Martin Amis porträtiert mit unnachahmlicher Offenheit Salman Rushdie, Steven Spielberg oder Donald Trump, schreibt mit frischer Leichtigkeit über Kafka oder Cervantes, immer brillant über die schwarzen Löcher und toten Winkel unserer Gesellschaft. Seine Stimme bekommt eine sentimentale Tiefe, wenn er von der Königsfamilie erzählt, er begleitet Tony Blair zu Angela Merkel, beobachtet das gleichzeitige Heranströmen von Oktoberfestbesuchern und Flüchtlingen in München, schreibt mit sprachlicher Schärfe über nukleare Aufrüstung und den Krieg gegen das Klischee, stets die Zwischenräume, Auslassungen und Verzerrungen unseres Denkens im Blick. Martin Amis nimmt einen in seinen Texten mit, als wären es Abenteuer, die man am besten zu zweit genießt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Gegen den Herdeninstinkt
Martin Amis ist einer der stilsichersten britischen Schriftsteller. Nun hat Daniel Kehlmann einen Band mit Essays des Kollegen zusammengestellt.
Von Gina Thomas
Auf die Frage, was ihn zu schreiben inspiriere, hat Martin Amis geantwortet, es sei "ein Gefühl hinten im Hals - wie das Bedürfnis nach meiner ersten Zigarette". Für ihn ist Schreiben vor allem eine physische Tätigkeit. Motivation sei nicht das richtige Wort, sagt Amis. Er habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass der Vorgang des Erzählens "weniger geistig und in stärkerem Maße körperlich" sei, "als man allgemein weiß - wenn man einmal angefangen hat, spielen Entscheidungen und Berechnungen, Fragen der Vernunft, kaum je eine Rolle".
Amis ist ein Meister der rhetorischen Übertreibung. Denn wenige Schriftsteller sind beim Formulieren so berechnend wie der Brite, der in seinen Romanen stets auf die Macht und die Wirkung seiner oft selbstgeprägten Wörter setzt. Wenn er die Prosa von John Updike als "phantastische Maschinerie des Wohlklanges, der überraschenden Wahrnehmung und des sowohl gemeinen wie alles verzaubernden Witzes" preist, meint man, er schreibe über sich selbst.
Form hat bei Amis oft Vorrang über Inhalt. Das gilt auch für seine nichtfiktionalen Schriften, die Literaturkritiken, Reportagen und Betrachtungen, von denen eine Auswahl jetzt auf Deutsch vorliegt. Daniel Kehlmann hat 22 Texte zusammengestellt, darunter zwei sechs Jahre auseinanderliegende Befragungen, mit denen Amis sich mitunter etwas irritiert dem prüfenden Blick der Leser unterzieht. Der Titel der Essaysammlung, "Im Vulkan", ist dem Roman "Unter dem Vulkan" entliehen, dem Hauptwerk von Malcolm Lowry, dessen Biographie Amis in einem der Beiträge rezensiert. Kehlmann liefert in seinem knappen Vorwort keine Erklärung für die Wahl des Titels, der sowohl die explosiven Stoffe suggeriert, die Amis mit seinem Hang zu apokalyptischen Szenarien in den politischen Essays aufgreift, als auch vulkanisches Denken und funkelnde Sprache.
Zugleich beschwört der Vulkan die Schmiede des Sprachkünstlers und das handwerkliche Element des Komponierens von Texten, auf das Amis nicht ohne Selbstgefälligkeit immer wieder aufmerksam macht durch das Gewicht, das er auf grammatische und semantische Eigenschaften legt, selbst wenn er anhand von zwei Büchern Donald Trumps, "The Art of the Deal" und "Great Again", den damaligen Präsidentschaftkandidaten und dessen "kitschige neonausgeleuchtete Vulgarität" als "Verkörperung der Unsicherheit" porträtiert. Da nimmt er Trumps Prosa auseinander, um das eigentlichen Wesen unter "dem Omelett seines Make-Ups mit Bräunungscreme" und dem kleinen "Waldwesen, das auf seinem Kopf schläft", zu erkunden.
