Produktdetails
- Clay Vol.2
- Verlag: Knopf, N.Y. / Penguin Random House
- Seitenzahl: 192
- Englisch
- ISBN-13: 9780375712005
- ISBN-10: 0375712003
- Artikelnr.: 27318046
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2010Verhaltenslehrer der Kälte
Bret Easton Ellis, der nihilistischste Schriftsteller der Gegenwart, hat eine Fortsetzung seines berühmten Debüts „Unter Null“ geschrieben
Das Interessanteste am Werk des amerikanischen Schriftstellers Bret Easton Ellis sind eigentlich nie seine Bücher gewesen. Das Interessanteste ist immer gewesen, dass sie genau zwei vollkommen gegensätzliche Deutungen provozierten. Die einen feierten ihn als großen Moralisten, die anderen als großen Amoralisten.
Die Blaupause für die eine lieferte die Verfilmung seines 1985 erschienenen Debüts „Unter Null“, das in Los Angeles spielt und aufsehenerregend kühl von den exzessiv-nihilistischen Lebensentwürfen einiger junger Erwachsener aus besten Verhältnissen erzählte. Indem die Verfilmung aus dem Jahr 1987 manches entschärfte – der Protagonist und Erzähler Clay hat kein Drogenproblem mehr – und anderes ganz wegließ – etwa die Vergewaltigung einer 12-Jährigen am Ende des Buches – machte sie die Geschichte zu einem Beitrag für eine Antidrogen-Kampagne.
Clay und seine Freundin Blair versuchen – anders als im Buch – ernsthaft ihren schwer drogenabhängigen Freund, den dritten Protagonisten Julien, zu retten, scheitern jedoch, weil er schon zu tief verstrickt ist in die Sucht und ihre Folgen. Julien stirbt schließlich, nachdem ihn Clay und Blair in Palm Springs aus der Gewalt seines Dealers und Gläubigers Rip befreien konnten, auf der gemeinsamen Fahrt nach L.A.. Alles klar? Drugs don’t work.
Nicht ganz so schlicht, aber prinzipiell ähnlich verstanden später Kritiker wie Elke Heidenreich Ellis’ berühmtestes Buch, den albtraumhaften Bestseller „American Psycho“. Im Mittelpunkt dieses Buchs steht ein erfolgreicher und vollendet eleganter New Yorker Investmentbanker, der sich als sadistischer Massenmörder entpuppt. In Deutschland stand der Roman deshalb von 1995 bis 2001 sogar auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Heidenreich feierte das Buch damals als grandiose Zeit- und Kulturkritik: „Die Banalität des Schrecklichen, die wir verdrängen wollen, trifft uns und zwingt uns, das Unerträgliche wahrzunehmen: die Oberflächlichkeit, die Brutalität, mit der wir uns abfinden. In einer Medienwelt, die jedes Thema lächelnd in drei Minuten abhandelt – vom Holocaust über die Salatbar zum Krieg – ist dieses Buch ein Schuß ins Herz, Picassos Guernica vergleichbar.“
Das ist, wenn man so will, die systemkonforme Interpretation. Sie entspricht mehr oder weniger auch der offiziellen Intention des Autors. Ellis erklärt sich in Interviews gern als Satiriker, als einer, der auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam macht. Er hält der Welt den Spiegel vor. Seine Kälte, Amoralität, Grausamkeit ist unsere Kälte, Amoralität und Grausamkeit. Was er uns antut, das haben wir uns selbst angetan. Und wenn wir beim Lesen da noch einmal hindurch müssen beim Lesen, dann ist das nur gerecht.
Die andere, ungleich souveränere Deutung kümmert die moralische Pädagogik des Werks ausdrücklich kein bisschen. Ihre Vertreter bewundern das Werk nicht für das, was in den Büchern nicht stand. Sie lesen die Bücher ganz bewusst so, wie sie geschrieben sind, Wort für Wort und Satz für Satz, und sie teilen die Intuition, dass sich niemand mit dem Ausmalen des Vordergrunds so viel Mühe gäbe, wenn es ihm nur um einen eher eindimensionalen gesellschaftskritischen Hintersinn ginge.
Sie erkannten sich wieder, die Gegenwart, ihr Lebensgefühl, ihren Nihilismus, ihren Hedonismus, ihre Drogen, ihre Musik, ihren Sex und ihre Verzweiflung – und so lasen sie Bret Easton Ellis’ Bücher nicht als Kulturkritik, sondern als Verhaltenslehren der Kälte, als große, glänzende Verteidigungsprotokolle, deren groteske Gewaltexzesse nur für den Lärm gebraucht wurden, der eben nötig ist, um gehört zu werden. Sie liebten die Bücher nicht für das, was in ihnen im Grunde gar nicht stand, sondern für das, was sie nicht waren. Nicht weltfremd, nicht politisch korrekt, nicht ostentativ moralisch, nicht versöhnlich, nicht geschwätzig, nicht introspektiv, nicht sentimental, nicht albern verkünstelt, nicht weichgespült, nicht langweilig.
