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Drei Erzählungen von dem Meister der literarischen Halluzination László Krasznahorkai - mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter
New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische…mehr

Produktbeschreibung
Drei Erzählungen von dem Meister der literarischen Halluzination László Krasznahorkai - mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter

New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische Verfolgungsjagd mit Zug und Fähre quer durch Europa auf einer abgelegenen Insel. Doch hier lauert keine Rettung, sondern eine Falle.

Die Erzählungen von László Krasznahorkai in »Im Wahn der Anderen« entfalten eine hypnotische Wirkung. Oft entwickelt sich der atemlose Sog im Dialog mit Zeichnungen des Malers Max Neumann: Text und Bilder greifen ineinander und entdecken eine Dimension der Realität, die weiter greift als Tag und Nacht, Schlaf und Traum.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
'Jedes meiner Bücher soll die literarische Landkarte verschieben', sagt László Krasznahorkai, dem 2015 der International Man Booker Prize verliehen wurde. 1954 in Gyula/Ungarn geboren, gilt er als einer der innovativsten Schriftsteller Europas, dessen Romane 'Satanstango' und 'Melancholie des Widerstands' überall auf der Welt begeistert aufgenommen werden. Die internationale Beachtung begann jedoch 1993 in Deutschland mit dem SWR-Bestenliste-Preis für 'Melancholie des Widerstands'. In den letzten Jahren erschienen die Erzählbände 'Seiobo auf Erden' (Brücke-Berlin-Preis und Literaturpreis Leuk 2010) sowie 'Die Welt voran' (2014). Für seinen Roman 'Baron Wenckheims Rückkehr' (2018) wurde er mit dem National Book Award 2019 for Translated Literature ausgezeichnet. 2021 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur sowie 2024 den spanischen Literaturpreis Prix Formentor. Zuletzt erschienen der Roman 'Herscht 07769' und der Erzählband 'Im Wahn der Anderen'. Heute lebt László Krasznahorkai in Triest, Italien. Heike Flemming studierte in Leipzig, Wien und Budapest, lebt als freischaffende Übersetzerin in Berlin und hat 2014 über den ungarischen Gegenwartsroman promoviert. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen Péter Esterházy, Imre Kertész, Szilárd Borbély und László Krasznahorkai. 2010 erhielt sie den Brücke-Berlin-Preis, 2014 den Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis. 2021 wurde sie mit dem Übersetzerpreis Ginkgo-Biloba für Lyrik 2021 sowie dem Hieronymusring der Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Stiftung ausgezeichnet. Max Neumann, 1949 in Saarbrücken geboren, ist einer der wichtigsten Maler der figurativen Gegenwartskunst. Ausstellungen u.a. in New York, Paris, Mailand, Greifswald und Berlin, wo er lebt und arbeitet.
Rezensionen
Kafkas Erbe

László Krasznahorkai schreibt genial monomanisch über die
Flucht in den Stillstand und die Sehnsucht, sich allem zu verweigern.

VON FRITZ GÖTTLER

Mit einer Klage und einem kräftigen Fluch geht es los. Es nervt den Erzähler nämlich, „dass die Menschen sogenannte Zusammenhänge finden möchten und immer auch finden, zur Hölle mit ihnen“. Der Name des Erzählers ist offenbar herman melvill (sic!), und bei diesem Namen werden natürlich sofort die widerlichen Reporter losgeschickt, aber auch die Leser würden gerne wissen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Mann und dem berühmten Schriftsteller mit dem fast identischen Namen, dem Verfasser des legendären „Moby-Dick“, aber auch von „Billy Budd“, „Clarel“ oder „Confidence-Man“. Wie der große Herman wohnt der kleine herman in der East 26th Street, und auch er hat mal im Custom Office in New York gearbeitet, als Zollbeamter. Aber: Kein Zusammenhang! Inzwischen arbeitet er, klein und gebeugt, in einer Bibliothek, leidet wie jeder Bibliothekar an Knick- oder Senkfüßen, folgt in seiner freien Zeit unermüdlich den Wegen des großen Herman in Manhattan.

