Drei Erzählungen von dem Meister der literarischen Halluzination László Krasznahorkai - mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter
New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische Verfolgungsjagd mit Zug und Fähre quer durch Europa auf einer abgelegenen Insel. Doch hier lauert keine Rettung, sondern eine Falle.
Die Erzählungen von László Krasznahorkai in »Im Wahn der Anderen« entfalten eine hypnotische Wirkung. Oft entwickelt sich der atemlose Sog im Dialog mit Zeichnungen des Malers Max Neumann: Text und Bilder greifen ineinander und entdecken eine Dimension der Realität, die weiter greift als Tag und Nacht, Schlaf und Traum.
New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische Verfolgungsjagd mit Zug und Fähre quer durch Europa auf einer abgelegenen Insel. Doch hier lauert keine Rettung, sondern eine Falle.
Die Erzählungen von László Krasznahorkai in »Im Wahn der Anderen« entfalten eine hypnotische Wirkung. Oft entwickelt sich der atemlose Sog im Dialog mit Zeichnungen des Malers Max Neumann: Text und Bilder greifen ineinander und entdecken eine Dimension der Realität, die weiter greift als Tag und Nacht, Schlaf und Traum.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2024Das Tier in uns will endlich ausbrechen
Die geschlossene Bibliothek: László Krasznahorkais neuer Erzählungsband "Im Wahn der Anderen"
Der Moment, in dem der altgediente Bibliothekar realisiert, was er da schon viele hundert Mal achtlos angesehen hat, gleicht einer Epiphanie. Das Gebäude der Telefongesellschaft gleicht einem unzugänglichen Bunker, eine Internetrecherche offenbart zudem, dass die Zwischendecken stabil genug sind, um die schwersten Lasten zu tragen. Was, fragt sich der erleuchtete Spaziergänger, wäre geeigneter für seine Zwecke, für die Ausführung seines geheimen Plans, geformt in endlosen Stunden in der New York Public Library, seinem Arbeitsplatz seit 41 Jahren?
Der Bibliothekar, der die Bücher seiner Einrichtung nur sehr unwillig an diejenigen abgibt, die sie lesen wollen, träumt davon, sie in besagtem Turm zu verschließen, den Eingang zuzumauern und selbst als "Palastwächter" zu fungieren. Die mehr als zwanzig Hefte, in denen er den Plan handschriftlich entwickelt hat, will er dazulegen - als Monument eines Denkens, das die Abwendung von der Welt feiert und dem Drang, irgendwohin zu gehören, zutiefst misstraut -, beim Besuch von Ausstellungen etwa geißelt er die "ängstlichen Nachahmer ängstlicher Trends". Dass dieses rigorose Konzept an unerwartete Grenzen stößt, registriert er auch, etwa wenn er sich selbst Rechenschaft über sein Denken ablegt und dafür das Kommunikationsinstrument der Sprache nutzt: "Ich kann", notiert er, "was ich will, nur so beschreiben, als würde ich es zu jemandem sagen, aber ich sage es natürlich zu niemandem." Die Hefte seien für niemandes Augen bestimmt und lesen sich doch bisweilen wie eine Ansprache, deren Adressaten keine Individuen sind, sondern eine gesichtslose Gruppe: all jene, die ihn täglich auf den Straßen der Stadt umgeben.
Der atemlose, neunzig überwiegend absatzlose Seiten umfassende Bericht des Bibliothekars, der sich "herman melville" nennt, bildet unter dem Titel "Kleinstarbeit für einen Palast" das räumliche Zentrum des Erzählungsbandes "Im Wahn der Anderen" von László Krasznahorkai, der nun zum morgigen siebzigsten Geburtstag des ungarischen Autors auch auf Deutsch erschienen ist. Das Buch versammelt drei Texte aus den Jahren 2010 bis 2019, von denen der erste und der dritte in Korrespondenz zu Werken des Künstlers Max Neumann entstanden sind, zudem enthält der Band QR- Codes auf eine Website mit Schlagzeugstücken, die Miklós Szilveszter für die einzelnen Abschnitte der dritten Erzählung "Richtung Homer" komponiert und eingespielt hat.
Erweist sich der Autor damit als ausgesprochen offen für den Austausch mit anderen, sind seine Protagonisten umgekehrt vom Gefühl ihrer Isolation durchdrungen und dabei kaum fassbar. Was ist das für ein Wesen, das in der Erzählung "Animalinside" spricht, das "ich" sagt, doch vor allem davon berichtet, was es nicht ist: "ich habe nichts Zahmes an mir", nichts "Behutsames" oder "Besonnenes", keine "Erinnerung, ich habe keine Vergangenheit", und geboren oder geworden ist das Wesen auch nicht.