Heute erscheint nun die deutsche Ausgabe des siebten, in den USA im vergangenen Juni erschienenen Buchs. Es trägt den amerikanischen Originaltitel „Imperial Bedrooms“ und ist so etwas wie die Fortsetzung von „Unter Null“. Bret Easton Ellis ist mittlerweile 46 Jahre alt, sein Erzähler Clay 45. Der kehrt nun 25 Jahre nach „Unter Null“ als mehr oder weniger erfolgreicher Drehbuchautor und Filmproduzent aus New York nach Los Angeles zurück, um beim Darsteller-Casting für einen neuen Film dabei zu sein. Und im Grunde hat sich zu Hause nichts Wesentliches verändert.
Alle sind noch da, nur ist jeder auf seine Art inzwischen Teil der Filmindustrie. Rip, mittlerweile schwer gezeichnet von Eingriffen plastischer Chirurgen, ist ein noch ein bisschen skrupelloserer Dealer geworden, Julien kein Junkie mehr, aber immer noch haltlos getrieben, inzwischen Betreiber eines exklusiven und superdiskreten „Services“, der ambitionierte junge Schauspieler und Schauspielerinnen vermittelt, „die Geld brauchen, aber sicher sein wollen, dass es, falls sie je der neue Brad Pitt werden sollten, keine handfesten Beweise gibt“. Und Blair hat Trent geheiratet, genau den Trent, der am Ende von „Unter Null“ mit Clay in die Wohnung kommt, in der Rip die Gruppenvergewaltigung der 12-Jährigen organisiert hat – und der sich anders als Clay dafür entschied, mitzumachen. Trent ist mittlerweile Filmproduzent.
Wenn man den Interviews glaubt, die Ellis gegeben hat, dann gibt es dieses Buch aus einem einzigen Grund: Der Autor selbst, der seine Bücher nicht systematisch konzipiert, sondern in der Regel einfach anfängt zu schreiben, wollte wissen, wie es heute um seine alte Hauptfigur Clay und all das übrige alte Personal der Gegenwart steht. Ihn habe interessiert, so Ellis in einem Gespräch mit der amerikanische Zeitschrift Interview, wohin seine Figuren der radikale Narzissmus ihrer Generation wohl geführt habe.
Die Frage ist natürlich erlaubt, auch wenn sie vielleicht nur im Zusammenhang mit der zunehmenden Selbstreflexivität des Werks seit dem 2005 erschienenen Roman „Lunar Park“ wirklich einleuchtet. „Lunar Park“ beginnt als eine Art Autobiographie.
Die Antwort, die das Buch gibt, ist schon eher das Problem. Sie lautet: Ihr Narzissmus hat Clay und seine Freunde nirgendwohin geführt, wo sie nicht ohnehin schon immer waren. Nach Hollywood. Das aber scheint dann doch die naheliegendste und damit banalste Antwort, von der man sich gewünscht hätte, dass sie sich der Autor verkniffen hätte. „Imperial Bedrooms“ beginnt mit dem Satz: „Sie hatten einen Film über uns gemacht.“
Auf den protokollarischen, nüchtern reihenden Stil des Buchs, den Sabine Hedinger ordentlich, allerdings nicht allzu elegant ins Deutsche übertragen hat, fällt die Einfallslosigkeit leider zurück. Ellis’ Prosa vermag es zwar noch immer, einen ganz eigenen Lesesog zu erzeugen.
Weil jedoch die Fallhöhe nicht mehr stimmt, fühlt man sich eher wie in einer Sammlung von Notizen für einen Roman, der noch nicht lohnt, geschrieben zu werden: „Ich gehe in mein Arbeitszimmer, ohne das Licht einzuschalten. Ich rufe die E-Mails von allen Accounts ab: eine Erinnerung an das Dinner mit den Deutschen, die ein Drehbuch finanzieren, ein weiteres Regisseurstreffen, mein TV-Agent, der anfragt, ob ich den Sony-Pilotspot schon fertig habe, ein paar junge Schauspieler, die wissen wollen, was mit The Listeners passiert, eine Reihe von Einladungen zu verschiedenen Weihnachtspartys, mein Fitnesstrainer bei Equinox, der von einem anderen Klienten gehört hat, dass ich wieder da bin, und wissen will, ob ich Termine buchen will. Ich nehme ein Ambien, um einzuschlafen, denn es ist nicht genug Wodka da.“ Ein Treffen mit deutschen Finanziers! Der Abgrund, an den Ellis Clay
in diesem Buch gestellt hat, ist mit einem schönen Geländer aus Stahl solide
gesichert.
Der von Chandler-Lektüre inspirierte Krimi-Plot und die zentrale Liebesgeschichte des Buchs wirken entsprechend lustlos durchgeführt. Der ständig von mysteriösen Verfolgern beobachtete Clay verliebt sich unglücklich in die beeindruckend schöne, aber untalentierte Schauspielerin Rain. Dem obligatorischen Gewaltexzess am Ende, wohnt er nicht mehr persönlich bei wie noch in „Unter Null“, sondern nur noch am Computer. Die ausgestellte Amoralität wirkt sehr pflichtschuldig.