„Kleinstarbeit für einen Palast“ heißt die Erzählung, die sich der sehr kleinbürgerlichen Existenz hermans widmet, es ist das mittlere von drei neuen Stücken des ungarischen Autors László Krasznahorkai, der seit einigen Jahren als der bekannteste Geheimtipp für den Literaturnobelpreis geführt wird. Sein neuer Band „Im Wahn der Anderen“ liest sich, wie es seine Art ist, absurd und monomanisch, aber auf schräge Weise sehr vergnüglich, wenn man sich in ihren Sog ziehen lässt. Das erregte „Zum Teufel mit ihnen“ – nicht das Einzige in diesem Text – löst eine Suada des kleinen herman aus, die in quasi einem einzigen Satz auf den Leser losgelassen wird – der Schreiber redet den Leser zwar direkt an. Noch mehr aber scheint er sich selbst zuzureden, über seine Existenz und sein Schreiben zu parlieren. Was er mit seinem Parker-Kugelschreiber in seine Hefte notiert, ist „für niemand gedacht“. Und die endlose Folge der Bemerkungen ohne Punkt und Absatz schraubt die Idee eines sogenannten Zusammenhangs ins Lächerliche.

Es ist dies nicht das einzige Paradox dieser Erzählungen. Das Dialogische kippt bei Krasznahorkai immer schnell ins Monologische, Momente der Offenheit lösen sich ab mit solipsistischen Spiralen. Das Ungarische scheint dafür besser disponiert als das Deutsche mit seiner strengen hierarchischen Ordnung. Der erste Text des Bandes heißt „Animalinside“, von 2010, ein mysteriöses Tierwesen spricht, das in Grafiken von Max Neumann im Schattenriss visualisiert wird. Der dritte Text ist „Richtung Homer“, eine Gangster-Version der Odyssee, ebenfalls mit Zeichnungen von Max Neumann. Außerdem gibt es zu diesem Text, über einen QR-Code im Buch, kapitelweise Schlagzeugsoli des Free-Jazz-Drummers Miklós Szilveszter.

Krasznahorkais Helden sind ohne Bleibe, ohne Ziel, und ihr Unterwegssein wird, in langen Einstellungen und Kamerafahrten, faszinierend visualisiert in den Filmen von Béla Tarr, zu denen Krasznahorkai die Drehbücher schrieb. So sind seine eigenen Werke verfilmt worden, „Satanstango“ und „Die Werckmeisterschen Harmonien“, aber auch Georges Simenons Romane „Der Mann aus London“ oder „Das Turiner Pferd“. Den Rhythmus dieser Filme spürt man, wenn herman auf den Spuren Melvilles durch Manhattan zieht. Die Arbeiten von Naumann und Szilveszter brechen in dem Band den Fortschritt der Sätze auf. Und auch bei der „Kleinstarbeit für einen Palast“ sollte man die Hinweise des kleinen herman weiterverfolgen: auf Malcolm Lowry, eine ähnlich getriebene Schreiberexistenz wie Melville. Oder auf den Architekten Lebbeus Woods, der in fantastischen Zeichnungen apokalyptische Bilderbauten entwarf, einstürzende eher – wenige waren überhaupt zur Realisierung vorgesehen.

Inzwischen arbeitet herman in der New York Public Library, aber diese Arbeit ist für ihn der Horror. Das radikale Projekt, das er im Sinn hat, ist eine Bibliothek der Verweigerung, der Abschließung – die keine Bücher ausleiht und zum Lesen bereitstellt, sondern sie abschließt von den Menschen. Ein „unangefochtenes Paradies des Wissens“, ein savoir pour le savoir, Wissen um des Wissens willen, eine absurde Vision, die die komplexe Diskussion um Überlieferung und Tradition, Bewahrung, Nutzen und Abnutzung durcheinanderwirbelt. Mit infantiler Euphorie beschwört er – der sich selbst als Palastwächter dieser Institution sieht – diese Vorstellung: „mein Gott, GESCHLOSSEN, auf ewig, Bücher, ungestört und ungelesen, o heiliger Himmel, wie schön es ist, auch nur daran zu denken“. Dieses Projekt der Verweigerung erinnert an den nach Ahab zweiten großen Helden des großen Melville, den Schreiber Bartleby mit seinem Motto „I would prefer not to“.

