mehr als einem halben Dutzend Glaubenskämpfer lautet: "Zum einen muss ein junger Mann den Halt verlieren. Dann muss ihm jemand ein geschlossenes Konzept für sein künftiges Leben anbieten."
Zu zeigen, dass die von den Medien oft verzerrt als geborene Fanatiker dargestellten militanten Glaubenskämpfer meist ähnlich aufwachsen wie große Teile der Bevölkerung, ist das große Verdienst dieses Buches. Nicht eine theoretische Bedrohung zeichnen Clement und Jöris nach, sondern Lebensläufe wütender junger Männer, denen der innere Kompass irgendwann zwischen Pubertät und Schulschluss abhandengekommen ist - oder die glaubten, ihn in gewaltsamen Islam-Interpretationen zu finden.
Dass man da bisweilen nicht weit suchen muss, zeigt der Fall der Tochter eines der Autoren: Als die gemeinsam mit einer Klassenkameradin im Wohnzimmer in alten Fotoalben blättert, fragt sie nach dem Verbleib ihres früheren Kumpels aus dem Kindergarten und der Grundschule, Yassin Chouka. "Der ruft im Internet zum Heiligen Krieg auf", sagt die Freundin. Ob im Klassenzimmer oder in einem Ferienhaus im sauerländischen Oberschledorn-Medebach, wo die vier Mitglieder der Sauerland-Gruppe 2007 Anschläge auf amerikanische Einrichtungen vorbereiteten: Viele der selbsternannten Gotteskrieger aus Deutschland, die sich in den vergangenen Jahren in Terrorlager in Pakistan absetzten, wohnen tatsächlich nebenan. Zunächst mögen sie noch wie der später in der Al-Muhsinin-Moschee in Bonn-Beuel radikalisierte Chouka der Mannschaftsclown im Fußballverein und Klassensprecher gewesen sein. "Weder Yassin noch seine Brüder fielen dadurch auf, dass sie wegen ihres Glaubens etwas nicht mitmachen durften. Die Familie schien keine Probleme damit zu haben, als gläubige Muslime in einer christlichen Umgebung zu leben und verankert zu sein", schreiben die Autoren.
Doch irgendwann beginnt die Absonderung; die Erinnerung an die gemeinsamen Streiche im Unterricht oder die erfolgreichen Spiele mit dem Fußballverein verblasst. Eine Pilgerreise nach Mekka mag den Anfang bilden, andere Möchtegernterroristen geraten gleich in die Fänge örtlicher Islamisten. Kritik an den hohlen Werten der europäischen und amerikanischen Gesellschaften sowie der Doppelzüngigkeit des Westens angesichts der Kriege im Irak oder in Afghanistan nach den Anschlägen des 11. September 2001 stoßen bei den jungen Muslimen auf fruchtbaren Boden. Denn Studien zeigen, dass sich zwar vier von fünf gut integriert fühlen - doch nur elf Prozent glauben, die Deutschen würden sie als Landsleute anerkennen, wenn sie deutsche Staatsbürger würden. Kurzum: Im Alltag fühlen sie sich immer wieder gedemütigt. Jöris und Clement betten diese Einzelschicksale in die aktuellen Entwicklungen deutscher Sicherheitsbehörden ein. In klarer Sprache zeichnen sie die Wege jener vier Terroristen nach, die sich nach ihrer Ausbildung in pakistanischen Terrorlagern 2006 zur Sauerland-Gruppe zusammenschlossen, um dann einen Überblick zu liefern über die Gegenmaßnahmen von Geheimdiensten und Bundeskriminalamt.
Hier setzt auch das Buch von Guido Steinberg an. Wie Jöris und Clement war der frühere Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt bei den Düsseldorfer Terrorprozessen der vergangenen Jahre präsent - wenn auch auf der anderen Seite der Glaswand, als Gutachter des Gerichts. "Das Ziel der deutschen Politik sollte sein, eine kurzfristig effektive mit einer langfristig wirksamen Terrorismusbekämpfung zu verbinden", schreibt er. "Die Gewalttäter müssen nicht nur konsequent bekämpft, sondern gleichzeitig von ihren Unterstützern und Sympathisanten isoliert werden." Nur über die Integration junger Muslime, da sind sich Steinbach sowie Jöris und Clement einig, lasse sich das Problem des militanten Islams bändigen. Daher, schreibt Steinberg, sei die "Trennung von Integrationsdebatte und Terrorismusbekämpfung dringend geboten". Und noch eines wünscht er sich von der Bundesregierung: Sie möge ihr Verhältnis zu den arabischen Staaten, Pakistan und Afghanistan auf eine neue Grundlage stellen. Denn nur eine international abgestimmte Politik könne auf Dauer verhindern, dass sich wegen der ungelösten Probleme der Region eine Generation nach der anderen radikalisiere.
MARKUS BICKEL
Rolf Clement/Paul Elmar Jöris: Die Terroristen von nebenan. Gotteskrieger aus Deutschland. Piper Verlag, München 2010. 294 S., 16,95 [Euro].