Stil ist für Amis Bestandteil der Wahrnehmung und der Moralität; die Missachtung der Sprache, "ererbte, vorgefertigte Formulierungen, fossile Metaphern" sind dem selbsternannten Frontkämpfer gegen "Herdenvokabular" und "Herdenformilierungen" ein Greuel. Alles Schreiben sei eine Kampagne gegen das Klischee, hat er einmal erklärt, gegen das der Feder, des Denkens und des Fühlens. Einer seiner englischen Essaybände heißt sogar "Krieg den Klischees". Der Titel verdankt sich dem höchst ambivalenten Aufsatz über James Joyces "Ulysses", den Kehlmann nebst Beträgen über Amis' literarischen Helden Vladimir Nabokov, über Kafka, Cervantes, John Updike und Truman Capote in die Auswahl aufgenommen hat. Die Betrachtung zum "Ulysses" ist als Hymne und Verriss charakteristisch für Amis' furchtlos-kritische, man könnte auch sagen: freimütig-schnodderige Haltung. Er scheut sich nicht zu gestehen, dass er sich abgemüht habe mit dem Epos, das er als Meisterwerk der Moderne eher achte als liebe, so wie die Prosa von Joyce, "dieses unglaubliche Instrument, halb Zauberstab, halb Waffe" bei ihm zugleich "neidische Bewunderung" und Langeweile weckte.
Sein ausgeprägtes Sprachempfinden verleitet Amis in einem Aufsatz über die Terroranschläge auf das World Trade Center zu einem längereren mokanten Exkurs, in dem er die Übernahme amerikanischer Abkürzungen wie "www" oder eben "9/11" als Ausdruck jenes Herdeninstinktes deutet, den er auch im "massenhaften Somnambulismus" zu erkennen meint, mit dem der Westen auf die Bedrohung durch den Islamismus reagiere. Als politischer Kommentator gelingen Amis zwar immer wieder Gedankenblitze, als Literaturkritiker, Reporter und Menschenbeobachter bewegt er sich jedoch auf sichererem Terrain. Zu den Glanzstücken dieser Sammlung zählt der erstmals in Buchform veröffentlichte Aufsatz "Oktober", mit dem das Buch endet. Bei der Schilderung eines Aufenthalts in einem Münchner Hotel zur Zeit des Oktoberfestes vor drei Jahren fängt Amis die Einsamkeit und Entfremdung ein, die Sofia Coppola in ihrem Film "Zwischen den Welten" so eindringlich vermittelt hat. Amis verwebt das satirisch angehauchte Porträt eines stumpfsinnig wirkenden nordenglischen Geschäftsmannes im Foyer mit Betrachtungen über die Biographie von Nabokov, dessen Briefwechsel mit seiner Frau Véra er dabeihat, über die Flüchtlingskrise, über die in "biblischer Zahl" die Stadt in Beschlag nehmenden "Oktobristen" und über die eigene Sehnsucht nach der fernen Familie zu einer berührend subtilen Reflexion über Heimat, Exil und Entwurzelung - Themen, die ihn auch im Zusammenhang mit der Fatwa gegen seinen Freund Salman Rushdie im ersten Beitrag des Buches beschäftigen.
Von dieser Einrahmung abgesehen, wirken die weder chronologisch noch thematisch gruppierten Stücke etwas willkürlich zusammengewürfelt. Hier und da wäre dem Leser bei englischen Bezeichnungen wie "Dockyard Doris" (ein Travestiekünstler) mit erläuternden Fußnoten geholfen. Es fehlt der Hinweis, dass Amis einige dieser journalistischen Arbeiten vor deren Buchpublikation ergänzt hat. Die Reportage über Tony Blair, den Amis 2007 auf seiner Abschiedstournee begleitet hat, ist dabei um vierzig Prozent gewachsen.
