Ein subversiver Aufklärungskurs über Herkunft, Sinn und Wert des Geldes und unsere Art zu wirtschaften»In der Ökonomie herrschen namenlose Götter: Zufall und Willkür.«Jedes Mal, wenn Tante Fé zu Besuch kommt, gerät der stinknormale Alltag der Familie Federmann aus den Fugen. Die uralte, muntere Dame hat es faustdick hinter den Ohren. Nach den Erfahrungen eines langen Lebens mit Inflationen, Erbschaften und Pleiten, mit Armut, Verschwendung und Exil ist sie jetzt reich und lebt allein in ihrer Villa am Genfer See. Was aber will Tante Fé von den Federmanns, ihren einzigen Verwandten? Langweilen möchte sie sich auf keinen Fall. Deshalb lädt sie die drei Federmann-Kinder in ein Luxushotel ein, verwöhnt, verblüfft, begeistert sie. Endlich fühlen sie sich ernstgenommen, erhalten sie Antworten auf Fragen wie: Woher kommt das Geld? Warum reichen selbst Milliarden und Billionen nie? Was denkt sich eine Zentralbank dabei, wenn sie Schulden druckt? Warum geht es nirgends ohne Schattenwirtschaft, ohne Schwarzmarkt, Schwarzgeld und Schwarzarbeit? Und warum hagelt es immerzu fette Boni in der Chefetage?Tante Fé räumt mit dem Blabla der Börsianer auf. Ungerührt erklärt sie den Kindern das herrschende Betriebssystem der Gier und der Angst. Natürlich hat auch sie keine Patentrezepte zu bieten. Aber den vielen Sieben- bis Siebzigjährigen, die den Jargon der Betriebswirtschaftler satt haben, könnte ihr gutgelauntes Fitness-Training nicht schaden - und auch nicht ihre spezielle Gegenstrategie: »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.«
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Aufmerksam, aber auch amüsiert hat sich Gustav Seibt von Hans Magnus Enzensberger in die Theorie des Geldes einführen lassen. Über die hier ihre Nichten und Neffen belehrende alte und begüterte Großtante Fe muss der Kritiker so manches Mal schmunzeln, lernt dabei die wichtigsten Leitmotive der Geldtheorie kennen und bewundert vor allem die zahlreichen Illustrationen des aufwändig gestalteten Bandes, die ihm Verlockungen und Gefahren des Geldes vor Augen führen. Vielleicht wird man einige Stichwörter an anderer Stelle nochmal genauer nachlesen müssen, glaubt der Kritiker, nichtsdestotrotz entnimmt er Enzensbergers "greisenkindlicher Glaubenslosigkeit" aber auch viele interessante lebensphilosophische Einsichten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015Eine reiche Frau vergisst nie, dass sie Geld hat
Zahlenteuflisch: Hans Magnus Enzensberger schreibt einen Roman über das große Geld. Dabei gibt es viel zu lernen.
Von Rainer Hank
Woher kommt das Geld? Von der Stadtverwaltung, meint der vierzehnjährige Fabian: Denn sein Vater arbeitet in der Hauptabteilung III des Münchner Straßenverkehrsamtes, und von dort bezieht der tüchtige Mann sein Gehalt. Fabians kleine Schwester Fanny glaubt hingegen, das Geld stamme von der Sparkasse. Denn dort zieht es der Vater immer aus den Automaten. Felicitas, die ältere Schwester, weiß immer alles noch besser und hält einen kleinen Vortrag darüber, dass die Menschen ganz am Anfang mit Muscheln bezahlt haben, dass man später mit Perlen und noch später mit Gold und mit Münzen zahlen konnte. Und dass ganz am Ende die Menschen sogar ein einfaches Stück Papier für bare Münze nahmen, nur weil es die Unterschrift des Direktors einer sogenannten Notenbank trug.
Ist das kindisch? Schon. Aber solange sich Ökonomen darüber streiten, ob Geld dadurch entsteht, dass die Zentralbank die Notenpresse anwirft und an die Banken verteilt, oder ob unsere Bank uns aus dem Nichts ein Kredit genanntes Guthaben aufs Konto schreibt, welches sie selbst als Forderung an uns verbucht - so lange ist der Streit der Kinder eine ziemlich erwachsene Angelegenheit.
