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Samuel Joseph Agnon, der von 1912 bis 1924 in Deutschland lebte, ist der Klassiker der modernen hebräischen Literatur, ein Autor von weltweiter Geltung und Wirkung, der 1966, zusammen mit Nelly Sachs, mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sein Werk beschreibt die Hoffnungen und das Scheitern an der Grenze zwischen jüdischer Tradition und säkularer Moderne. Die Erzählung "In der Mitte ihres Lebens" schildert aus der Perspektive des Mädchens Tirza, das früh seine Mutter verlor, die gesellschaftlichen Zwänge und die Sehnsucht nach geglückter Liebe. In einer bürgerlichen Welt, in der…mehr

Produktbeschreibung
Samuel Joseph Agnon, der von 1912 bis 1924 in Deutschland lebte, ist der Klassiker der modernen hebräischen Literatur, ein Autor von weltweiter Geltung und Wirkung, der 1966, zusammen mit Nelly Sachs, mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sein Werk beschreibt die Hoffnungen und das Scheitern an der Grenze zwischen jüdischer Tradition und säkularer Moderne. Die Erzählung "In der Mitte ihres Lebens" schildert aus der Perspektive des Mädchens Tirza, das früh seine Mutter verlor, die gesellschaftlichen Zwänge und die Sehnsucht nach geglückter Liebe. In einer bürgerlichen Welt, in der Bildung erwünscht, religiöse Tradition aufgegeben oder am Verblassen ist, wird der heranwachsenden jungen Frau zunehmend bewusst, dass sie sich trotz ihrer eigenen freien Lebensentscheidungen der ihr zugedachten Rolle nicht entziehen kann. Agnons Erzählung "In der Mitte ihres Lebens" ist unvermutet modern.
"In der Mitte ihres Lebens" erscheint hier erstmals in deutscher Übersetzung und mit einem ausführlichen Kommentar zu Agnons assoziativer Sprache, die sich auf die gesamte jüdische Traditionsliteratur bezieht. Das Nachwort des Übersetzers Gerold Necker hellt diesen Zusammenhang auf.
Autorenporträt
Samuel Josef Agnon, geb. am 17. Juli 1888 in Buczaz/Galizien als Samuel J. Czaczkes. Er starb am 17. Februar 1970 in Tel Aviv. Agnon entstammt einer jüdischen Kaufmannsfamilie und wuchs im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Galizien auf. 1907 wanderte er als einer der ersten Pioniere nach Palästina aus, kehrte dann nach Europa zurück und lebte 1913-24 in Berlin und gehörte dort zum Kreis um Martin Buber. 1924 kehrte er nach Jerusalem zurück. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller war er in mehreren jüdischen Organisationen tätig. In seinen Werken setzte er sich vornehmlich mit den Menschen, der Tradition und der Kultur Galiziens und Israels auseinander. 1966 erhielt er zusammen mit Nelly Sachs den Nobelpreis für Literatur.

Dr. phil. Gerold Necker, geboren 1961, Dozent für Jüdische Studien an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Jüdische Mystik und Geschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit, Amsterdam im 17. Jahrhundert sowie das erzähleris

che Werk des israelischen Nobelpreisträgers Samuel Joseph Agnon.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als nur scheinbar naiven Versuch einer Rechenschaft dem eigenen Leben (und Glauben) gegenüber bezeichnet Jakob Hessing diese frühe Novelle des israelischen Schriftstellers Joseph Agnon. Dahinter verbirgt sich für Hessing nicht zuletzt auch die Geschichte vom Niedergang des alten Palästinas. Das Wissen dazu erhält der Rezensent vom Übersetzer Gerold Necker, der ihm in seinen Anmerkungen traditionelle Anspielungen erschließt und den Text in seiner Tiefe eröffnet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2014

Kann man diese Welt heilen?
Der Literaturnobelpreisträger Samuel Joseph Agnon hat dem Niedergang eine ganz eigene Sprache abgewonnen

Der Jüdische Verlag legt eine Novelle aus dem Frühwerk des Literaturnobelpreisträgers Samuel Joseph Agnon (1888 bis 1970) vor, die bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl sie schon 1921 entstand. Von 1913 bis 1924 lebte Agnon in Berlin und Bad Homburg, bevor er wieder nach Jerusalem zurückging, und die Jahre in Deutschland haben seinen Blick für die Hoffnungslosigkeit des europäischen Judentums geschärft.

