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Die Demokratie ist heute mit einer außergewöhnlichen Verdichtung an externen Krisen konfrontiert: Klimawandel, Migration, Pandemie, Krieg und entgrenzter Kapitalismus. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von »der« Demokratie sprechen? Wie gehen die entwickelten Demokratien mit diesen Herausforderungen um? Begegnen sie dem Zeitdruck mit »Verschlankung« der demokratischen Verfahren? Antworten sie auf die rechtspopulistischen Bewegungen mit illiberalen Instrumenten wie Verboten, Überwachung und Ausschlüssen? Befinden sich die Demokratien im Niedergang? Die Pfade sind nicht vorgezeichnet, der…mehr

Produktbeschreibung
Die Demokratie ist heute mit einer außergewöhnlichen Verdichtung an externen Krisen konfrontiert: Klimawandel, Migration, Pandemie, Krieg und entgrenzter Kapitalismus. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von »der« Demokratie sprechen? Wie gehen die entwickelten Demokratien mit diesen Herausforderungen um? Begegnen sie dem Zeitdruck mit »Verschlankung« der demokratischen Verfahren? Antworten sie auf die rechtspopulistischen Bewegungen mit illiberalen Instrumenten wie Verboten, Überwachung und Ausschlüssen? Befinden sich die Demokratien im Niedergang? Die Pfade sind nicht vorgezeichnet, der Niedergang ist nicht besiegelt. Die Schwächen und Blessuren der liberalen Demokratien treten heute jedoch deutlicher hervor als noch zur Jahrtausendwende. Aber neben der neuen Zerbrechlichkeit der Demokratie stehen auch beachtliche Erfolge der Demokratisierung, etwa in Geschlechterfragen oder der Zivilgesellschaft. Bei allen Sorgen - so Wolfgang Merkel - sollte man die Resilienz der liberalen Demokratien nicht unterschätzen.
Autorenporträt
Wolfgang Merkel war von 2004 bis 2020 Direktor der Abteilung 'Demokratie und Demokratisierung' am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Politische Wissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2023

Es wird Zeit, den Staat wiederzuentdecken
Warum eine stärkere Kontrolle der Wirtschaft sinnvoll ist: Wolfgang Merkel sorgt sich um die Demokratie

Gerät die Demokratie als die überlegene politische Ordnungsform der westlichen Gesellschaften ins Zwielicht? Stehen wir gar vor einer "Demokratiedämmerung"? Es ist nicht nur die gefühlte Häufigkeit der aktuellen Krisendiagnosen, die die Demokratie in einem trüben Licht dastehen lässt. Auch die empirischen Befunde der Demokratieforschung bestätigen dieses Bild: Nach den Daten des globalen Projekts "Varieties of Democracy" geht die Beurteilung der Demokratiequalität in den EU-Staaten nach Ansicht der darin befragten Demokratieforscher seit 2003 kontinuierlich nach unten.

Schon deshalb ist dieses Buch über die "Zerbrechlichkeit und Resilienz der Demokratie im 21. Jahrhundert" lesenswert. Seine besondere Qualität allerdings liegt in der Selbstbeobachtung des Autors, die der Leser als eine vom Gegenstand des Buches erzwungene Selbstkorrektur erfährt. Wolfgang Merkel legt hier die Summe seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Herausforderungen der Demokratie seit dem Epochenbruch von 1989 vor.

Die fünfzehn Aufsätze, die er versammelt, sind zwar zum Teil schon zwanzig Jahre alt. Doch im Prozess ihrer Überarbeitung, der zu diesem Buch geführt hat, sei sein früherer demokratischer Optimismus und das souveräne Zurückweisen der allgegenwärtigen Krisentheorien selbst in eine Krise geraten, verrät Merkel. Was die Zukunftsfähigkeit der Demokratie betrifft, könne er sich einer wachsenden Skepsis und Ernüchterung heute nicht mehr entziehen. Man spürt bei der Lektüre der Texte darum auch den gewissen Trotz, der in Merkels Verteidigen dieser Staatsform liegt. Aber wie viel Resilienz steckt noch in der Demokratie in ihrer Dauerkrise? Wer kann sie retten?