Krasznahorkais fantastische Texte sind immer in der Realität verankert. In „Richtung Homer“ ist das die adriatische Küste, Pula, Opatija, Rijeka, bis Korčula vor der süddalmatinischen Küste, wo angeblich die Zauberin Circe ihr Zuhause hatte, in dem sie Odysseus lange festhielt – und wo Krasznahorkai den Text schrieb. Es ist die Geschichte einer Flucht, sein Odysseus ist ein Verfolgter, der Verfolgte per se. Er weiß, es hat ein Urteil der „nichtexistierenden Ordnung gegeben, das die Verfolgung in Gang setzt – dass es einen Grund gab, warum dieses Urteil gefällt worden war, zog er nicht in Zweifel, nur blieb im Unklaren, was dieser Grund war“. Flucht und Verfolgung sind Prozesse, die nicht begründet sind, wie bei Kafka, Abläufe, die einfach nur ablaufen.

„Wenn ich nicht nachdenke über Kafka, geht mir das ab“, erklärt Krasznahorkai, „wenn mir das eine Weile abgegangen ist, das Nachdenken über Kafka, hole ich ihn raus und lese ihn wieder. So geht das.“ Es gibt plastisch und splatterig geschilderte Fantasien des Gejagten, wie die Kopfgeldjäger ihn töten werden, und paradoxe Reflexionen zum Wesen der Flucht. Das ständige Auf-der-Hut-Sein ist am Ende Stillstand pur: „Es war völlig offensichtlich, dass die richtig gewählte Geschwindigkeit ein Fehler war, ein Fehler, den er niemals, kein einziges Mal machen durfte, die richtige Geschwindigkeit nämlich hätte seine Bewegungen berechenbar gemacht ...“ Ein Denken und Agieren in Paradoxa, „weil für ihn gerade die geschützten Orte Gefahr bedeuteten ... (so) verstärkte sich an einem geschützten Ort die Angst, wie viel Gefahr da draußen sein mochte“.

Innen und Außen, geschützter und durchquerter Raum lösen sich auf in den Sätzen dieses Erzählens. Die erste Erzählung, „Animalinside“ handelt von einem Wesen, das am Ende absolute Abstraktion ist, keine Ort mehr kennt und keine Beziehung zu anderen, keine Vergleichspunkte und Analogien. Ein schwarzes Silhouettenwesen, das einen aus den Zeichnungen von Neumann anspringt, aber keine Vorderbeine hat, mit denen es operieren könnte. Das definitive Wesen ohne Zusammenhang.

Seine fantastischen
Texte sind immer in
der Realität verankert

Ein Wesen ohne Ort und
Beziehungen zu Anderen:
absolute Abstraktion

Springt seine Leser an: das mysteriöse
Tierwesen aus László Krasznahorkais
Erzählungsband, darin illustriert von
Max Neumann.
Der Schriftsteller wurde 1954 in Gyula geboren.


Foto: Max Neumann/S.Fischer;
imago/Future Image
International

László Krasznahorkai: Im Wahn der Anderen. Drei Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. Mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter. S.Fischer, Frankfurt/M. 2023. 256 Seiten, 38 Euro.

