»Herzlichen Glückwunsch, K.« Diese scheinbar harmlose Nachricht an den »Systemerhalter« Leidegger lösteinen gehörigen Ehestreit zwischen ihm und Martina aus. Dabei könnte alles so schön sein im selbstgeschaffenenVorstadtparadies mit der neugeborenen Tochter im trauten Heim. Die Palme im Vorgarten nicht zu vergessen!Der Unruhestifter im Leideggerschen Eden ist keine Schlange, das Unglück steckt nicht in einem Apfelbiss,es ist die besagte Nachricht, die eine Zeit voller Misstrauen einleitet. Die Beziehung des Ehepaars entwickeltsich allmählich zu einer Art Stellungskrieg aus Vorhaltungen und Ausflüchten. Unfähig mit Martinazu sprechen, redet sich Leidegger innerlich in Rage und wägt in Gedanken jeden Schritt und jede möglicheReaktion ab. Er verrennt sich in geradezu irrsinnigste Schlussfolgerungen und Anschuldigungen, die in allerÜberspitzung unglaublich absurd-komische Züge annehmen.Soll man nun darüber lachen oder weinen, wie sich Leidegger und Martina aneinader aufreiben? Ist eseineEhetragödie oder eine beißende Komödie? So trocken und ironisch wie der Roman sich zeigt, könnte derGrat nicht schmaler sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2018Zum Synchronsprecher einer tölpelhaften Comicfigur mutiert
Ein Angestelltendasein an der Abbruchkante zum Wahn: Bernhard Strobels erster abendfüllender Roman "Im Vorgarten der Palme"
Schon die Titel von Bernhard Strobels bisher drei Erzählbänden verraten, dass seine Figuren nicht aus dem Vollen leben und mit der weiteren Verengung ihrer Existenzen jederzeit zu rechnen haben. Mit dem Band "Sackgasse" hat der 1982 in Wien geborene Autor, der auch aus dem Norwegischen übersetzt, vor elf Jahren debütiert. 2010 folgte "Nichts, nichts", zuletzt erschien 2015 "Ein dünner Faden". Nun hat Strobel einen etwas dickeren Faden gewebt: "Im Vorgarten der Palme" ist sein erster abendfüllender Roman, ein so gelungenes wie schräg-vergnügliches Buch.
Im minimal, aber bedeutungsvoll variierten Philosophenklang des Namens der Hauptfigur kündigt sich bereits deren Haupteigenschaft an: die Neigung zu selbstschädigenden Reflexionsschleifen. Leidegger ist ein mittlerer Angestellter; als Vornamen firmiert das Kürzel K., worin sich zusätzlich ein kafkaesker Überschuss andeutet. Leideggers Elend beginnt mit einer Textnachricht auf dem Handy: "Herzlichen Glückwunsch, K." Die Nachricht stammt von einer früheren Partnerin, und der Glückwunsch bezieht sich auf die Geburt des ersten Kindes, womöglich auch - ironisch? - auf die nun vollendete Schöpfung des Kleinfamilienidylls mit Ehefrau Martina und dem Eigenheim in einem Neubaugebiet draußen im Grünen.
Zu Leideggers Schrecken hat seine Frau die Textnachricht mitgelesen. Fahrlässig hat er sein Telefon auf dem Tisch liegen lassen, und dieses eine Mal hat Martina danach gegriffen. Aus den zweieinhalb Worten wuchert fortan das Misstrauen. Hat Leidegger noch Kontakt zu jener Frau, hat er ihr geantwortet, trauert er gar der vergangenen Beziehung hinterher? Das sind Fragen, wie geschaffen, um eine eifersüchtige Ehefrau auf die Palme zu bringen. Mit einem herkömmlichen psychologischen Beziehungsdrama um die "Ex" hat der Roman allerdings wenig zu tun. Es gibt keine verheimlichte Beziehung; die Verfasserin der Nachricht bleibt eine Leerstelle. Es gibt nur diesen einen kurzen Satz als denkbar minimalen Auslöser der Ehekrise. Die Störung der Kommunikation beginnt nicht damit, dass Leidegger ertappt worden wäre, sondern damit, dass er denkt, seine Frau könnte denken, sie habe ihn ertappt und er bestätige ihr dies durch das typische Verhalten eines Ertappten, obwohl seine Verunsicherung doch nur daher rührt, dass er annimmt, im Kopf seiner Frau würden solche ihn zum Ertappten herabwürdigenden Gedankengänge stattfinden. Hier setzen Prozesse der Selbstbeobachtung ein, die jedes unverkrampft spontane Verhalten unmöglich machen.
