2011 reist Sascha Hommer nach China, es ist seine zweite Reise ins Reich der Mitte. Vier Monate lang lebt er in der westchinesischen Millionenstadt Chengdu, wo ein befreundetes Paar ein Stadtmagazin herausgibt.Mit 14 Millionen Einwohnern ist die Hauptstadt Sichuans eine Boomtown des 21. Jahrhunderts, die hemmungslos wächst und wächst. In seinem Reisetagebuch "In China" widmet sich Sascha Hommer den absurden und abgründigen Alltagsgeschichten, die eine Stadt wie Chengdu hervorbringt. Auch fernab der prosperierenden Ballungszentren der Ostküste hat das chinesische Wirtschaftswachstum seine unübersehbaren Spuren hinterlassen: Aus dem einstigen Aussteigermekka Chengdu ist eine Metropole der chinesischen Gegenwart geworden, die dem westlichen Blick fremd und unzugänglich bleibt.
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buecher-magazin.deSascha Hommer hat vier Monate in der chinesischen Industriestadt Chengdu verbracht. Seine Erfahrungen schildert er in einem feinen, regenverhangenen, immer leicht beunruhigenden Comic. Der Protagonist, der kein Chinesisch spricht, bewegt sich hauptsächlich unter anderen Expats. China betrachtet er aus der Außenseiterperspektive. Seine Fremdheit bringt Hommer zum Ausdruck, indem er die Chinesen als freundliche, aber allzu leicht verwechselbare Figürchen zeichnet, die Expats als exzentrische Tiere. Der Protagonist selbst trägt immer eine Maske. Hommers Linien sind hart, Chengdu ist düster und seine Kakerlaken sind zahlreich. Trotzdem hat das Buch viele komisch-absurde Momente. Sascha Hommer ist ein Comic über das eigenartige Verhältnis zwischen China und dem Westen gelungen, den man mehrmals lesen muss, um seinen Reichtum zu erkennen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2016NEUES REISEBUCH
Für den Tisch Rauch und Nebel scheinen aus den Seiten zu sickern. Schon das Flugzeug landet in ein Meer von Grautönen hinein. Graue Gangway, grauer Boden, graue Koffer, schwarzer Himmel. Kein Wort begleitet die ersten Seiten dieses Comics. Gleich zum Einstieg darf man sich so fremd fühlen wie der Reisende, der hier gerade ankommt. Und dann plötzlich ein fröhliches "Hier sind wir", da stehen die Freunde, die ab jetzt den Neuankömmling durch ihre Welt führen wollen. Durch das ultramoderne China, das Land von Bauboom und Verkehrskollaps. Der Comic "In China" porträtiert fast 200 Seiten lang die Stadt Chengdu und spart dabei fast alles aus, was man klassischerweise über diese Stadt gelesen hätte. Nur von der gigantischen Mao-Statue im Zentrum erfahren wir. Ansonsten gibt es hier weder architektonische Markenzeichen noch typische Gerichte. Es gibt nur die Gefühlswelt einer Person, die sich zurechtfinden möchte.
Deutschland mag keine große Comic-Nation sein, aber ein kleines Wunder der gezeichneten Romane gibt es seit gut zehn Jahren durchaus. Der Zeichner Sascha Hommer ist eine der Hauptfiguren dieser Szene. Im Jahr 2006 erschien sein erstes Buch "Insekt", eine phantastische Erzählung aus einer namenlosen, in Nebel gehüllten Stadt. Sie war ein weiterer Beweis dafür, dass kluge Comic-Kunst in Deutschland wieder sehr lebendig wurde.
Zeichner und Grafiker wie Reinhard Kleist, Isabel Kreitz oder Simon Schwartz haben damals das nach Deutschland geholt, was die Amerikaner "Graphic Novel" nennen. Weil die gezeichnete Kunstform so gern in optische Welten entführt, spielte die Reisereportage dabei von Anfang an immer wieder eine Rolle. Reinhard Kleist war auf Kuba, Olivier Kugler in Laos, Joe Sacco zeichnet seit Jahren aus Kriegsgebieten. Und nun hat sich also Sascha Hommer nach China aufgemacht.