Seinen Ursprung könnte es in den kolorierten Zeichnungen Max Neumanns haben, die diese Erzählung begleiten und den erprobten Sinn Krasznahorkais für Außenseiter und Eigenbrötler womöglich angesprochen haben. Auf Neumanns Bildern ist ein schattenhaftes Wesen zu sehen, in gleicher Haltung, aber in ständig neuer Umgebung, was sich in den jeweiligen Abschnitten der Erzählung verhalten oder auch direkt niederschlägt: Einmal blickt es scharf konturiert auf das verblassende Porträt eines älteren Mannes, der dem Autor entfernt ähnelt und der ein Blatt Papier in der Hand hält; der zugehörige Text beginnt mit den Worten: "Ich bin das, das ausbrechen wird."
Die Kunst Krasznahorkais besteht nicht zuletzt im Erschaffen und Ausmalen solcher Wesen, die sich der Beschreibung von außen entziehen, um ganz aus ihrem Inneren heraus zu wirken, sodass der Betrachter zwischen Irritation und Faszination steht. Schon sein früher, großartiger Roman "Satanstango" war von dieser Erzählweise bestimmt, und die wehrhaften Sonderlinge wie der Moosforscher aus "Baron Wenckheims Rückkehr" bilden eine Resistenz gegenüber den Anforderungen der Welt aus, die sich bis zum Bibliothekar und Palastwächter der jüngsten Publikation Krasznahorkais verfolgen lässt.
Er landet, dem "Wahn der Anderen" unterworfen, in einer Heilanstalt, in der er unverdrossen weiter seine Pläne für die auf ewig geschlossene Bibliothek schmiedet. Und wenn in der dritten und letzten Erzählung des Bandes ein namenloses Wesen durch die Gegend hetzt, verfolgt aus unklaren Gründen und jederzeit vom Tod bedroht, dann bezieht auch hier der Text seine enorme, sinnliche Wucht aus der Würde des Einzelgängers, der sich mit der Welt um ihn herum weder gemeinmachen will noch kann. TILMAN SPRECKELSEN
László Krasznahorkai: "Im Wahn der Anderen". Erzählungen.
Mit Bildern von Max Neumann. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2023. 256 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die geschlossene Bibliothek: László Krasznahorkais neuer Erzählungsband "Im Wahn der Anderen"
Der Moment, in dem der altgediente Bibliothekar realisiert, was er da schon viele hundert Mal achtlos angesehen hat, gleicht einer Epiphanie. Das Gebäude der Telefongesellschaft gleicht einem unzugänglichen Bunker, eine Internetrecherche offenbart zudem, dass die Zwischendecken stabil genug sind, um die schwersten Lasten zu tragen. Was, fragt sich der erleuchtete Spaziergänger, wäre geeigneter für seine Zwecke, für die Ausführung seines geheimen Plans, geformt in endlosen Stunden in der New York Public Library, seinem Arbeitsplatz seit 41 Jahren?
Der Bibliothekar, der die Bücher seiner Einrichtung nur sehr unwillig an diejenigen abgibt, die sie lesen wollen, träumt davon, sie in besagtem Turm zu verschließen, den Eingang zuzumauern und selbst als "Palastwächter" zu fungieren. Die mehr als zwanzig Hefte, in denen er den Plan handschriftlich entwickelt hat, will er dazulegen - als Monument eines Denkens, das die Abwendung von der Welt feiert und dem Drang, irgendwohin zu gehören, zutiefst misstraut -, beim Besuch von Ausstellungen etwa geißelt er die "ängstlichen Nachahmer ängstlicher Trends". Dass dieses rigorose Konzept an unerwartete Grenzen stößt, registriert er auch, etwa wenn er sich selbst Rechenschaft über sein Denken ablegt und dafür das Kommunikationsinstrument der Sprache nutzt: "Ich kann", notiert er, "was ich will, nur so beschreiben, als würde ich es zu jemandem sagen, aber ich sage es natürlich zu niemandem." Die Hefte seien für niemandes Augen bestimmt und lesen sich doch bisweilen wie eine Ansprache, deren Adressaten keine Individuen sind, sondern eine gesichtslose Gruppe: all jene, die ihn täglich auf den Straßen der Stadt umgeben.
