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"O'Doherty untersucht das kritische Verhältnis zwischen Kontext und Inhalt, und mit Witz und Ironie stellt er den Mythos von der Neutralität des Museums- oder Galerieraumes dar. Diese Essays markieren einen Wendepunkt in der Kunst-Wahrnehmung."(Barbara Rose)

Produktbeschreibung
"O'Doherty untersucht das kritische Verhältnis zwischen Kontext und Inhalt, und mit Witz und Ironie stellt er den Mythos von der Neutralität des Museums- oder Galerieraumes dar. Diese Essays markieren einen Wendepunkt in der Kunst-Wahrnehmung."(Barbara Rose)
Autorenporträt
Brian O'Doherty ist der Autor zweier Romane und mehrerer Aufsätze über Kunst, die er meist unter dem Pseudonym Patrick Ireland verfasst. Brian O'Doherty lebt mit seiner Frau Barbara Novak in New York.

Wolfgang Kemp, geb. 1946, ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, Gastprofessuren u.a. in Harvard, an der UCLA, Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und am Getty Research Center Los Angeles. Grundlegende Veröffentlichungen zur Geschichte und Theorie der Fotografie, zur Rezeptionsästhetik und Bilderzählung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2024

Die Weißheit des Museums

Seit Jahrzehnten prägt der White Cube unsere Wahrnehmung von Gegenwartskunst. Immer wichtiger wird aber auch die Frage, wie sich Kunst in digitalen Kanälen präsentiert.

Von Georg Imdahl

In Ausstellungen gehen, Kunst gucken - moderne, zeitgenössische Kunst: Dafür ist in den Museen alles hergerichtet. So auch dieser Tage, um irgendeines von unzähligen aktuellen Beispielen heranzuziehen, in der Retrospektive von Dana Schutz im Musée d'Art Moderne de Paris. An blütenweißen Wänden hängen die kleinen und großen Formate der amerikanischen Malerin, die Abstände sind luftig, kein Bild kommt dem anderen zu nahe, sodass sich ein jedes gesondert betrachten lässt. Von Spotlights erhellt, steigert sich noch die ohnehin üppige Farbkraft. Die Besucherinnen und Besucher unterhalten sich leise, rücksichtsvoll, sie flanieren, betrachten die Ölbilder flüchtig oder ausdauernd, gelegentlich gehen sie auf Tuchfühlung zu den Oberflächen, um die kraftvolle, bisweilen in Klumpen aufgetragene Faktur genauer zu inspizieren; hier und da markiert eine schwarze Linie auf dem geschliffenen, spiegelnden Estrich eine Grenze zu Gemälden, deren Leihgeber offenbar darauf Wert legen wie das Museum of Modern Art in New York. Die Säle sind fensterlos, das Ambiente ist sachlich, puristisch, entkernt, bis auf die Kunst leer, nur eine karge weiße Bank lädt zum Verweilen. Diskret hält sich die Aufsicht zurück, nimmt auf einem Stuhl Platz.

Rein gar nichts stört die Aufmerksamkeit für die Arbeiten, deren Geschichten und Hintergründe in knappen Wandtexten erläutert werden. Man kann sich treiben lassen oder in ein Studium versenken und wird so oder so von einer malerischen Parallelwelt absorbiert, in der immer wieder die Probleme einer gespaltenen amerikanischen Gesellschaft Thema sind.

Einer solchen Situation ist im zeitgenössischen Museum ein Refugium vorbehalten, in dem die Besucher mit der Kunst ganz bei sich und unter sich bleiben können, dieser Raum entspricht dem im zwanzigsten Jahrhundert eingeübten Begriff von Autonomie und Eigenwert der Kunst. Kaum jemand aus dem großen Publikum würde die Rahmenbedingungen in diesem Raum infrage stellen, nichts deutet darauf hin, dass sich in der Ausstellung jemand sonderlich fremd fühlte - in dieser Selbstverständlichkeit, Kunst konzentriert wirken zu lassen und nach eigenem Gusto beurteilen zu können, gibt sich eine Errungenschaft des westlichen Kulturlebens zu erkennen. Sollte man meinen.

