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Heinz Dürr erinnert sich: Während er bei seiner Verabschiedung als Chef der Deutschen Bahn den Lobeshymnen der Festredner lauscht, lässt der gebürtige Schwabe sein Leben Revue passieren. Er erzählt von den Anfängen als Unternehmer in der väterlichen Firma, der er zu weltweiter Geltung verhalf, von den schwierigen Zeiten im AEG-Konzern, den er nur knapp vor dem Konkurs bewahrte, und schließlich von der größten Herausforderung seines Berufslebens - dem Posten als Bahnchef, der nach 1990 Deutsche Bahn und DDR-Reichsbahn zusammenführen musste. Mit Witz, Ironie und vielen Anekdoten schildert Dürr…mehr

Produktbeschreibung
Heinz Dürr erinnert sich: Während er bei seiner Verabschiedung als Chef der Deutschen Bahn den Lobeshymnen der Festredner lauscht, lässt der gebürtige Schwabe sein Leben Revue passieren. Er erzählt von den Anfängen als Unternehmer in der väterlichen Firma, der er zu weltweiter Geltung verhalf, von den schwierigen Zeiten im AEG-Konzern, den er nur knapp vor dem Konkurs bewahrte, und schließlich von der größten Herausforderung seines Berufslebens - dem Posten als Bahnchef, der nach 1990 Deutsche Bahn und DDR-Reichsbahn zusammenführen musste. Mit Witz, Ironie und vielen Anekdoten schildert Dürr die Begegnungen mit den Großen aus Wirtschaft, Politik und Kunst, aber auch seine Erfahrungen im Umgang mit den "kleinen Leut", die dem Unternehmer zeitlebens wichtig blieben. Seine Erinnerungen erzählen zugleich sechzig Jahre bundesdeutscher Geschichte - von der Währungsreform und dem Wirtschaftswunder bis hin zur Wiedervereinigung und der Globalisierung, deren Folgen für die kapitalistischeWelt Heinz Dürr heute mit wachsender Kritik sieht. Sein Buch ist der Lebensbericht eines Mannes, der stets von der Lust getrieben war, Wege jenseits ausgetretener Pfade zu suchen - und für den die Faszination der Macht vor allem darin lag, Dinge bewegen zu können.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2008

Erinnerungen eines Unerschrockenen

VON JÜRGEN JESKE

Zu seinen besten Zeiten war er weithin bekannt. "Schau mal, der Dürr", sagten die Leute. Heute fragen Jüngere: "Dürr, wer?" Dabei wacht der 75 Jahre alte schwäbische Unternehmer als Aufsichtsratschef noch immer über die Geschicke des Familienunternehmens Dürr AG, das er zum Weltmarktführer von Produktionstechnik für Autos und Flugzeuge ausgebaut hat.

In den achtziger Jahren hatte Dürr den angeschlagenen zweitgrößten deutschen Elektrokonzern AEG vor dem Konkurs bewahrt, auch wenn er ihn später nicht endgültig retten konnte. 1991 holte ihn Bundeskanzler Helmut Kohl an die Spitze der Bundesbahn, wo er nicht nur entscheidende Weichen gestellt hat für das Jahrhundertwerk der Bahnreform, sondern auch mit seinem Kommunikationstalent die schwierige Zusammenführung der ostdeutschen Reichsbahn mit der Bundesbahn gemeistert hat.

Bei seiner Verabschiedung feierte ihn Kohl als erfolgreichen Unternehmer und realistischen Optimisten, der seine Pflicht für das Land getan habe. Nach 2000 hat Dürr schließlich noch die Zeiss-Schott-Gruppe saniert und eine Krise seines Familienkonzerns überwunden.

Warum schreibt Dürr jetzt Erinnerungen, die immer wieder nach Rechtfertigung klingen? Warum der provokante Titel "In der ersten Reihe - Aufzeichnungen eines Unerschrockenen" (wjs Verlag Wolf Jobst Siedler jr., Berlin 2008, 366 Seiten)? Fühlt er sich verkannt, weil ihm die AEG-Rettung nicht gelang, weil die Bahnreform inzwischen mit dem Namen Mehdorn verbunden wird, weil er nicht mehr in der ersten Reihe sitzt? "Für dich sind drei Dinge wichtig: Macht, Tatendrang und Anerkennung", hat seine sehr eigenständige Frau einmal gesagt. Fehlt ihm da jetzt etwas?

