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Produktdetails
  • Heyne Sachbuch
  • Verlag: Heyne
  • Seitenzahl: 381
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 396g
  • ISBN-13: 9783453197138
  • Artikelnr.: 09905572
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2001

Letzte Hoffnung Shackleton
Expeditionen in fiebrigen Ruhm und eisigen Tod – der große Winter der Polarbücher
„Ich trinke auf die Eroberer des Südpols – die Hunde!” Lord Curzon, der Präsident der Königlichen Geographischen Gesellschaft, mischte Beleidigung und Verachtung auf dem Festessen für Roald Amundsen, 1912 in London. Als wenig später bekannt wurde, dass Robert F. Scott und seine vier Begleiter den Südpol als Zweite erreicht und auf dem Rückweg erfroren waren, setzte eine Heroisierung sondergleichen ein. Bis heute steht das Denkmal des tragischen Verlierers Scott nahezu unangekratzt im kollektiven Bewusstsein der Briten – auch Diana Preston poliert es eifrig mit ihrer dramatischen Biografie „In den eisigen Tod” (Robert F. Scotts letzte Fahrt zum Südpol. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 336 S. , 49,80 Mark). Dabei analysiert Preston vorbildlich die psychische Disposition der Expeditionsteilnehmer und ist keineswegs blind für die vielfältigen persönlichen und organisatorischen Schwächen, die zur englischen Niederlage im „Rennen zum Südpol” von 1911/12 führten. Die daraus resultierenden erschwerten Bedingungen nötigen ihr aber nur noch größeren Respekt ab für die in der Tat unerhörte Leistung der fünf Briten, die es als ehrenvoll ansahen, selbst ihre Schlitten zu ziehen, statt Hunde als Zugtiere und Fleischvorrat zu benutzen.
Prestons schön illustriertes Buch eignet sich als spannender Einstieg in die Antarktis-Literatur des Bücherwinters – auch wenn es etwas zu apologetisch ist. Vielleicht hätte sie sich mehr auf Roland Huntfords großartige Entmythologisierung „Scott und Amundsen” stützen sollen, die nun als Taschenbuch endlich wieder lieferbar ist (Überarb. und erw. Ausgabe. Mit einem Vorwort von Paul Theroux. Heyne Verlag, München 2000, 571 S. , 22,90 Mark). Ebenso packend, jedoch ohne die unsachlichen Ausfälle gegen Amundsen, beschreibt Huntford die spezifischen Ursachen für Gelingen und Scheitern der britischen und norwegischen Antarktis-Reisen. Er entlarvt detailreich den britischen Heroismus Scotts als amateurhafte, arrogante und verantwortungslose Stümperei, die fast zwangsläufig in den Tod führen musste. Obwohl die Engländer Zeit und Gelegenheit hatten, trainierten sie in der Vorbereitungsphase weder Skilauf noch Hundeführen noch Navigieren, sie lehnten Eskimokleidung ab, verwendeten nicht die optimalen Lebensmittel, rechneten keine Sicherheitsmargen ein. Sie verließen sich durchweg auf Improvisation und machten entsprechend viele Fehler (wie die extrem schlampigen Lektoren des Buches!). Huntford erklärt darüber hinaus überzeugend, dass Scott, der Wankelmütige, nur zu einer Legende werden konnte, weil er – im Gegensatz zu Amundsen – beachtliches literarisches Talent hatte und das im Niedergang begriffene Empire dringend Helden brauchte.
Da ist der dritte antarktische Heros, Ernest Shackleton, aus anderem Holz geschnitzt. Durch sein Improvisationsgenie und den unbedingten Willen, keinen Mann zu verlieren, stieg er auf zum Patron der Polarforscher, wie Raymond Priestleys berühmtes Diktum beweist: „For scientific leadership give me Scott; for swift and efficent travel Amundsen; but when you are in a hopeless situation, when there seems no way out, get down on your knees and pray for Shackleton. ” Zwei Taten verschafften ihm diesen Ruhm: 1909 entschied er, nur 155 km vom Südpol entfernt, umzukehren, weil er lieber ein „lebendes Maultier als ein toter Löwe” sein