Wenn es aber Aufgabe und Reiz einer kunstsoziologischen Betrachtung ist, eine als völlig normal erfahrene Praxis gegen das Licht zu halten und auf den Prüfstand zu stellen, lässt sich diese auch überraschend anders beschreiben. Einen der einflussreichsten, originellsten und scharfsinnigsten Beiträge über den Habitus im modernen Museum hatte der irisch-amerikanische Künstler und Essayist Brian O'Doherty 1976 im Magazin "Artforum" veröffentlicht: "Inside the White Cube", auf Deutsch 1996 in der Übersetzung des Kunsthistorikers Wolfgang Kemp im Merve Verlag unter dem Titel "In der weißen Zelle" publiziert. Seinen ganz und gar unkonventionellen Geist gab O'Doherty damals auch darin zu verstehen, dass er eine Reihe von Reviews unter dem Namen einer Frau publizierte, dem Pseudonym Mary Josephson, jüngst verdienstvoll herausgegeben von Astrid Mania und Thomas Fischer.

Der "White Cube" hat sich als globaler Begriff für den neutralen, sachlichen Ausstellungsraum etabliert, ganz gleich, ob es sich um eine private Galerie handelt oder eine öffentliche Institution (wenn O'Doherty von der "Galerie" spricht, meinte er im angloamerikanischen Sprachgebrauch sowohl das Museum als auch die kommerzielle Galerie). Nicht nur in ästhetischer Hinsicht stellt die weiße Zelle, der von allen Spuren des Alltags gereinigte, bisweilen klinische Ausstellungsraum, bis heute eine normative Instanz dar - sozusagen einen "International Style" der Kunstpräsentation. Was Wahrnehmung und Wertschätzung von Gegenwartskunst angeht, ist er maßgeblich auch dafür, was überhaupt als Kunst rezipiert werden soll, denn der Flaschentrockner oder das Urinal, Dinge, mit denen ein Marcel Duchamp zu Anfang des vorigen Jahrhunderts unseren Begriff des Kunstwerks revolutioniert hatte, begegnen ja erst im Museum oder der Galerie als Kunst. Außerhalb, im Kaufhaus oder auf der Toilette, bleiben sie einfache Gebrauchsgegenstände. Der White Cube, in den Worten des Berliner Kritikers und Kurators Hans-Jürgen Hafner, ist ein "für die Kunst zugerichteter und diese selbst zurichtender Ort" - ein architektonischer, "idealtypischer Funktionsapparat" für eine "von aller Schlacke befreite Kunst". Tatsächlich wird diese anders wahrgenommen und fühlt sich auch ganz anders an, wenn man ihr im Atelier des Künstlers oder einer Kunstakademie begegnet. Oder in einer privaten Sphäre, wo sie in persönliche Lebensströme eingebunden ist und sich der Fokus nicht unbedingt allein auf sie richtet; wenn Kunst beiläufig sein darf, um dann eher unvermittelt ins Blickfeld zu geraten. Im White Cube hingegen gleichen sich die Konditionen der Wahrnehmung überall auf der Welt an, sie suggerieren Objektivität, und wenn der Eindruck nicht täuscht, sind die Museen seit dem Erscheinen des Essays vor knapp fünfzig Jahren noch stromlinienförmiger geworden. Früher, so Hafner, "waren sie rumpeliger", will sagen: individueller, weniger stylish und angepasst.