Der Klassiker der neuhebräischen Literatur wird heute als israelischer Schriftsteller gehandelt, und als Israeli teilte er sich 1966 den Nobelpreis mit Nelly Sachs. Aber es wäre ungenau, ihn einer Literatur zuzuordnen, deren prominenteste aktuelle Vertreter Amos Oz, David Grossman oder Etgar Keret heißen. Agnon ist ein osteuropäischer Jude, seine prägenden Erfahrungen hat er in Galizien vor dem Ersten Weltkrieg gemacht, seine schriftstellerische Karriere begann er nicht zufällig mit jiddischen Texten. Viele seiner bedeutenden Werke schrieb er im Palästina der Mandatszeit, und zur Reife kam er schon lange vor der Staatsgründung, in den Zwischenkriegsjahren, bevor das europäische Judentum ein gewaltsames Ende fand.

Dieses voraus- und mitempfundene Ende findet in Agnons Werk vielfachen Ausdruck. Er schrieb keine Gesellschaftsromane im Stil des neunzehnten Jahrhunderts. Wie sein Zeitgenosse Franz Kafka war er ein moderner Autor, der dem Niedergang eine ganz eigene Sprache abgewinnt. Mit der Tradition aufgewachsen, verwendete er den ganzen Reichtum des Hebräischen, um sie ins Fragwürdige zu wenden.

"In der Mitte ihres Lebens starb meine Mutter." So lautet der erste Satz der frühen Novelle, und dies ist ihr Schluss: "In den Nächten, wenn mein Mann über seiner Arbeit saß und ich fürchtete, dass ich ihn dabei stören könnte, war ich allein in meinem Zimmer und schrieb meine Erinnerungen auf. Manchmal fragte ich mich, weswegen ich meine Erinnerungen aufschrieb, was hatte ich denn Neues entdeckt und von was wünschte ich, dass es bliebe, auch nach mir? Ich würde sagen: wegen der Seelenruhe, die ich durch mein Schreiben finde, habe ich alles aufgeschrieben, was in diesem Buch steht."

In diesen Rahmen stellt die Ich-Erzählerin Tirza ihren Bericht. Als ihre Mutter starb, war sie dreizehn Jahre alt, und auch jetzt, beim Schreiben dieser letzten Zeilen - verheiratet, erstmals schwanger -, ist sie noch kaum achtzehn. Aber ihren Text nennt sie "Erinnerungen", als stünde sie nicht in der Blüte ihrer Jugend, sondern bereits am Ende ihres Lebens, auf das sie nun zurückblickt.

In einem gewissen Sinne ist es auch so. Als Tirzas Mutter stirbt, ist sie noch ein Kind, und über dem Anfang des Textes liegt die tiefe Einsamkeit, in die sie stürzt. Denn mit der Mutter verliert sie zugleich den Vater, den die Trauer völlig verstört und der seiner Tochter deshalb keine Stütze sein kann. Auf sich allein gestellt, versucht das junge Mädchen ihrem aus dem Gleichgewicht geratenen Leben einen Sinn zu geben, und sie tut es auf erstaunliche Weise: Tirza bringt in Erfahrung, dass nicht ihr Vater, sondern der Lehrer Akavia Masal der erste Verlobte ihrer Mutter war, dass diese Verlobung aufgelöst wurde, weil ihr Vater, ein reicher Mann, der kränklichen Frau ein angeblich besseres Leben bieten konnte, und dass dem Lehrer, der später nie geheiratet hatte, damit ein Unrecht geschehen war.

Dieses Unrecht will Tirza ausgleichen. Sie beschließt, Masal zu heiraten, um mit ihrem eigenen Leben zu erfüllen, was der gestorbenen Mutter versagt blieb. Doch dann muss sie erkennen, dass sie gescheitert ist. "Was hatte ich denn Neues entdeckt?", fragt sie am Ende, und die Ironie dieser Worte ist weniger Tirza selbst als ihrem Autor bewusst.