Die amerikanische Kritik hat das dem einstigen literarischen Wunderkind natürlich nicht durchgehen lassen. Die New York Times etwa fragte angesichts der letzten Zeile des Buchs „Ich habe nie jemanden gemocht und ich habe Angst vor allen“: „Wussten wir das nicht schon längst?“ Und der Boston Globe schrieb: „Ellis wollte einen Noir-Roman schreiben, sich auf dem Gelände von James Ellroy und Raymond Chandler bewegen, hat aber leider nur eine Folge der Serie Melrose Place zustande gebracht, die zensiert werden würde.“
Das bedeutet: Es wird wohl nicht allzu viel übrig bleiben von diesen Roman. Schon gar keine neuen Deutungsräume für das Gesamtwerk des Schriftstellers Bret Easton Ellis. Aber es bedeutet eben auch: Sie werden ganz bestimmt einen Film aus „Imperial Bedrooms“ machen. Es heißt, Ellis bemühe sich schon darum, die alte Besetzung um Robert Downey jr. wieder zusammenzutrommeln.
JENS-CHRISTIAN RABE
BRET EASTON ELLIS: Imperial Bedrooms. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Hedinger. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 215 Seiten, 18,95
Euro.
Die anderen liebten die
Bücher für das, was sie
alles nicht waren
Wohin führt der
Narzissmus? Wieder nur bis
nach Hollywood.
Bret Easton Ellis Foto: Frederic Reglain/Gamma/Gamma
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Bret Easton Ellis, der nihilistischste Schriftsteller der Gegenwart, hat eine Fortsetzung seines berühmten Debüts „Unter Null“ geschrieben
Das Interessanteste am Werk des amerikanischen Schriftstellers Bret Easton Ellis sind eigentlich nie seine Bücher gewesen. Das Interessanteste ist immer gewesen, dass sie genau zwei vollkommen gegensätzliche Deutungen provozierten. Die einen feierten ihn als großen Moralisten, die anderen als großen Amoralisten.
Die Blaupause für die eine lieferte die Verfilmung seines 1985 erschienenen Debüts „Unter Null“, das in Los Angeles spielt und aufsehenerregend kühl von den exzessiv-nihilistischen Lebensentwürfen einiger junger Erwachsener aus besten Verhältnissen erzählte. Indem die Verfilmung aus dem Jahr 1987 manches entschärfte – der Protagonist und Erzähler Clay hat kein Drogenproblem mehr – und anderes ganz wegließ – etwa die Vergewaltigung einer 12-Jährigen am Ende des Buches – machte sie die Geschichte zu einem Beitrag für eine Antidrogen-Kampagne.
Clay und seine Freundin Blair versuchen – anders als im Buch – ernsthaft ihren schwer drogenabhängigen Freund, den dritten Protagonisten Julien, zu retten, scheitern jedoch, weil er schon zu tief verstrickt ist in die Sucht und ihre Folgen. Julien stirbt schließlich, nachdem ihn Clay und Blair in Palm Springs aus der Gewalt seines Dealers und Gläubigers Rip befreien konnten, auf der gemeinsamen Fahrt nach L.A.. Alles klar? Drugs don’t work.
Nicht ganz so schlicht, aber prinzipiell ähnlich verstanden später Kritiker wie Elke Heidenreich Ellis’ berühmtestes Buch, den albtraumhaften Bestseller „American Psycho“. Im Mittelpunkt dieses Buchs steht ein erfolgreicher und vollendet eleganter New Yorker Investmentbanker, der sich als sadistischer Massenmörder entpuppt. In Deutschland stand der Roman deshalb von 1995 bis 2001 sogar auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Heidenreich feierte das Buch damals als grandiose Zeit- und Kulturkritik: „Die Banalität des Schrecklichen, die wir verdrängen wollen, trifft uns und zwingt uns, das Unerträgliche wahrzunehmen: die Oberflächlichkeit, die Brutalität, mit der wir uns abfinden. In einer Medienwelt, die jedes Thema lächelnd in drei Minuten abhandelt – vom Holocaust über die Salatbar zum Krieg – ist dieses Buch ein Schuß ins Herz, Picassos Guernica vergleichbar.“
Das ist, wenn man so will, die systemkonforme Interpretation. Sie entspricht mehr oder weniger auch der offiziellen Intention des Autors. Ellis erklärt sich in Interviews gern als Satiriker, als einer, der auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam macht. Er hält der Welt den Spiegel vor. Seine Kälte, Amoralität, Grausamkeit ist unsere Kälte, Amoralität und Grausamkeit. Was er uns antut, das haben wir uns selbst angetan. Und wenn wir beim Lesen da noch einmal hindurch müssen beim Lesen, dann ist das nur gerecht.
Die andere, ungleich souveränere Deutung kümmert die moralische Pädagogik des Werks ausdrücklich kein bisschen. Ihre Vertreter bewundern das Werk nicht für das, was in den Büchern nicht stand. Sie lesen die Bücher ganz bewusst so, wie sie geschrieben sind, Wort für Wort und Satz für Satz, und sie teilen die Intuition, dass sich niemand mit dem Ausmalen des Vordergrunds so viel Mühe gäbe, wenn es ihm nur um einen eher eindimensionalen gesellschaftskritischen Hintersinn ginge.
