Den »Gelegenheitsgedichten« verdankt die Lyrik viele Evergreens. Bei Friedrich Ani ergeben solche Gedichte bewusst aufgreifend musikalisch-worthafte Kompositionen, wenn man die Gelegenheit als aktuelle politische-individuelle Situation versteht, auf die es unmittelbar zu reagieren gilt, sich und das Gegenüber in seiner ganzen Verletzlichkeit zeigt. Ganz unterschiedliche Formen finden diese realistisch-spontanen Klänge: vom gereimten Kurzgedicht über das Prosagedicht bis zum umfangreichen Zyklus. Melancholie grundiert solche Gedichte (»Und wir, die niemals waren, werden/niemals sein. In den Erinnerungen/anderer zieren keine Schattten den/Asphalt«), die Resignation unterlaufen sie jedoch durch ihren ironischen Rhythmus (»Nicht weinen, kleiner/Wind, andre Augen/hat der Regen/nicht.«
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.07.2017Mundgeformt
„Im Zimmer meines Vaters“ –
Friedrich Anis Gedichte
„Gelegenheitsgedichte“, von denen der Klappentext spricht, sind eigentlich ein Pleonasmus. Welches Gedicht entspränge nicht einer Gelegenheit? Der poetische Moment – oder die Muse – stellt sich ein und muss dann bloß ergriffen werden, der Einfall ist da. Vermutlich kann niemand so ganz genau sagen, wie ein Gedicht entsteht und woher die Sprache dafür stammt. „Gelegenheitsgedicht“ klingt aber immer auch ein wenig nach Verlegenheit, als wäre die Gelegenheit ein äußerer Zweck: Gedichte für einen bestimmten Anlass.
Um poetische Gelegenheiten im besten Sinne handelt es sich bei den Gedichten von Friedrich Ani, der zwar vor allem als Autor von Kriminalromanen bekannt geworden ist, aber mit Gedichten angefangen und immer wieder Lyrikbände publiziert hat. Dem neuen Band „Im Zimmer meines Vaters“ hat er ein Motto von Friederike Mayröcker vorangestellt, das den Punkt benennt, von dem aus Gedichte entstehen: „Ich war dem Zentrum des Schreibens und Schweigens nahe, und die Liebe ging ein und aus und ohnegleichen …“
Das Buch versammelt in vier Abschnitten formal recht unterschiedliche Gebilde; die stärksten, meist nur aus acht Zeilen bestehenden, finden sich gleich zu Beginn. Es sind Momentaufnahmen, die um die Vergänglichkeit des „vom Augenlicht geblendeten Augenblicks“ wissen, ihn aber trotzdem in Worten festhalten wollen. Ani sammelt solche „mundgeformten Unikate“, um sie in einem „unsichtbaren Tresor“ zu horten. Die Zeit spielt dabei immer wieder eine entscheidende Rolle, wenn sie „ihre Spur in mein Gesicht“ kerbt und nicht nur die Tage und Jahre, sondern ganze Jahrtausende vor sich hertreibt.
Das Leben neigt dann dazu, sich in einen Traum zu verwandeln. Einmal ist es ein Kind, „das uns liest im Traum“. In einem anderen Gedicht taucht die Schweizer Schriftstellerin Adelheid Duvanel als Nachtgespenst in einem Wald auf, wo „an Ästen Fetzen ihrer Träume wehten“. Duvanel starb in einem Wald an einer Überdosis Schlaftabletten und an Unterkühlung.
Doch solche Referenzen an die Schwermütigkeit bleiben die Ausnahme. Meist geht es Ani vielmehr darum, eine Leichtigkeit entstehen zu lassen, sodass aus der bloßen Aufzählung von Einzelheiten heraus – Nachmittag, Abend, Nacht, Schlaf, ein Menschengesicht, ein Körper, Wände, Erwachen – der schlichtschöne Satz möglich wird: „So schwer ist das nicht: sein.“ Von da aus lassen sich all die poetischen Momente aufreihen wie eine Perlenkette.
Disparater sind die anderen Teile des Buches. Da findet sich dann etwa die Ballade von dem eher erfolglosen Schriftsteller Ganymed, der seinen Lebensunterhalt als Kellner verdient; die Trauer über eine zu Ende gegangene Liebe; oder ein über dreißig Seiten ausgreifendes Poem, in dem Ani sich der Herkunft seines syrischen Vaters annähert. Was sich fast liest wie ein aktueller Beitrag zur Flüchtlingsdebatte und zur Fremdenfeindlichkeit im Land, ist tatsächlich eine autobiografische Spurensuche.
Neben diesem mäandernden Erzählstück, das sich zwischen lyrischem Sprechen und Prosa nicht recht entscheiden kann, findet sich dann aber auch ein Naturgedicht, das in seiner augenblinzelnden Winzigkeit überzeugt: „Nicht weinen, kleiner / Wind, andre Augen / hat der Regen / nicht.“ So findet Ani zurück in die leicht verwehte Melancholie, aus der heraus er „Wörter nähen“ kann, um sich in sie einzuhüllen. Diese flüchtigen Gelegenheiten sollte man sich nicht entgehen lassen.