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2024

Das Tier in uns will endlich ausbrechen
Die geschlossene Bibliothek: László Krasznahorkais neuer Erzählungsband "Im Wahn der Anderen"

Der Moment, in dem der altgediente Bibliothekar realisiert, was er da schon viele hundert Mal achtlos angesehen hat, gleicht einer Epiphanie. Das Gebäude der Telefongesellschaft gleicht einem unzugänglichen Bunker, eine Internetrecherche offenbart zudem, dass die Zwischendecken stabil genug sind, um die schwersten Lasten zu tragen. Was, fragt sich der erleuchtete Spaziergänger, wäre geeigneter für seine Zwecke, für die Ausführung seines geheimen Plans, geformt in endlosen Stunden in der New York Public Library, seinem Arbeitsplatz seit 41 Jahren?

Der Bibliothekar, der die Bücher seiner Einrichtung nur sehr unwillig an diejenigen abgibt, die sie lesen wollen, träumt davon, sie in besagtem Turm zu verschließen, den Eingang zuzumauern und selbst als "Palastwächter" zu fungieren. Die mehr als zwanzig Hefte, in denen er den Plan handschriftlich entwickelt hat, will er dazulegen - als Monument eines Denkens, das die Abwendung von der Welt feiert und dem Drang, irgendwohin zu gehören, zutiefst misstraut -, beim Besuch von Ausstellungen etwa geißelt er die "ängstlichen Nachahmer ängstlicher Trends". Dass dieses rigorose Konzept an unerwartete Grenzen stößt, registriert er auch, etwa wenn er sich selbst Rechenschaft über sein Denken ablegt und dafür das Kommunikationsinstrument der Sprache nutzt: "Ich kann", notiert er, "was ich will, nur so beschreiben, als würde ich es zu jemandem sagen, aber ich sage es natürlich zu niemandem." Die Hefte seien für niemandes Augen bestimmt und lesen sich doch bisweilen wie eine Ansprache, deren Adressaten keine Individuen sind, sondern eine gesichtslose Gruppe: all jene, die ihn täglich auf den Straßen der Stadt umgeben.

Der atemlose, neunzig überwiegend absatzlose Seiten umfassende Bericht des Bibliothekars, der sich "herman melville" nennt, bildet unter dem Titel "Kleinstarbeit für einen Palast" das räumliche Zentrum des Erzählungsbandes "Im Wahn der Anderen" von László Krasznahorkai, der nun zum morgigen siebzigsten Geburtstag des ungarischen Autors auch auf Deutsch erschienen ist. Das Buch versammelt drei Texte aus den Jahren 2010 bis 2019, von denen der erste und der dritte in Korrespondenz zu Werken des Künstlers Max Neumann entstanden sind, zudem enthält der Band QR- Codes auf eine Website mit Schlagzeugstücken, die Miklós Szilveszter für die einzelnen Abschnitte der dritten Erzählung "Richtung Homer" komponiert und eingespielt hat.

Erweist sich der Autor damit als ausgesprochen offen für den Austausch mit anderen, sind seine Protagonisten umgekehrt vom Gefühl ihrer Isolation durchdrungen und dabei kaum fassbar. Was ist das für ein Wesen, das in der Erzählung "Animalinside" spricht, das "ich" sagt, doch vor allem davon berichtet, was es nicht ist: "ich habe nichts Zahmes an mir", nichts "Behutsames" oder "Besonnenes", keine "Erinnerung, ich habe keine Vergangenheit", und geboren oder geworden ist das Wesen auch nicht.

Seinen Ursprung könnte es in den kolorierten Zeichnungen Max Neumanns haben, die diese Erzählung begleiten und den erprobten Sinn Krasznahorkais für Außenseiter und Eigenbrötler womöglich angesprochen haben. Auf Neumanns Bildern ist ein schattenhaftes Wesen zu sehen, in gleicher Haltung, aber in ständig neuer Umgebung, was sich in den jeweiligen Abschnitten der Erzählung verhalten oder auch direkt niederschlägt: Einmal blickt es scharf konturiert auf das verblassende Porträt eines älteren Mannes, der dem Autor entfernt ähnelt und der ein Blatt Papier in der Hand hält; der zugehörige Text beginnt mit den Worten: "Ich bin das, das ausbrechen wird."