Sie erkannten sich wieder, die Gegenwart, ihr Lebensgefühl, ihren Nihilismus, ihren Hedonismus, ihre Drogen, ihre Musik, ihren Sex und ihre Verzweiflung – und so lasen sie Bret Easton Ellis’ Bücher nicht als Kulturkritik, sondern als Verhaltenslehren der Kälte, als große, glänzende Verteidigungsprotokolle, deren groteske Gewaltexzesse nur für den Lärm gebraucht wurden, der eben nötig ist, um gehört zu werden. Sie liebten die Bücher nicht für das, was in ihnen im Grunde gar nicht stand, sondern für das, was sie nicht waren. Nicht weltfremd, nicht politisch korrekt, nicht ostentativ moralisch, nicht versöhnlich, nicht geschwätzig, nicht introspektiv, nicht sentimental, nicht albern verkünstelt, nicht weichgespült, nicht langweilig.
Heute erscheint nun die deutsche Ausgabe des siebten, in den USA im vergangenen Juni erschienenen Buchs. Es trägt den amerikanischen Originaltitel „Imperial Bedrooms“ und ist so etwas wie die Fortsetzung von „Unter Null“. Bret Easton Ellis ist mittlerweile 46 Jahre alt, sein Erzähler Clay 45. Der kehrt nun 25 Jahre nach „Unter Null“ als mehr oder weniger erfolgreicher Drehbuchautor und Filmproduzent aus New York nach Los Angeles zurück, um beim Darsteller-Casting für einen neuen Film dabei zu sein. Und im Grunde hat sich zu Hause nichts Wesentliches verändert.
Alle sind noch da, nur ist jeder auf seine Art inzwischen Teil der Filmindustrie. Rip, mittlerweile schwer gezeichnet von Eingriffen plastischer Chirurgen, ist ein noch ein bisschen skrupelloserer Dealer geworden, Julien kein Junkie mehr, aber immer noch haltlos getrieben, inzwischen Betreiber eines exklusiven und superdiskreten „Services“, der ambitionierte junge Schauspieler und Schauspielerinnen vermittelt, „die Geld brauchen, aber sicher sein wollen, dass es, falls sie je der neue Brad Pitt werden sollten, keine handfesten Beweise gibt“. Und Blair hat Trent geheiratet, genau den Trent, der am Ende von „Unter Null“ mit Clay in die Wohnung kommt, in der Rip die Gruppenvergewaltigung der 12-Jährigen organisiert hat – und der sich anders als Clay dafür entschied, mitzumachen. Trent ist mittlerweile Filmproduzent.
Wenn man den Interviews glaubt, die Ellis gegeben hat, dann gibt es dieses Buch aus einem einzigen Grund: Der Autor selbst, der seine Bücher nicht systematisch konzipiert, sondern in der Regel einfach anfängt zu schreiben, wollte wissen, wie es heute um seine alte Hauptfigur Clay und all das übrige alte Personal der Gegenwart steht. Ihn habe interessiert, so Ellis in einem Gespräch mit der amerikanische Zeitschrift Interview, wohin seine Figuren der radikale Narzissmus ihrer Generation wohl geführt habe.
Die Frage ist natürlich erlaubt, auch wenn sie vielleicht nur im Zusammenhang mit der zunehmenden Selbstreflexivität des Werks seit dem 2005 erschienenen Roman „Lunar Park“ wirklich einleuchtet. „Lunar Park“ beginnt als eine Art Autobiographie.
Die Antwort, die das Buch gibt, ist schon eher das Problem. Sie lautet: Ihr Narzissmus hat Clay und seine Freunde nirgendwohin geführt, wo sie nicht ohnehin schon immer waren. Nach Hollywood. Das aber scheint dann doch die naheliegendste und damit banalste Antwort, von der man sich gewünscht hätte, dass sie sich der Autor verkniffen hätte. „Imperial Bedrooms“ beginnt mit dem Satz: „Sie hatten einen Film über uns gemacht.“
Auf den protokollarischen, nüchtern reihenden Stil des Buchs, den Sabine Hedinger ordentlich, allerdings nicht allzu elegant ins Deutsche übertragen hat, fällt die Einfallslosigkeit leider zurück. Ellis’ Prosa vermag es zwar noch immer, einen ganz eigenen Lesesog zu erzeugen.
Weil jedoch die Fallhöhe nicht mehr stimmt, fühlt man sich eher wie in einer Sammlung von Notizen für einen Roman, der noch nicht lohnt, geschrieben zu werden: „Ich gehe in mein Arbeitszimmer, ohne das Licht einzuschalten. Ich rufe die E-Mails von allen Accounts ab: eine Erinnerung an das Dinner mit den Deutschen, die ein Drehbuch finanzieren, ein weiteres Regisseurstreffen, mein TV-Agent, der anfragt, ob ich den Sony-Pilotspot schon fertig habe, ein paar junge Schauspieler, die wissen wollen, was mit The Listeners passiert, eine Reihe von Einladungen zu verschiedenen Weihnachtspartys, mein Fitnesstrainer bei Equinox, der von einem anderen Klienten gehört hat, dass ich wieder da bin, und wissen will, ob ich Termine buchen will. Ich nehme ein Ambien, um einzuschlafen, denn es ist nicht genug Wodka da.“ Ein Treffen mit deutschen Finanziers! Der Abgrund, an den Ellis Clay
in diesem Buch gestellt hat, ist mit einem schönen Geländer aus Stahl solide
gesichert.