Was den schmalen Band von Brian O'Doherty noch immer lesenswert im Ertrag macht, ist seine intellektuelle und literarische Brillanz, ist der Reichtum an provokanten, streitbaren Thesen und Zuspitzungen. Der 1928 in der irischen Grafschaft Roscommon geborene, 2022 in New York gestorbene Künstler-Schriftsteller attackierte darin das "geschlossene Wertsystem", das durch den aseptischen Ausstellungsraum perpetuiert werde. Darin, so O'Doherty, sei alles ausgeblendet und abgeschirmt, was einer gefilterten Kunstbetrachtung im Wege stehen könne. Das moderne Museum sei nach Gesetzen errichtet, "die so streng sind wie diejenigen, die für eine mittelalterliche Kirche galten" - die "äußere Welt darf nicht hereingelassen werden". Die Alltagswahrnehmung werde in jener "Gehirnschale der Moderne" umgewandelt in eine Wahrnehmung "rein formaler Werte. Das ist gewiss eine ihrer fatalsten Krankheiten." Ästhetik werde hier zur Ware und also meistens teuer, diese selbst sei häufig hermetisch, also schwierig.

Den White Cube beschrieb O'Doherty, nach eigenem Bekunden ein "hartgesottener Empiriker", als Weihestätte von Ästhetik und Andacht; schonungslos entzauberte er die vermeintliche Neutralität und Unschuld des weißen Raums und der weißen Wand, um ihre ästhetischen, ökonomischen und ideologischen Voraussetzungen bloßzulegen. Die weiße Zelle maße sich die "Heiligkeit der Kirche", die "Gemessenheit des Gerichtssaales" und das "Geheimnis des Forschungslabors" an. Der Maler Daniel Richter hatte vor gut zwanzig Jahren in einer Düsseldorfer Museumsausstellung einmal - in einer ironischen Volte Teppiche ausgelegt und Stühle bereitgestellt, um der sakralen Situation entgegenzuwirken. O'Dohertys Ironie und Sarkasmus gipfelten in der (wohlgemerkt rhetorischen) Frage, ob man sich am Ende nicht sogar einen Mord in der Galerie, jener "Vorhölle zwischen Atelier und Wohnzimmer", als Kunst vorstellen könne.

Er nannte die Strategien beim Namen, mit denen sich die Ausstellungsmoderne im zwanzigsten Jahrhundert inszenierte und ihre Selbsteinschätzung fortschrieb. Als typisches Beispiel beschrieb er das Dokumentationsfoto. In den meisten Aufnahmen sei alles lebendige Leben eliminiert - nichts Zufälliges störe die keimfreie Veranstaltung, die Reinheit des Raums solle auch in der Überlieferung erhalten bleiben. Gegenwärtig seien stets nur der anonyme "Betrachter" und, so O'Doherty in schneidender Polemik, sein körperloser "versnobter Verwandter": das Auge. Jener Betrachter habe auf den Ausstellungsfotos meist "kein Gesicht, sondern nur einen Rücken. Seine Haltung ist fragend, seine Verwirrung diskret . . . und ich glaube, er ist mehr männlichen als weiblichen Geschlechtes." Schon 1962 hatte der populäre amerikanische Maler Norman Rockwell für das Cover der "Saturday Evening Post" einen Mann im Museum als Rückenfigur vor einem Pollock gemalt, der O'Dohertys Beschreibung eins zu eins illustrieren könnte.

Ausführlich eruierte O'Doherty Phänomene wie die weiße Wand, auf der dem Bild, im Unterschied zum neunzehnten Jahrhundert und seiner Petersburger Hängung, immer mehr Platz "zum Atmen" eingeräumt werde (als werde es sonst erwürgt). Die "makellose Wand der Galerie" sei "in Wirklichkeit unrein. Sie dient immer beidem: Ästhetik und Kommerz."