Die Kunst Krasznahorkais besteht nicht zuletzt im Erschaffen und Ausmalen solcher Wesen, die sich der Beschreibung von außen entziehen, um ganz aus ihrem Inneren heraus zu wirken, sodass der Betrachter zwischen Irritation und Faszination steht. Schon sein früher, großartiger Roman "Satanstango" war von dieser Erzählweise bestimmt, und die wehrhaften Sonderlinge wie der Moosforscher aus "Baron Wenckheims Rückkehr" bilden eine Resistenz gegenüber den Anforderungen der Welt aus, die sich bis zum Bibliothekar und Palastwächter der jüngsten Publikation Krasznahorkais verfolgen lässt.

Er landet, dem "Wahn der Anderen" unterworfen, in einer Heilanstalt, in der er unverdrossen weiter seine Pläne für die auf ewig geschlossene Bibliothek schmiedet. Und wenn in der dritten und letzten Erzählung des Bandes ein namenloses Wesen durch die Gegend hetzt, verfolgt aus unklaren Gründen und jederzeit vom Tod bedroht, dann bezieht auch hier der Text seine enorme, sinnliche Wucht aus der Würde des Einzelgängers, der sich mit der Welt um ihn herum weder gemeinmachen will noch kann. TILMAN SPRECKELSEN

László Krasznahorkai: "Im Wahn der Anderen". Erzählungen.

Mit Bildern von Max Neumann. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2023. 256 S., geb., 38,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Um Figuren ohne Ziel und Heimat drehen sich die drei von Zeichnungen Max Neumanns und - via QR-Code - Schlagzeugsoli des Jazz-Musikers Miklós Szilveszter ergänzten Texte, die der vorliegende Band des ungarischen Schriftstellers László Krasznahorkai enthält, so Rezensent Fritz Göttler. Die Rezension konzentriert sich auf den zweiten der drei Texte, "Kleinstarbeit für einen Palast", in dem ein Bibliothekar namens herman melvill durch New York irrt - auf den Spuren seines berühmten fast-Namensvetters und doch gleichzeitig komplett unverbunden mit diesem. Göttler beschreibt, wie Dialoge bei Krasznahorkai unvermittelt zu Monologen werden, und wie die Texte auch ansonsten von Paradoxien geprägt sind, wie etwa von dem Wunsch des Bibliothekars, eine Bibliothek zu erschaffen, die für immer geschlossen ist. Auch an die Filme Bela Tarrs, der Werke Krasznahorkais fürs Kino adaptiert hat, fühlt sich der Rezensent erinnert. Die anderen beiden Texte handeln, fasst Göttler zusammen, von einem in kafkaesker Manier Verfolgten, beziehungsweise von einem Wesen, das nur noch Silhouette ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2024