Hans Magnus Enzensberger, geboren 1929, schreckt vor nichts zurück. Jetzt hat er einen kleinen Roman über das große Geld geschrieben. Und stellt im naiven Ton die großen Fragen: Wie es kommt, dass man an das Geld - das Materialistischste, was auf der Welt gibt - glauben muss, also einen theologischen Akt vollziehen muss. Oder warum es einem beim Geld ergeht wie bei der Zeit, von der schon der heilige Augustinus sagte, dass alle wissen, was es ist, solange niemand danach fragt, dass aber, sobald es jemand genauer wissen will, wir nicht sagen können, was es ist.
Enzensberger ist fleißig. Er hat Geldtheorien gebüffelt, sich mit dem Unterschied der Geldmengen M1, M2 und M3 herumgeschlagen und ökonomische Bücher gelesen. Natürlich kennt der Dichter aus den Romanen der Welt ohnehin, was die Verhaltensökonomik erst seit kurzem weiß, dass Gefühle und Leidenschaft unseren rationalen Umgang mit dem Geld stören, weshalb auf ziemlich vermintem Gelände sich bewegt, wer Liebe und Finanzen all zu nah zueinanderbringt: "Eine reiche Frau vergisst nie, dass sie Geld hat", heißt es bei Enzensberger, der an Susanne Klatten, die Quandt-Erbin, denken muss: Als sie ihren Reichtum einmal vergaß, musste sie dafür teuer bezahlen, nachdem der geheime Liebhaber sich als Erpresser zu erkennen gab.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, Enzensberger hätte einen Essay über das Geld in Zeiten der Finanz- und Staatsschuldenkrisen geschrieben. So wie er unlängst einen giftigen Essay über Europa, die Euromantiker und die Eurokraten geschrieben hat. Aber wer wollte dem Mann aus Schwabing, dem ersten Träger des Frank-Schirrmacher-Preises (er wird ihn am 21. Oktober in Berlin entgegennehmen), vorschreiben, was er hätte machen sollen.
"Immer das Geld" sollte eben kein großer Essay über die Fragwürdigkeit und Instabilität unseres Finanzsystems werden, sondern ein kleiner Wirtschaftsroman. Enzensbergers Vorbild ist eines seiner eigenen Bücher, der "Zahlenteufel", ein Kopfkissenbuch nicht nur für Kinder gedacht, sondern für alle Leute, die Angst vor der Mathematik haben. Das wurde sein wirtschaftlich bislang erfolgreichstes Buch, übersetzt in fast alle Sprachen der Welt und ständig neu aufgelegt.
Pädagogische Romane sind schwierig. Aus guten Gründen war die poetische Gattungslehre sich immer schon unsicher, ob sie die Didaktik neben Lyrik, Epik oder Dramatik als eigene Gattung in den Formenkanon aufnehmen solle. Meist kann die Rahmenhandlung das Konstruierte und Gewollte nicht verbergen. So ergeht es auch Enzensbergers Büchlein, wo die alte und steinreiche Erbtante Fé, urplötzlich aufgetaucht aus dem Morgenland (also aus Amerika) und mit Villa am Genfer See, erzähltechnisch über lange Strecken gebraucht wird, um den drei Nichten und Neffen Fanny, Fabian und Felicitas die Urgründe der Geldtheorie beizubringen. Artig erscheinen die Kinder im "Vier Jahreszeiten", wo die alte Dame abzusteigen pflegt, um sich bei Tee und Konfekt ein ums andere Mal eine Lektion des Grundlehrgangs "Umgang mit Geld" abzuholen und dann auch noch ein paar Hausaufgaben mitzunehmen. Dass das Ganze etwas schulmeisterlich belehrend wirkt, wird man ihm nicht vorwerfen können; als solches ist es ja gerade gemeint. Dass aber die Addition der Geld-Lektionen (wir lernen unterwegs etwas über Schwarzmärkte, über Hochfrequenzhändler, über betrügerische Banker und vieles mehr) auf langen Strecken nur vor sich hin plätschert, schon.