Zunächst die Anklage: "Kaum bemerkt und diskutiert" würde der "politische Skandal", dass hinter den "normativen Schrumpfstufen" unserer heutigen Demokratien die schleichende Exklusion der an Umfang zunehmenden Unterschichten aus der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Sphäre unseres Gemeinwesens stünde. Längst habe sich auch in Deutschland eine politisch degenerierte "Zweidritteldemokratie" der noch partizipationswilligen und darum auch in den Regierungsparteien repräsentierten Mittelschichten etabliert, die mit den institutionellen Defiziten und sozioökonomischen Ungleichheiten gut leben könnten.

Diese "gutsituierten kosmopolitischen Bürger" genügten sich zunehmend selbst in den moralischen Diskursen einer "kulturell und kognitiv von der unteren Hälfte der Gesellschaft stark abgekoppelten Zivilgesellschaft". Die "amerikanische Krankheit der Unterschichtsexklusion" habe längst auch die europäischen Wähler erreicht.

Solche Diagnosen findet man auch oft in der gegenwärtigen Soziologie. Aber Merkel ist Politikwissenschaftler. Wer in jüngster Zeit von der Dominanz der Soziologen im gesellschaftlichen Diskurs vielleicht schon eher genervt war, sollte auch darum zu diesem Buch greifen, weil Merkel hier gegen die ausschließlich soziologische Gesellschaftsbeschreibung die begriffliche Differenz schärft zwischen Politik, Staat und Gesellschaft.

Wären nur die Akteure und Entscheidungsverfahren der Zivilgesellschaft dominant, warnt Merkel, "würde sich eine habermasianische Diskurswelt auftun, in der das Politische verdunstet, Macht und Interessen ihre Rolle" verlören. Die politischen "Konflikte und Leidenschaften würden diskursiv geschreddert". Diese Idee müsse in der antagonistischen Welt der Macht aber kläglich scheitern, wo Ressourcen ungleich verteilt seien und "pluralistische Interessen notwendig im Konflikt" stünden.

Den Grund für die aktuelle Popularität dieser Politikvergessenheit liegt für Merkel auf der Hand: Es ist im Wesentlichen der Staat, der für ihn versagt hat. Sei es der Steuerstaat, der Sozial- oder Bildungsstaat, überall analysiert Merkel ein eklatantes Staatsversagen, das am Ende die Demokratie in ihrem Grundprinzip herausfordere, nämlich der politischen Gleichheit seiner Bürger, für die der Staat zu sorgen habe, etwa in der Bildungspolitik.

Darum fordert Merkel die "Wiederentdeckung des Staates" als zwingendes Gebot. Es sähe ganz so aus, als erlebten wir angesichts der "Megaprobleme" der vergangenen Jahre eine erneute Nachfrage nach einem "starken Staat" in Theorie und Praxis. Geschehe das nicht, hätte die demokratische Idee im neuen Systemwettbewerb mit den Autokratien vor allem fernöstlicher Provenienz wohl keine Chance.

Also mehr Staat, mehr Politik. Das heißt für Merkel: mehr Inklusion und nicht die moralisierende Exklusion politisch unliebsamer Haltungen aus der sich als exklusiv "demokratisch" selbstgerecht stilisierenden Mitte des politischen Spektrums. Mehr Staat heißt aber auch mehr Kontrolle der Wirtschaft. Schließlich gäbe es keine vernünftigen Zweifel, dass sich insbesondere der Finanzsektor zunehmend einer politischen Einhegung entziehe. Was aber keine Entwicklung anonymer Differenzierungszwänge sei, sondern das Ergebnis bewusster Deregulierungspolitik interessengeleiteter Mächte.

Auffallend an den Schlussfolgerungen dieses Buches ist, dass Merkel mit Vehemenz ein Wiedererstarken des demokratischen Staates fordert, der Forderung seines Kollegen Wolfgang Streeck nach einer Renaissance des Nationalstaates dann aber doch eher ambivalent gegenübersteht. Das "kosmopolitische Requiem" auf den Nationalstaat sei angesichts von Migrationskrise, Pandemie und Ukrainekrieg wohl zu früh gesungen worden, räumt Merkel ein. Das Pendel schwinge gegenwärtig wohl eher zurück zu "nationalstaatlichen Erwägungen".

Eine persönliche Festlegung scheute Merkel hier dann aber doch. Der normative Kern seines Faches - ein starker Staat und das Inklusionsgebot des politischen Konflikts - zwingt ihn dazu auch nicht. Aber er zwingt den Leser dieses Buches zur Frage, wie lange wir uns mit so wenig Staat in unserer Demokratie eigentlich noch abfinden wollen. GERALD WAGNER

Wolfgang Merkel: "Im Zwielicht". Zerbrechlichkeit und Resilienz der Demokratie im 21. Jahrhundert.

