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Der Sudetendeutsche Eugen Mühlfeit ist seit jeher unangepasst im Geist und im Verhalten. Der Prager Frühling 1968 und dessen Niederschlagung haben ihn frühzeitig politisch geprägt und in die Opposition zur poststalinistischen Diktatur getrieben. Er beschließt, nach West-Berlin zu fliehen. Doch am Bahnhof Friedrichstraße wird er festgenommen und verhört. Dann übergibt man ihn der tschechoslowakischen Staatssicherheit, die dafür sorgt, dass Mühlfeit verurteilt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Nach seiner Entlassung fasst er Fuß in der inoffiziellen Prager Musiker- und Literatenszene.…mehr

Produktbeschreibung
Der Sudetendeutsche Eugen Mühlfeit ist seit jeher unangepasst im Geist und im Verhalten. Der Prager Frühling 1968 und dessen Niederschlagung haben ihn frühzeitig politisch geprägt und in die Opposition zur poststalinistischen Diktatur getrieben. Er beschließt, nach West-Berlin zu fliehen. Doch am Bahnhof Friedrichstraße wird er festgenommen und verhört. Dann übergibt man ihn der tschechoslowakischen Staatssicherheit, die dafür sorgt, dass Mühlfeit verurteilt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Nach seiner Entlassung fasst er Fuß in der inoffiziellen Prager Musiker- und Literatenszene. Hier lernt er unter anderem Václav Havel kennen. Schließlich beteiligt er sich an einem gefährlichen Bildertransfer zwischen Ost und West, um verfolgte Künstler im Umkreis der 'Charta 77' finanziell zu unterstützen. Der Transfer erfolgt zum Teil unter Mithilfe Robert Havemanns. So gerät Eugen Mühlfeit ins Visier der östlichen und westlichen Geheimdienste. Wieder flieht er in den Westen. Doch diesmal wird er von der Stasi aus West-Berlin entführt und zurück nach Prag verschleppt. In den tschechoslowakischen Gefängnissen kämpft er ums Überleben. Nach zwei Jahren Haft und schlimmster Folter wird er als körperlich gebrochener Mann entlassen. Bis heute ringt er um Entschädigung.Die gründlich recherchierte außergewöhnliche Lebensgeschichte Eugen Mühlfeits ist von großem Freiheitswillen und dessen brutaler Unterdrückung geprägt. Ein eindrucksvoller, nachdenklich stimmender Bericht über Oppositionsarbeit im Hintergrund, geheimdienstliche Verstrickung und Verfolgung während des Kalten Krieges, aber auch über Eigensinn, Traumatisierung und Menschlichkeit.
Autorenporträt
Nicole Glocke: geboren 1969 in Bochum, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, 1997 Promotion, 1998-2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, journalistische Arbeit, 2003 freie Mitarbeiterin bei einer deutschsprachigen Zeitschrift in Budapest; lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2009

Freiheitswille und Naivität
Nicole Glocke schildert den Leidensweg eines Oppositionellen in der Tschechoslowakei

Die schier unglaubliche Lebensgeschichte eines oppositionellen Einzelgängers, der 1952 als Sohn eines nicht vertriebenen Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei geboren wurde, als Kind deutschsprachig aufwuchs, seit seiner Schulzeit ein Außenseiter war. Als "Deutscher" in seiner tschechischen, sozialistischen Umgebung gemieden und als renitenter Unangepasster "abgeschrieben", fordert der tschechoslowakische Staatsbürger von Jugend an demokratische Freiheitsrechte, gepaart mit einer Sehnsucht nach einem Leben in seiner "wahren Heimat", dem freien Teil Deutschlands. Er erlebt den "Prager Frühling" 1968, den Einmarsch der sowjetischen Panzer und die brutale Niederschlagung des Strebens nach mehr Freiheit und einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Nach der Ablehnung mehrerer Ausreiseanträge versucht Mühlfeit im Mai 1971 die Flucht nach West-Berlin. Sie scheitert und führt zu Haft in Ost-Berlin und Prag, wo er vorübergehend in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird.

Der inzwischen verheiratete Mühlfeit, Vater eines Sohnes und ausgebildeter Koch, taucht tief in die Untergrundkultur ein, wird 1977 Betriebsleiter eines bekannten Prager Jazzlokals, eines Treffpunkts nonkonformistischer Musikgruppen. Dort lernt er einen Universitätsprofessor aus West-Berlin kennen, der ihn als Dolmetscher zu dem Schriftsteller und avantgardistischen Künstler Jiri Kolar mitnimmt, einem der geistigen Väter der "Charta 77". Der Professor, dessen Name im Buch "aus rechtlichen Gründen" geändert wurde, stellt sich als leidenschaftlicher Kunstsammler vor, der in seiner West-Berliner Galerie Werke vorwiegend tschechoslowakischer Künstler ausstellen und verkaufen will. Die Bilder und Grafiken sollen über Ost- nach West-Berlin geschmuggelt werden und die Verkaufserlöse auf demselben Weg zurück nach Prag. Dort sollen sie den verfolgten Künstlern im Umkreis der "Charta 77" zugutekommen. Mühlfeit lässt sich für den Kunsttransfer ab 1979 von Prag nach Ost-Berlin gewinnen.

