Vor 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus. Er wurde in Europa, Afrika und dem Nahen Osten geführt. Über 17 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Um an die Ereignisse dieser Zeit zu erinnern, veröffentlicht der Spaß am Lesen Verlag eine der bekanntesten Anti-Kriegserzählungen weltweit: In seinem Roman Im Westen nichts Neues beschreibt Erich Maria Remarque das Schicksal des achtzehnjährigen Schülers Paul Bäumer und seiner Klassenkameraden. Weil ein Lehrer sie dazu drängt, melden sich alle als Soldaten. An der Front erleben sie die Grausamkeit des Krieges. All das hatten sie sich so nie vorgestellt.
buecher-magazin.deEr habe unter "ziemlich heftigen Anfällen von Verzweiflung" gelitten, sagte Remarque im Jahr 1929. Er habe sich "unruhig, ziellos, bald exaltiert, bald gleichgültig" gefühlt. Dann habe er angefangen zu schreiben, "sechs Wochen lang, jeden Abend", wie besessen, bis "Im Westen nichts Neues" fertig war. Das Buch wurde in 23 Sprachen übersetzt und ist bis heute eines der meistverkauften Bücher überhaupt. Was für ein Text das ist. Unbarmherzig, gewaltig, ohne jedes Vaterlands-Pathos, voller Bitterkeit. Roh. Direkt, mitunter geradezu didaktisch. Sehr hässlich. Einen Plot im klassischen Sinne kann es nicht geben, da ist nur Paul Bäumer, der kämpft und tötet und seine Freunde sterben sieht. "Granaten, Gasgeschwader, Tankflottillen - Zerstampfen, Zerfressen, Tod. Ruhr, Grippe, Typhus - Würgen, Verbrennen, Tod. Graben, Lazarett, Massengrab - mehr Möglichkeiten gibt es nicht."
Wie trägt man einen solchen Schrei von einem Text vor? August Diehl - die meisten werden ihn aus "23" und "Inglourious Basterds" kennen - liest leise, mit einem tieftraurigen Unterton, selbst dann, wenn die jungen Soldaten beim gemeinsamen Scheißen eine Zigarette rauchen. Aber das braucht dieser Text nicht.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Wie trägt man einen solchen Schrei von einem Text vor? August Diehl - die meisten werden ihn aus "23" und "Inglourious Basterds" kennen - liest leise, mit einem tieftraurigen Unterton, selbst dann, wenn die jungen Soldaten beim gemeinsamen Scheißen eine Zigarette rauchen. Aber das braucht dieser Text nicht.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.07.2014DAS HÖRBUCH
Tanzplatz
des Todes
Brüchig: Tom Schilling liest
„In Stahlgewittern“
Als Ernst Jünger Anfang Januar 1915 mit dem hannoverschen Füsilier-Regiment Nr. 73 „endlich“, wie er sechs Jahre später schrieb, an die Westfront kam, war der deutsche Vormarsch längst gestoppt, der Krieg zum mörderischen Stellungskrieg geworden. „In Stahlgewittern – Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, so der vollständige Titel des Buches bei seinem ersten Erscheinen 1920, ist in seiner eigentümlichen Mischung aus sachlich-nüchternem Bericht und dramatisch-feierlichem Heldenpathos zweifellos eines der bedeutendsten Bücher über den Ersten Weltkrieg. Lange war es auch eines der umstrittensten. Der Vorwurf lautete, vereinfacht ausgedrückt: Kriegsverherrlichung.
Dazu trug bei, dass es Jünger, der sich als 19-Jähriger weniger aus patriotischem Furor denn aus dem drängenden Bedürfnis heraus, der verhassten Schule zu entfliehen und ein großes „Abenteuer“ zu erleben, freiwillig gemeldet hatte, zeitlebens nicht für nötig befand, zu seinen nationalrevolutionären und antidemokratischen Ansichten zur Zeit der Weimarer Republik Stellung zu beziehen. Gar sich von ihnen zu distanzieren. Höhepunkt der Auseinandersetzungen für und wider Jünger war 1982 seine Ehrung mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt.
Mit Ernst Jüngers damaliger Dankesrede endet die vollständige Lesung von „In Stahlgewittern“, die dieser Tage im Hörverlag erschienen ist. Auf zehn CDs mit meh r als zwölf Stunden Laufzeit nimmt uns Tom Schilling mit auf die grabenzerfurchten Schlachtfelder Frankreichs und Flanderns 1914 bis 1918, berichtet mit seiner immer noch ein wenig jungenhaft klingenden, vor allem aber brüchigen und angekratzten, zurückhaltend agierenden Stimme von der Schlacht an der Somme oder der Doppelschlacht bei Cambrai.