Hommer zeichnet immer schwarzweiß und mit sehr klarem Strich. Das hat einerseits sicher mit der auch in Europa spürbaren allgemeinen Begeisterung für den Manga zu tun, den japanischen Comic, andererseits aber ist die Simplifikation als Stilmittel zu verstehen, als Verfremdung im Sinn Brechts. Beim Thema China funktioniert sie besonders gut. Die alte Kritik, dass der Bürger der sogenannten Ersten Welt ferne Länder gern als bloße Kinderwelt ansieht und nie ganz ernst nimmt, wird hier umgedreht: Der Besucher kommt nach China und ist selbst ein Kind, das nichts versteht. Die Hauptfigur trägt stets eine Katzenmaske, andere Menschen sind kindlich gezeichnet. Spricht jemand Chinesisch, stehen Kringel in den Sprechblasen. Die Gesichter besitzen kaum Konturen, scheinen überhaupt eher dekonstruierte Tiergesichter zu sein, wir befinden uns in einer kleinen Fabel. Nämlich in dem Märchen vom empfindsamen Wesen, das in das Zentrum des Ultrakapitalismus reist.
Der Großraum Chengdu beherbergt rund 15 Millionen Einwohner und ist das Industrie- und Handelszentrum in Chinas Südwesten und die Hauptstadt der Provinz Sichuan. (Apropos Brecht: Dessen "Guter Mensch von Sezuan" spielt hier.) "In China" ist nun ein gezeichneter Reisebericht, der höchst subjektiv bleibt. Der Leser begleitet den jungen Mann mit der Maske, findet sich mit ihm in die fremdartige Welt ein und wird am Ende mit ihm Abschied nehmen. Damit ist dieser Bericht das Beste, was man sich von einem Reisereport nur wünschen kann: Unterwegs ohne Sightseeing und Reiseführer, lernt jemand hier die Stadt von innen her kennen. Sascha - so heißt die Hauptfigur - findet eine schäbige Bleibe, lernt Künstler kennen, lässt sich China von Freunden erklären, die schon lange dort leben.
Wie der Teig im Restaurant sein muss und wohin man am besten zieht (in den Süden der Innenstadt), erfährt der Leser daher nur nebenbei. Auch, dass es ohne Unterlass regnet. "An manchen Tagen verschwindet die Skyline aufgrund der immensen Luftverschmutzung". Auch solch ein Satz gehört im Moment vielleicht zu jedem Bericht über China.
Natürlich will dieses Buch eigentlich viel zu viel. In einer Traumsequenz werden schnell noch die Opiumkriege nacherzählt, andere Episoden drehen sich um lustige Übersetzungsfehler, darum, wie es überall hupt und qualmt oder wie ein Rendezvous scheitern kann, weil - auch unter den jungen, kunstinteressierten Menschen - Ost und West doch zu weit voneinander entfernt sind. ("Sie sucht einen Mann aus dem Westen, das ist alles.") Immer wieder klingt auch der Stress der Menschen in der als Moloch empfundenen Welt an. ("Ich habe versucht, mir das Rauchen anzugewöhnen, das machte mir aber keinen Spaß.") Tischtennis wird gespielt. Die Polizei geht repressiv gegen Passanten vor. Die Hauptfigur und ihre Freunde suchen vergeblich in der offensichtlich stark unterentwickelten Kulturszene nach etwas Interessantem.
So ist "In China", wenn man es als Bericht liest, am Ende ein allzu ehrlicher Reiseführer, es steckt nämlich auch voller Wut und Verzweiflung über die unerträglichen Seiten einer Stadt. Und gleichzeitig reflektiert es intensiv über den unerträglich vorurteilsbelasteten Blick des Westens. Der Comic ist also höchst subjektiv, er greift sich nur Einzelaspekte heraus, wirkt manchmal schematisch, noch öfter surreal - das alles hätte gar nicht funktionieren dürfen als ästhetisches Konzept. Tut es aber erstaunlicherweise doch. Man fühlt sich informierter als durch jeden Reiseführer. Über manche Kleinigkeiten darf man auch lachen. Vorsicht etwa, wenn jemand Sie ins "Shamrock" mitnehmen will: Die große irische Kneipe "Chengdus" war früher mal beliebt, ist aber heute nur noch ein überteuerter Abschleppladen! So viel Globalisierung muss dann eben auch sein. Dass Irish Pubs auf der ganzen Welt nichts taugen (außer natürlich in Irland), diese Information hat etwas Beruhigendes. Manche Regeln gelten überall.