Guido Steinberg: Im Visier von Al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2009. 105 S., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbsternannte Gotteskrieger aus und in Deutschland
Über Monate hinweg saßen Rolf Clement und Paul Elmar Jöris in der ersten Reihe, direkt hinter der Glaswand. Im Oberlandesgericht Düsseldorf verfolgten die Hörfunkkorrespondenten den Prozess gegen den Kofferbomber Yussif al Hajj Dib und das Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe. Die oft abstrakt erscheinende Gefahr des islamistischen Terrors hatte hier ein Gesicht - das des deutschen Konvertiten Fritz Gelowicz etwa oder das des nie in Deutschland integrierten libanesischen Studenten al Hajj Dib. Über ihre Einblicke vor Gericht - in den von Richter Ottmar Breidling geführten 6. Staatsschutzsenat - haben die beiden Journalisten nun ein Buch geschrieben, angereichert durch Recherchen in Sicherheitskreisen und aus dem Umfeld der selbsternannten Dschihadisten. Das Fazit der Lebensläufe von mehr als einem halben Dutzend Glaubenskämpfer lautet: "Zum einen muss ein junger Mann den Halt verlieren. Dann muss ihm jemand ein geschlossenes Konzept für sein künftiges Leben anbieten."
Zu zeigen, dass die von den Medien oft verzerrt als geborene Fanatiker dargestellten militanten Glaubenskämpfer meist ähnlich aufwachsen wie große Teile der Bevölkerung, ist das große Verdienst dieses Buches. Nicht eine theoretische Bedrohung zeichnen Clement und Jöris nach, sondern Lebensläufe wütender junger Männer, denen der innere Kompass irgendwann zwischen Pubertät und Schulschluss abhandengekommen ist - oder die glaubten, ihn in gewaltsamen Islam-Interpretationen zu finden.
Dass man da bisweilen nicht weit suchen muss, zeigt der Fall der Tochter eines der Autoren: Als die gemeinsam mit einer Klassenkameradin im Wohnzimmer in alten Fotoalben blättert, fragt sie nach dem Verbleib ihres früheren Kumpels aus dem Kindergarten und der Grundschule, Yassin Chouka. "Der ruft im Internet zum Heiligen Krieg auf", sagt die Freundin. Ob im Klassenzimmer oder in einem Ferienhaus im sauerländischen Oberschledorn-Medebach, wo die vier Mitglieder der Sauerland-Gruppe 2007 Anschläge auf amerikanische Einrichtungen vorbereiteten: Viele der selbsternannten Gotteskrieger aus Deutschland, die sich in den vergangenen Jahren in Terrorlager in Pakistan absetzten, wohnen tatsächlich nebenan. Zunächst mögen sie noch wie der später in der Al-Muhsinin-Moschee in Bonn-Beuel radikalisierte Chouka der Mannschaftsclown im Fußballverein und Klassensprecher gewesen sein. "Weder Yassin noch seine Brüder fielen dadurch auf, dass sie wegen ihres Glaubens etwas nicht mitmachen durften. Die Familie schien keine Probleme damit zu haben, als gläubige Muslime in einer christlichen Umgebung zu leben und verankert zu sein", schreiben die Autoren.
Doch irgendwann beginnt die Absonderung; die Erinnerung an die gemeinsamen Streiche im Unterricht oder die erfolgreichen Spiele mit dem Fußballverein verblasst. Eine Pilgerreise nach Mekka mag den Anfang bilden, andere Möchtegernterroristen geraten gleich in die Fänge örtlicher Islamisten. Kritik an den hohlen Werten der europäischen und amerikanischen Gesellschaften sowie der Doppelzüngigkeit des Westens angesichts der Kriege im Irak oder in Afghanistan nach den Anschlägen des 11. September 2001 stoßen bei den jungen Muslimen auf fruchtbaren Boden. Denn Studien zeigen, dass sich zwar vier von fünf gut integriert fühlen - doch nur elf Prozent glauben, die Deutschen würden sie als Landsleute anerkennen, wenn sie deutsche Staatsbürger würden. Kurzum: Im Alltag fühlen sie sich immer wieder gedemütigt. Jöris und Clement betten diese Einzelschicksale in die aktuellen Entwicklungen deutscher Sicherheitsbehörden ein. In klarer Sprache zeichnen sie die Wege jener vier Terroristen nach, die sich nach ihrer Ausbildung in pakistanischen Terrorlagern 2006 zur Sauerland-Gruppe zusammenschlossen, um dann einen Überblick zu liefern über die Gegenmaßnahmen von Geheimdiensten und Bundeskriminalamt.
Hier setzt auch das Buch von Guido Steinberg an. Wie Jöris und Clement war der frühere Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt bei den Düsseldorfer Terrorprozessen der vergangenen Jahre präsent - wenn auch auf der anderen Seite der Glaswand, als Gutachter des Gerichts. "Das Ziel der deutschen Politik sollte sein, eine kurzfristig effektive mit einer langfristig wirksamen Terrorismusbekämpfung zu verbinden", schreibt er. "Die Gewalttäter müssen nicht nur konsequent bekämpft, sondern gleichzeitig von ihren Unterstützern und Sympathisanten isoliert werden." Nur über die Integration junger Muslime, da sind sich Steinbach sowie Jöris und Clement einig, lasse sich das Problem des militanten Islams bändigen. Daher, schreibt Steinberg, sei die "Trennung von Integrationsdebatte und Terrorismusbekämpfung dringend geboten". Und noch eines wünscht er sich von der Bundesregierung: Sie möge ihr Verhältnis zu den arabischen Staaten, Pakistan und Afghanistan auf eine neue Grundlage stellen. Denn nur eine international abgestimmte Politik könne auf Dauer verhindern, dass sich wegen der ungelösten Probleme der Region eine Generation nach der anderen radikalisiere.
MARKUS BICKEL
Rolf Clement/Paul Elmar Jöris: Die Terroristen von nebenan. Gotteskrieger aus Deutschland. Piper Verlag, München 2010. 294 S., 16,95 [Euro].
Guido Steinberg: Im Visier von Al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2009. 105 S., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main