wollte. Als auf seiner Expedition von 1914 bis17 sein Schiff, die Endurance, vom antarktischen Eis zerquetscht wurde, gelang es ihm, die Mannschaft aus nahezu aussichtsloser Situation zu retten. Shackletons Fahrt über 1500 Seemeilen stürmisches Meer in einem offenen Boot und die anschließende Durchquerung Südgeorgiens ist wohl die spektakulärste Rettungsaktion der Polargeschichte. Caroline Alexanders eindrucksvoller Bildband über diese Expedition initiierte denn auch vor zwei Jahren die nach wie vor ungebrochene Polar-Konjunktur auf dem Buchmarkt (Die Endurance. Shackletons legendäre Expedition in die Antarktis. Berlin Verlag, 224 S. , 39,80 Mark). Nun kann also auch wieder die Erinnerungen von Shackleton und seinem Kapitän Worsley in Taschenbuchausgaben lesen (Worsley: Der Untergang der Endurance. Vorwort von Patrick O’Brian, Ullstein Verlag, 332 S. , 17,90 Mark).
Die Begeisterung für die einzigartige seemännische und bergsteigerische Leistung trieb den Extremsportler Arved Fuchs dazu, im letzten Jahr Shackletons Fahrt mit einem nachgebauten Boot zu wiederholen – auch mit den Mitteln moderner Technik ein lebensgefährliches Wagnis (Im Schatten des Pols. Auf Shackletons Spuren im härtesten Meer der Welt. Verlag Delius-Klasing, Hamburg 2000, 224 S. , 49,80 Mark). Vielleicht kann er ja Wolfgang Petersen beraten, der seit einiger Zeit plant, Shackletons Schicksal zu verfilmen, am liebsten wohl mit Mel Gibson. Inspirieren könnte den Regisseur allerdings ebenso die katastrophenreiche Drift der Karluk durchs arktische Eis. Vom Leiter Stefanssohn verlassen, trieb die unerfahrene Mannschaft der kanadischen Expedition durch den hohen Norden, bis auch ihr Schiff zerdrückt wurde. In „Packeis” verfolgt Jennifer Niven quellennah und voller Einzelheiten, wie die Eisnot der völlig zerstrittenen Karluk-Besatzung nur mit Hilfe eines Trappers und einiger Eskimos nicht im Tod aller endete. (Das Drama der kanadischen Polarexpedition von 1913. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 464 S. , 44,90 Mark). Der überlebende William McKinlay schrieb in seinen höchst lesenswerten Erinnerungen über seine arktischen Monate, keine Schlacht des Ersten Weltkriegs, in dem er anschließend gekämpft hatte, sei so schlimm gewesen wie diese Eiszeit – bis an sein Lebensende kam er nicht los von der Karluk (William McKinlay: Karluk. Die Geschichte einer verratenen Expedition. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 1999. 252 S. , 24,90 Mark).
Die Polarliteratur ist immer noch in der Expansion begriffen – in einer Zeit, da die Klimaveränderungen immer extremer werden. Draußen eisig, drinnen warm – ist es der Temperaturkontrast, der die Lektüre der Eisliteratur so reizvoll macht? Steigert das Lesen von zivilisations- und wegloser weißer Weite unsere Heimeligkeitsgefühle? Sehnen wir uns nach der extremen Herausforderung, der wir doch nur auf Buchseiten gewachsen sind? Antwortversuche und Erklärungen für die vielfältige Eis(buch)lust gibt Thomas Kasturas Essayband „Flucht ins Eis”, dessen größter Reiz darin besteht, wiederum zu neuen Gedanken, neuen Fragen, neuer Frostlektüre anzuregen (Flucht ins Eis. Warum wir ans kalte Ende der Welt wollen. Aufbau Verlag. 128 S. , 24 Mark). Damit aber alle Pol-Passionierten ihren kühlen Kopf nicht verlieren, sei zum Schluss an eine Volksweisheit des 16. Jahrhunderts erinnert: „Wer sich nit hüt fürm Eis, der wirt mit schaden weiß. ”
ROLF-BERNHARD ESSIG
Der glorreiche Verlierer – Robert F. Scott.
Foto: Heyne Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2011

Ganz im Süden rufen die kleinen Stimmen

Geschichten vom Durchhalten, Gewinnen und Scheitern: Zwei Bücher folgen den Expeditionen zum Südpol, an dem Roald Amundsen vor genau hundert Jahren als Erster ankam.

