»Das war das Leben, das war mein Leben! Wie wird es weitergehen?«
Im Jahr 1912 trifft das Schicksal erstmalig die gerade 17jährige Gertrud mit ganzer Härte – ihre Mutter stirbt. Von nun an ist sie allein mit dem Vater und ihrem jüngeren Bruder Paul. Sehr oft wird die Mutter ihr in den folgenden
Jahren fehlen, denn der Vater, ein Patriarch, wie er im Buche steht, weiß ganz genau, was sich für…mehr»Das war das Leben, das war mein Leben! Wie wird es weitergehen?«
Im Jahr 1912 trifft das Schicksal erstmalig die gerade 17jährige Gertrud mit ganzer Härte – ihre Mutter stirbt. Von nun an ist sie allein mit dem Vater und ihrem jüngeren Bruder Paul. Sehr oft wird die Mutter ihr in den folgenden Jahren fehlen, denn der Vater, ein Patriarch, wie er im Buche steht, weiß ganz genau, was sich für ein junges Mädchen aus gutem Haus gehört und was nicht. Und er ist es gewohnt, dass seinen Wünschen und Anordnungen gefolgt wird.
Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges folgen die nächsten Schicksalsschläge. Gertruds Verlobter fällt an der Front und aus dem wohlbehüteten und an einen gewissen Wohlstand gewöhnten Mädchen wird eine junge Frau, die vom Hunger getrieben versuchen muss, bei Bauern Wertgegenstände gegen Lebensmittel einzutauschen.
Nach dem Krieg sucht sie einen neuen Weg für ihr Leben, doch der Vater untersagt ihr eine Berufstätigkeit und drängt sie stattdessen zu einer Ehe, die ihr für die Zukunft Wohlstand und Sicherheit bieten soll. Einer Ehe mit dem jüdischen Kaufmannssohn Philipp Goltstein…
Aus heutiger Sicht weiß jeder Leser natürlich sofort, dass die Heirat mit einem Juden in den 1920er Jahren alles andere als ein Garant für eine gesicherte Zukunft war. Wir erleben mit, wie Gertrud und Philipp mit ihren beiden Kindern Anna und Paul eine kurze Zeit des Glücks gegeben ist, bevor sich ab 1933 das Blatt für alle grausam wenden wird. Durch Repressalien, Angst und Bedrohungen hindurch begleiten wir die Familie bis zum Ende des 2. Weltkriegs.
Eine Familiengeschichte ist das hier – aber was für eine! Ich war so gefesselt von der Handlung, dass ich es nicht aus der Hand legen mochte. Die Geschichte bietet einen präzisen Eindruck des täglichen Wahnsinns, den ein Jude oder Halbjude während dieser furchtbaren Zeit erleiden musste. Dadurch, dass man als Leser die Personen schon vorher kannte und sie (weil allesamt sympathisch) in sein Herz geschlossen hatte, ist man geradezu mitschockiert, verfolgt fassungslos die Ereignisse. Stets ist man ganz nah an der Handlung, was sicher auch an den intensiven Schilderungen der Autorin liegt. Deutlich merkt man mit jedem Satz, dass er von einer Zeitzeugin geschrieben wurde.
Die Geschichte bietet aber noch mehr, denn die Probleme, die zwischen Eltern und Kindern geschildert werden, lassen sich in ähnlicher Form vermutlich auf jede Zeit, jedes Land und jede Gesellschaftsschicht übertragen. Vereinfacht könnte man sagen, dass Eltern das Beste für ihr Kind wollen und überzeugt sind zu wissen, was dieses Beste genau ist - aber trotzdem irren können. Und dass sie sich mit der Durchsetzung des Willens beim Kind nicht gerade beliebt machen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, wie ein solches Kind, sobald es selber Kinder hat, handelt. Konkret kann man im Buch verfolgen, was Gertrud sich als junges Mädchen wünscht und wie sie unter den Anordnungen und Ansichten des Vaters leidet. Und eine Generation später verhält sie sich ihrer Tochter Anna gegenüber praktisch in gleicher Weise. Sollte das nicht helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln?
Wer sich für Zeitgeschichte und Familienchroniken interessiert, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen. Zugegeben: Das Gelesene tut oftmals richtig weh, mich hat es noch lange beschäftigt. Aber trotz aller Schrecken ist dies ein lebensbejahendes Buch, das sogar ein wenig Mut machen kann.
»Bäume blühen, und Äpfel reifen, so wie sie es seit Tausenden von Jahren getan haben, trotz der sinnlosen Zerstörung, von der die Welt heimgesucht wurde. Das Leben hat überlebt.«
Die Geschichte der Familie in den Jahren 1945 – 1975 wird im 2. Teil dieser Saga „Im Bann der Vergangenheit“ beschrieben.
Fazit: Sehr intensiv, berührend und realistisch. Unbedingt empfehlenswert!