So gewandt und flüssig sich der deutsche Text auch liest, die sprachliche Originalität und Schlagkraft von Amis kommen nicht zu voller Geltung. Dass liegt jedoch am Autor, nicht am Übersetzer. Für Neologismen wie das Verb "sharking", mit dem Amis beschreibt, wie das zweite Flugzeug am 11. September 2001 haigleich über die Freiheitsstatue hinwegglitt, gibt es einfach keine deutsche Entsprechung.
Martin Amis: "Im Vulkan". Essays.
Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Hrsg. von Daniel Kehlmann. Verlag Kein & Aber, Zürich 2018. 320 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Martin Amis ist einer der stilsichersten britischen Schriftsteller. Nun hat Daniel Kehlmann einen Band mit Essays des Kollegen zusammengestellt.
Von Gina Thomas
Auf die Frage, was ihn zu schreiben inspiriere, hat Martin Amis geantwortet, es sei "ein Gefühl hinten im Hals - wie das Bedürfnis nach meiner ersten Zigarette". Für ihn ist Schreiben vor allem eine physische Tätigkeit. Motivation sei nicht das richtige Wort, sagt Amis. Er habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass der Vorgang des Erzählens "weniger geistig und in stärkerem Maße körperlich" sei, "als man allgemein weiß - wenn man einmal angefangen hat, spielen Entscheidungen und Berechnungen, Fragen der Vernunft, kaum je eine Rolle".
Amis ist ein Meister der rhetorischen Übertreibung. Denn wenige Schriftsteller sind beim Formulieren so berechnend wie der Brite, der in seinen Romanen stets auf die Macht und die Wirkung seiner oft selbstgeprägten Wörter setzt. Wenn er die Prosa von John Updike als "phantastische Maschinerie des Wohlklanges, der überraschenden Wahrnehmung und des sowohl gemeinen wie alles verzaubernden Witzes" preist, meint man, er schreibe über sich selbst.
Form hat bei Amis oft Vorrang über Inhalt. Das gilt auch für seine nichtfiktionalen Schriften, die Literaturkritiken, Reportagen und Betrachtungen, von denen eine Auswahl jetzt auf Deutsch vorliegt. Daniel Kehlmann hat 22 Texte zusammengestellt, darunter zwei sechs Jahre auseinanderliegende Befragungen, mit denen Amis sich mitunter etwas irritiert dem prüfenden Blick der Leser unterzieht. Der Titel der Essaysammlung, "Im Vulkan", ist dem Roman "Unter dem Vulkan" entliehen, dem Hauptwerk von Malcolm Lowry, dessen Biographie Amis in einem der Beiträge rezensiert. Kehlmann liefert in seinem knappen Vorwort keine Erklärung für die Wahl des Titels, der sowohl die explosiven Stoffe suggeriert, die Amis mit seinem Hang zu apokalyptischen Szenarien in den politischen Essays aufgreift, als auch vulkanisches Denken und funkelnde Sprache.
Zugleich beschwört der Vulkan die Schmiede des Sprachkünstlers und das handwerkliche Element des Komponierens von Texten, auf das Amis nicht ohne Selbstgefälligkeit immer wieder aufmerksam macht durch das Gewicht, das er auf grammatische und semantische Eigenschaften legt, selbst wenn er anhand von zwei Büchern Donald Trumps, "The Art of the Deal" und "Great Again", den damaligen Präsidentschaftkandidaten und dessen "kitschige neonausgeleuchtete Vulgarität" als "Verkörperung der Unsicherheit" porträtiert. Da nimmt er Trumps Prosa auseinander, um das eigentlichen Wesen unter "dem Omelett seines Make-Ups mit Bräunungscreme" und dem kleinen "Waldwesen, das auf seinem Kopf schläft", zu erkunden.