Erst im letzten Teil gewinnt der Roman auch erzählerisch an Fahrt, wenn das Belehrende in den Hintergrund tritt und die abenteuerliche Geschichte der alten Tante entrollt wird: Der Besuch der alten Dame - das Vorbild Dürrenmatts ist gewiss beabsichtigt - lebt vom Gegensatz zweier Welten, der kleinbürgerlich biederen und der lustvoll verschwenderischen, und kostet ihn liebevoll aus. Da wird Enzensberger dann wieder ganz der fröhliche Fabulierer, der den alten Freund Franz Greno die Geschichte mit Fotos und Collagen aller Art inszenieren lässt und am Ende sogar die Tagebuchkritzeleien aus Tante Fés Vademecum im Faksimile dokumentiert.
Hans Magnus Enzensberger: "Immer das Geld!" Ein kleiner Wirtschaftsroman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 213 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zahlenteuflisch: Hans Magnus Enzensberger schreibt einen Roman über das große Geld. Dabei gibt es viel zu lernen.
Von Rainer Hank
Woher kommt das Geld? Von der Stadtverwaltung, meint der vierzehnjährige Fabian: Denn sein Vater arbeitet in der Hauptabteilung III des Münchner Straßenverkehrsamtes, und von dort bezieht der tüchtige Mann sein Gehalt. Fabians kleine Schwester Fanny glaubt hingegen, das Geld stamme von der Sparkasse. Denn dort zieht es der Vater immer aus den Automaten. Felicitas, die ältere Schwester, weiß immer alles noch besser und hält einen kleinen Vortrag darüber, dass die Menschen ganz am Anfang mit Muscheln bezahlt haben, dass man später mit Perlen und noch später mit Gold und mit Münzen zahlen konnte. Und dass ganz am Ende die Menschen sogar ein einfaches Stück Papier für bare Münze nahmen, nur weil es die Unterschrift des Direktors einer sogenannten Notenbank trug.
Ist das kindisch? Schon. Aber solange sich Ökonomen darüber streiten, ob Geld dadurch entsteht, dass die Zentralbank die Notenpresse anwirft und an die Banken verteilt, oder ob unsere Bank uns aus dem Nichts ein Kredit genanntes Guthaben aufs Konto schreibt, welches sie selbst als Forderung an uns verbucht - so lange ist der Streit der Kinder eine ziemlich erwachsene Angelegenheit.
Hans Magnus Enzensberger, geboren 1929, schreckt vor nichts zurück. Jetzt hat er einen kleinen Roman über das große Geld geschrieben. Und stellt im naiven Ton die großen Fragen: Wie es kommt, dass man an das Geld - das Materialistischste, was auf der Welt gibt - glauben muss, also einen theologischen Akt vollziehen muss. Oder warum es einem beim Geld ergeht wie bei der Zeit, von der schon der heilige Augustinus sagte, dass alle wissen, was es ist, solange niemand danach fragt, dass aber, sobald es jemand genauer wissen will, wir nicht sagen können, was es ist.
Enzensberger ist fleißig. Er hat Geldtheorien gebüffelt, sich mit dem Unterschied der Geldmengen M1, M2 und M3 herumgeschlagen und ökonomische Bücher gelesen. Natürlich kennt der Dichter aus den Romanen der Welt ohnehin, was die Verhaltensökonomik erst seit kurzem weiß, dass Gefühle und Leidenschaft unseren rationalen Umgang mit dem Geld stören, weshalb auf ziemlich vermintem Gelände sich bewegt, wer Liebe und Finanzen all zu nah zueinanderbringt: "Eine reiche Frau vergisst nie, dass sie Geld hat", heißt es bei Enzensberger, der an Susanne Klatten, die Quandt-Erbin, denken muss: Als sie ihren Reichtum einmal vergaß, musste sie dafür teuer bezahlen, nachdem der geheime Liebhaber sich als Erpresser zu erkennen gab.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, Enzensberger hätte einen Essay über das Geld in Zeiten der Finanz- und Staatsschuldenkrisen geschrieben. So wie er unlängst einen giftigen Essay über Europa, die Euromantiker und die Eurokraten geschrieben hat. Aber wer wollte dem Mann aus Schwabing, dem ersten Träger des Frank-Schirrmacher-Preises (er wird ihn am 21. Oktober in Berlin entgegennehmen), vorschreiben, was er hätte machen sollen.
