Der Briefwechsel zwischen Bettine von Arnim und ihren Söhnen zeugt von Beziehungen, die weit über das verwandtschaftliche Verhältnis hinausgehen und die Ebenbürtigkeit der Briefpartner widerspiegeln.Bettine von Arnim (1785-1859), die vor allem durch ihr Buch »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« bekannt geworden ist, war eine empfindsame und leidenschaftliche Dichterin der Romantik. In ihrem politischen Wirken trat sie vor allem für die geistige und politische Emanzipation der Frau ein. Mit ihren Söhnen Freimund, Friedmund und Siegmund hat Bettine von Arnim über viele Jahre hinweg intensiv korrespondiert. Die Briefe geben Aufschluß über die privaten Lebensumstände und enthalten wertvolle Informationen über ihr literarisches Werk und ihre politischen Aktivitäten. Diese kultur- und sozialgeschichtlich interessanten Zeugnisse waren bislang fast ausnahmslos unbekannt; sie werden hier erstmals in einer sorgfältig kommentierten Ausgabe zugänglich gemacht. Der nun erscheinende zweite Band enthält Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem zweiten Sohn Friedmund (1815-1883). Die Edition schließt eine wesentliche Lücke in der Bettine-von-Arnim-Forschung und hat, wie schon der erste Band, der den Briefwechsel mit ihrem ältesten Sohn Freimund (1812-1863) enthielt, Relevanz für das gesamte zeitliche Umfeld von Romantik und Vormärz.Der Briefwechsel mit Friedmund dokumentiert in eindrucksvoller Vielschichtigkeit einen Dialog, in dem Mutter und Sohn sich über die enge und herzliche Beziehung hinaus über die Jahre als ebenbürtige, konfliktfähige und differenziert argumentierende politische Gesprächspartner zeigen. Kaum ein Brief wird zwischen den Korrespondenten gewechselt, der nicht in irgendeiner Form auf tagespolitische Ereignisse anspielt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2001Spickgänse für die Heilige
Der Briefwechsel zwischen Friedmund und Bettine von Arnim
Freimund, Siegmund, Friedmund und Kühnemund hießen die Söhne Achims und Bettines von Arnim, die zwischen 1812 und 1817, im zeitlichen Umkreis der Befreiungskriege, in rascher Folge das Licht der Welt erblickten. Freie, kühne, friedfertige, sieghafte Männer wünschte Achim von Arnim seinem von Napoleon gebeutelten Volk. Die Namen waren Programm, anders als bei den Töchtern Maxe, Armgart und Gisela, die sich von 1818 bis 1827 einstellten.
Friedmund von Arnim (1815-1883) sprach frei und kühn wie seine Brüder. Nur mit Sieg und Frieden wollte es nicht so recht klappen. Im Kampf gegen das humanistische Gymnasium unterlag er schmählich. Gegen den Willen ihres Mannes setzte Bettine schließlich durch, daß Friedmund auf die Gewerbeschule wechseln durfte. Der Vater hätte ihn gern zum Romantiker gemacht.
Paradoxerweise entwickelt sich der etwas hölzern-eckige dritte Sohn dann doch noch zum Schriftsteller. Er sammelt Märchen wie die Brüder Grimm, er schreibt sozialrebellische Bücher wie seine Mutter, er verfaßt homöopathische Broschüren wie Christian Friedrich Samuel Hahnemann. Leider ist alles epigonal und ein wenig dilettantisch, wird aber mit trotziger Überzeugtheit vorgebracht. Friedmunds Schriften haben hochtrabende Titel wie "Die Weltordnung", "Die Lehre der Liebe" oder "Revolutions-Gedanken . . ., verfaßt von der gesunden Volksvernunft". Sein erfolgreichstes Werk war die "Neue Heillehre oder Die Frauenkur, Hitzfieberkur und Zehrfieberkur", die in einem "kurzgefaßten Auszug zum Selbstgebrauch für den unbemittelten und unbelesenen Mann, der nur Hülfe verlangt und nicht nach Gründen frägt" im Jahre 1868 sieben Auflagen erzielte.
