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Vom Anfang des Mauerbaus - erst Pankow, dann Wandlitz, schließlich das ganze Land
Um 1900 mit einzelnen Villen im Umfeld des Schlosses Niederschönhausen bebaut, begann der eigentliche Bauboom in dem ringförmigen Areal vor allem in den dreißiger Jahren. Meist waren es Unternehmer, die sich in der ehemaligen Kronprinzen- und Viktoriastraße niederließen. Nach 1945 wurden deren Häuser von der sowjetischen Militäradministration requiriert, die Besitzer enteignet. Von der Gründung der DDR 1949 bis zum "Auszug" nach Wandlitz 1961 war das "Städtchen" - von der übrigen Bevölkerung gut abgeschottet -…mehr

Produktbeschreibung
Vom Anfang des Mauerbaus - erst Pankow, dann Wandlitz, schließlich das ganze Land

Um 1900 mit einzelnen Villen im Umfeld des Schlosses Niederschönhausen bebaut, begann der eigentliche Bauboom in dem ringförmigen Areal vor allem in den dreißiger Jahren. Meist waren es Unternehmer, die sich in der ehemaligen Kronprinzen- und Viktoriastraße niederließen. Nach 1945 wurden deren Häuser von der sowjetischen Militäradministration requiriert, die Besitzer enteignet. Von der Gründung der DDR 1949 bis zum "Auszug" nach Wandlitz 1961 war das "Städtchen" - von der übrigen Bevölkerung gut abgeschottet - Wohnghetto für die Spitzenfunktionäre der SED.

Der Autor hat nicht nur diese politische Geschichte des "Städtchens" rekapituliert, sondern sie in die Stadtgeschichte eingebettet und bis in die heutige Zeit aufgeschrieben. Mit vielen erstmals veröffentlichten Abbildungen entsteht so ein spannendes Lese- und Bilderbuch zur Sozial- und Zeitgeschichte, das die Mächtigen von einst ganz privat vorstellt. Eine CD (Mac und PC-kompatibel) bietet zudem Film- und Tondokumente aus den fünfziger Jahren.
Autorenporträt
Hans-Michael Schulze, 1967 geboren, aufgewachsen in der Altmark, Abitur in Tangerhütte, danach Studium der Kunstgeschichte an der TU Berlin. Nebenbei Tätigkeit als Stadtführer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2001

Der Redakteur hat jeden Sonntag zu erscheinen
Chruschtschow und Hans Fallada: Ein Recherche lädt ins "Städtchen", das DDR-Regierungsviertel in Pankow

Drei wohlbeleibte Herren in Anzügen sitzen im Wintergarten eines Pankower Bürgerhauses und stoßen mit Sekt an. Die Szene könnte aus einem Familienalbum stammen, so harmlos, so privat wirkt sie. Kaum etwas deutet darauf hin, daß jene drei Herren, die sich Mitte der fünfziger Jahre im Majakowskiring trafen, zu diesem Zeitpunkt zu den mächtigsten Männern des Ostblocks gehörten. Daß die SED-Politiker Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht und der sowjetische Staatsmann Nikita Chruschtschow ausgerechnet in Pankow zusammenkamen, war kein Zufall. In einem abgeriegelten Areal, das von der Bevölkerung bis heute "Städtchen" genannt wird, lebten bis zu Beginn der sechziger Jahre hochrangige Politiker der DDR mit ihren Familien. Dann zogen sie in die Waldsiedlung bei Wandlitz um, aus der sie nach der Wende zum Teil wieder nach Pankow zurückkehrten.

In den letzten Kriegstagen waren die Häuser von der Roten Armee konfisziert worden, weil sie sich aufgrund ihrer Lage gut für ein abgeriegeltes Prominentenghetto eigneten. Auch nach dem Umzug der Führungsriege blieb das "Städtchen" bis 1989 Wohnsitz für Politiker aus der zweiten Reihe. In den vergangenen Jahren ist viel über die Häuser am Majakowskiring spekuliert worden, über die Intrigen, die hinter den verschlossenen Türen gesponnen wurden und die einzelne Politiker wie den Maschinenbauminister Paul Gerhart Ziller bis in den Selbstmord trieben. Der Berliner Autor Hans-Michael Schulze legt nun ein sorgsam recherchiertes Buch vor, das die Vorgänge in Pankow detailgenau beschreibt. Die Machtkonzentration an diesem Ort sei "unerhört" gewesen, sagt der 1967 geborene Kunsthistoriker.

