Michael Buselmeiers "letzte Gedichte" sind während der vergangenen fünf Jahre entstanden. Der Autor spricht darin von sich häufenden Abschieden, dem Verlust naher Gefährten, letzten Reisen und Ausflügen, Erinnerungen an Kindheit und Jugend. Es gibt z.B. ein Gedicht über den armen Hölderlin, 1802 zu Fuß unterwegs in Frankreich; einen lyrischen Zyklus im Gedenken an Arnfrid Astel, Poeme zum Tod von Günter Herburger, Wulf Kirsten, Oleg Jurjew, Michael Braun. Andere Texte wenden sich existentiell bedeutsamen Orten und Landschaften zu, so das umfangreiche Titelgedicht "In den Sanden bei Mauer". Es folgen Erfahrungen eines mißbrauchten Kindes in der Kriegs- und Nachkriegszeit, das erste Worte und Bilder in die Wand des Bombentrichters ritzt. Schließlich Apokalyptisches, Krankheiten und "das fiese Alter". Der störrische Greis will "allein sterben".Buselmeiers Gedichte sprechen von "Abwesendem" und machen es mithilfe der Sprache "anwesend", wobei man das Grollen der Geschichte zu hören meint. Der Widerstand gegen das alltägliche Gerede manifestiert sich in einer poetischen Sprache, in ihrer Vieldeutigkeit, ihrer autobiographischen Fundierung, ihrem radikalen Dissens: "schroff aufgebrochener Boden wandernde Ränder".
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Im Neckartal ist Michael Buselmeier beheimatet, weiß Rezensent Hans Christoph Buch, so erklärt sich auch der zunächst rätselhafte Titel dieses Gedichtbandes, denn Mauer ist ein Dorf in dieser Gegend, erfahren wir. Buselmeier charakterisiere sich selbst als zwischen "Anmaßung und Furchtsamkeit" stehend, das spiegele sich auch in den Gedichten wider. Verweise zu anderen Dichtern kann Buch ebenfalls lesen und zitiert ausführlich aus den "leuchtenden Versen/ unter uns Blinde verstreut." Für den Kritiker auch mit den vielen Verbeugungen vor bereits verstorbenen Dichter- und Kritikerfreunden wie Rolf Dieter Brinkmann wohl das beste Buch Buselmeiers, wie er schließt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2024Wie du in den Kübel rappelst
Famoses Vermächtnis zu Lebzeiten: Michael Buselmeier nennt die Gedichte aus "In den Sanden bei Mauer" seine letzten
"In den Sanden bei Mauer": Der sperrige Titel bleibt für sich genommen unverständlich, wenn man nicht weiß, dass Mauer ein Dorf bei Leimen ist, dem Heimatort des Tennisstars Boris Becker. Dort legte ein Arbeiter namens Hartmann 1907 beim Sandschippen den Unterkiefer des Homo heidelbergensis frei, der, Elefanten und Nashörner jagend, lange vor dem Neandertaler das Neckartal durchstreifte. 600.000 Jahre später tritt an selbiger Stelle Michael Buselmeier als Heimatforscher, Stadtführer und Dichter auf. Schwankend zwischen Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitskomplex, identifiziert er sich umstandslos mit den Größten seiner Zunft. Vielleicht ist das der Grund, warum er seinem im kleinen Morio Verlag erschienenen Lyrikband gleich vier Zitate seines Hausgottes Hölderlin vorangestellt hat - weniger wäre mehr, aber darunter macht Buselmeier es nicht.
"Es war etwas Schrilles, Hochmütiges um ihn, eine Mischung aus Anmaßung und Furchtsamkeit": So hat Buselmeier sich selbst in seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman "Wunsiedel" charakterisiert, und diese Eigeneinschätzung ist zu überprüfen anhand seiner neuen Gedichte, die hoffentlich nicht, wie im Untertitel vorschnell behauptet, seine letzten sind.
"Hölderlin in Frankreich" heißt eine den Band eröffnende Elegie, die locker, aber nicht unprätentiös Buselmeiers Bandbreite und zugleich seinen literarischen Anspruch sichtbar macht: "ein umherschweifender Deutscher, / der kreischend / davonsprang // über die / Stoppeläcker, als ich ihn ansprach / du verstörter Geist // beschmutzte Kleidung / doch edler Ausdruck / des Schmerzes."
Michael Buselmeier war und ist ein rastlos Wandernder, der auf der Suche nach seinem verlorenen Schatten die Landschaften der Literatur durcheilt, nicht in Siebenmeilenstiefeln wie Peter Schlemihl, sondern in Turnschuhen, und dabei verstorbener Freunde gedenkt. Allen voran Arnfrid Astel, Herausgeber der "Lyrischen Hefte" und Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk: "Du bist der Blitz aus dem / Planeten der Inspiration / die Schnecke die sich / spiralig / aus der Muschel dreht", heißt es in einer Hommage, die, in Regel und Beispiel zugleich, die von Astel bevorzugte Form des poetischen Stenogramms aufgreift. Und weiter: "Wie Sand am Meer hast du die / leuchtenden Verse / unter uns Blinde verstreut."