Vermutlich würde niemand sich um Friedmund von Arnim bekümmern, wenn er nicht der Sohn einer bedeutenden Mutter wäre. Friedmund unterstützt sie unbedingt. Er systematisiert und popularisiert ihre Ideen. Seinem Starrsinn gelingt bisweilen, was ihre bizarre Verträumtheit oft verfehlt. Während ihr Armenbuch, das den Herrschenden die verzweifelte Lage des pauperisierten Proletariats vor Augen stellen wollte, in den Schlingen der Hofintrigen erstickt ("Den Hungernden helfen heißt jetzt Aufruhr predigen!"), kann Friedmund ziemlich ungestört die "faulen Reichen" an den Pranger stellen. Ihm wie seiner Mutter schwebte eine Art royalistischer Kommunismus vor. Da die sich formierende Arbeiterbewegung daran so wenig Interesse zeigte wie der König von Preußen selbst, der trotz seines lebhaften Briefwechsels mit Bettine derlei weder durchsetzen konnte noch wollte, bewegte Friedmund sich in einem politischen Wolkenkuckucksheim. Nicht selten wurde er ausgelacht. Dabei war er persönlich ein guter Mensch, bescheiden, ja asketisch, lebte nicht bei den Intellektuellen in der Stadt, sondern bei seinen Bauern, verbesserte die Böden, steigerte die Erträge und lebte das vor, was er für das Richtige hielt.
Das alles und noch mehr läßt sich aus der vorzüglichen Edition des Briefwechsels zwischen Friedmund und Bettine herauslesen. Die Herausgeber haben keine Mühe gescheut, den Staub von jeder Einzelheit zu pinseln, haben die Zeitungen jener Jahre gelesen, die politischen und sozialen Bewegungen studiert, die Affären rekonstruiert und so die merkwürdig zwischen Romantik und Sozialismus, zwischen schlesischem Weberelend und getünchter Hofkamarilla, zwischen Berliner Salons und märkischen Gutshöfen schillernde Welt der Jahre von 1824 bis 1856 plastisch erstehen lassen.
Bettines Briefe sind literarisch denen ihres Sohnes überlegen. Der Tonfall ist unruhig, mal fließend, mal stockend, aber stets geradezu und pointiert; sie nimmt kein Blatt vor den Mund und kritisiert ihren kauzigen Sprößling bisweilen heftig. Er will sie umgekehrt zu größerer ökonomischer Vernunft bekehren, achtet sie aber dabei aufs höchste. "Du bist ein geheiligtes Wesen", schreibt er ihr, als sie ins Gefängnis soll, und bietet sich an, an ihrer Stelle zu sitzen. Er ist stets um ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen bemüht, stellt ihr, übrigens mit gutem Erfolg, seine homöopathische Kunst zur Verfügung und sendet ihr Geld und Gutes aus der Landwirtschaft. "Beikommend schicke ich Dir zwei Rehblätter und drei Spickgänse."
Es geht um Gedrucktes und Geldsachen, um Politik und Prozesse, um Intrigen und Affären. Der Leser hat, da die Edition auf Vollständigkeit angelegt ist, auch öde Strecken zu überwinden. Manche Briefe sind zehn Seiten lang und langweilig, doch folgen immer wieder auch glänzende Stellen wie die Schilderung der Volksfeststimmung beim Brand des Berliner Opernhauses im Jahre 1843 oder der dramatischen Tage im März 1848, über die Friedmund von seiner Mutter brieflich ausführlich orientiert wird - bis hin zu revolutionärem Klatsch und Spaß: Der Papst habe den Zölibat aufgehoben und sich, um ein Beispiel zu geben, mit der Lola Montez verlobt. Bettine schreibt klar als Sympathisantin des niederen Volkes und schildert erbittert die ungeschickten, alles verschlimmernden und durchweg die Falschen treffenden Aktionen des Militärs. Einen Betrunkenen, der die Königin im Wirtshaus eine "alte katholische Sau" genannt hat, den allerdings will auch die royalistische Kommunistin lebenslang eingesperrt sehen.