In Pankow trafen sich besonders in den ersten Jahren des "Städtchens" die größten Staatsmänner ihrer Zeit, zumindest jene, die mit der DDR auf freundschaftlichem Fuß standen. Auch Künstler gingen hier ein und aus. Zu ihnen zählte der Schriftsteller Hans Fallada, der 1945 von dem späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher in den Dunstkreis der Mächtigen geholt wurde. Zu den politischen Entscheidungen, die in Pankow getroffen wurden, gehörte laut Schulze die Verwaltungsreform, nach der die bisherigen Länder in fünfzehn DDR-Bezirke umgewandelt wurden. Präsident Pieck empfing zu seinem Geburtstag am 3. Januar Abordnungen von Werktätigen, Junge Pioniere und auch unbescholtene Bürger, die dem Politiker durchaus freiwillig Blumen überreichten und ihm Ständchen sangen. Die DDR-Presse berichtete überschwenglich. Die Zeitungen verbreiteten das Bild vom gütigen älteren Herrn, der vom nahegelegenen Schloß Schönhausen aus die Geschicke der DDR lenkte. "Bis heute glauben daher viele Menschen, daß Pieck ein lieber Mensch gewesen sei", sagt Schulze. "Das stimmt nicht."

In den Westmedien war "Pankow" in den fünfziger Jahren ein Begriff wie der Kreml in Moskau. Doch um das Allgemeinwissen der Leser muß es schon damals schlecht gestanden haben, wie Schulze schreibt. Als 1961 Schüler aus den Westsektoren befragt wurden, was "Pankow" sei, hielten sie es wahlweise für die polnische Regierung, für einen rumänischen Politiker, einen der größten sowjetischen Staatsmänner oder ein russisches Wort, dessen Bedeutung unbekannt sei. Das Wissen vieler Berliner über das ehemalige Regierungsviertel ist bis heute nicht groß. Über die Siedlung in Wandlitz scheint mehr bekannt zu sein. Wer schon einmal in Pankow recherchiert hat, der weiß, wie schwer es ist, Zeitzeugen zu einem Gespräch zu bewegen und in dem Wirrwarr aus teilweise halbwahren Informationen einen roten Faden und verwertbare Fakten zu finden.

Um so mehr erstaunt es, was Hans-Michael Schulze zu Tage fördern konnte. Er wertete zeitgenössische Dokumente aus und sprach mit Kindern von DDR-Politikern, die hier ihre Jugend verbrachten. Selbst Walter Ulbrichts Witwe Lotte, die bis heute im Majakowskiring lebt, wechselte einige Worte mit dem Autor. Sonst ist die 1903 geborene Frau nicht zu einem Gespräch bereit, obwohl sie, wie Schulze berichtet, sich regelmäßig im Rollstuhl in den Schloßpark fahren läßt. Das Vorwort zu dem Buch "In den Wohnzimmern der Macht" stammt von Wolfgang Leonhard. Er kam 1945 mit einer Gruppe um Walter Ulbricht aus dem sowjetischen Exil nach Berlin zurück und kehrte wenige Jahre später dem Kommunismus den Rücken. Als Redakteur eines Schulungsheftes der KPD mußte Leonhard von 1945 an jeden Sonntag bei dem SED-Funktionär Anton Ackermann erscheinen, der im "Städtchen" lebte und dort die Hefte durchsah. Leonhard erinnert sich daran, daß das Areal bei der Bevölkerung schon damals in zweifelhaftem Ruf stand. Die Leute nannten es Ghetto, schreibt er: "Das war schließlich nicht übertrieben, denn das ,Städtchen' war hermetisch abgeriegelt, mit rot-weiß gestreiften Schlagbäumen, rot-weiß bemalten Wächterhäuschen, bewacht von sowjetischen Soldaten und Offizieren (später kamen noch Volkspolizisten hinzu)."

JOSEFINE JANERT

Hans-Michael Schulze: "In den Wohnzimmern der Macht", erschienen in der Berlin Edition, 58 Mark, mit CD-ROM 78 Mark.

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