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Das Äußerste, das Vollkommen - danach strebte Beethoven mit seiner Musik. Werkeinführungen u.a. zu Fidelio, Missa Solemnis und zur Pastoral-Sinfonie stehen neben Analysen der 3., 5. und 8. Sinfonie, Vermutungen über kompositorische Programme neben dramaturgischen und ästhetischen Betrachtungen - allesamt bezogen auf das für Beethoven Ganze.

Produktbeschreibung
Das Äußerste, das Vollkommen - danach strebte Beethoven mit seiner Musik. Werkeinführungen u.a. zu Fidelio, Missa Solemnis und zur Pastoral-Sinfonie stehen neben Analysen der 3., 5. und 8. Sinfonie, Vermutungen über kompositorische Programme neben dramaturgischen und ästhetischen Betrachtungen - allesamt bezogen auf das für Beethoven Ganze.
Autorenporträt
Peter Gülke, geb. 1934; Professor an der Universität Basel. Dirigent und Musikschriftsteller. Nach Tätigkeit an den Opernhäusern in Stendal, Potsdam, Stralsund, Dresden und Weimar zuletzt 1985-1996 Generalmusikdirektor in Wuppertal. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Musik der deutschen Klassik und Romantik. 1995 Verleihung des Sigmund-Freud-Preises der Darmstädter Akademie. Bei Bärenreiter/J.B. Metzler sind erschienen: Fluchtpunkt Musik. Reflexionen eines Dirigenten zwischen Ost und West, 1994. Triumph der neuen Tonkunst. Mozarts späte Sinfonien und ihr Umfeld, 1998.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2001

Erstgeborenenrecht der Dialektik
Gesucht wird der richtige Erbe: Peter Gülkes Beethoven-Studien

Charles Rosen hat in "The classical style" darauf hingewiesen, daß die kompositorischen Eigenheiten, für die Beethoven gerühmt wird, sich durchweg schon bei Haydn finden: die Analyse der musikalischen Sprache in ihre Elemente und Parameter, die Synthese ganzer Sätze aus der allerknappsten motivischen Substanz, Prozesse, die, sich selbst erzeugend, aus anfänglichen Spannungen alle weitere Bewegung hervorgehen lassen, das reflexive Aufbrechen der Themen und Formen, die Heterogenes zusammenbringen und ihre Abgrenzungen verunklaren.

Der Hinweis entspringt keiner Alles-schon-dagewesen-Haltung. Bei Haydn sind die Sachen ja wirklich neu. Außerdem stellt sich im nächsten Schritt die Frage, welche Veränderungen Beethoven an dem von Haydn Gelernten vornimmt, was also das wirklich Neue bei Beethoven ist. Dennoch klingt Unmut mit. Unmut darüber, daß die Neuerungen in ihrer intellektuelleren, ironischeren, unaufgeregteren Gestalt nicht recht wahrgenommen werden. Und Unmut über die Bodenlosigkeit der philosophischen Spekulationen, die in den falsch datierten Kompositionstechniken die Französische Revolution, die kapitalistische Produktionsweise und die hegelsche Dialektik nebst deren selbstkritischer Überwindung wiedererkennen wollen. Auch Peter Gülke stützt sich auf solche Analogien. Bei Beethoven sei Kunst Erkenntnis - nicht weltenthobene Schönheit wie bei den vorangegangenen aristokratischen Klassizisten, nicht weltfremde Selbstfindung wie bei den folgenden Romantikern. Indem er das Thema als Subjekt denke und das Werk durch thematische Arbeit bestimme, fasse er den Zusammenhang von Individuation und Vergesellschaftung, den Marxschen Frühschriften vorausgreifend, als Produktionsprozeß.

Dagegenzusetzen, daß hier Arbeit fetischisiert wird, daß Mozarts Schönheit sehr weltlich ist und daß bei den Romantikern gerade das Scheitern des Zusammenhanges von Individuation und Vergesellschaftung zum Gegenstand der Kunst wird, hätte etwas Schiefes. Die drei zentralen Aufsätze sind bereits 1970 erschienen, werden nur durch ebenfalls ältere Einzelanalysen ergänzt und mit einer langen Einleitung versehen, die die rekapitulierten Thesen, nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, mit Plotin-, Schelling- und Benjamin-Zitaten ornamentiert. 1970 aber waren weder Adornos Beethoven-Fragmente bekannt noch das Beethoven-Buch von Dahlhaus geschrieben. Für die dialektisierende Beethoven-Interpretation dürfte Gülke geradezu ein Erstgeborenenrecht beanspruchen können, sosehr Adornos Mahler-Buch und Blochs Beethoven-Bild durchscheinen. Und 1970 stand Beethoven in der DDR noch unbefragt im Mittelpunkt des musikalischen Erbes - neben Hegel blickt Gülke immer wieder auch auf Goethe und Schiller -, so daß es eher die von Gülke entdeckten Brüche waren, die die Zeitgenossen interessierten und in deren Diskussion sie ihre politische Selbstbestimmung vornahmen.