Thomas Lindemann.
Sascha Hommer: "In China". Reprodukt-Verlag, 176 Seiten, 20 Euro. Erscheint im Februar.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch Rauch und Nebel scheinen aus den Seiten zu sickern. Schon das Flugzeug landet in ein Meer von Grautönen hinein. Graue Gangway, grauer Boden, graue Koffer, schwarzer Himmel. Kein Wort begleitet die ersten Seiten dieses Comics. Gleich zum Einstieg darf man sich so fremd fühlen wie der Reisende, der hier gerade ankommt. Und dann plötzlich ein fröhliches "Hier sind wir", da stehen die Freunde, die ab jetzt den Neuankömmling durch ihre Welt führen wollen. Durch das ultramoderne China, das Land von Bauboom und Verkehrskollaps. Der Comic "In China" porträtiert fast 200 Seiten lang die Stadt Chengdu und spart dabei fast alles aus, was man klassischerweise über diese Stadt gelesen hätte. Nur von der gigantischen Mao-Statue im Zentrum erfahren wir. Ansonsten gibt es hier weder architektonische Markenzeichen noch typische Gerichte. Es gibt nur die Gefühlswelt einer Person, die sich zurechtfinden möchte.
Deutschland mag keine große Comic-Nation sein, aber ein kleines Wunder der gezeichneten Romane gibt es seit gut zehn Jahren durchaus. Der Zeichner Sascha Hommer ist eine der Hauptfiguren dieser Szene. Im Jahr 2006 erschien sein erstes Buch "Insekt", eine phantastische Erzählung aus einer namenlosen, in Nebel gehüllten Stadt. Sie war ein weiterer Beweis dafür, dass kluge Comic-Kunst in Deutschland wieder sehr lebendig wurde.
Zeichner und Grafiker wie Reinhard Kleist, Isabel Kreitz oder Simon Schwartz haben damals das nach Deutschland geholt, was die Amerikaner "Graphic Novel" nennen. Weil die gezeichnete Kunstform so gern in optische Welten entführt, spielte die Reisereportage dabei von Anfang an immer wieder eine Rolle. Reinhard Kleist war auf Kuba, Olivier Kugler in Laos, Joe Sacco zeichnet seit Jahren aus Kriegsgebieten. Und nun hat sich also Sascha Hommer nach China aufgemacht.
Hommer zeichnet immer schwarzweiß und mit sehr klarem Strich. Das hat einerseits sicher mit der auch in Europa spürbaren allgemeinen Begeisterung für den Manga zu tun, den japanischen Comic, andererseits aber ist die Simplifikation als Stilmittel zu verstehen, als Verfremdung im Sinn Brechts. Beim Thema China funktioniert sie besonders gut. Die alte Kritik, dass der Bürger der sogenannten Ersten Welt ferne Länder gern als bloße Kinderwelt ansieht und nie ganz ernst nimmt, wird hier umgedreht: Der Besucher kommt nach China und ist selbst ein Kind, das nichts versteht. Die Hauptfigur trägt stets eine Katzenmaske, andere Menschen sind kindlich gezeichnet. Spricht jemand Chinesisch, stehen Kringel in den Sprechblasen. Die Gesichter besitzen kaum Konturen, scheinen überhaupt eher dekonstruierte Tiergesichter zu sein, wir befinden uns in einer kleinen Fabel. Nämlich in dem Märchen vom empfindsamen Wesen, das in das Zentrum des Ultrakapitalismus reist.
Der Großraum Chengdu beherbergt rund 15 Millionen Einwohner und ist das Industrie- und Handelszentrum in Chinas Südwesten und die Hauptstadt der Provinz Sichuan. (Apropos Brecht: Dessen "Guter Mensch von Sezuan" spielt hier.) "In China" ist nun ein gezeichneter Reisebericht, der höchst subjektiv bleibt. Der Leser begleitet den jungen Mann mit der Maske, findet sich mit ihm in die fremdartige Welt ein und wird am Ende mit ihm Abschied nehmen. Damit ist dieser Bericht das Beste, was man sich von einem Reisereport nur wünschen kann: Unterwegs ohne Sightseeing und Reiseführer, lernt jemand hier die Stadt von innen her kennen. Sascha - so heißt die Hauptfigur - findet eine schäbige Bleibe, lernt Künstler kennen, lässt sich China von Freunden erklären, die schon lange dort leben.