"Immer das Geld" sollte eben kein großer Essay über die Fragwürdigkeit und Instabilität unseres Finanzsystems werden, sondern ein kleiner Wirtschaftsroman. Enzensbergers Vorbild ist eines seiner eigenen Bücher, der "Zahlenteufel", ein Kopfkissenbuch nicht nur für Kinder gedacht, sondern für alle Leute, die Angst vor der Mathematik haben. Das wurde sein wirtschaftlich bislang erfolgreichstes Buch, übersetzt in fast alle Sprachen der Welt und ständig neu aufgelegt.
Pädagogische Romane sind schwierig. Aus guten Gründen war die poetische Gattungslehre sich immer schon unsicher, ob sie die Didaktik neben Lyrik, Epik oder Dramatik als eigene Gattung in den Formenkanon aufnehmen solle. Meist kann die Rahmenhandlung das Konstruierte und Gewollte nicht verbergen. So ergeht es auch Enzensbergers Büchlein, wo die alte und steinreiche Erbtante Fé, urplötzlich aufgetaucht aus dem Morgenland (also aus Amerika) und mit Villa am Genfer See, erzähltechnisch über lange Strecken gebraucht wird, um den drei Nichten und Neffen Fanny, Fabian und Felicitas die Urgründe der Geldtheorie beizubringen. Artig erscheinen die Kinder im "Vier Jahreszeiten", wo die alte Dame abzusteigen pflegt, um sich bei Tee und Konfekt ein ums andere Mal eine Lektion des Grundlehrgangs "Umgang mit Geld" abzuholen und dann auch noch ein paar Hausaufgaben mitzunehmen. Dass das Ganze etwas schulmeisterlich belehrend wirkt, wird man ihm nicht vorwerfen können; als solches ist es ja gerade gemeint. Dass aber die Addition der Geld-Lektionen (wir lernen unterwegs etwas über Schwarzmärkte, über Hochfrequenzhändler, über betrügerische Banker und vieles mehr) auf langen Strecken nur vor sich hin plätschert, schon.
Erst im letzten Teil gewinnt der Roman auch erzählerisch an Fahrt, wenn das Belehrende in den Hintergrund tritt und die abenteuerliche Geschichte der alten Tante entrollt wird: Der Besuch der alten Dame - das Vorbild Dürrenmatts ist gewiss beabsichtigt - lebt vom Gegensatz zweier Welten, der kleinbürgerlich biederen und der lustvoll verschwenderischen, und kostet ihn liebevoll aus. Da wird Enzensberger dann wieder ganz der fröhliche Fabulierer, der den alten Freund Franz Greno die Geschichte mit Fotos und Collagen aller Art inszenieren lässt und am Ende sogar die Tagebuchkritzeleien aus Tante Fés Vademecum im Faksimile dokumentiert.
Hans Magnus Enzensberger: "Immer das Geld!" Ein kleiner Wirtschaftsroman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 213 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2015Alles so schön bunt hier
Hans Magnus Enzensberger klimpert mit Motiven der Geldtheorie
Man muss dran glauben, dann kann es, ganz wörtlich, Berge versetzen. Seit 2008 haben auch die Gebildeten unter seinen Verächtern neu gelernt, über die Menschheitserfindung des Geldes zu staunen. Sie ist ebenso alt und ebenso folgenreich wie die Erfindung von Göttern, und möglicherweise dauerhafter. Woher kommt es?
Für alle, die in den letzten Jahren keine Zeit hatten, die aktuellen einschlägigen Wälzer von Joseph Vogl oder Christoph Türcke zu lesen, hat Hans Magnus Enzensberger einen reich bebilderten Dialog-Roman geschrieben, der sich an einem Abend weglesen lässt und einen mit allen wichtigen Stichwörtern versorgt. Ob man danach am Ende alles verstanden hat, was die steinalte, humorvoll glaubenslose Erb- und Großtante Fé ihren Nichten und Neffen aus mittelständischem Beamtenhaushalt erklärt, ist nicht ganz sicher. Aber man kann ja Hausaufgaben machen – das verlangt nicht nur der deutsche Finanzminister von den Griechen, sondern auch Tante Fé von ihren jungen Verwandten.