Man fühlt sich an die Schlesische Dichterschule erinnert oder an den Göttinger Hain, deren Vertreter sich vor dahingeschiedenen Kollegen verneigten wie in Buselmeiers Grabschrift für den vor einem Jahr verstorbenen Lyrikkritiker Michael Braun: "Am Rohrbach bei der bewussten / Eichendorff-Hecke / nach unserem letzten Gespräch / zu Enzensbergers Ende / blickten wir uns lange an / über den Paradiesgarten hinaus."
Um es vorwegzusagen: "In den Sanden bei Mauer" ist ein großer Wurf, vielleicht Buselmeiers bestes Buch, weil er hier auf Überflüssiges verzichtet, keine falschen Rücksichten nimmt und sich ungeschützt als der zeigt, der er ist: ein nervöser, manchmal auch nerviger Typ, der niemandem nach dem Munde redet und sagt, was er - und nur er - zu sagen hat. Dass dabei, nach mehr als fünfzigjähriger Präsenz im Literaturbetrieb, belegt durch zahlreiche Bücher, kein leeres Geschwätz herauskommt, weder Selbstmitleid noch Nostalgie, grenzt an ein Wunder. Buselmeiers Nachruf auf den amerikanischen Kultautor Charles Bukowski, der sich unter Pennern und Prostituierten wohler fühlte als auf dem Podium einer Akademie, spricht für sich: "Alltagsgedicht / Heidelberg, März 1994 // Dieser Penner der Freak da / mit dem fettigen Grauhaar / ruft mir vom Straßenrand zu // hey Stadtführer Radfahrer / weißte schon - / Bukowski is tot // gib mir sofort fünf Mark."
Man möchte immer weiterzitieren, denn in diesem kurzen Text stimmt alles: von der neuen Schäbigkeit der Neunzigerjahre, als Obdachlose und Alkoholiker die Fußgängerzonen in Besitz nahmen, und von der Währungsunion zum Euro, der bald schon die D-Mark ersetzte. Doch Buselmeier kann auch anders, so etwa in einem "Sternbilder" betitelten Schlaflied, das, zeitlos und romantisch zugleich, einen Bogen schlägt vom Hasenstall im Gemüsegarten bis zu den Gestirnen im All: "Nachts beginnen die / Pfälzer Sterne zu glühen / über den Hasenställen // über den Zelten / der Kinder / die im Schlaf stöhnen // Der Himmelsjäger / Orion / trägt drei Sterne am Gürtel".
In Buselmeiers "Letzten Gedichten" gibt es, wie beim früh verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann, keinen falschen Ton, kein schiefes Bild. Die Probe aufs Exempel ist sein Alterspoem "Achtzig verweht" mit dem erklärenden Zusatz "Sonett im barocken Ton". Auch hier ist die Störung der Harmonie vom Autor gewollt, die Drastik der Schilderung genau kalkuliert: "Wie du so trostlos in den Kübel rappelst / und dich mit andern Windelträgern kappelst / am Fensterkreuz die Unterhose zappelt. // Mitten im Schlafsaal stehst du, nackt, verlegen, / reißt dir die Schläuche aus dem Leib verwegen: / Mein Sohn soll kommen und mich trockenlegen." Das ist barockes Vergänglichkeitspathos, Memento mori und moderne Sozialkritik, durch postmoderne Reime verknüpft, und dem ist nichts hinzuzufügen. HANS CHRISTOPH BUCH
Michael Buselmeier:
"In den Sanden bei
Mauer". Letzte Gedichte.
Morio Verlag, Heidelberg 2023. 72 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Famoses Vermächtnis zu Lebzeiten: Michael Buselmeier nennt die Gedichte aus "In den Sanden bei Mauer" seine letzten
"In den Sanden bei Mauer": Der sperrige Titel bleibt für sich genommen unverständlich, wenn man nicht weiß, dass Mauer ein Dorf bei Leimen ist, dem Heimatort des Tennisstars Boris Becker. Dort legte ein Arbeiter namens Hartmann 1907 beim Sandschippen den Unterkiefer des Homo heidelbergensis frei, der, Elefanten und Nashörner jagend, lange vor dem Neandertaler das Neckartal durchstreifte. 600.000 Jahre später tritt an selbiger Stelle Michael Buselmeier als Heimatforscher, Stadtführer und Dichter auf. Schwankend zwischen Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitskomplex, identifiziert er sich umstandslos mit den Größten seiner Zunft. Vielleicht ist das der Grund, warum er seinem im kleinen Morio Verlag erschienenen Lyrikband gleich vier Zitate seines Hausgottes Hölderlin vorangestellt hat - weniger wäre mehr, aber darunter macht Buselmeier es nicht.
"Es war etwas Schrilles, Hochmütiges um ihn, eine Mischung aus Anmaßung und Furchtsamkeit": So hat Buselmeier sich selbst in seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman "Wunsiedel" charakterisiert, und diese Eigeneinschätzung ist zu überprüfen anhand seiner neuen Gedichte, die hoffentlich nicht, wie im Untertitel vorschnell behauptet, seine letzten sind.