Es sind nicht zuletzt solche Einsichten, die noch heute, im Zuge einer astronomisch hochpreisigen Kunst, auf ungeschmälerte Zustimmung zählen dürfen. Unterdessen hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten aber auch im Verhalten des Publikums einiges verändert - Erscheinungen, die O'Doherty noch nicht antizipieren konnte. Wie die Möglichkeit, Kunst in digitalen Kanälen zu verbreiten. Nicht nur einzelne Werke, auch ganze Ausstellungen, die durchfotografiert oder abgefilmt werden. Zahlreiche Galerien und Museen sehen das heute als Grundversorgung fürs Publikum an. Insofern hat sich der "Gerichtssaal" im Wording O'Dohertys, die Begutachtung und Beurteilung von Kunst, heute in beträchtlichem Umfang in den digitalen und diskursiven Raum von Social Media erweitert. Wie es heißt, gibt es für Galerien spezielle LED-Beleuchtungen, die die Tiefenschärfe des digitalen Bildes erhöhen. Eine professionell gemachte digitale Plattform wie das 2008 gegründete "Contemporary Art Daily" orientiert sich ganz offensichtlich an der Ästhetik des White Cube. Man könnte von einem digitalen White Cube sprechen, der die verführerische Suggestion an sich hat, online alles Wesentliche erfassen zu können, was die entsprechende Ausstellung in Präsenz zu bieten hat. Was einem Irrtum gleichkommt, dessen sich alle Professionals im Ausstellungsbetrieb auch bewusst sind (und sie gleichwohl nicht immer davon abhält, kategorisch über Kunst zu urteilen, die sie nur auf dem Rechner gesehen haben). Jedes dokumentarische Foto und jeder dokumentarische Film mögen eine Ausstellung so hochgestochen abbilden können wie nur eben möglich - die Begegnung in Präsenz bleibt unersetzbar, die Wirkung relevanter Kunst unvordenklich.

So reagiert der Brüsseler Briefing Room, nach eigenem Bekunden ein "Raum für kleine Konferenzen und Ausstellungen unter der Leitung von Andrzej Steinbach, Steffen Zillig und der Eurogruppe, Lobbyorganisation für Formfragen", auf seine Weise auf unerwünschte Verbreitung von Doku-Aufnahmen. Eine spezielle Technik der Beleuchtung sorgt hier dafür, dass Handyfotos von störenden Streifen durchzogen und damit unbrauchbar gemacht werden, während der Briefing Room eigenes Bildmaterial nur in Schwarz-Weiß auf der Homepage hochlädt.

Gleichwohl scheint die Normativität der Kunsterfahrung in Präsenz inzwischen relativiert, wenn nicht bereits gebrochen. Mancher, der in Ausstellungen mit dem Smartphone auf Foto-Beute geht, kann sich sogar als Miturheber der Kunst und ihrer Rezeption wähnen. Beispiel: die Performance "Faust" im deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig, für welche die Künstlerin Anne Imhof 2017 den "Goldenen Löwen" erhielt. Dicht gedrängt scharte sich das Publikum um die ausgemergelten Performer, bewegte sich wie diese auf einem erhabenen Glasboden, unter dem weitere Akteurinnen und Akteure in Interaktion traten. Kaum jemand der zahlreichen Anwesenden hätte das Geschehen nicht mit dem Handy aufgenommen, weshalb man die gesamte Darbietung im allgemeinen Gewusel auch auf dem Display der vielen Smartphones um einen herum verfolgen konnte. Da diese Hobby-Aufnahmen massenhaft im Internet kursieren, bestimmen sie maßgeblich auch die Rezeption. Nach Ansicht der Zürcher Kunsthistorikerin Marie-France Rafael oder ihrer amerikanischen Kollegin Claire Bishop entsteht dadurch eine neuartige, zukunftsweisende Rückkoppelung zwischen Kunst und Rezipienten, eine hybride Gemengelage im Werkbegriff, die seitens der Künstler wiederum einkalkuliert werde. Schon in den Werken selbst spekulierten sie darauf, dass die Erfahrung im Ausstellungsraum nicht die einzige sein werde (nicht zu vergessen bleibt hingegen, dass selbst Anne Imhof anfangs Verbotsschilder gegen das Fotografieren in ihren epischen Performances aufgestellt hatte).