Etwas Neues zu entdecken ist das Gebot der traditionellen jüdischen Literatur. Sie ist ein laufender Kommentar zur göttlichen Weisung, und nur wer etwas Neues über den heiligen Text zu sagen hatte, ihm eine unerwartete Erkenntnis abgewann, wurde von den Schriftgelehrten in ihre Bücher aufgenommen. Steht aber auch Tirza unter diesem Gebot, muss auch sie etwas "Neues" entdecken, muss auch sie den Erwartungen der Schriftgelehrten genügen? Auf den ersten Blick scheint diese Frage absurd. Tirza ist noch jung und hat wenig gelernt; als sie ihren Bericht abschließt, ist sie dem Schulalter noch kaum entwachsen, und die Tatsache, dass sie eine Frau ist, enthebt sie von aller Pflicht traditioneller Gelehrsamkeit und lässt es eher merkwürdig erscheinen, dass sie überhaupt geschrieben hat.

Aber der erste Blick täuscht. Nicht der von ihr verfasste Text macht Tirza zu einer ungewöhnlichen Frau, sondern die Handlungsweise, die in ihm beschrieben wird. Sie glaubt, ein Unrecht erkannt zu haben, und sie setzt alles ein, um es zu korrigieren: die ungestillte Sehnsucht nach ihrer Mutter; den Wunsch, sie wieder von den Toten auferstehen zu lassen; und die ganze Reinheit ihrer unschuldigen kindlichen Existenz.

Was Tirza zu erreichen sucht, trägt im jüdischen Denken einen Namen. Es ist der tikkun olam, die Heilung der gebrochenen Welt. Zuletzt sind alle Weisungen der jüdischen Tradition auf dieses eine Ziel ausgerichtet - auf die Korrektur einer Katastrophe, die in der Vertreibung aus dem Paradies ihr Urbild hat. Tirza weiß es natürlich nicht, aber Agnon weiß es: Als das junge Mädchen sich anschickt, Akavia Masal zu retten, der ihr Vater sein könnte, tritt sie mit einem messianischen Anspruch auf, der aller jüdischen Tradition eingeschrieben ist.

Warum also scheitert Tirza? Es ist nicht ihre Schuld, und es ist auch nicht ihr Blick, der die Hintergründe zu durchschauen vermag. Es ist der Blick Agnons, der sich am Ende der Erzählung auf Tirza richtet und auf die Welt, die sie beschreibt. Diese Welt - Agnon spürt es mit der Intuition des Künstlers - ist nicht mehr zu erlösen, und in der Schlusspassage der Novelle hält er es fest.

Was ist die Arbeit ihres Mannes, bei der Tirza ihn zu stören fürchtet? Während sie ihren Bericht verfasst, schreibt auch er ein Buch. Es ist die Geschichte ihrer Stadt, und was Tirza nicht wissen kann, das weiß Agnon: Schreibend hält Akiva Masal eine Welt fest, die vor ihrem Untergang steht; eine Welt, die Tirza in ihrer Kindlichkeit zu retten versuchte und die nur im Buch ihres Mannes überleben wird.

Gerold Necker, der auch früher schon als Übersetzer von Agnons Erzählungen hervorgetreten ist, hat die Novelle in ein schönes Deutsch übertragen. Von seiner Ausbildung her ist er Judaist, und an die Arbeit trägt er ein fundiertes Fachwissen heran. Es ermöglicht ihm, an vielen Stellen auf traditionelle Anspielungen des Textes hinzuweisen, und für den aufmerksamen Leser sind seine Anmerkungen ein großer Gewinn. Sie führen tief unter die Oberfläche dieses scheinbar naiven Versuchs einer Rechenschaft.

JAKOB HESSING

Samuel Joseph Agnon: "In der Mitte ihres Lebens".

Aus dem Hebräischen übersetzt und herausgegeben von Gerold Necker. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 121 S., geb., 19,95 [Euro].

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"... ein Meisterwerk des jüdischen Erzählens und gleichzeitig Weltliteratur, die sich mit universellen Fragen auseinandersetzt."
Kevin Zdiara, Darmstädter Echo 14.07.2014