Wie der Teig im Restaurant sein muss und wohin man am besten zieht (in den Süden der Innenstadt), erfährt der Leser daher nur nebenbei. Auch, dass es ohne Unterlass regnet. "An manchen Tagen verschwindet die Skyline aufgrund der immensen Luftverschmutzung". Auch solch ein Satz gehört im Moment vielleicht zu jedem Bericht über China.
Natürlich will dieses Buch eigentlich viel zu viel. In einer Traumsequenz werden schnell noch die Opiumkriege nacherzählt, andere Episoden drehen sich um lustige Übersetzungsfehler, darum, wie es überall hupt und qualmt oder wie ein Rendezvous scheitern kann, weil - auch unter den jungen, kunstinteressierten Menschen - Ost und West doch zu weit voneinander entfernt sind. ("Sie sucht einen Mann aus dem Westen, das ist alles.") Immer wieder klingt auch der Stress der Menschen in der als Moloch empfundenen Welt an. ("Ich habe versucht, mir das Rauchen anzugewöhnen, das machte mir aber keinen Spaß.") Tischtennis wird gespielt. Die Polizei geht repressiv gegen Passanten vor. Die Hauptfigur und ihre Freunde suchen vergeblich in der offensichtlich stark unterentwickelten Kulturszene nach etwas Interessantem.
So ist "In China", wenn man es als Bericht liest, am Ende ein allzu ehrlicher Reiseführer, es steckt nämlich auch voller Wut und Verzweiflung über die unerträglichen Seiten einer Stadt. Und gleichzeitig reflektiert es intensiv über den unerträglich vorurteilsbelasteten Blick des Westens. Der Comic ist also höchst subjektiv, er greift sich nur Einzelaspekte heraus, wirkt manchmal schematisch, noch öfter surreal - das alles hätte gar nicht funktionieren dürfen als ästhetisches Konzept. Tut es aber erstaunlicherweise doch. Man fühlt sich informierter als durch jeden Reiseführer. Über manche Kleinigkeiten darf man auch lachen. Vorsicht etwa, wenn jemand Sie ins "Shamrock" mitnehmen will: Die große irische Kneipe "Chengdus" war früher mal beliebt, ist aber heute nur noch ein überteuerter Abschleppladen! So viel Globalisierung muss dann eben auch sein. Dass Irish Pubs auf der ganzen Welt nichts taugen (außer natürlich in Irland), diese Information hat etwas Beruhigendes. Manche Regeln gelten überall.
Thomas Lindemann.
Sascha Hommer: "In China". Reprodukt-Verlag, 176 Seiten, 20 Euro. Erscheint im Februar.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dank Guy Delisle sind Reise-Comics mit Anspruch auf Wissensvermittlung und soziale Relevanz inzwischen Klassiker, konstatiert Thomas von Steinaecker. Daran muss sich auch der deutsche Comic-Künstler Sascha Hommer messen, dem das durchaus solide gelingt, fährt der Rezensent fort. Er folgt hier dem im Comic stets maskierten Hommer durch China, erlebt weniger eine analytische Zustandsbeschreibung chinesischer Zustände als vielmehr die aufmerksam eingefangenen Eindrücke des Alltags in der Fremde, der aus Wohnungssuche, Chinesisch-Kurs, Unterhaltungen mit Expats oder seltenen, dann aber faszinierenden Begegnungen mit Einheimischen besteht. Toll, wie sich Hommer in seinen stark gerasterten Bildern von der Niedlichkeit Delisles abhebt, findet der Kritiker. Allerdings muss er gestehen, dass ihm das Buch insgesamt zu "unentschlossen" erscheint: Einige Episoden enden unpointiert, eingeschobene historische Reiseberichte oder surreale Alpträume wollen nicht recht in den Zusammenhang passen und der Blick hinter kulturelle und soziale Kulissen bleibt zu unscharf, moniert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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