Nachdem Gülke im ersten der drei Aufsätze das Pathos des Kollektivs und die agitatorisch-kommunikative Dimension der Beethovenschen Entdeckung des symphonischen Apparates hervorgehoben hat, beschäftigen ihn in den beiden folgenden zwei systematische Bruchstellen. Die Introduktionen schaffen Bereiche thematischer Offenheit und widerstreiten so "einem Begriff von Vollendung als Abgeschlossenheit einer zu Ende gebrachten, keinen ungelösten Rest lassenden Auseinandersetzung"; denn angesichts der Gefahr, daß sich ihre Struktur verselbständigt, muß sich die Sonate "auch zum Apriori des dialektischen Schemas dialektisch verhalten". Und die Kantabilität überträgt, "indem sie sich der üblichen Arbeitsteilung widersetzt, die exponierende Gebärde verschmäht und an die Stelle der Präsentation von Gegebenem, virtuell schon Fertigem einen Prozeß setzt, eine lyrische Haltung in einen der diskursiven Logik angenäherten Bereich". Diese ins Singen versunkenen "Aussparungen inmitten angestrengter Logik" lassen jedoch den Zusammenhang zwischen Thema und Form brüchig werden - in Analogie zur "Verengung des gesellschaftlichen Horizontes und zur Entfernung von revolutionärem Einklang der Interessen des einzelnen und der Gesellschaft".

In beiden Momenten sieht Gülke auch eine Gefahr. Die Freiheit der Introduktion führt auf den "metaphysischen Freiheitsbegriff" der modernen Musik, die das "Moment der Entlastung von konventionellen Verpflichtungen und des Widerspruchs zur Form" gegen das "Angewiesensein auf Form" hypostasiert und so gesellschaftlich ortlose Kunst produziert. Bedrohlicher aber noch ist die Expansion der Melodie. Sie endet in der "romantischen Tragödie", daß, "wo die Individualität vor der Auseinandersetzung mit einer wie ihr scheint entfremdenden Beugung unter die Gesetze eines Ganzen flieht, sie einer umfassenden Entfremdung leicht in die Arme läuft". Beiden Gefahren sei Beethoven nach dem klassizistisch ästhetisierenden Versuch der Achten Symphonie mit seinem Spätwerk entgegengetreten: "Mit allen Risiken jakobinischer Vereinsamung, da die bürgerliche Gesellschaft sich im verengten Horizont einrichtete."

Es ist nicht leicht, sich zu solchen Sätzen zu verhalten. Warum wird so beschwörend vor den romantischen Abirrungen gewarnt? Die romantische Literatur fand ja erst in den siebziger Jahren breiteres oppositionelles Interesse. Die Musikwissenschaft übernahm die literaturwissenschaftlichen Anregungen gar erst in den Achtzigern - am avanciertesten wohl in Gerd Rienäckers Wagner-Vorlesungen. Doch die kritischen Marxisten müssen, durch Hegel, Heine, Marx, Lukács sensibilisiert, schon früh die Tritte derer gehört haben, die sie hinaustragen werden. Ihnen gegenüber verwiesen sie dann auf die Notwendigkeit von Form, Gesetz und Ordnung. (Das Lektorat hat diese Notwendigkeit angesichts der Tippfehler, des Satzbaus, der Belege oder der fremdsprachlichen Ornamente offenbar nicht gesehen.)

Aber ist nicht die identifikatorische Rede von der jakobinischen Vereinsamung selber ein romantischer Topos? Er wird noch einmal überboten, wenn die neugeschriebene Einleitung das Spätwerk als Musik "für alle und keinen" tituliert. Andererseits gibt Gülke die Aufsätze gerade nicht als historische heraus. Er hält am kritischen Marxismus fest. Und da muß man entgegenhalten, daß die Vorstellung von Beethoven und Goethe, Hegel, der bürgerlichen Gesellschaft, der Französischen Revolution als dialektische Umschlagpunkte der Weltgeschichte ein wenig schal geworden ist. Die von Gülke bei Beethoven diagnostizierte desintegrative Wirkung der Emanzipation von Subjektivität läßt sich vermutlich in der ganzen Musikgeschichte wiederfinden. Zumindest bei Haydn begegnet sie einem auf Schritt und Tritt.

GUSTAV FALKE

Peter Gülke: ". . . immer das Ganze vor Augen". Studien zu Beethoven. J. B. Metzler/Bärenreiter Verlag, Stuttgart 2000. 282 S., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gustav Falke kann sich für dieses Buch nicht wirklich erwärmen, was auch daran liegt, dass er die zum Teil bereits vor dreißig Jahren verfassten Texte mittlerweile für überholt hält. Falke erinnert dabei an die zwischenzeitlich erschienenen Beiträge von Adorno und Dahlhaus, die das Beethoven-Bild seitdem stark verändert hätten. Gülke jedoch hält nach der Diagnose der Rezensenten am "kritischen Marxismus" fest, was Falke angesichts der historischen Entwicklung etwas "schal" erscheint. Er mag sich auch nicht mit Gülkes Klassifizierungen anfreunden, der Abgrenzung zu Mozart und Haydn sowie den Romantikern, denn nach Falkes Ansicht könne man die von Gülke erwähnte "desintegrative Wirkung der Emanzipation von Subjektivität" nicht nur bei Beethoven erkennen, sondern überall in der Musikgeschichte, ganz besonders jedoch bei Haydn. Davon abgesehen weist Falke auf einige Nachlässigkeiten des Lektorats hin, etwa was Tippfehler, Satzbau und Belege betrifft.

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