JÖRG MAGENAU
Friedrich Ani: Im Zimmer meines Vaters. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 136 Seiten, 18 Euro.
Ani kann „Wörter nähen“,
um sich in sie einzuhüllen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Im Zimmer meines Vaters“ –
Friedrich Anis Gedichte
„Gelegenheitsgedichte“, von denen der Klappentext spricht, sind eigentlich ein Pleonasmus. Welches Gedicht entspränge nicht einer Gelegenheit? Der poetische Moment – oder die Muse – stellt sich ein und muss dann bloß ergriffen werden, der Einfall ist da. Vermutlich kann niemand so ganz genau sagen, wie ein Gedicht entsteht und woher die Sprache dafür stammt. „Gelegenheitsgedicht“ klingt aber immer auch ein wenig nach Verlegenheit, als wäre die Gelegenheit ein äußerer Zweck: Gedichte für einen bestimmten Anlass.
Um poetische Gelegenheiten im besten Sinne handelt es sich bei den Gedichten von Friedrich Ani, der zwar vor allem als Autor von Kriminalromanen bekannt geworden ist, aber mit Gedichten angefangen und immer wieder Lyrikbände publiziert hat. Dem neuen Band „Im Zimmer meines Vaters“ hat er ein Motto von Friederike Mayröcker vorangestellt, das den Punkt benennt, von dem aus Gedichte entstehen: „Ich war dem Zentrum des Schreibens und Schweigens nahe, und die Liebe ging ein und aus und ohnegleichen …“
Das Buch versammelt in vier Abschnitten formal recht unterschiedliche Gebilde; die stärksten, meist nur aus acht Zeilen bestehenden, finden sich gleich zu Beginn. Es sind Momentaufnahmen, die um die Vergänglichkeit des „vom Augenlicht geblendeten Augenblicks“ wissen, ihn aber trotzdem in Worten festhalten wollen. Ani sammelt solche „mundgeformten Unikate“, um sie in einem „unsichtbaren Tresor“ zu horten. Die Zeit spielt dabei immer wieder eine entscheidende Rolle, wenn sie „ihre Spur in mein Gesicht“ kerbt und nicht nur die Tage und Jahre, sondern ganze Jahrtausende vor sich hertreibt.
Das Leben neigt dann dazu, sich in einen Traum zu verwandeln. Einmal ist es ein Kind, „das uns liest im Traum“. In einem anderen Gedicht taucht die Schweizer Schriftstellerin Adelheid Duvanel als Nachtgespenst in einem Wald auf, wo „an Ästen Fetzen ihrer Träume wehten“. Duvanel starb in einem Wald an einer Überdosis Schlaftabletten und an Unterkühlung.
Doch solche Referenzen an die Schwermütigkeit bleiben die Ausnahme. Meist geht es Ani vielmehr darum, eine Leichtigkeit entstehen zu lassen, sodass aus der bloßen Aufzählung von Einzelheiten heraus – Nachmittag, Abend, Nacht, Schlaf, ein Menschengesicht, ein Körper, Wände, Erwachen – der schlichtschöne Satz möglich wird: „So schwer ist das nicht: sein.“ Von da aus lassen sich all die poetischen Momente aufreihen wie eine Perlenkette.
Disparater sind die anderen Teile des Buches. Da findet sich dann etwa die Ballade von dem eher erfolglosen Schriftsteller Ganymed, der seinen Lebensunterhalt als Kellner verdient; die Trauer über eine zu Ende gegangene Liebe; oder ein über dreißig Seiten ausgreifendes Poem, in dem Ani sich der Herkunft seines syrischen Vaters annähert. Was sich fast liest wie ein aktueller Beitrag zur Flüchtlingsdebatte und zur Fremdenfeindlichkeit im Land, ist tatsächlich eine autobiografische Spurensuche.
Neben diesem mäandernden Erzählstück, das sich zwischen lyrischem Sprechen und Prosa nicht recht entscheiden kann, findet sich dann aber auch ein Naturgedicht, das in seiner augenblinzelnden Winzigkeit überzeugt: „Nicht weinen, kleiner / Wind, andre Augen / hat der Regen / nicht.“ So findet Ani zurück in die leicht verwehte Melancholie, aus der heraus er „Wörter nähen“ kann, um sich in sie einzuhüllen. Diese flüchtigen Gelegenheiten sollte man sich nicht entgehen lassen.
JÖRG MAGENAU
Friedrich Ani: Im Zimmer meines Vaters. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 136 Seiten, 18 Euro.
Ani kann „Wörter nähen“,
um sich in sie einzuhüllen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Musikalisch und melancholisch-schön.« Andrea Gerk Deutschlandfunk Kultur 20180125