Sechs Tage im Jahr 1992. Polizisten misshandeln einen Schwarzen und Los Angeles explodiert. Plünderungen, Brände, Menschen sterben. Was passiert, wenn die Polizei eine Stadt den Gangs überlässt? Rechnungen werden beglichen, noch und noch. Davon erzählt dieser ungeheuerliche Roman. Am Anfang ein unmenschlicher Mord: Wir erleben ihn aus der Sicht des Opfers. Dann kommen andere zu Wort: skrupellose und weniger skrupellose Gangster, rassistische Polizisten, Krankenschwestern, Junkies, jugendliche Mitläufer. Und es entsteht das Bild einer Gesellschaft, die sich im Ausnahmezustand gänzlich enthüllt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2016Siebzehn Stimmen im Kopf des Lesers
Am 3. März 1991 wurde der Afroamerikaner Rodney King von mehreren Beamten des Los Angeles Police Department brutal zusammengeschlagen. Es kam zu einem Strafverfahren, das am 29. April 1992 mit dem Freispruch für die Polizisten endete. Daraufhin brach in L.A. die Hölle los. An sechs Tagen brannten mehr als 11 100 Feuer, gut zehntausend Menschen wurden festgenommen, zweieinhalbtausend verletzt, sechzig starben. Der Sachschaden betrug eine Milliarde Dollar. Ryan Gattis' sorgfältig recherchierter Thriller hat alles und nichts damit zu tun. Zwar spielt die Handlung während der L.A. Riots, doch das wütende Inferno ist oft reines Hintergrundrauschen. Der Vordergrund gehört den Latino-Gangs, die die Überlastung der Polizei nutzen, um sich gegenseitig abzuschlachten. Dabei folgen sie einem Vergeltungsimperativ, der die Hinterbliebenen darauf verpflichtet, Mord mit Mord zu sühnen.
Glanzpunkt des Romans ist seine Form. Siebzehn Ich-Erzähler lässt Gattis aufmarschieren, bei jedem einzelnen verschmelzen Wahrnehmung, Haltung und Idiolekt zu einem individuellen, letztlich nicht übersetzbaren Stil (weswegen nachdrücklich das Original empfohlen sei). Dieser Kniff bedingt eine dramatische Unmittelbarkeit, die uns rigoros ins Geschehen zieht: Waren wir vorhin noch mit dem erschöpften Feuerwehrmann unterwegs, hocken wir wenig später im Kopf des um sich schießenden Gangsters. Gattis verzahnt solche disparaten Perspektiven, indem er Figuren zusammenführt oder ein Ereignis aus unterschiedlichen Blickwinkeln schildert. Das Erzählen ist in diesem furiosen Buch mindestens so wichtig wie das Erzählte.
span
Ryan Gattis: "In den Straßen die Wut". Thriller.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Rowohlt Polaris, Reinbek 2016. 528 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am 3. März 1991 wurde der Afroamerikaner Rodney King von mehreren Beamten des Los Angeles Police Department brutal zusammengeschlagen. Es kam zu einem Strafverfahren, das am 29. April 1992 mit dem Freispruch für die Polizisten endete. Daraufhin brach in L.A. die Hölle los. An sechs Tagen brannten mehr als 11 100 Feuer, gut zehntausend Menschen wurden festgenommen, zweieinhalbtausend verletzt, sechzig starben. Der Sachschaden betrug eine Milliarde Dollar. Ryan Gattis' sorgfältig recherchierter Thriller hat alles und nichts damit zu tun. Zwar spielt die Handlung während der L.A. Riots, doch das wütende Inferno ist oft reines Hintergrundrauschen. Der Vordergrund gehört den Latino-Gangs, die die Überlastung der Polizei nutzen, um sich gegenseitig abzuschlachten. Dabei folgen sie einem Vergeltungsimperativ, der die Hinterbliebenen darauf verpflichtet, Mord mit Mord zu sühnen.
Glanzpunkt des Romans ist seine Form. Siebzehn Ich-Erzähler lässt Gattis aufmarschieren, bei jedem einzelnen verschmelzen Wahrnehmung, Haltung und Idiolekt zu einem individuellen, letztlich nicht übersetzbaren Stil (weswegen nachdrücklich das Original empfohlen sei). Dieser Kniff bedingt eine dramatische Unmittelbarkeit, die uns rigoros ins Geschehen zieht: Waren wir vorhin noch mit dem erschöpften Feuerwehrmann unterwegs, hocken wir wenig später im Kopf des um sich schießenden Gangsters. Gattis verzahnt solche disparaten Perspektiven, indem er Figuren zusammenführt oder ein Ereignis aus unterschiedlichen Blickwinkeln schildert. Das Erzählen ist in diesem furiosen Buch mindestens so wichtig wie das Erzählte.
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Ryan Gattis: "In den Straßen die Wut". Thriller.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Rowohlt Polaris, Reinbek 2016. 528 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Autor hat einen Gangsterboss als Informanten gewinnen können; also darf man neben den Zahlen und Fakten auch eine gewisse Authentizität der Atmosphäre annehmen. Es ist ein Unterschied, ob man die Geschehnisse als Roman vorgeführt bekommt oder als trockene politisch-soziale Analyse. Empathie in die eine oder andere Richtung ist lehrreich, aber auch furchterregend. Der Standard