Der von Chandler-Lektüre inspirierte Krimi-Plot und die zentrale Liebesgeschichte des Buchs wirken entsprechend lustlos durchgeführt. Der ständig von mysteriösen Verfolgern beobachtete Clay verliebt sich unglücklich in die beeindruckend schöne, aber untalentierte Schauspielerin Rain. Dem obligatorischen Gewaltexzess am Ende, wohnt er nicht mehr persönlich bei wie noch in „Unter Null“, sondern nur noch am Computer. Die ausgestellte Amoralität wirkt sehr pflichtschuldig.
Die amerikanische Kritik hat das dem einstigen literarischen Wunderkind natürlich nicht durchgehen lassen. Die New York Times etwa fragte angesichts der letzten Zeile des Buchs „Ich habe nie jemanden gemocht und ich habe Angst vor allen“: „Wussten wir das nicht schon längst?“ Und der Boston Globe schrieb: „Ellis wollte einen Noir-Roman schreiben, sich auf dem Gelände von James Ellroy und Raymond Chandler bewegen, hat aber leider nur eine Folge der Serie Melrose Place zustande gebracht, die zensiert werden würde.“
Das bedeutet: Es wird wohl nicht allzu viel übrig bleiben von diesen Roman. Schon gar keine neuen Deutungsräume für das Gesamtwerk des Schriftstellers Bret Easton Ellis. Aber es bedeutet eben auch: Sie werden ganz bestimmt einen Film aus „Imperial Bedrooms“ machen. Es heißt, Ellis bemühe sich schon darum, die alte Besetzung um Robert Downey jr. wieder zusammenzutrommeln.
JENS-CHRISTIAN RABE
BRET EASTON ELLIS: Imperial Bedrooms. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Hedinger. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 215 Seiten, 18,95
Euro.
Die anderen liebten die
Bücher für das, was sie
alles nicht waren
Wohin führt der
Narzissmus? Wieder nur bis
nach Hollywood.
Bret Easton Ellis Foto: Frederic Reglain/Gamma/Gamma
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Hier haucht der Zeitgeist sein Leben aus
Bret Easton Ellis lädt erneut zum Horrortrip durch Kalifornien. Doch das Gift der frühen Jahre, von "Unter Null" und "American Psycho", wirkt nicht mehr.
Von Rose-Maria Gropp
Es ist wieder zur Weihnachtszeit, als der mittelmäßig erfolgreiche Drehbuchautor Clay in seinen mittleren Jahren nach Los Angeles fährt, zur Unterstützung für seinen aktuellen Film und um dem Vorsprechen für seinen nächsten beizuwohnen. Bret Easton Ellis scheint Weihnachten zu mögen, wie er überhaupt die Wiederholung als Stilmittel schätzt; denn es war auch Weihnachten, als derselbe Clay schon einmal aus New York in seine Heimatstadt zurückkam, vor einem Vierteljahrhundert, um dort seine Freunde zu treffen.
Wofür hat Bret Easton Ellis nicht alles gestanden, seit er 1985 in die Literatur eintrat! Mit "Unter Null" lieferte er einen Erstling ab, eigentlich keinen Roman, sondern eine szenische Folge über die Frühvollendung der Verkommenheit junger Leute in Amerika, die Kinder wohlhabender Eltern, denen auch schon nichts mehr einfiel in Sachen Sinn des Lebens. Das Buch war atemraubend, im Wortsinn, die perfekte Synthese von Form und Inhalt, Hohlheit pur, beschrieben auf unerbittlichem Messers Schneide. Ellis, damals einundzwanzig Jahre alt, schien zum Star geboren. Er legte 1991 nach mit "American Psycho", der Geschichte über den bis dato kältestliterarisierten Serientöter aller Zeiten, den an der Wall Street tätigen Patrick Bateman. Jetzt wurde einem schwarz vor Augen beim Lesen, und Ellis avancierte zum kultischen Autor. Er begründete das viehische Treiben seines Protagonisten gar nicht erst, seine Transgression kam nicht von Gnaden eines Marquis de Sade oder Georges Bataille, Philosophie oder Analyse spielten keine Rolle. Das alte Abendland existierte nicht, nur noch die reine Oberfläche, die Grundhaltung der bodenlosen dauerdrogierten Langeweile als Spiegel der Neuen Welt. Der Grand Ennui einer vorletzten Jahrhundertwende hatte seinen Meister aus Amerika gefunden.