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2023. 381 S., geb., 39,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So ganz überzeugt ist Rezensent Rudolf Walther nicht von diesem Band, der 15 Aufsätze des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel zu den drei Oberthemen "Herrschaft, Krise und Ambivalenz" vereint. Der Beitrag zur Entstehung der Demokratie in der Antike hat für Walther Schulaufsatzcharakter, zudem geht seines Erachtens der Plan nicht ganz auf, eine systematische Einordnung von politischen Krisen vorzunehmen, zu "lückenhaft" ist die theoretische Basis. Das Kapitel zur bundesdeutschen Politik in der Pandemie findet der Kritiker am überzeugendsten, das Buch als solches aber stellt ihn abschließend nicht ganz zufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Was das Buch so interessant und unbedingt lesenswert macht, stellt eine Kombination aus drei Faktoren dar. Erstens ist Merkels Zugang problemorientiert. Er möchte Fragen von grundsätzlicher Natur thematisieren und diese an aktuellen Debatten aufhängen. [...] Zweitens zeichnen sich Merkels Beiträge durch eine mustergültige Verbindung von theoretischer und empirischer Analyse aus. Gestützt auf eine breite Kenntnis der Klassiker, entwickelt er normative Kriterien, was die demokratische Herrschaftsform historisch und gegenwärtig ausmacht. Manches davon hat Lehrbuchcharakter. [...] Und drittens beherrscht Merkel das Handwerk des wissenschaftlichen und zugleich verständlichen Schreibens - vom dosierten Einsatz soziologischen Jargons bis zur milden Polemik - in seiner ganzen Palette.« Frank Decker, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 3/2024 »Wolfgang Merkel legt hier die Summe seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Herausforderungen der Demokratie seit dem Epochenbruch von 1989 vor. [...] Wer in jüngster Zeit von der Dominanz der Soziologen im gesellschaftlichen Diskurs vielleicht schon eher genervt war, sollte auch darum zu diesem Buch greifen, weil Merkel hier gegen die ausschließlich soziologische Gesellschaftsbeschreibung die begriffliche Differenz schärft zwischen Politik, Staat und Gesellschaft.« Gerald Wagner, FAZ, 10.11.2023 »Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel beleuchtet zahlreiche Herausforderungen des parlamentarischen Systems. Und erklärt, warum eine allgemeine Krisen-Definition kaum möglich ist. Aber welche Politik 2020/2021 besonders demokratieschädlich war, sei offensichtlich.« Rudolf Walter, Sueddeutsche.de, 14.01.2024 »Die Zivilgesellschaft kann die Demokratie stützen, aber nicht die Migrations- oder die Klimakrise lösen. Dafür brauche es einen effizienten Staat, argumentiert Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel« Tagesspiegel, 19.11.2023 »Wolfgang Merkel, der langjährige Direktor der Abteilung 'Demokratie und Demokratisierung' am Berliner Wissenschaftszentrum, hat seine Arbeiten zur Demokratie aus den vergangenen Jahrzehnten einer kritischen Revision unterzogen und kommt - im Lichte der Gegenwart - zu einer weniger optimistischen Prognose als noch kurz nach der Jahrtausendwende.« Südwest Presse, Gunther Hartwig, 13.9.20 »Ein Kompendium der kritischen Demokratie-Theorie, das als Einführung ebenso gelesen werden kann wie als anregende Zeitgeist-Diagnose.« Cicero, 26.01.2024 »An Politikwissenschaftlern mangelt es Deutschland nicht. Zu den gefragten unter ihnen gehört der Demokratieforscher Wolfgang Merkel. [...] In seinem neuesten Buch reflektiert Merkel [...] den theoretischen und empirischen Stand der Demokratieforschung. Sein Urteil über den Zustand der Demokratie fällt zwiespältig aus.« Aschot Manutscharjan, Das Parlament, 24.2.2024 »Der Autor betont in verdienstvoller Weise die Widerstandsfähigkeit von Demokratien, konstatiert aber einen 'kaum bestreitbaren Abwärtstrend' (Merkel, S. 364).« Soziologische Revue 2024; 47(1): 35-50 »Eine der größten Stärken von Merkels Buch liegt darin, dass es nicht bloß zur Reflexion des politischen Geschehens einlädt - sondern geradezu herausfordert.« Anno Gielas, Büchermagazin, April/Mai 2024…mehr