Der atemlose, neunzig überwiegend absatzlose Seiten umfassende Bericht des Bibliothekars, der sich "herman melville" nennt, bildet unter dem Titel "Kleinstarbeit für einen Palast" das räumliche Zentrum des Erzählungsbandes "Im Wahn der Anderen" von László Krasznahorkai, der nun zum morgigen siebzigsten Geburtstag des ungarischen Autors auch auf Deutsch erschienen ist. Das Buch versammelt drei Texte aus den Jahren 2010 bis 2019, von denen der erste und der dritte in Korrespondenz zu Werken des Künstlers Max Neumann entstanden sind, zudem enthält der Band QR- Codes auf eine Website mit Schlagzeugstücken, die Miklós Szilveszter für die einzelnen Abschnitte der dritten Erzählung "Richtung Homer" komponiert und eingespielt hat.
Erweist sich der Autor damit als ausgesprochen offen für den Austausch mit anderen, sind seine Protagonisten umgekehrt vom Gefühl ihrer Isolation durchdrungen und dabei kaum fassbar. Was ist das für ein Wesen, das in der Erzählung "Animalinside" spricht, das "ich" sagt, doch vor allem davon berichtet, was es nicht ist: "ich habe nichts Zahmes an mir", nichts "Behutsames" oder "Besonnenes", keine "Erinnerung, ich habe keine Vergangenheit", und geboren oder geworden ist das Wesen auch nicht.
Seinen Ursprung könnte es in den kolorierten Zeichnungen Max Neumanns haben, die diese Erzählung begleiten und den erprobten Sinn Krasznahorkais für Außenseiter und Eigenbrötler womöglich angesprochen haben. Auf Neumanns Bildern ist ein schattenhaftes Wesen zu sehen, in gleicher Haltung, aber in ständig neuer Umgebung, was sich in den jeweiligen Abschnitten der Erzählung verhalten oder auch direkt niederschlägt: Einmal blickt es scharf konturiert auf das verblassende Porträt eines älteren Mannes, der dem Autor entfernt ähnelt und der ein Blatt Papier in der Hand hält; der zugehörige Text beginnt mit den Worten: "Ich bin das, das ausbrechen wird."
Die Kunst Krasznahorkais besteht nicht zuletzt im Erschaffen und Ausmalen solcher Wesen, die sich der Beschreibung von außen entziehen, um ganz aus ihrem Inneren heraus zu wirken, sodass der Betrachter zwischen Irritation und Faszination steht. Schon sein früher, großartiger Roman "Satanstango" war von dieser Erzählweise bestimmt, und die wehrhaften Sonderlinge wie der Moosforscher aus "Baron Wenckheims Rückkehr" bilden eine Resistenz gegenüber den Anforderungen der Welt aus, die sich bis zum Bibliothekar und Palastwächter der jüngsten Publikation Krasznahorkais verfolgen lässt.
Er landet, dem "Wahn der Anderen" unterworfen, in einer Heilanstalt, in der er unverdrossen weiter seine Pläne für die auf ewig geschlossene Bibliothek schmiedet. Und wenn in der dritten und letzten Erzählung des Bandes ein namenloses Wesen durch die Gegend hetzt, verfolgt aus unklaren Gründen und jederzeit vom Tod bedroht, dann bezieht auch hier der Text seine enorme, sinnliche Wucht aus der Würde des Einzelgängers, der sich mit der Welt um ihn herum weder gemeinmachen will noch kann. TILMAN SPRECKELSEN
László Krasznahorkai: "Im Wahn der Anderen". Erzählungen.
Mit Bildern von Max Neumann. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2023. 256 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Um Figuren ohne Ziel und Heimat drehen sich die drei von Zeichnungen Max Neumanns und - via QR-Code - Schlagzeugsoli des Jazz-Musikers Miklós Szilveszter ergänzten Texte, die der vorliegende Band des ungarischen Schriftstellers László Krasznahorkai enthält, so Rezensent Fritz Göttler. Die Rezension konzentriert sich auf den zweiten der drei Texte, "Kleinstarbeit für einen Palast", in dem ein Bibliothekar namens herman melvill durch New York irrt - auf den Spuren seines berühmten fast-Namensvetters und doch gleichzeitig komplett unverbunden mit diesem. Göttler beschreibt, wie Dialoge bei Krasznahorkai unvermittelt zu Monologen werden, und wie die Texte auch ansonsten von Paradoxien geprägt sind, wie etwa von dem Wunsch des Bibliothekars, eine Bibliothek zu erschaffen, die für immer geschlossen ist. Auch an die Filme Bela Tarrs, der Werke Krasznahorkais fürs Kino adaptiert hat, fühlt sich der Rezensent erinnert. Die anderen beiden Texte handeln, fasst Göttler zusammen, von einem in kafkaesker Manier Verfolgten, beziehungsweise von einem Wesen, das nur noch Silhouette ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Im Wahn der Anderen« beweist eindrücklich die Meisterschaft des 70-jährigen Fast-Nobelpreisträgers. Maria Ossowski Jüdische Allgemeine 20240321