Schilling hat so gar nichts Auftrumpfendes. Immer schwingt eine nachdenkliche Verletzlichkeit mit. Dadurch schafft er den denkbar größten Kontrast zum Text. Dessen einerseits kühlen und sachlichen, einer „Ästhetik des Schreckens“ (Karl Heinz Bohrer) verpflichteten Beobachtungen selbst grausamster, barbarischer Ereignisse. Und andererseits seinen metapherngesättigten Schilderungen der Kampfhandlungen auf dem „Tanzplatz des Todes“. Der Kontrast besteht aber auch zu Ernst Jünger selbst. Auch wenn dieser in Frankfurt bereits 87 Jahre alt ist, redet er als Geehrter diszipliniert, fest und durchdringend. Textgrundlage des Hörbuches ist die im vergangenen Jahr bei Klett-Cotta von Helmuth Kiesel verantwortete historisch-kritische Ausgabe in zwei Bänden. Eine überzeugende Editions-Leistung, die das Buch erstmals in seiner ganzen verwickelten Genese als „einzigartiges Dokument einer unablässigen Auseinandersetzung“ mit dem Ersten Weltkrieg (Helmuth Kiesel), problemlos zu lesen erlaubt. Denn Jünger arbeitete „In Stahlgewittern“ immer wieder um, frisierte, strich Stellen und fügte neue hinzu. Das Wie und Warum soll hier nicht interessieren. Dass Jünger den Text immer auch den politischen Zeitläuften anpasste, ist unstrittig. Insgesamt entstanden in knapp sechzig Jahren sieben unterschiedliche Fassungen. Die letzte datiert auf das Jahr 1978.
Es ist diese, die Tom Schilling liest. Zu keiner Zeit biedert er sich dem Text an. Er gestaltet und formt ihn nicht: Jüngers Weltkriegsdarstellung soll nicht schauspielerisch geschliffen klingen. Schillings Vortrag zieht gleichsam einen doppelten Boden ein, indem er jedes männlich-laute Heldenpathos unterläuft. So lässt er den Hörer immer wieder aufhorchen. Das Hörbuch ist eine Einladung, den Krieg und seine in den Worten Helmuth Kiesels „eindringliche und schonungslose, zugleich leiderfüllte und frivole, ebenso ergreifende wie schockierende“ Darstellung bei Jünger zu reflektieren und zu hinterfragen.
Auch Erich Maria Remarque, Generationsgenosse von Jünger und Kriegsteilnehmer wie dieser – aber mit einer gänzlich anderen politischen Einstellung –, lobte seinerzeit deren „wohltuende Sachlichkeit“. Bereits im vergangenen Jahr ist im Hörverlag Remarques „Im Westen nichts Neues“ erschienen, gelesen von August Diehl. Es bietet sich an, diese wegen ihrer Ernsthaftigkeit und Sensitivität kongeniale Einlesung des Lebens und Sterbens von Paul Bäumer unmittelbar nach der Stahlgewitter-Lesung zu hören. Ebenso radikal und ungeschminkt wie Jünger schildert Remarque in seinem schnell zum Weltbestseller gewordenen Roman das massenhafte, maschinelle Töten an der Westfront. Mit einem gravierenden Unterschied: Sätze wie „Es muss alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, dass diese Ströme von Blut vergossen wurden“ und „Es darf nie wieder geschehen“ sucht man bei Jünger vergebens.
FLORIAN WELLE
Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Gelesen von Tom Schilling. Mit einem Originalton des Autors. Der Hörverlag, München 2014. 10 CDs, ca. 12 h 13 min, 34,99 Euro.
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Gelesen von August Diehl. Der Hörverlag, München 2013, 5 CDs, ca. 6 h 7 min., 13,95 Euro.
Schillings zurückhaltender
Vortrag unterläuft
alles Laute, Heroisierende
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Tanzplatz
des Todes
Brüchig: Tom Schilling liest
„In Stahlgewittern“
Als Ernst Jünger Anfang Januar 1915 mit dem hannoverschen Füsilier-Regiment Nr. 73 „endlich“, wie er sechs Jahre später schrieb, an die Westfront kam, war der deutsche Vormarsch längst gestoppt, der Krieg zum mörderischen Stellungskrieg geworden. „In Stahlgewittern – Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, so der vollständige Titel des Buches bei seinem ersten Erscheinen 1920, ist in seiner eigentümlichen Mischung aus sachlich-nüchternem Bericht und dramatisch-feierlichem Heldenpathos zweifellos eines der bedeutendsten Bücher über den Ersten Weltkrieg. Lange war es auch eines der umstrittensten. Der Vorwurf lautete, vereinfacht ausgedrückt: Kriegsverherrlichung.
Dazu trug bei, dass es Jünger, der sich als 19-Jähriger weniger aus patriotischem Furor denn aus dem drängenden Bedürfnis heraus, der verhassten Schule zu entfliehen und ein großes „Abenteuer“ zu erleben, freiwillig gemeldet hatte, zeitlebens nicht für nötig befand, zu seinen nationalrevolutionären und antidemokratischen Ansichten zur Zeit der Weimarer Republik Stellung zu beziehen. Gar sich von ihnen zu distanzieren. Höhepunkt der Auseinandersetzungen für und wider Jünger war 1982 seine Ehrung mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt.