HERMANN KURZKE.
"In allem einverstanden mit Dir". Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem Sohn Friedmund. Herausgegeben von Wolfgang Bunzel und Ulrike Landfester. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 573 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Briefwechsel zwischen Friedmund und Bettine von Arnim
Freimund, Siegmund, Friedmund und Kühnemund hießen die Söhne Achims und Bettines von Arnim, die zwischen 1812 und 1817, im zeitlichen Umkreis der Befreiungskriege, in rascher Folge das Licht der Welt erblickten. Freie, kühne, friedfertige, sieghafte Männer wünschte Achim von Arnim seinem von Napoleon gebeutelten Volk. Die Namen waren Programm, anders als bei den Töchtern Maxe, Armgart und Gisela, die sich von 1818 bis 1827 einstellten.
Friedmund von Arnim (1815-1883) sprach frei und kühn wie seine Brüder. Nur mit Sieg und Frieden wollte es nicht so recht klappen. Im Kampf gegen das humanistische Gymnasium unterlag er schmählich. Gegen den Willen ihres Mannes setzte Bettine schließlich durch, daß Friedmund auf die Gewerbeschule wechseln durfte. Der Vater hätte ihn gern zum Romantiker gemacht.
Paradoxerweise entwickelt sich der etwas hölzern-eckige dritte Sohn dann doch noch zum Schriftsteller. Er sammelt Märchen wie die Brüder Grimm, er schreibt sozialrebellische Bücher wie seine Mutter, er verfaßt homöopathische Broschüren wie Christian Friedrich Samuel Hahnemann. Leider ist alles epigonal und ein wenig dilettantisch, wird aber mit trotziger Überzeugtheit vorgebracht. Friedmunds Schriften haben hochtrabende Titel wie "Die Weltordnung", "Die Lehre der Liebe" oder "Revolutions-Gedanken . . ., verfaßt von der gesunden Volksvernunft". Sein erfolgreichstes Werk war die "Neue Heillehre oder Die Frauenkur, Hitzfieberkur und Zehrfieberkur", die in einem "kurzgefaßten Auszug zum Selbstgebrauch für den unbemittelten und unbelesenen Mann, der nur Hülfe verlangt und nicht nach Gründen frägt" im Jahre 1868 sieben Auflagen erzielte.
Vermutlich würde niemand sich um Friedmund von Arnim bekümmern, wenn er nicht der Sohn einer bedeutenden Mutter wäre. Friedmund unterstützt sie unbedingt. Er systematisiert und popularisiert ihre Ideen. Seinem Starrsinn gelingt bisweilen, was ihre bizarre Verträumtheit oft verfehlt. Während ihr Armenbuch, das den Herrschenden die verzweifelte Lage des pauperisierten Proletariats vor Augen stellen wollte, in den Schlingen der Hofintrigen erstickt ("Den Hungernden helfen heißt jetzt Aufruhr predigen!"), kann Friedmund ziemlich ungestört die "faulen Reichen" an den Pranger stellen. Ihm wie seiner Mutter schwebte eine Art royalistischer Kommunismus vor. Da die sich formierende Arbeiterbewegung daran so wenig Interesse zeigte wie der König von Preußen selbst, der trotz seines lebhaften Briefwechsels mit Bettine derlei weder durchsetzen konnte noch wollte, bewegte Friedmund sich in einem politischen Wolkenkuckucksheim. Nicht selten wurde er ausgelacht. Dabei war er persönlich ein guter Mensch, bescheiden, ja asketisch, lebte nicht bei den Intellektuellen in der Stadt, sondern bei seinen Bauern, verbesserte die Böden, steigerte die Erträge und lebte das vor, was er für das Richtige hielt.
Das alles und noch mehr läßt sich aus der vorzüglichen Edition des Briefwechsels zwischen Friedmund und Bettine herauslesen. Die Herausgeber haben keine Mühe gescheut, den Staub von jeder Einzelheit zu pinseln, haben die Zeitungen jener Jahre gelesen, die politischen und sozialen Bewegungen studiert, die Affären rekonstruiert und so die merkwürdig zwischen Romantik und Sozialismus, zwischen schlesischem Weberelend und getünchter Hofkamarilla, zwischen Berliner Salons und märkischen Gutshöfen schillernde Welt der Jahre von 1824 bis 1856 plastisch erstehen lassen.