Jetzt gibt es also mit "Imperial Bedrooms" eine Fortsetzung zu "Less Than Zero", ein klassisches sequel. Irgendwie hatte man gedacht, dass in "American Psycho" das Schicksal der Sippschaft von damals aufgehoben wäre, quasi komprimiert in der größten anzunehmenden Übertretung. Aber alle aus "Unter Null" sind noch, in unterschiedlichen Aggregatzuständen, am Leben, wenigstens zunächst. Dennoch muss niemand das erste Buch gelesen haben, es ginge durchaus auch so. Denn Ellis macht eben wieder, was er gern macht: Er liefert eine Vorgeschichte, in der es vor Selbstreferenz nur so kracht - "Sie hatten einen Film über uns gemacht" lautet der erste Satz im Buch, über das Personal in "Unter Null" nämlich -, und eröffnet erneut sein altes Lieblingsverwirrspiel zwischen Autor und Icherzähler. Wenn nichts mehr geht, geht immer noch das elegante Schizo, jedenfalls wenn einer so schreiben kann wie Bret Easton Ellis. Dennoch ist es leider wahr: Wer sie bis jetzt nicht gekannt hat - sie heißen eben Clay oder Trent und Blair, Julian oder Rip -, muss sie, so hart ist das zu sagen, nicht kennenlernen. Sie sind es nicht wert. Gar nicht, weil mediokre, ausgelaugte und frustrierte, obsessive oder bis zur Unkenntlichkeit gesichtsoperierte Einwohner von Los Angeles nicht dankbare Sujets abgeben könnten, inszeniert im Dunstkreis von Filmagenten, Ex-Dealern, ambitionierten Mädchen und anderen brutalen und brutalisierten Existenzen.
Sondern weil Ellis es nicht schafft, sie noch einmal interessant werden zu lassen. Diese Leute in Kalifornien, inzwischen in der Mitte ihrer Vierziger, langweilen nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser. Dass zwischen ihnen, als Neuzugang, jetzt eine windige junge Frau herumläuft, die sich Rain Turner nennt und den ohnehin abgedrehten Clay völlig verrückt macht, rettet fast nichts. Rain Turner will unbedingt eine Schauspielerin sein und eine Rolle haben in Clays nächstem Film, weshalb sie sich beischlafwillig geriert. So gerät sie zum Bravourstück von Ellis' notorischer Misogynie, die definitiv von der intelligenten Sottise, die sie einst streckenweise sein konnte, in den Sarkasmus des Hysterikers mit Erektionsproblemen abrutscht: "Sie ist eben bloß eines der Mädchen, die sich mit ihrem Aussehen - ihrer Währung in dieser Welt - durchschlagen, und es wird nicht schön sein, ihr beim Altwerden zuzusehen." Zweifellos wird es das nicht sein. Aber vorerst sieht man dem Autor, dem wirklichen und dem fiktiven, beim Altwerden zu, und das ist auch nicht schön.
Das Schlüsselwort des Romans, in dem sich wie in einem Brennglas alle Handlungen bis hin zu üblen letalen Konsequenzen bündeln, heißt Angst. Angst wird zum Leitmotiv - und steht doch nur synonym für die Paranoia eines narzisstischen Charakters minderen Ranges, dessen Bösartigkeit freilich nicht zu unterschätzen ist. Einmal fragt Rain Clay: "Was ist das Schlimmste, das dir je passiert ist? . . ., und es klingt wie ein Echo. Ich weiß, was es ist, aber ich tue so, als wüsste ich es nicht." Hat Clay doch, so erfährt man später, die Antwort selbst schon früher in das Drehbuch eines Films mit dem sprechenden Titel "Concealed" geschrieben: "Bedingungslose Liebe" lautet sie, und das wäre jetzt wirklich nicht nötig gewesen.
Einfach nichts kann Spannung entfachen, auch nicht dass Clay von seiner Ankunft in L.A. an von dicken Autos verfolgt und beobachtet wird; nicht dass sein Appartement, in dem einst ein schöner junger Mann starb, ihm diesen als halluzinierten Todesengel beschert; endlich nicht dass hinter Clay, wie stets in Ellis' Romanen, das Alter ego des Verfassers mitgelesen werden soll. Alles geschenkt, und gänzlich für die Galerie ist gegen Schluss die gewalttätige Perversion, die von Clay - dahingestellt, ob wirklich oder phantasmatisch - an einem Mädchen und einem Jungen exerziert wird. Mag sein, dass Ellis damit den Anschluss an "American Psycho" finden will, aber das Gift der frühen Jahre wirkt nicht mehr, erreichen wird er damit bestenfalls einen Platz auf dem Index.
Wieder liefert der Rocksänger Elvis Costello die Begleitmusik zum Buch. "Less Than Zero" heißt ein frühes Lied von Costello, "Imperial Bedroom" ist der Titel seines zweiten Albums von 1982. Diesem hat jetzt Ellis sein erstes Motto entnommen, das - "History repeats the old conceits . . ." - etwas verkürzt darauf hinausläuft, dass sich sowieso alles wiederholt. Elvis Costello fällt ja auch nichts Neues mehr ein. Das zweite Motto stammt von Raymond Chandler: "Keine Falle ist so tödlich wie die, die man sich selber stellt." Als akuter Defätismus entbehrt diese vorangestellte Erkenntnis aus "Der lange Abschied" nicht der Komik - als verüberflüssige sich damit die Lektüre vorauseilend selbst. In den verlotterten "Kaiserlichen Schlafzimmern" haucht der Zeitgeist - ein Begriff, der auch seit bald einem Jahrzehnt moribund ist - sein Leben aus. Und er tut es in einer Banalität, für die Sigmund Freuds unerhörter Todestrieb verschleudert ist, der in Ellis' monströser Vanitas-Feier "Glamorama" von 1999 noch am Werk war als die Macht, die das Leben zum Exitus hinschafft.