Grundsätzlich kommen also neue ästhetische Überlegungen ins Spiel, wenn Kunst im White Cube ausgestellt wird; ins Bewusstsein rückt zunehmend die Aufmerksamkeit dafür, wie sie sich auf den digitalen Kanälen wie Instagram macht - wie "instagrammable" sie ist. Womöglich sei damit "ein Punkt der Ausstellungsgeschichte in einer bestimmten Tradition erreicht", so Rafael, die "ein Anfang für eine neue Geschichte" bedeuten könne. In die Werkerfahrung gehe dann die "Differenzerfahrung von online und offline ein", mithin könnten "multiple Formen des White Cube" heranwachsen. Eine auratische Erfahrung beschränkt sich demnach nicht mehr auf ein spezifisches Kunstwerk, sie weitet (und verflüchtigt sich wohl auch) in der Vielfalt der Präsentationen und der Vielzahl der Follower: Der Kultwert und seine Erhabenheit bestehen nun in der Möglichkeit der globalen Teilhabe. Hier ließe sich sogar an einen Klassiker der postmodernen Philosophie aus den Siebzigerjahren anknüpfen. Jean Baudrillards "Hyperrealismus" hat sich endgültig und vollumfänglich wie ein engmaschiges Netz über die einst "primär" geheißene Realität geworfen. (Eine Kunsthistorikerin erzählte unlängst von einem Seminar im Museum, in dem ein bestimmtes Werk im Original studiert wurde. Ein Teilnehmer habe es vorgezogen, jenes Bild vor seinen Augen lieber auf dem Handy zu begutachten. Warum? Weil es dort besser zu sehen sei.)

Mit alledem ist aber der White Cube keineswegs ad acta gelegt. Im Gegenteil: Er ist auch weiterhin der maßgebliche Referenzrahmen und archimedischer Punkt für die Geltung ausgestellter Kunst, was ausgerechnet sogar noch die zurückliegende Documenta 15 belegt: Sie verlagerte einen Aktivismus, der ausdrücklich nicht fürs Museum produziert wurde, ins museale Framework. Auch die oft sanierungsbedürftigen abgerockten Schauplätze der Biennalen in aller Welt werden vornehmlich als Alternativen zum und sicherlich auch als Erholung vom White Cube wahrgenommen (manche Kuratoren der Venedig-Biennale haben allerdings die Werfthallen der Arsenale mit museal weißen Wänden hergerichtet). Und selbst die Netzkunst der Neunzigerjahre, erinnert sich Inke Arns, Direktorin des Dortmunder HMKV, des Hartware Medien-Kunst-Vereins, fand nicht vorrangig im Netz Beachtung, zur Geltung sei auch sie mehr im physischen, institutionellen Rahmen gekommen. "Das hatte völlig gegen die ursprüngliche Idee der Netzkunst verstoßen, weil die Künstler gesagt hatten, wir brauchen den Ausstellungsraum nicht mehr, unser natürliches Habitat ist das Internet", so Arns. "Das machte zwar irgendwie Sinn, aber dort hatte es niemand gesehen."