Als vor hundert Jahren, am 14. Dezember 1911, das Team des Norwegers Roald Amundsen den Südpol erreichte, war damit ein Langzeitwettbewerb beendet, der seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert ausgetragen worden war. Doch während mit dem Japaner Nobu Shirase Amundsens vorletzter Wettbewerber schon früh aufgegeben hatte, stapfte der letzte am Tag von Amundsens Triumph noch fünf Breitengrade weiter nördlich über das antarktische Eis. Einen unendlich mühsamen Monat später, am 16. Januar 1912, sahen der englische Marineoffizier Robert Falcon Scott und seine vier Begleiter die norwegische Flagge über einer Schneefläche. Dann machten sie sich auf den Rückweg.

Der Drang zu den entlegensten Punkten der Erdoberfläche mit dem Ziel, diese als Erster zu erreichen, fiel mit dem Aufblühen einer Medienlandschaft zusammen, die mehr als je zuvor die Teilhabe des Publikums an den Ergebnissen der Expeditionen ermöglichte. Im neunzehnten Jahrhundert, als die Erfindung von Steindruck und Dampfpresse, von Fotografie und elektrischer Telegraphie einem Publikum quer durch alle Schichten die unmittelbare Rezeption der großen Forschungsreisen ermöglichte, veränderte dies umgekehrt auch die Beweggründe und Bedingungen solcher Reisen: Wer die Öffentlichkeit mobilisieren musste, um aufwendige Fahrten zu finanzieren oder zu refinanzieren, war auf Vorträge angewiesen, bei denen etwa Beweisfotos nicht fehlen durften. Und über das Nachleben einer Expedition im Bewusstsein der Öffentlichkeit entschieden oft genug die aus der Wildnis mitgebrachten Bilder.

Es erstaunt kaum, dass die mittlerweile ikonisch gewordenen Aufnahmen von Herbert Ponting, der Scott auf dessen zweiter und letzter Reise in die Antarktis begleitete, in kaum einem der vielen Bücher fehlen, die seither über den Wettlauf zum Südpol verfasst worden sind. Die Geschichte ist so oft dargestellt worden, die Quellen sind so gut erschlossen, dass über die Ereignisse weitgehend Einigkeit herrscht und lediglich die Beurteilung der beteiligten Personen schwankt. Amundsen etwa ist mal der geniale Organisator, mal der rücksichtslose Egoist, der seinem von persönlichem Ehrgeiz diktierten Ziel alles unterordnet.

Scotts Image dagegen schwankt zwischen dem des redlichen, umsichtigen Pechvogels und dem des ignoranten britischen Offiziers, der letztlich an seiner mangelnden Bereitschaft, von anderen Arktisreisenden zu lernen, zugrunde geht. Wer als Autor auf diesem Feld noch punkten will, wo kaum noch relevantes neues Material zu erschließen ist, wird am ehesten die Perspektive weiten und also neben dem Wettlauf von Scott und Amundsen weitere Expeditionen zum Vergleich ins Auge fassen oder umgekehrt durch minutiöse Darstellung aller verfügbaren Details die beiden konkurrierenden Polreisenden möglichst plastisch zeichnen.

Kari Herbert und Huw Lewis-Jones, der ehemalige Kurator am Scott Polar Research Institute in Cambridge, schlagen mit ihrem Buch "77° Süd" den ersten Weg ein, indem sie in dem reich bebilderten Band den eigentlichen Wettlauf der Jahre 1911 und 1912 ganz richtig aus zahlreichen früheren Versuchen, möglichst weit Richtung Süden zu kommen, erwachsen lassen. Da allerdings fangen die Probleme an: Als vielstimmiger Chor konzipiert, der den Originalzitaten der Reisenden breiten Raum lässt, bleibt einiges über deren Hintergrund im Vagen - übrigens kein arkanes Wissen, sondern Dinge, die sich mit nicht allzu viel Recherche erschließen lassen. Warum aber stehen sie dann nicht auch in diesem Band? Völlig unvermittelt wird etwa ein "Bernacchi" mit einem interessanten Zitat eingeführt, aber was es mit ihm auf sich hat, was ihn genau mit der gerade geschilderten Expedition verbindet, bleibt unklar.