Es ist das Verhängnis von Bret Easton Ellis, dass er für dieses Buch, das eine gloriose Revision genau eine Generation nach seinem Debüt hätte werden können, geradezu sklavisch an einem erschlafften Egotrip hängengeblieben ist, der seine Imagination und seinen unzweifelhaften Raubtierinstinkt niederhält. Gänzlich zerstört ist er noch nicht: Selbst nach dem missglückten Stück Prosa, das auf gerade mal zweihundert Seiten großzügig verteilt ist, nistet dieser seltsame Autor, der wie eine ungeheuerlich registrierende Maschine schreiben konnte, noch im Gehirn. Der Abschied von einem wie Bret Easton Ellis fällt schwer. Vielleicht ist er ja nicht unwiederbringlich.
Bret Easton Ellis: "Imperial Bedrooms". Roman. Aus dem Amerikanischen von Sabine Hedinger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 214 S., geb. 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bret Easton Ellis lädt erneut zum Horrortrip durch Kalifornien. Doch das Gift der frühen Jahre, von "Unter Null" und "American Psycho", wirkt nicht mehr.
Von Rose-Maria Gropp
Es ist wieder zur Weihnachtszeit, als der mittelmäßig erfolgreiche Drehbuchautor Clay in seinen mittleren Jahren nach Los Angeles fährt, zur Unterstützung für seinen aktuellen Film und um dem Vorsprechen für seinen nächsten beizuwohnen. Bret Easton Ellis scheint Weihnachten zu mögen, wie er überhaupt die Wiederholung als Stilmittel schätzt; denn es war auch Weihnachten, als derselbe Clay schon einmal aus New York in seine Heimatstadt zurückkam, vor einem Vierteljahrhundert, um dort seine Freunde zu treffen.
Wofür hat Bret Easton Ellis nicht alles gestanden, seit er 1985 in die Literatur eintrat! Mit "Unter Null" lieferte er einen Erstling ab, eigentlich keinen Roman, sondern eine szenische Folge über die Frühvollendung der Verkommenheit junger Leute in Amerika, die Kinder wohlhabender Eltern, denen auch schon nichts mehr einfiel in Sachen Sinn des Lebens. Das Buch war atemraubend, im Wortsinn, die perfekte Synthese von Form und Inhalt, Hohlheit pur, beschrieben auf unerbittlichem Messers Schneide. Ellis, damals einundzwanzig Jahre alt, schien zum Star geboren. Er legte 1991 nach mit "American Psycho", der Geschichte über den bis dato kältestliterarisierten Serientöter aller Zeiten, den an der Wall Street tätigen Patrick Bateman. Jetzt wurde einem schwarz vor Augen beim Lesen, und Ellis avancierte zum kultischen Autor. Er begründete das viehische Treiben seines Protagonisten gar nicht erst, seine Transgression kam nicht von Gnaden eines Marquis de Sade oder Georges Bataille, Philosophie oder Analyse spielten keine Rolle. Das alte Abendland existierte nicht, nur noch die reine Oberfläche, die Grundhaltung der bodenlosen dauerdrogierten Langeweile als Spiegel der Neuen Welt. Der Grand Ennui einer vorletzten Jahrhundertwende hatte seinen Meister aus Amerika gefunden.
Jetzt gibt es also mit "Imperial Bedrooms" eine Fortsetzung zu "Less Than Zero", ein klassisches sequel. Irgendwie hatte man gedacht, dass in "American Psycho" das Schicksal der Sippschaft von damals aufgehoben wäre, quasi komprimiert in der größten anzunehmenden Übertretung. Aber alle aus "Unter Null" sind noch, in unterschiedlichen Aggregatzuständen, am Leben, wenigstens zunächst. Dennoch muss niemand das erste Buch gelesen haben, es ginge durchaus auch so. Denn Ellis macht eben wieder, was er gern macht: Er liefert eine Vorgeschichte, in der es vor Selbstreferenz nur so kracht - "Sie hatten einen Film über uns gemacht" lautet der erste Satz im Buch, über das Personal in "Unter Null" nämlich -, und eröffnet erneut sein altes Lieblingsverwirrspiel zwischen Autor und Icherzähler. Wenn nichts mehr geht, geht immer noch das elegante Schizo, jedenfalls wenn einer so schreiben kann wie Bret Easton Ellis. Dennoch ist es leider wahr: Wer sie bis jetzt nicht gekannt hat - sie heißen eben Clay oder Trent und Blair, Julian oder Rip -, muss sie, so hart ist das zu sagen, nicht kennenlernen. Sie sind es nicht wert. Gar nicht, weil mediokre, ausgelaugte und frustrierte, obsessive oder bis zur Unkenntlichkeit gesichtsoperierte Einwohner von Los Angeles nicht dankbare Sujets abgeben könnten, inszeniert im Dunstkreis von Filmagenten, Ex-Dealern, ambitionierten Mädchen und anderen brutalen und brutalisierten Existenzen.