Brian O'Doherty hatte selbstverständlich auch jene einschlägigen Interventionen auf dem Schirm, die seit den Sechzigerjahren mit unterschiedlichsten Mitteln gegen die Ästhetik des White Cube opponierten: mit Pferden im Ausstellungsraum; der Schließung der Galerie während der Laufzeit der Ausstellung; dem Abbau von Wänden, sodass der Blick auf das Büro und die Mitarbeiter freigelegt wurden; mit fenstergroßen Öffnungen, die in die Wand geschnitten wurden und Innen und Außen verschmolzen. Auch diese Geschichte ist noch nicht auserzählt, wovon soeben eine Ausstellung im Frankfurter MMK-Tower ein bestechendes Beispiel abgegeben hat - ein auf bittere Weise blendendes Exempel dafür, wie der klassische White Cube in seiner makellosen, schmerzhaften Weißheit zum Thema gemacht und er selbst als Zeuge einer westlichen Geschichte von Rassismus, Sklaverei, Kolonialismus, Ausbeutung zur Schau gestellt und vernommen werden kann: "Amt 45 i", so wird das Museum für Moderne Kunst in der Frankfurter Stadtverwaltung geführt. In den weiten Wandelhallen des Büroturms im Bankenviertel präsentierte Cameron Rowland einige wenige Dinge, darunter einen gerahmten, juristisch vollgültigen, für das MMK irrwitzigen Vertrag, der am 6. Dezember 2022 von der Direktorin unterschrieben wurde und die Stadt Frankfurt zum Schuldner über ein Darlehen von 20.000 Euro mit einem Zinssatz von achtzehn Prozent erklärt. Dem Vertrag zufolge ist es am Gläubiger, zu entscheiden, wann er diese sehr bald exorbitante Summe nebst Zinsen zurückfordert; es gilt Rowlands Wort, dies niemals zu tun. Denkbar karg war die Ausstattung dieser Ausstellung: Ein dickes Seil spannte sich zwischen zwei Wänden und versperrte den Weg, so wie widerständige Sklaven dereinst weiße Patrouillen zu Fall brachten. An einem Webstuhl aus Osnabrück wurde früher für einen Hungerlohn Leinen, an einem verrosteten Eisenkessel auf einer Plantage in Louisiana Zuckerrohr produziert. Nicht minder präsent als die raren Objekte war der White Cube als solcher, als Symbol einer kolonialen Geschichte, die wesentlich in Europa mitgeschrieben wurde, nicht zuletzt auch am historischen Finanzplatz Frankfurt.

Wie hatte Brian O'Doherty aber als Künstler auf den White Cube reagiert, wenn er selbst ausstellte? Mit seinen späten "Rope Drawings" bemalte er großflächig die Raumecken, verspannte davor weiße Schnüre und ließ die Besucher einen bestimmten Standort suchen, von dem aus sich diese Arrangements in ein kohärentes Bild fügten. Ein anregendes Spiel mit der Wahrnehmung, visuell trickreich und überraschend, gewiss. Aber angesichts der scharfzüngigen Kritik an der weißen Zelle dann doch erstaunlich konventionell. Mit solcher Kunst bleibt O'Doherty hinter seiner bissigen Essayistik zurück.

Dafür wird ihm allenthalben bescheinigt, sein Text "Inside the White Cube" sei gut gealtert. Mit süffiger Eloquenz hat O'Doherty den Nachweis geführt, dass die Geschichte der Kunst im zwanzigsten Jahrhundert untrennbar mit ihren Ausstellungsformen verbunden ist. Daran hat sich nichts geändert. Aber auch die Einwände, die sich schon immer gegen die Polemik O'Dohertys vorbringen ließen, sind weiterhin plausibel. Es mag sein, dass manches an Geist und Energie, die im Atelier am Werk sind, im Museum abhandenkommt; dass Kunst, wenn sie clean ausgestellt wird, in gewisser Weise Gefahr läuft, "aus-gestellt" zu werden (Niklas Maak). Aber sie wird immer eben noch en masse für dieses Ambiente produziert - für diesen oder jenen konkreten Raum, für die nächste, dringend erwartete Ausstellung, um an die Öffentlichkeit zu treten. In einem etwas entrückten Ambiente Abstand (auch von sich selbst) zu nehmen, innezuhalten, reflektieren zu können, in den formalen Qualitäten von Kunst zugleich ihre inhaltlichen Potentiale zu erkennen: Das lässt sich bei allen erdenklichen Vorbehalten dann doch nicht einfach als bürgerlicher Snobismus auf den Haken nehmen. Gelegentlich ging O'Doherty seiner eigenen Brillanz in die Falle. Wie sagt Kuratorin Arns? "Ohne den White Cube geht es nicht."

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