Stil ist für Amis Bestandteil der Wahrnehmung und der Moralität; die Missachtung der Sprache, "ererbte, vorgefertigte Formulierungen, fossile Metaphern" sind dem selbsternannten Frontkämpfer gegen "Herdenvokabular" und "Herdenformilierungen" ein Greuel. Alles Schreiben sei eine Kampagne gegen das Klischee, hat er einmal erklärt, gegen das der Feder, des Denkens und des Fühlens. Einer seiner englischen Essaybände heißt sogar "Krieg den Klischees". Der Titel verdankt sich dem höchst ambivalenten Aufsatz über James Joyces "Ulysses", den Kehlmann nebst Beträgen über Amis' literarischen Helden Vladimir Nabokov, über Kafka, Cervantes, John Updike und Truman Capote in die Auswahl aufgenommen hat. Die Betrachtung zum "Ulysses" ist als Hymne und Verriss charakteristisch für Amis' furchtlos-kritische, man könnte auch sagen: freimütig-schnodderige Haltung. Er scheut sich nicht zu gestehen, dass er sich abgemüht habe mit dem Epos, das er als Meisterwerk der Moderne eher achte als liebe, so wie die Prosa von Joyce, "dieses unglaubliche Instrument, halb Zauberstab, halb Waffe" bei ihm zugleich "neidische Bewunderung" und Langeweile weckte.
Sein ausgeprägtes Sprachempfinden verleitet Amis in einem Aufsatz über die Terroranschläge auf das World Trade Center zu einem längereren mokanten Exkurs, in dem er die Übernahme amerikanischer Abkürzungen wie "www" oder eben "9/11" als Ausdruck jenes Herdeninstinktes deutet, den er auch im "massenhaften Somnambulismus" zu erkennen meint, mit dem der Westen auf die Bedrohung durch den Islamismus reagiere. Als politischer Kommentator gelingen Amis zwar immer wieder Gedankenblitze, als Literaturkritiker, Reporter und Menschenbeobachter bewegt er sich jedoch auf sichererem Terrain. Zu den Glanzstücken dieser Sammlung zählt der erstmals in Buchform veröffentlichte Aufsatz "Oktober", mit dem das Buch endet. Bei der Schilderung eines Aufenthalts in einem Münchner Hotel zur Zeit des Oktoberfestes vor drei Jahren fängt Amis die Einsamkeit und Entfremdung ein, die Sofia Coppola in ihrem Film "Zwischen den Welten" so eindringlich vermittelt hat. Amis verwebt das satirisch angehauchte Porträt eines stumpfsinnig wirkenden nordenglischen Geschäftsmannes im Foyer mit Betrachtungen über die Biographie von Nabokov, dessen Briefwechsel mit seiner Frau Véra er dabeihat, über die Flüchtlingskrise, über die in "biblischer Zahl" die Stadt in Beschlag nehmenden "Oktobristen" und über die eigene Sehnsucht nach der fernen Familie zu einer berührend subtilen Reflexion über Heimat, Exil und Entwurzelung - Themen, die ihn auch im Zusammenhang mit der Fatwa gegen seinen Freund Salman Rushdie im ersten Beitrag des Buches beschäftigen.
Von dieser Einrahmung abgesehen, wirken die weder chronologisch noch thematisch gruppierten Stücke etwas willkürlich zusammengewürfelt. Hier und da wäre dem Leser bei englischen Bezeichnungen wie "Dockyard Doris" (ein Travestiekünstler) mit erläuternden Fußnoten geholfen. Es fehlt der Hinweis, dass Amis einige dieser journalistischen Arbeiten vor deren Buchpublikation ergänzt hat. Die Reportage über Tony Blair, den Amis 2007 auf seiner Abschiedstournee begleitet hat, ist dabei um vierzig Prozent gewachsen.
So gewandt und flüssig sich der deutsche Text auch liest, die sprachliche Originalität und Schlagkraft von Amis kommen nicht zu voller Geltung. Dass liegt jedoch am Autor, nicht am Übersetzer. Für Neologismen wie das Verb "sharking", mit dem Amis beschreibt, wie das zweite Flugzeug am 11. September 2001 haigleich über die Freiheitsstatue hinwegglitt, gibt es einfach keine deutsche Entsprechung.
Martin Amis: "Im Vulkan". Essays.
Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Hrsg. von Daniel Kehlmann. Verlag Kein & Aber, Zürich 2018. 320 S., geb., 25,- [Euro].
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