Dürrs Aufzeichnungen sind gleichwohl ein erhellender Einblick in die alte Deutschland AG. Zugleich ist das Buch ein amüsantes Selbstporträt eines der farbigsten deutschen Unternehmer, eines neugierigen, ungeduldigen, kulturell vielseitig interessierten Menschen, dessen Idealbild bis heute Walther Rathenau ist. Rathenau, der 1922 von Rechtsradikalen ermordete Außenminister, war der Sohn des AEG-Gründers und hatte sich als Großindustrieller und Organisator der Kriegswirtschaft und Politiker ebenso einen Namen gemacht wie als zeitkritischer Schriftsteller, der die Wirtschaft in dienender Funktion gegenüber Staat und Gemeinschaft sah, Gedanken, die auch Dürr bewegen.

Dürr ist unerschrocken, das stimmt. Er war es jedoch, wie er schreibt, mit der Unschuld und Naivität eines Parsifal auf der Suche nach dem Gral und der eigenen Erlösung. Sonst hätte er manches nicht gewagt. Der schlaksige, wie ein älterer Student wirkende Unternehmer ist freilich ein durch und durch schwäbischer Parsifal geblieben. Geboren als Sohn eines Metallbaufabrikanten in Stuttgart, wollte Dürr nach Abitur und Weltverbesserungsschwärmereien wie sein Vater Unternehmer werden. Eine Lehre als Stahlbauschlosser brach er ebenso ab wie ein Maschinenbaustudium, weil sie ihn nicht schnell genug zum Ziel führten. "Geschadet hat mir das eigentlich nicht", meint er heute. Auch als Angestellter im Familienbetrieb will er bald mehr. Eine mögliche Erklärung findet sich in einer Bemerkung über den Vater: "Kein Vorbild, wie ich es mir vorstellte, aber einer, dem ich immer zeigen wollte, was ich kann."

1975 wird Dürr als Nachfolger von Hanns Martin Schleyer Vorsitzender des Metallarbeitgeberverbands Nordwürttemberg/ Nordbaden, wo er "Impulse für eine fortschrittliche Gesellschaft" zu geben hofft. Mit dem höchst umstrittenen Tarifkompromiss von 1978 und Franz Steinkühler von der IG Metall als Gegenspieler wird Dürr bundesweit bekannt. Er lernt unter anderen den legendären Bosch-Chef Hans L. Merkle kennen. Auf dessen Anregung holen ihn 1979/80 die genervten Banken zur krisengeschüttelten AEG. Der Flaschnermeistersohn als Konzernchef? "Das erschreckte mich eigentlich nicht." Was folgt, sind mühevolle Sanierungsversuche, Gezerre der Geldhäuser, gescheitertes Zusammengehen mit der britischen GEC, schließlich der spektakuläre Vergleich mit 1,1 Milliarden Mark Bundesbürgschaft, die verzinst, aber nicht in Anspruch genommen wird. Dann 1985 die aufsehenerregende Übernahme der AEG-Mehrheit durch den Autokonzern Daimler-Benz. Doch die Daimler-Vision des "integrierten Technikkonzerns" scheitert ebenso wie die Integration der AEG. Dürr ist jedoch mit der Transaktion in die Führungsetage des damals mächtigsten und feinsten deutschen Industriekonzerns aufgerückt.

Aus dem Buch wird noch einmal deutlich, wie sehr seinerzeit Vorstellungen von "marktorientierter Industriepolitik" die deutsche Wirtschaft prägten, Vorstellungen, die Dürr heute noch für richtig hält. Über die "unsichtbare Hand des Marktes" des liberalen Klassikers Adam Smith hat Dürr oft und gern gespottet. Für ihn sind Unternehmen in erster Linie "gesellschaftliche Veranstaltungen", inzwischen fügt er hinzu: zum Zweck der Gewinnerzielung. Es überrascht daher nicht, dass Dürr den "gemeinschaftlich organisierten Kapitalismus" der Deutschland AG gegenüber dem kurzfristig orientierten und kapitalmarktgetriebenen angelsächsischen Kapitalismus verteidigt und dessen Protagonisten attackiert.

Dürrs Buch ist, wie er selbst, gut bestückt mit Zitaten. Zum Beispiel von Samuel Beckett: "Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei: Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Eines seiner Lieblingszitate, in dem sich Dürr selbst sieht, fehlt jedoch: die Bemerkung von Albert Camus, dass der Steine bergauf wälzende Sisyphos eigentlich ein glücklicher Mensch gewesen sei.