Nicole Glocke ist die Erste, der Mühlfeit seine Lebensgeschichte ausführlich zu Protokoll gegeben hat. Zur Verifizierung seiner Angaben hat die Autorin nicht nur mit Zeugen gesprochen, die über den "Deutsch-Böhmen" und seine Handlungen Auskunft geben können, sondern auch in den einschlägigen Archiven recherchiert und dabei Dokumente gefunden und publiziert, die Mühlfeits Angaben stützen. Sie zitiert aber auch Aussagen, die seiner Darstellung widersprechen. So widerspricht Katja Havemann, die junge Witwe des DDR-Regimekritikers Robert Havemann, der Darstellung, ihr Mann sei eine der beiden Kontaktpersonen in Ost-Berlin gewesen, der Mühlfeit Kunstwerke aus Prag zur Weiterleitung nach West-Berlin übergeben und von ihm Verkaufserlöse erhalten habe. Sie könne sich vorstellen, dass der Kunsttransfer nur über die andere Kontaktperson, eine bekannte Professorenwitwe, gelaufen sei. In den Akten der östlichen Geheimdienste sind freilich Kontakte Mühlfeits mit Havemann verzeichnet, sogar eine Übernachtung in seinem Haus im Januar 1979, als Havemann noch unter Hausarrest stand. Offenbar war es auch der Kontakt mit Havemann, der die Stasi veranlasste, Mühlfeit bei seinen Aufenthalten in der DDR unter operative Kontrolle zu stellen.

In Prag wird er gezwungen, für die "nachrichtendienstlichen Organe des föderalen Innenministeriums" den Professor und Kunsthändler aus West-Berlin auszuforschen. Mühlfeit unterschreibt mit Billigung des Professors eine entsprechende Verpflichtung. Das Material wird ihm von einem "Tutor" des Professors, den er für den Mitarbeiter eines westlichen Geheimdienstes hält, geliefert. Mühlfeits Ziel ist es, mit Hilfe des östlichen Dienstes nach West-Berlin zu gelangen. Sein tschechischer Führungsoffizier schickt ihn am 1. April 1981 tatsächlich nach West-Berlin. Er darf seine erblindete Frau und seinen Sohn mitnehmen. Die Familie beschließt, nicht nach Prag zurückzukehren. In West-Berlin, wo Mühlfeit befürchten muss, als östlicher Agent festgenommen zu werden, bemüht er sich um die Anerkennung als Flüchtling und um einen deutschen Pass. Im Notaufnahmelager Marienfelde offenbart er sich dem amerikanischen Geheimdienst, der ihn nun seinerseits für sich einsetzt. Nach Mühlfeits Bericht soll er eine junge Tschechin, die an der tschechoslowakischen Botschaft in Rom gearbeitet hat, zur Mitarbeit für die CIA gewinnen. Zuvor war im Mai 1981 Mühlfeits Frau mit dem Sohn aus West-Berlin verschwunden. Sie war nach Prag zurückgekehrt, nachdem sie von östlichen Agenten aufgesucht und massiv bedroht worden war.

Mühlfeit, der auf Hilfe der Amerikaner hofft, lässt sich auf eine Liebesbeziehung mit der ehemaligen tschechischen Botschaftsmitarbeiterin ein, die sich freilich weigert, für die Amerikaner zu arbeiten. Am 31. Oktober 1981 wird Mühlfeit von zwei Männern, die einen West-Berliner Polizeiausweis vorweisen, aus West- nach Ost-Berlin entführt, dort im Ministerium für Staatssicherheit verhört und schließlich vom tschechoslowakischen Geheimdienst "übernommen". In Prag wird er verhaftet, durch mehrere Lager geschleppt, wo er körperlich und seelisch gequält und gefoltert wird. Ab 1983 finden mehrere Gerichtsverfahren gegen ihn statt. Er wird zu Zuchthausstrafen, Vermögenseinzug, Zwangsarbeit und anschließender Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung verurteilt. Im März 1985 wird Mühlfeit aus dem Lager, ein halbes Jahr später aus der Psychiatrie als gebrochener Mann zu Frau und Sohn entlassen.

Nicole Glocke schildert den Leidensweg des Eugen Mühlfeit durch die Hölle der Lager auf Grund seiner Berichte in allen Einzelheiten. Sie zieht ärztliche Gutachten über seine Verletzungen heran, bemüht sich um Aufklärung und beschreibt auch seinen Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung nach dem Untergang der kommunistischen Regime in der Tschechoslowakei und in der DDR. Sie verschweigt aber auch nicht den Eigensinn, den Freiheitswillen und die Naivität des jungen Tschechen, die ihn in die geheimdienstlichen Verstrickungen und die folgenden, aller Menschlichkeit hohnsprechenden brutalen Racheakte in den tschechischen Lagern führten. Ihr Buch ist die erschütternde Darstellung eines Opferschicksals, auch wenn manche Fragen zu dieser Geschichte offenbleiben.

PETER JOCHEN WINTERS.

Nicole Glocke: In den Fängen von StB, MfS und CIA. Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit. Lukas Verlag, Berlin 2009. 218 S., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die von Nicole Glocke erstmals festgehaltene Lebens- und Leidensgeschichte eines "oppositionellen Einzelgängers" ist für Peter Jochen Winters ein "erschütterndes" Ereignis. So unglaublich ihm die Geschichte des Eugen Mühlfeit auch vorkommt, so vertrauenswürdig erscheint ihm die Autorin. Winters hebt die beachtliche Rechercheleistung der Autorin hervor, die Detailiertheit, mit der sie Mühlfeits Weg durch die Lager der Geheimdienste und seinen Kampf um Rehabilitierung dokumentiert. Dass Glocke auch den Eigensinn und die Naivität Mühlfeits nicht verschweigt, dient dem Rezensenten als weiterer Vertrauensbeweis.

© Perlentaucher Medien GmbH