"Angesichts der vielen Informationen, die in Rom zusammenströmten, sollte einmal untersucht werden, ob die Päpste tatsächlich die best informierten Monarchen Europas gewesen sind, wie man vermuten möchte". Dieses Desiderat formulierte vor wenigen Jahren der international renommierte Historiker Wolfgang Reinhard. Wenngleich Rom unstrittig ein Informationsknotenpunkt zumindest für die katholische Welt war, nuancieren jüngere Forschungen ein allzu positives Tableau. Wo läge es - abgesehen von der am Beginn der Neuzeit im Zuge der europäischen Expansion entdeckten "Neuen Welt" - näher, sich dieser Frage zu stellen als im Lande Luthers und der Reformation, das im 16. Jahrhundert grundlegende Umwälzungen in kirchlich-religiöser, sozialer, kultureller und politischer Hinsicht erfuhr? Die vorliegende Studie setzt hier an. Neben klassischen Feldern wie dem Verhältnis zwischen Papst- und Kaisertum widmet sie sich den Lebens- und Erfahrungswelten päpstlicher Gesandter in Deutschland im Reformationsjahrhundert, etwa ihrer Wahrnehmung von Raum und Zeit, Krankheit und Tod, Geschlechterverhältnissen sowie konfessionellen Differenzerfahrungen, ferner den sprachlichen und kulturellen Translationsleistungen, die Rom im Kontakt mit den Deutschen zu erbringen hatte. In einer doppelten Perspektivierung untersucht sie darüber hinaus Prozesse narrativer Geschichtskonstruktion an der römischen Kurie. Die römisch-kuriale Perzeption des Reiches und der Deutschen erweist sich als unerwartet komplex und facettenreich. In mehrerlei Hinsicht verweisen die in Rom greifbaren Vorstellungen auch im konfessionellen Zeitalter noch auf eine europäische Diskurswelt.