Heinz Dürr: "In der ersten Reihe - Aufzeichnungen eines Unerschrockenen" (wjs Verlag Wolf Jobst Siedler jr., Berlin 2008, 366 Seiten

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2009

Wirtschaftsbuch
Bekenntnisse des Ex-Bahnchefs Dürr
Der 1933 als Sohn eines schwäbischen Fabrikanten geborene Heinz Dürr verkörpert einen neuen Unternehmertyp: Er ist keiner, der sein Metier von der Pike auf gelernt hat und ihm bis ans Ende des Berufslebens treu bleibt. Dürr traut sich vielmehr, auch in fremde Branchen zu wechseln, weil er unternehmerische Begabung für wichtiger hält als eine formale Ausbildung. Macht da etwa einer, der sowohl seine Lehre als Stahlbauschlosser als auch sein Maschinenbaustudium abbrach, aus der Not eine Tugend? Erkennbar geschadet habe ihm das fehlende Diplom wohl nicht, stellt Dürr in seiner Autobiographie selbstbewusst fest – und den Ehrendoktor hat ihm die RWTH Aachen trotzdem verliehen.
Mit Witz, Eitelkeit und Offenheit in privaten Angelegenheiten lässt der ehemalige Chef des AEG-Konzerns und der Deutschen Bahn sein Leben und seine Karriere Revue passieren: Die „Jungvolkzeit” und die anderthalb Jahre in der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt”, einer Art NS-Eliteschule, streift Dürr nur kurz. Mehr Raum widmet er den Anfängen seiner beruflichen Karriere: Im Jahr 1975 übernahm der bis dahin kaum in Erscheinung getretene geschäftsführende Gesellschafter der Otto Dürr GmbH den Vorsitz des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Da in diesem Bezirk oft heftige Arbeitskämpfe ausgetragen wurden, erlangte Dürr, zusammen mit seinem Gegenspieler Franz Steinkühler von der IG Metall bald überregionale Berühmtheit.
Die nächste Sprosse der Karriereleiter war erklommen, als er 1980 auf dem Chefsessel der AEG Platz nahm. Den angeschlagenen Konzern konnte er zwar vor dem Konkurs bewahren, aber nicht auf Dauer retten. Im Zuge der Übernahme der AEG durch Daimler-Benz rückte Dürr in den Vorstand des wachsenden Technologiekonzerns auf. Endgültig in der ersten Reihe angekommen war er mit dem Schritt an die Spitze der Bundesbahn am 1. Januar 1991. Dort, so der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, müsse Dürr ein „strategisches Jahrhundertwerk” vollbringen: die Reform eines riesigen Staatsunternehmens mit Verlusten in Höhe von sechs Milliarden Mark, das von hohen Subventionen abhing. Dass zugleich die Reichsbahn der ehemaligen DDR in dieses Reformwerk einbezogen werden musste, brachte Dürr nicht nur ein weiteres Defizit von neun Milliarden Mark ein, sondern auch Stasi-Altlasten und die schwierige Aufgabe der Vergangenheitsbewältigung.
Seit seinem mit Pomp im Berliner Hotel Adlon zelebrierten Abschied von der Deutschen Bahn 1997 konnte Dürr sich wieder dem eigenen Unternehmen widmen. Schließlich musste der „unangefochtene Weltmarktführer” bei Produktionstechnik für Automobile und Flugzeuge „in Ordnung gebracht” werden.
Das Buch erhält seinen Reiz weniger aus der Erwähnung bekannter Persönlichkeiten wie Bill Gates oder Angela Merkel, mit der Dürr wohl zeigen will, dass er sich mit den Großen der Welt auf Augenhöhe wähnte. Das Buch besticht vielmehr durch die präzisen, mitunter ironisch-boshaften Schilderungen des Innenlebens der Wirtschaft. Zu den Glanzstücken zählen der kurze Abschnitt darüber, wie Spitzenpositionen in der Wirtschaft besetzt werden, die Beschreibung der Rituale in der Tarifpolitik und die Attacken gegen Unternehmensberater.
Lesenswert sind die eingestreuten Reflexionen und Maximen, die sich am Ende zu einem Credo des Unternehmers Dürr zusammenfügen: Nicht kurzfristige Gewinnoptimierung, sondern ein „gemeinschaftlich organisierter Kapitalismus” ist sein Ziel. Das nannte man früher soziale Marktwirtschaft. Dieses Modell muss in der Krise nun mit neuem Leben erfüllt werden. Werner Bührer
Heinz Dürr:
In der ersten Reihe. Aufzeichnungen eines Unerschrockenen.
wjs Verlag, Berlin 2008,
367 Seiten, 24,90 Euro.
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