In Leideggers Kopf hört das Deuten und Interpretieren fortan nicht mehr auf. Während er die unscheinbarsten Regungen Martinas in seine vertrackten Auslegungsmanöver einbezieht, schafft er es nie, einfach mal ein paar klärende Sätze mit ihr zu sprechen. Dieser Ehestreit wird fast ohne Worte geführt. Stattdessen erhält nun jedes Husten, Singen, Schnauben oder Zähneknirschen Mitteilungscharakter. Die Unfähigkeit zu reden hat ihre Logik: Ein einziges Wort Martinas genügt Leidegger bereits, um von neuem in einer bodenlosen Auslegungsproblematik zu versinken, denn sogleich wittert er wieder eine Attacke, eine Unterstellung, eine Kränkung, auf die er erst einmal mit Gesprächsabbruch reagiert, um sich Formen subtiler Vergeltung auszudenken.
Krisenverstärkend kommt hinzu, dass Leidegger jeden seiner Sätze als Fehlgriff empfindet. Das Unbewusste spielt ihm Streiche, wenn er etwa - anstatt kühl und strategisch zu formulieren - ungefiltert seinen Wunsch nach Versöhnung ausspricht. Es ist ihm, als gäbe es in seinem Gesicht eine "zweite fremde Mundöffnung", die ungewollt Verräterisches hinausschwatzt, eine Art "Mundparasit". Auch der Klang seiner Stimme wird ihm zum Ärgernis - zu aufgeregt oder quiekend, als wäre er "zum Synchronsprecher einer tölpelhaften Comicfigur mutiert".
Wenn für ihn unerwartet Martinas Mutter zu Besuch kommt, stellt sich Leidegger sogleich die Frage, ob es sich um Konspiration oder um eine Strafaktion handelt ("Dir setze ich heute die Schwiegermutter in den Garten"). Oder eignet sich die ältere Dame womöglich als Verbündete für ihn selbst im unerklärten Ehekrieg? Reine Komödie ist es, wenn der Roman beschreibt, wie die Partner über die Bande kommunizieren. Etwa über das Baby, dem man sich demonstrativ zuwendet oder das man sich gegenseitig aus den Armen reißt, weil man es besser als der Partner zu beruhigen und zu betüddeln meint - wodurch man den anderen wieder ein wenig ins Unrecht setzen kann. Auch das Gießen der Palme wird zum Ausdruckstanz. Leidegger hat ihre Pflege zur Chefsache erklärt. "Er hatte immer davon fantasiert, nach den langen Jahren in der Stadtwohnung eine Palme in seinem Garten stehen zu haben. Eine solche Palme war Leidegger jahrelang tagtraumähnlich vor dem geistigen Auge herumgetanzt, und sie war der erste Schritt in Richtung Paradies, den er gesetzt hatte." Immer fürchtet er deshalb, Martina könne die utopisch aufgeladene Pflanze mehr oder weniger vorsätzlich ertränken.
Seine Angestelltentage verbringt Leidegger im Großraumbüro zwischen Akten, Bildschirm und Publikumsverkehr. Seine Tätigkeit bleibt zwar abstrakt, aber wir erfahren, dass er sich als "Systemerhalter" begreift. Diese grundkonservative Disposition bestimmt auch seinen Charakter, weshalb er so überempfindlich auf jede Systemstörung reagiert. Zudem hat er ein starkes Gefühl für das Unwirkliche, Scheinhafte seiner Existenz. Familie, Büro - alles Rollenspiele. Beim Betreten des eigenen Wohnzimmers kommt er sich bisweilen wie ein Museumsbesucher in einem dreidimensionalen Stillleben vor. Titel des Kunstwerks: "Mutter mit Kind und Handy im Einfamilienhaus, Anfang 21. Jahrhundert." Womöglich ist die ganze auf "Paradies" getrimmte Vorstadtidylle nichts als Theaterspiel auf einer Drehbühne, auf deren Rückseite ein apokalyptisches Szenario mit umgekipptem Palmenkübel wartet. Die Paranoia in Leideggers Seele wird immer schriller, und alle Rasenmäher und Motorheckenscheren des Viertels können sie nicht länger übertönen.
"Im Vorgarten der Palme" bietet subtilste Alltagsbeobachtung an der Abbruchkante zum Wahn. Dabei ist Strobels verschrobener Held keine wirklich realistisch konzipierte Figur, sondern eine Art Vorführgerät - eine Grübelmaschine der bürgerlichen Verunsicherung. Ob Ehefrau Martina im Übrigen zu ähnlichem Dauermisstrauen und Zwangsdenken neigt, lässt sich kaum erschließen, weil man nur die männliche Perspektive kennenlernt. Aber womöglich ergänzen sich die beiden ganz wunderbar in ihrem Neurotizismus.