Sondern weil Ellis es nicht schafft, sie noch einmal interessant werden zu lassen. Diese Leute in Kalifornien, inzwischen in der Mitte ihrer Vierziger, langweilen nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser. Dass zwischen ihnen, als Neuzugang, jetzt eine windige junge Frau herumläuft, die sich Rain Turner nennt und den ohnehin abgedrehten Clay völlig verrückt macht, rettet fast nichts. Rain Turner will unbedingt eine Schauspielerin sein und eine Rolle haben in Clays nächstem Film, weshalb sie sich beischlafwillig geriert. So gerät sie zum Bravourstück von Ellis' notorischer Misogynie, die definitiv von der intelligenten Sottise, die sie einst streckenweise sein konnte, in den Sarkasmus des Hysterikers mit Erektionsproblemen abrutscht: "Sie ist eben bloß eines der Mädchen, die sich mit ihrem Aussehen - ihrer Währung in dieser Welt - durchschlagen, und es wird nicht schön sein, ihr beim Altwerden zuzusehen." Zweifellos wird es das nicht sein. Aber vorerst sieht man dem Autor, dem wirklichen und dem fiktiven, beim Altwerden zu, und das ist auch nicht schön.
Das Schlüsselwort des Romans, in dem sich wie in einem Brennglas alle Handlungen bis hin zu üblen letalen Konsequenzen bündeln, heißt Angst. Angst wird zum Leitmotiv - und steht doch nur synonym für die Paranoia eines narzisstischen Charakters minderen Ranges, dessen Bösartigkeit freilich nicht zu unterschätzen ist. Einmal fragt Rain Clay: "Was ist das Schlimmste, das dir je passiert ist? . . ., und es klingt wie ein Echo. Ich weiß, was es ist, aber ich tue so, als wüsste ich es nicht." Hat Clay doch, so erfährt man später, die Antwort selbst schon früher in das Drehbuch eines Films mit dem sprechenden Titel "Concealed" geschrieben: "Bedingungslose Liebe" lautet sie, und das wäre jetzt wirklich nicht nötig gewesen.
Einfach nichts kann Spannung entfachen, auch nicht dass Clay von seiner Ankunft in L.A. an von dicken Autos verfolgt und beobachtet wird; nicht dass sein Appartement, in dem einst ein schöner junger Mann starb, ihm diesen als halluzinierten Todesengel beschert; endlich nicht dass hinter Clay, wie stets in Ellis' Romanen, das Alter ego des Verfassers mitgelesen werden soll. Alles geschenkt, und gänzlich für die Galerie ist gegen Schluss die gewalttätige Perversion, die von Clay - dahingestellt, ob wirklich oder phantasmatisch - an einem Mädchen und einem Jungen exerziert wird. Mag sein, dass Ellis damit den Anschluss an "American Psycho" finden will, aber das Gift der frühen Jahre wirkt nicht mehr, erreichen wird er damit bestenfalls einen Platz auf dem Index.
Wieder liefert der Rocksänger Elvis Costello die Begleitmusik zum Buch. "Less Than Zero" heißt ein frühes Lied von Costello, "Imperial Bedroom" ist der Titel seines zweiten Albums von 1982. Diesem hat jetzt Ellis sein erstes Motto entnommen, das - "History repeats the old conceits . . ." - etwas verkürzt darauf hinausläuft, dass sich sowieso alles wiederholt. Elvis Costello fällt ja auch nichts Neues mehr ein. Das zweite Motto stammt von Raymond Chandler: "Keine Falle ist so tödlich wie die, die man sich selber stellt." Als akuter Defätismus entbehrt diese vorangestellte Erkenntnis aus "Der lange Abschied" nicht der Komik - als verüberflüssige sich damit die Lektüre vorauseilend selbst. In den verlotterten "Kaiserlichen Schlafzimmern" haucht der Zeitgeist - ein Begriff, der auch seit bald einem Jahrzehnt moribund ist - sein Leben aus. Und er tut es in einer Banalität, für die Sigmund Freuds unerhörter Todestrieb verschleudert ist, der in Ellis' monströser Vanitas-Feier "Glamorama" von 1999 noch am Werk war als die Macht, die das Leben zum Exitus hinschafft.
Es ist das Verhängnis von Bret Easton Ellis, dass er für dieses Buch, das eine gloriose Revision genau eine Generation nach seinem Debüt hätte werden können, geradezu sklavisch an einem erschlafften Egotrip hängengeblieben ist, der seine Imagination und seinen unzweifelhaften Raubtierinstinkt niederhält. Gänzlich zerstört ist er noch nicht: Selbst nach dem missglückten Stück Prosa, das auf gerade mal zweihundert Seiten großzügig verteilt ist, nistet dieser seltsame Autor, der wie eine ungeheuerlich registrierende Maschine schreiben konnte, noch im Gehirn. Der Abschied von einem wie Bret Easton Ellis fällt schwer. Vielleicht ist er ja nicht unwiederbringlich.
Bret Easton Ellis: "Imperial Bedrooms". Roman. Aus dem Amerikanischen von Sabine Hedinger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 214 S., geb. 18,95 [Euro].
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