Sie erklärt, dass Geld nicht aus dem Automaten oder vom Arbeitgeber kommt, sondern das Resultat von Verabredungen ist, die nur durch millionenhafte Praxis Bestand haben, die ein abrupter Vertrauensverlust aber jeden Augenblick auch zusammenbrechen lassen kann; dass die Magie der Zahlen auf Marktsubjekte wirkt, die jeder Leidenschaft frönen, nur leider selten dem rationalen Kalkül. Mit spinetthafter Trockenheit klimpert Enzensberger die Leitmotive großer Theorien herunter, die eigentlich ein volles Orchester bräuchten, nämlich Definitionen und mathematische Formeln.
Das ist oft sehr lustig, etwa wenn die alte Tante Fé ihre jungen Verwandten zu einer Kunstauktion führt, bei der folgendes „Spitzenlos“ den Höchstpreis erzielt: „Das war ein überlebensgroßer Schäferhund aus rosarotem Plexiglas. Er hatte vergoldete Ohren, und in seinem offenen Maul trug er eine kleine Gipsmadonna.“ Ist das nun ein „Sachwert“ oder nur die passende Allegorie für die digitalen Fantastilliarden, die in der sogenannten „Finanzindustrie“ ebenso blenderisch erzeugt werden wie auf dem Kunstmarkt? Das müssen wohl Jeff-Koons-Bewunderer unter sich ausmachen.
Das Buch selbst spielt in seiner äußeren Gestalt mit dieser Ästhetik des Bunten: Es ist auf schwerem Papier gedruckt wie ein Geschäftsbericht und als farbiges Bilderbuch angelegt, das die Verlockungen (und recht selten auch die Drohungen) des Geldes illustriert: Luxus und Leuchtreklamen, Schweizer Villen und Bankpaläste, Arbeitslose und Aktienpapiere flirren über die Seiten: Alles so schön bunt hier. Sollte es also kein Zufall sein, dass die Welt des Kommunismus so grau, so einfarbig war?
Den Tonfall greisenkindlicher Glaubenslosigkeit, den Enzensberger hier einmal mehr anschlägt, mag man aufklärerisch nennen oder als Anpassung an seinen Gegenstand empfinden, dem nichts heilig ist. Der ernste Kern des leichten Buchs ist lebensphilosophisch: Man soll sich nicht verrückt machen lassen vom Geld, auch der Erbtante, die selbst kurz in eine Finanzklemme gerät, nicht hinterherschleimen, sie bemerkt es ja doch.
Viele schöne Spruchweisheiten sammelt der Band in seinen grün gedruckten Marginalien, eine davon von Chamfort: „Das Geld verachten, heißt einen König absetzen, es gewährt Genuss.“ Der Trost ist aber schal für den, der gar keinen König zum Absetzen hat. Alle Versuche, soziale Gerechtigkeit zu erreichen, seien vergebens gewesen, weiß Tante Fé, und schon die Namen sind ein Argument dafür: von Spartacus bis Pol Pot. Gut also, dass dieses Buch geradezu geschenkt billig ist, zumindest für Reiche.
GUSTAV SEIBT
Nein, das Geld kommt nicht vom
Automaten oder vom Arbeitgeber
Hans Magnus Enzensberger: Immer das Geld!
Ein kleiner Wirtschaftsroman. Inszeniert von
Franz Greno. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
213 Seiten, 22,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hans Magnus Enzensberger klimpert mit Motiven der Geldtheorie
Man muss dran glauben, dann kann es, ganz wörtlich, Berge versetzen. Seit 2008 haben auch die Gebildeten unter seinen Verächtern neu gelernt, über die Menschheitserfindung des Geldes zu staunen. Sie ist ebenso alt und ebenso folgenreich wie die Erfindung von Göttern, und möglicherweise dauerhafter. Woher kommt es?