WOLFGANG SCHNEIDER
Bernhard Strobel:
"Im Vorgarten der Palme". Roman.
Droschl Verlag, Graz und Wien 2018. 186 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Angestelltendasein an der Abbruchkante zum Wahn: Bernhard Strobels erster abendfüllender Roman "Im Vorgarten der Palme"
Schon die Titel von Bernhard Strobels bisher drei Erzählbänden verraten, dass seine Figuren nicht aus dem Vollen leben und mit der weiteren Verengung ihrer Existenzen jederzeit zu rechnen haben. Mit dem Band "Sackgasse" hat der 1982 in Wien geborene Autor, der auch aus dem Norwegischen übersetzt, vor elf Jahren debütiert. 2010 folgte "Nichts, nichts", zuletzt erschien 2015 "Ein dünner Faden". Nun hat Strobel einen etwas dickeren Faden gewebt: "Im Vorgarten der Palme" ist sein erster abendfüllender Roman, ein so gelungenes wie schräg-vergnügliches Buch.
Im minimal, aber bedeutungsvoll variierten Philosophenklang des Namens der Hauptfigur kündigt sich bereits deren Haupteigenschaft an: die Neigung zu selbstschädigenden Reflexionsschleifen. Leidegger ist ein mittlerer Angestellter; als Vornamen firmiert das Kürzel K., worin sich zusätzlich ein kafkaesker Überschuss andeutet. Leideggers Elend beginnt mit einer Textnachricht auf dem Handy: "Herzlichen Glückwunsch, K." Die Nachricht stammt von einer früheren Partnerin, und der Glückwunsch bezieht sich auf die Geburt des ersten Kindes, womöglich auch - ironisch? - auf die nun vollendete Schöpfung des Kleinfamilienidylls mit Ehefrau Martina und dem Eigenheim in einem Neubaugebiet draußen im Grünen.
Zu Leideggers Schrecken hat seine Frau die Textnachricht mitgelesen. Fahrlässig hat er sein Telefon auf dem Tisch liegen lassen, und dieses eine Mal hat Martina danach gegriffen. Aus den zweieinhalb Worten wuchert fortan das Misstrauen. Hat Leidegger noch Kontakt zu jener Frau, hat er ihr geantwortet, trauert er gar der vergangenen Beziehung hinterher? Das sind Fragen, wie geschaffen, um eine eifersüchtige Ehefrau auf die Palme zu bringen. Mit einem herkömmlichen psychologischen Beziehungsdrama um die "Ex" hat der Roman allerdings wenig zu tun. Es gibt keine verheimlichte Beziehung; die Verfasserin der Nachricht bleibt eine Leerstelle. Es gibt nur diesen einen kurzen Satz als denkbar minimalen Auslöser der Ehekrise. Die Störung der Kommunikation beginnt nicht damit, dass Leidegger ertappt worden wäre, sondern damit, dass er denkt, seine Frau könnte denken, sie habe ihn ertappt und er bestätige ihr dies durch das typische Verhalten eines Ertappten, obwohl seine Verunsicherung doch nur daher rührt, dass er annimmt, im Kopf seiner Frau würden solche ihn zum Ertappten herabwürdigenden Gedankengänge stattfinden. Hier setzen Prozesse der Selbstbeobachtung ein, die jedes unverkrampft spontane Verhalten unmöglich machen.
In Leideggers Kopf hört das Deuten und Interpretieren fortan nicht mehr auf. Während er die unscheinbarsten Regungen Martinas in seine vertrackten Auslegungsmanöver einbezieht, schafft er es nie, einfach mal ein paar klärende Sätze mit ihr zu sprechen. Dieser Ehestreit wird fast ohne Worte geführt. Stattdessen erhält nun jedes Husten, Singen, Schnauben oder Zähneknirschen Mitteilungscharakter. Die Unfähigkeit zu reden hat ihre Logik: Ein einziges Wort Martinas genügt Leidegger bereits, um von neuem in einer bodenlosen Auslegungsproblematik zu versinken, denn sogleich wittert er wieder eine Attacke, eine Unterstellung, eine Kränkung, auf die er erst einmal mit Gesprächsabbruch reagiert, um sich Formen subtiler Vergeltung auszudenken.
Krisenverstärkend kommt hinzu, dass Leidegger jeden seiner Sätze als Fehlgriff empfindet. Das Unbewusste spielt ihm Streiche, wenn er etwa - anstatt kühl und strategisch zu formulieren - ungefiltert seinen Wunsch nach Versöhnung ausspricht. Es ist ihm, als gäbe es in seinem Gesicht eine "zweite fremde Mundöffnung", die ungewollt Verräterisches hinausschwatzt, eine Art "Mundparasit". Auch der Klang seiner Stimme wird ihm zum Ärgernis - zu aufgeregt oder quiekend, als wäre er "zum Synchronsprecher einer tölpelhaften Comicfigur mutiert".