Oder das Gedicht "Der Ruf der kleinen Stimmen" eines "Robert W. Service" (das Register dieses Buchs ersetzt das "W" durch ein "A", führt aber ansonsten nicht weiter), datiert auf 1909. Es ist - soweit man das anhand der deutschen Übersetzung sagen kann - ein schönes Gedicht.

Über den Autor oder den Anlass der Verse erfahren wir nichts, in der Bibliographie taucht er nicht auf. Anderenorts bleiben Anspielungen auf "singende Kameraden" oder fingiertes Erbrechen der Reisenden so unklar wie die "Wütenden Fünfziger", als "Furious Fifties" Seglern zwar bekannt, aber welcher Laie weiß, dass es sich dabei um einen besonders stürmischen Meeresbereich der südlichen Halbkugel handelt? Warum wird derlei nicht erklärt? Warum hapert es an der deutschen Grammatik bis hin zur Unverständlichkeit eines Satzes, warum fehlt es in dem Band, der so viele Stationen des Wettlaufs benennt, an einer großen, übersichtlichen Karte des antarktischen Kontinents? Warum ist von "zehn Jahre später" die Rede, wenn es um lediglich zehn Tage geht? Warum werden in der Bibliographie manche Reiseberichte, die auf Deutsch vorliegen, mit ihrer deutschen Ausgabe verzeichnet, andere, für die dasselbe gilt, aber mit dem englischen Original? Und warum wird eine Doppelseite, in der es nur um Amundsen geht, komplett mit Bildern von Scotts Expedition illustriert?

"77° Süd" erweist sich so bei näherer Betrachtung als interessanter Steinbruch, anregend zwar zur weiteren Lektüre, aber im Einzelnen unbefriedigend und mit Vorsicht zu genießen. Wer mehr wissen will, sollte zu Diane Prestons Scott-Studie "In den eisigen Tod" greifen, die 1997 im Original, 2001 auf Deutsch und nun in einer überarbeiteten Fassung neuerlich erschienen ist. Auch sie bedient sich reichlich am Bilderschatz Herbert Pontings, vermeidet aber in ihrer Darstellung die Untiefen allzu spekulativer Einfühlung, an der manch andere populärwissenschaftliche Werke zur südpolaren Entdeckungsgeschichte kranken. Sie erzählt, konzentriert auf Scott, aber mit häufigen Seitenblicken auf Amundsen, vom Wettlauf zum Pol, von den Ursachen von Scotts Scheitern, die sie nicht zuletzt in einer gewissen Weichheit und Zurückhaltung des Briten findet, und von alledem, was sich an Details zu beiden Vorstößen überhaupt noch ermitteln lässt.

Sonderlich Lust auf ein ähnliches Unterfangen macht sie ihren Lesern nicht. Dass wir in der Antarktis nichts zu suchen haben, erschließt sich sofort. Und doch scheint in den Stunden, die man mit Prestons Buch verbringt, nichts klarer, als dass im Triumph des einen und im Scheitern des anderen eine menschliche Disposition aufscheint, die noch heute, ein Jahrhundert später, sichtbar ist. Weil es den Pol gibt, wird es immer Menschen geben, die alles dafür einsetzen, dorthin zu kommen. Wir anderen tun gut daran, ihre Reisen vom Lehnstuhl aus zu verfolgen.

TILMAN SPRECKELSEN

Huw Lewis-Jones und Kari Herbert: "77° Süd". Entscheidung am Südpol.

Aus dem Englischen von Simone Gruber und Frank M. Berger. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2011. 192 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].

Diana H. Preston: "In den eisigen Tod". Robert F. Scotts Expedition zum Südpol.

Aus dem Englischen von Sylvia Höfer. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 352 S., Abb., geb., 22,99 [Euro].

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