Für alle, die in den letzten Jahren keine Zeit hatten, die aktuellen einschlägigen Wälzer von Joseph Vogl oder Christoph Türcke zu lesen, hat Hans Magnus Enzensberger einen reich bebilderten Dialog-Roman geschrieben, der sich an einem Abend weglesen lässt und einen mit allen wichtigen Stichwörtern versorgt. Ob man danach am Ende alles verstanden hat, was die steinalte, humorvoll glaubenslose Erb- und Großtante Fé ihren Nichten und Neffen aus mittelständischem Beamtenhaushalt erklärt, ist nicht ganz sicher. Aber man kann ja Hausaufgaben machen – das verlangt nicht nur der deutsche Finanzminister von den Griechen, sondern auch Tante Fé von ihren jungen Verwandten.
Sie erklärt, dass Geld nicht aus dem Automaten oder vom Arbeitgeber kommt, sondern das Resultat von Verabredungen ist, die nur durch millionenhafte Praxis Bestand haben, die ein abrupter Vertrauensverlust aber jeden Augenblick auch zusammenbrechen lassen kann; dass die Magie der Zahlen auf Marktsubjekte wirkt, die jeder Leidenschaft frönen, nur leider selten dem rationalen Kalkül. Mit spinetthafter Trockenheit klimpert Enzensberger die Leitmotive großer Theorien herunter, die eigentlich ein volles Orchester bräuchten, nämlich Definitionen und mathematische Formeln.
Das ist oft sehr lustig, etwa wenn die alte Tante Fé ihre jungen Verwandten zu einer Kunstauktion führt, bei der folgendes „Spitzenlos“ den Höchstpreis erzielt: „Das war ein überlebensgroßer Schäferhund aus rosarotem Plexiglas. Er hatte vergoldete Ohren, und in seinem offenen Maul trug er eine kleine Gipsmadonna.“ Ist das nun ein „Sachwert“ oder nur die passende Allegorie für die digitalen Fantastilliarden, die in der sogenannten „Finanzindustrie“ ebenso blenderisch erzeugt werden wie auf dem Kunstmarkt? Das müssen wohl Jeff-Koons-Bewunderer unter sich ausmachen.
Das Buch selbst spielt in seiner äußeren Gestalt mit dieser Ästhetik des Bunten: Es ist auf schwerem Papier gedruckt wie ein Geschäftsbericht und als farbiges Bilderbuch angelegt, das die Verlockungen (und recht selten auch die Drohungen) des Geldes illustriert: Luxus und Leuchtreklamen, Schweizer Villen und Bankpaläste, Arbeitslose und Aktienpapiere flirren über die Seiten: Alles so schön bunt hier. Sollte es also kein Zufall sein, dass die Welt des Kommunismus so grau, so einfarbig war?
Den Tonfall greisenkindlicher Glaubenslosigkeit, den Enzensberger hier einmal mehr anschlägt, mag man aufklärerisch nennen oder als Anpassung an seinen Gegenstand empfinden, dem nichts heilig ist. Der ernste Kern des leichten Buchs ist lebensphilosophisch: Man soll sich nicht verrückt machen lassen vom Geld, auch der Erbtante, die selbst kurz in eine Finanzklemme gerät, nicht hinterherschleimen, sie bemerkt es ja doch.
Viele schöne Spruchweisheiten sammelt der Band in seinen grün gedruckten Marginalien, eine davon von Chamfort: „Das Geld verachten, heißt einen König absetzen, es gewährt Genuss.“ Der Trost ist aber schal für den, der gar keinen König zum Absetzen hat. Alle Versuche, soziale Gerechtigkeit zu erreichen, seien vergebens gewesen, weiß Tante Fé, und schon die Namen sind ein Argument dafür: von Spartacus bis Pol Pot. Gut also, dass dieses Buch geradezu geschenkt billig ist, zumindest für Reiche.
GUSTAV SEIBT
Nein, das Geld kommt nicht vom
Automaten oder vom Arbeitgeber
Hans Magnus Enzensberger: Immer das Geld!
Ein kleiner Wirtschaftsroman. Inszeniert von
Franz Greno. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
213 Seiten, 22,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Falls Sie ... Smalltalk, die beiläufige Zersetzung von Gewissheiten und eine Didaktik zu schätzen wissen, die man früher Aufklärung nannte und heute keinen Namen mehr hat - greifen Sie zu.« Peter Praschl DIE WELT 20151010