Mit Ernst Jüngers damaliger Dankesrede endet die vollständige Lesung von „In Stahlgewittern“, die dieser Tage im Hörverlag erschienen ist. Auf zehn CDs mit meh r als zwölf Stunden Laufzeit nimmt uns Tom Schilling mit auf die grabenzerfurchten Schlachtfelder Frankreichs und Flanderns 1914 bis 1918, berichtet mit seiner immer noch ein wenig jungenhaft klingenden, vor allem aber brüchigen und angekratzten, zurückhaltend agierenden Stimme von der Schlacht an der Somme oder der Doppelschlacht bei Cambrai.
Schilling hat so gar nichts Auftrumpfendes. Immer schwingt eine nachdenkliche Verletzlichkeit mit. Dadurch schafft er den denkbar größten Kontrast zum Text. Dessen einerseits kühlen und sachlichen, einer „Ästhetik des Schreckens“ (Karl Heinz Bohrer) verpflichteten Beobachtungen selbst grausamster, barbarischer Ereignisse. Und andererseits seinen metapherngesättigten Schilderungen der Kampfhandlungen auf dem „Tanzplatz des Todes“. Der Kontrast besteht aber auch zu Ernst Jünger selbst. Auch wenn dieser in Frankfurt bereits 87 Jahre alt ist, redet er als Geehrter diszipliniert, fest und durchdringend. Textgrundlage des Hörbuches ist die im vergangenen Jahr bei Klett-Cotta von Helmuth Kiesel verantwortete historisch-kritische Ausgabe in zwei Bänden. Eine überzeugende Editions-Leistung, die das Buch erstmals in seiner ganzen verwickelten Genese als „einzigartiges Dokument einer unablässigen Auseinandersetzung“ mit dem Ersten Weltkrieg (Helmuth Kiesel), problemlos zu lesen erlaubt. Denn Jünger arbeitete „In Stahlgewittern“ immer wieder um, frisierte, strich Stellen und fügte neue hinzu. Das Wie und Warum soll hier nicht interessieren. Dass Jünger den Text immer auch den politischen Zeitläuften anpasste, ist unstrittig. Insgesamt entstanden in knapp sechzig Jahren sieben unterschiedliche Fassungen. Die letzte datiert auf das Jahr 1978.
Es ist diese, die Tom Schilling liest. Zu keiner Zeit biedert er sich dem Text an. Er gestaltet und formt ihn nicht: Jüngers Weltkriegsdarstellung soll nicht schauspielerisch geschliffen klingen. Schillings Vortrag zieht gleichsam einen doppelten Boden ein, indem er jedes männlich-laute Heldenpathos unterläuft. So lässt er den Hörer immer wieder aufhorchen. Das Hörbuch ist eine Einladung, den Krieg und seine in den Worten Helmuth Kiesels „eindringliche und schonungslose, zugleich leiderfüllte und frivole, ebenso ergreifende wie schockierende“ Darstellung bei Jünger zu reflektieren und zu hinterfragen.
Auch Erich Maria Remarque, Generationsgenosse von Jünger und Kriegsteilnehmer wie dieser – aber mit einer gänzlich anderen politischen Einstellung –, lobte seinerzeit deren „wohltuende Sachlichkeit“. Bereits im vergangenen Jahr ist im Hörverlag Remarques „Im Westen nichts Neues“ erschienen, gelesen von August Diehl. Es bietet sich an, diese wegen ihrer Ernsthaftigkeit und Sensitivität kongeniale Einlesung des Lebens und Sterbens von Paul Bäumer unmittelbar nach der Stahlgewitter-Lesung zu hören. Ebenso radikal und ungeschminkt wie Jünger schildert Remarque in seinem schnell zum Weltbestseller gewordenen Roman das massenhafte, maschinelle Töten an der Westfront. Mit einem gravierenden Unterschied: Sätze wie „Es muss alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, dass diese Ströme von Blut vergossen wurden“ und „Es darf nie wieder geschehen“ sucht man bei Jünger vergebens.
FLORIAN WELLE
Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Gelesen von Tom Schilling. Mit einem Originalton des Autors. Der Hörverlag, München 2014. 10 CDs, ca. 12 h 13 min, 34,99 Euro.
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Gelesen von August Diehl. Der Hörverlag, München 2013, 5 CDs, ca. 6 h 7 min., 13,95 Euro.
Schillings zurückhaltender
Vortrag unterläuft
alles Laute, Heroisierende
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Wilhelm von Sternburg würdigt die auf der Erstveröffentlichung vor 95 Jahren basierende neue Ausgabe von Erich Maria Remarques bahnbrechendem Roman "Im Westen nichts Neues" mit einer lehrreichen Besprechung. Dankbar entdeckt der Kritiker, dass er in diesem Band nicht nur die einzige von Remarque ursprünglich autorisierte Fassung des häufig zensierten und veränderten Buches in den Händen hält, sondern auch die verschiedenen Varianten im Anhang miteinander vergleichen kann. Darüber hinaus kann der Rezensent den Roman, der bis heute unerreicht vom Leben und Sterben an den Fronten des Ersten Weltkriegs erzählt, auch als äußerst aktuelle Lektüre empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» Im Westen nichts Neues ist ein in seiner Art vollendetes Buch: klar und einfach, dramatisch und anschaulich, rührend und erschütternd.« Marcel Reich-Ranicki FAZ