Kafkas Erbe
László Krasznahorkai schreibt genial monomanisch über die
Flucht in den Stillstand und die Sehnsucht, sich allem zu verweigern.
VON FRITZ GÖTTLER
Mit einer Klage und einem kräftigen Fluch geht es los. Es nervt den Erzähler nämlich, „dass die Menschen sogenannte Zusammenhänge finden möchten und immer auch finden, zur Hölle mit ihnen“. Der Name des Erzählers ist offenbar herman melvill (sic!), und bei diesem Namen werden natürlich sofort die widerlichen Reporter losgeschickt, aber auch die Leser würden gerne wissen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Mann und dem berühmten Schriftsteller mit dem fast identischen Namen, dem Verfasser des legendären „Moby-Dick“, aber auch von „Billy Budd“, „Clarel“ oder „Confidence-Man“. Wie der große Herman wohnt der kleine herman in der East 26th Street, und auch er hat mal im Custom Office in New York gearbeitet, als Zollbeamter. Aber: Kein Zusammenhang! Inzwischen arbeitet er, klein und gebeugt, in einer Bibliothek, leidet wie jeder Bibliothekar an Knick- oder Senkfüßen, folgt in seiner freien Zeit unermüdlich den Wegen des großen Herman in Manhattan.
„Kleinstarbeit für einen Palast“ heißt die Erzählung, die sich der sehr kleinbürgerlichen Existenz hermans widmet, es ist das mittlere von drei neuen Stücken des ungarischen Autors László Krasznahorkai, der seit einigen Jahren als der bekannteste Geheimtipp für den Literaturnobelpreis geführt wird. Sein neuer Band „Im Wahn der Anderen“ liest sich, wie es seine Art ist, absurd und monomanisch, aber auf schräge Weise sehr vergnüglich, wenn man sich in ihren Sog ziehen lässt. Das erregte „Zum Teufel mit ihnen“ – nicht das Einzige in diesem Text – löst eine Suada des kleinen herman aus, die in quasi einem einzigen Satz auf den Leser losgelassen wird – der Schreiber redet den Leser zwar direkt an. Noch mehr aber scheint er sich selbst zuzureden, über seine Existenz und sein Schreiben zu parlieren. Was er mit seinem Parker-Kugelschreiber in seine Hefte notiert, ist „für niemand gedacht“. Und die endlose Folge der Bemerkungen ohne Punkt und Absatz schraubt die Idee eines sogenannten Zusammenhangs ins Lächerliche.
Es ist dies nicht das einzige Paradox dieser Erzählungen. Das Dialogische kippt bei Krasznahorkai immer schnell ins Monologische, Momente der Offenheit lösen sich ab mit solipsistischen Spiralen. Das Ungarische scheint dafür besser disponiert als das Deutsche mit seiner strengen hierarchischen Ordnung. Der erste Text des Bandes heißt „Animalinside“, von 2010, ein mysteriöses Tierwesen spricht, das in Grafiken von Max Neumann im Schattenriss visualisiert wird. Der dritte Text ist „Richtung Homer“, eine Gangster-Version der Odyssee, ebenfalls mit Zeichnungen von Max Neumann. Außerdem gibt es zu diesem Text, über einen QR-Code im Buch, kapitelweise Schlagzeugsoli des Free-Jazz-Drummers Miklós Szilveszter.
Krasznahorkais Helden sind ohne Bleibe, ohne Ziel, und ihr Unterwegssein wird, in langen Einstellungen und Kamerafahrten, faszinierend visualisiert in den Filmen von Béla Tarr, zu denen Krasznahorkai die Drehbücher schrieb. So sind seine eigenen Werke verfilmt worden, „Satanstango“ und „Die Werckmeisterschen Harmonien“, aber auch Georges Simenons Romane „Der Mann aus London“ oder „Das Turiner Pferd“. Den Rhythmus dieser Filme spürt man, wenn herman auf den Spuren Melvilles durch Manhattan zieht. Die Arbeiten von Naumann und Szilveszter brechen in dem Band den Fortschritt der Sätze auf. Und auch bei der „Kleinstarbeit für einen Palast“ sollte man die Hinweise des kleinen herman weiterverfolgen: auf Malcolm Lowry, eine ähnlich getriebene Schreiberexistenz wie Melville. Oder auf den Architekten Lebbeus Woods, der in fantastischen Zeichnungen apokalyptische Bilderbauten entwarf, einstürzende eher – wenige waren überhaupt zur Realisierung vorgesehen.