Wenn für ihn unerwartet Martinas Mutter zu Besuch kommt, stellt sich Leidegger sogleich die Frage, ob es sich um Konspiration oder um eine Strafaktion handelt ("Dir setze ich heute die Schwiegermutter in den Garten"). Oder eignet sich die ältere Dame womöglich als Verbündete für ihn selbst im unerklärten Ehekrieg? Reine Komödie ist es, wenn der Roman beschreibt, wie die Partner über die Bande kommunizieren. Etwa über das Baby, dem man sich demonstrativ zuwendet oder das man sich gegenseitig aus den Armen reißt, weil man es besser als der Partner zu beruhigen und zu betüddeln meint - wodurch man den anderen wieder ein wenig ins Unrecht setzen kann. Auch das Gießen der Palme wird zum Ausdruckstanz. Leidegger hat ihre Pflege zur Chefsache erklärt. "Er hatte immer davon fantasiert, nach den langen Jahren in der Stadtwohnung eine Palme in seinem Garten stehen zu haben. Eine solche Palme war Leidegger jahrelang tagtraumähnlich vor dem geistigen Auge herumgetanzt, und sie war der erste Schritt in Richtung Paradies, den er gesetzt hatte." Immer fürchtet er deshalb, Martina könne die utopisch aufgeladene Pflanze mehr oder weniger vorsätzlich ertränken.
Seine Angestelltentage verbringt Leidegger im Großraumbüro zwischen Akten, Bildschirm und Publikumsverkehr. Seine Tätigkeit bleibt zwar abstrakt, aber wir erfahren, dass er sich als "Systemerhalter" begreift. Diese grundkonservative Disposition bestimmt auch seinen Charakter, weshalb er so überempfindlich auf jede Systemstörung reagiert. Zudem hat er ein starkes Gefühl für das Unwirkliche, Scheinhafte seiner Existenz. Familie, Büro - alles Rollenspiele. Beim Betreten des eigenen Wohnzimmers kommt er sich bisweilen wie ein Museumsbesucher in einem dreidimensionalen Stillleben vor. Titel des Kunstwerks: "Mutter mit Kind und Handy im Einfamilienhaus, Anfang 21. Jahrhundert." Womöglich ist die ganze auf "Paradies" getrimmte Vorstadtidylle nichts als Theaterspiel auf einer Drehbühne, auf deren Rückseite ein apokalyptisches Szenario mit umgekipptem Palmenkübel wartet. Die Paranoia in Leideggers Seele wird immer schriller, und alle Rasenmäher und Motorheckenscheren des Viertels können sie nicht länger übertönen.
"Im Vorgarten der Palme" bietet subtilste Alltagsbeobachtung an der Abbruchkante zum Wahn. Dabei ist Strobels verschrobener Held keine wirklich realistisch konzipierte Figur, sondern eine Art Vorführgerät - eine Grübelmaschine der bürgerlichen Verunsicherung. Ob Ehefrau Martina im Übrigen zu ähnlichem Dauermisstrauen und Zwangsdenken neigt, lässt sich kaum erschließen, weil man nur die männliche Perspektive kennenlernt. Aber womöglich ergänzen sich die beiden ganz wunderbar in ihrem Neurotizismus.
WOLFGANG SCHNEIDER
Bernhard Strobel:
"Im Vorgarten der Palme". Roman.
Droschl Verlag, Graz und Wien 2018. 186 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bernhard Strobels »erster abendfüllender Roman, ein so gelungenes wie schräg-vergnügliches Buch.« (Wolfgang Schneider, FAZ) »Der Roman entwickelt sich zur skurrilen Psycho-Komödie. [...] Bernhard Strobels gelungener Debütroman bietet subtilste Alltagsbeobachtung an der Abbruchkante zum Wahn.« (Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk Büchermarkt) »Mit dem kühlen Blick eines Chirurgen gelingt es Strobel, auch noch die kleinste Wucherung im Gewebe einer Beziehung zu erfassen. Sein Roman knüpft an diese zwischenmenschlichen Psychothriller nahtlos an.« (Ulrich Rüdenauer, Süddeutsche Zeitung) »So sprachlos die Protagonisten, so sprachvirtuos ist Bernhard Strobel. Er erweist sich auch im Roman als Meister innerer Befindlichkeiten.« (Beatrice Simonsen, literaturhaus.at)