"Hölderlin in Frankreich" heißt eine den Band eröffnende Elegie, die locker, aber nicht unprätentiös Buselmeiers Bandbreite und zugleich seinen literarischen Anspruch sichtbar macht: "ein umherschweifender Deutscher, / der kreischend / davonsprang // über die / Stoppeläcker, als ich ihn ansprach / du verstörter Geist // beschmutzte Kleidung / doch edler Ausdruck / des Schmerzes."
Michael Buselmeier war und ist ein rastlos Wandernder, der auf der Suche nach seinem verlorenen Schatten die Landschaften der Literatur durcheilt, nicht in Siebenmeilenstiefeln wie Peter Schlemihl, sondern in Turnschuhen, und dabei verstorbener Freunde gedenkt. Allen voran Arnfrid Astel, Herausgeber der "Lyrischen Hefte" und Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk: "Du bist der Blitz aus dem / Planeten der Inspiration / die Schnecke die sich / spiralig / aus der Muschel dreht", heißt es in einer Hommage, die, in Regel und Beispiel zugleich, die von Astel bevorzugte Form des poetischen Stenogramms aufgreift. Und weiter: "Wie Sand am Meer hast du die / leuchtenden Verse / unter uns Blinde verstreut."
Man fühlt sich an die Schlesische Dichterschule erinnert oder an den Göttinger Hain, deren Vertreter sich vor dahingeschiedenen Kollegen verneigten wie in Buselmeiers Grabschrift für den vor einem Jahr verstorbenen Lyrikkritiker Michael Braun: "Am Rohrbach bei der bewussten / Eichendorff-Hecke / nach unserem letzten Gespräch / zu Enzensbergers Ende / blickten wir uns lange an / über den Paradiesgarten hinaus."
Um es vorwegzusagen: "In den Sanden bei Mauer" ist ein großer Wurf, vielleicht Buselmeiers bestes Buch, weil er hier auf Überflüssiges verzichtet, keine falschen Rücksichten nimmt und sich ungeschützt als der zeigt, der er ist: ein nervöser, manchmal auch nerviger Typ, der niemandem nach dem Munde redet und sagt, was er - und nur er - zu sagen hat. Dass dabei, nach mehr als fünfzigjähriger Präsenz im Literaturbetrieb, belegt durch zahlreiche Bücher, kein leeres Geschwätz herauskommt, weder Selbstmitleid noch Nostalgie, grenzt an ein Wunder. Buselmeiers Nachruf auf den amerikanischen Kultautor Charles Bukowski, der sich unter Pennern und Prostituierten wohler fühlte als auf dem Podium einer Akademie, spricht für sich: "Alltagsgedicht / Heidelberg, März 1994 // Dieser Penner der Freak da / mit dem fettigen Grauhaar / ruft mir vom Straßenrand zu // hey Stadtführer Radfahrer / weißte schon - / Bukowski is tot // gib mir sofort fünf Mark."
Man möchte immer weiterzitieren, denn in diesem kurzen Text stimmt alles: von der neuen Schäbigkeit der Neunzigerjahre, als Obdachlose und Alkoholiker die Fußgängerzonen in Besitz nahmen, und von der Währungsunion zum Euro, der bald schon die D-Mark ersetzte. Doch Buselmeier kann auch anders, so etwa in einem "Sternbilder" betitelten Schlaflied, das, zeitlos und romantisch zugleich, einen Bogen schlägt vom Hasenstall im Gemüsegarten bis zu den Gestirnen im All: "Nachts beginnen die / Pfälzer Sterne zu glühen / über den Hasenställen // über den Zelten / der Kinder / die im Schlaf stöhnen // Der Himmelsjäger / Orion / trägt drei Sterne am Gürtel".
In Buselmeiers "Letzten Gedichten" gibt es, wie beim früh verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann, keinen falschen Ton, kein schiefes Bild. Die Probe aufs Exempel ist sein Alterspoem "Achtzig verweht" mit dem erklärenden Zusatz "Sonett im barocken Ton". Auch hier ist die Störung der Harmonie vom Autor gewollt, die Drastik der Schilderung genau kalkuliert: "Wie du so trostlos in den Kübel rappelst / und dich mit andern Windelträgern kappelst / am Fensterkreuz die Unterhose zappelt. // Mitten im Schlafsaal stehst du, nackt, verlegen, / reißt dir die Schläuche aus dem Leib verwegen: / Mein Sohn soll kommen und mich trockenlegen." Das ist barockes Vergänglichkeitspathos, Memento mori und moderne Sozialkritik, durch postmoderne Reime verknüpft, und dem ist nichts hinzuzufügen. HANS CHRISTOPH BUCH
Michael Buselmeier:
"In den Sanden bei
Mauer". Letzte Gedichte.
Morio Verlag, Heidelberg 2023. 72 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main