Inzwischen arbeitet herman in der New York Public Library, aber diese Arbeit ist für ihn der Horror. Das radikale Projekt, das er im Sinn hat, ist eine Bibliothek der Verweigerung, der Abschließung – die keine Bücher ausleiht und zum Lesen bereitstellt, sondern sie abschließt von den Menschen. Ein „unangefochtenes Paradies des Wissens“, ein savoir pour le savoir, Wissen um des Wissens willen, eine absurde Vision, die die komplexe Diskussion um Überlieferung und Tradition, Bewahrung, Nutzen und Abnutzung durcheinanderwirbelt. Mit infantiler Euphorie beschwört er – der sich selbst als Palastwächter dieser Institution sieht – diese Vorstellung: „mein Gott, GESCHLOSSEN, auf ewig, Bücher, ungestört und ungelesen, o heiliger Himmel, wie schön es ist, auch nur daran zu denken“. Dieses Projekt der Verweigerung erinnert an den nach Ahab zweiten großen Helden des großen Melville, den Schreiber Bartleby mit seinem Motto „I would prefer not to“.
Krasznahorkais fantastische Texte sind immer in der Realität verankert. In „Richtung Homer“ ist das die adriatische Küste, Pula, Opatija, Rijeka, bis Korčula vor der süddalmatinischen Küste, wo angeblich die Zauberin Circe ihr Zuhause hatte, in dem sie Odysseus lange festhielt – und wo Krasznahorkai den Text schrieb. Es ist die Geschichte einer Flucht, sein Odysseus ist ein Verfolgter, der Verfolgte per se. Er weiß, es hat ein Urteil der „nichtexistierenden Ordnung gegeben, das die Verfolgung in Gang setzt – dass es einen Grund gab, warum dieses Urteil gefällt worden war, zog er nicht in Zweifel, nur blieb im Unklaren, was dieser Grund war“. Flucht und Verfolgung sind Prozesse, die nicht begründet sind, wie bei Kafka, Abläufe, die einfach nur ablaufen.
„Wenn ich nicht nachdenke über Kafka, geht mir das ab“, erklärt Krasznahorkai, „wenn mir das eine Weile abgegangen ist, das Nachdenken über Kafka, hole ich ihn raus und lese ihn wieder. So geht das.“ Es gibt plastisch und splatterig geschilderte Fantasien des Gejagten, wie die Kopfgeldjäger ihn töten werden, und paradoxe Reflexionen zum Wesen der Flucht. Das ständige Auf-der-Hut-Sein ist am Ende Stillstand pur: „Es war völlig offensichtlich, dass die richtig gewählte Geschwindigkeit ein Fehler war, ein Fehler, den er niemals, kein einziges Mal machen durfte, die richtige Geschwindigkeit nämlich hätte seine Bewegungen berechenbar gemacht ...“ Ein Denken und Agieren in Paradoxa, „weil für ihn gerade die geschützten Orte Gefahr bedeuteten ... (so) verstärkte sich an einem geschützten Ort die Angst, wie viel Gefahr da draußen sein mochte“.
Innen und Außen, geschützter und durchquerter Raum lösen sich auf in den Sätzen dieses Erzählens. Die erste Erzählung, „Animalinside“ handelt von einem Wesen, das am Ende absolute Abstraktion ist, keine Ort mehr kennt und keine Beziehung zu anderen, keine Vergleichspunkte und Analogien. Ein schwarzes Silhouettenwesen, das einen aus den Zeichnungen von Neumann anspringt, aber keine Vorderbeine hat, mit denen es operieren könnte. Das definitive Wesen ohne Zusammenhang.
Seine fantastischen
Texte sind immer in
der Realität verankert
Ein Wesen ohne Ort und
Beziehungen zu Anderen:
absolute Abstraktion
Springt seine Leser an: das mysteriöse
Tierwesen aus László Krasznahorkais
Erzählungsband, darin illustriert von
Max Neumann.
Der Schriftsteller wurde 1954 in Gyula geboren.

Foto: Max Neumann/S.Fischer;
imago/Future Image
International
László Krasznahorkai: Im Wahn der Anderen. Drei Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. Mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter. S.Fischer, Frankfurt/M. 2023. 256 Seiten, 38 Euro.
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»Im Wahn der Anderen« beweist eindrücklich die Meisterschaft des 70-jährigen Fast-Nobelpreisträgers. Maria Ossowski Jüdische Allgemeine 20240321