Bettines Briefe sind literarisch denen ihres Sohnes überlegen. Der Tonfall ist unruhig, mal fließend, mal stockend, aber stets geradezu und pointiert; sie nimmt kein Blatt vor den Mund und kritisiert ihren kauzigen Sprößling bisweilen heftig. Er will sie umgekehrt zu größerer ökonomischer Vernunft bekehren, achtet sie aber dabei aufs höchste. "Du bist ein geheiligtes Wesen", schreibt er ihr, als sie ins Gefängnis soll, und bietet sich an, an ihrer Stelle zu sitzen. Er ist stets um ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen bemüht, stellt ihr, übrigens mit gutem Erfolg, seine homöopathische Kunst zur Verfügung und sendet ihr Geld und Gutes aus der Landwirtschaft. "Beikommend schicke ich Dir zwei Rehblätter und drei Spickgänse."
Es geht um Gedrucktes und Geldsachen, um Politik und Prozesse, um Intrigen und Affären. Der Leser hat, da die Edition auf Vollständigkeit angelegt ist, auch öde Strecken zu überwinden. Manche Briefe sind zehn Seiten lang und langweilig, doch folgen immer wieder auch glänzende Stellen wie die Schilderung der Volksfeststimmung beim Brand des Berliner Opernhauses im Jahre 1843 oder der dramatischen Tage im März 1848, über die Friedmund von seiner Mutter brieflich ausführlich orientiert wird - bis hin zu revolutionärem Klatsch und Spaß: Der Papst habe den Zölibat aufgehoben und sich, um ein Beispiel zu geben, mit der Lola Montez verlobt. Bettine schreibt klar als Sympathisantin des niederen Volkes und schildert erbittert die ungeschickten, alles verschlimmernden und durchweg die Falschen treffenden Aktionen des Militärs. Einen Betrunkenen, der die Königin im Wirtshaus eine "alte katholische Sau" genannt hat, den allerdings will auch die royalistische Kommunistin lebenslang eingesperrt sehen.
HERMANN KURZKE.
"In allem einverstanden mit Dir". Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem Sohn Friedmund. Herausgegeben von Wolfgang Bunzel und Ulrike Landfester. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 573 S., geb., 78,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Vermutlich würde niemand sich um Friedmund von Arnim kümmern, wenn er nicht der Sohn einer bedeutenden Mutter wäre", meint Rezensent Hermann Kurzke. Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem dritten Sohn Friedmund ist jetzt in einer - wie Kurzke schreibt - "vorzüglichen Edition" erschienen und der interessierte Leser kann den rebellischen Nachfahren der Familie von Arnim kennen lernen, der als Schriftsteller in die Fußstapfen seiner Mutter trat und ihre Ideen popularisierte. Dass man nicht nur Einblicke in das Leben Friedmunds, sondern auch in die Welt der Jahre von 1824 bis 1856 erhält, die geradezu "plastisch" vor einem entsteht, begeistert den Rezensenten. Dies sei nicht zuletzt der genauen Recherche der Herausgeber zu verdanken, die politische und soziale Phänomene einer Zeit studiert haben, die zwischen Romantik und Sozialismus lag. Literarisch ist die Mutter dem Sohn überlegen, meint Kurzke. Auch hält sie sich nicht zurück, "ihren kauzigen Sprössling bisweilen heftig zu kritisieren", erzählt der Rezensent. Da die Edition auf Vollständigkeit angelegt ist, wundert es einen nicht, dass der Leser, wie Kurzke meint, auch "öde Strecken" zu überwinden hat. Entschädigt werde man mit glänzenden Schilderungen der Zeit, die bis zu "revolutionärem Kitsch und Spaß" reichen: Die Aufhebung des Zölibats durch den Papst höchstpersönlich, um sich mit Lola Montez zu verloben, sei da nur ein Beispiel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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