In den 1920er und 1930er erlebte der Alpentourismus einen Boom wie nie zuvor. Angetrieben durch den Erfolg der Bergfilme in den Kinos und die zunehmende Mobilität strömten immer mehr Menschen in die Berge. Der Bad Reichenhaller Fotograf Ernst Baumann (1906-1985) war zu dieser Zeit einer der erfolgreichsten Fotografen in der Szene der Bergfotografen. Dabei richtete er den Blick nicht nur auf die Bergsteiger, sondern fotografierte die Berge in ihrer ganzen Vielfältigkeit. Seine Fotos zeigen Landschaften, Orte, Alpinisten, Touristen und einheimisches Brauchtum. Dazu fotografierte er an den Filmsets von Luis Trenker und machte auf den neuen Alpenstraßen Werbefotos für Autofirmen. Heute belegen seine Bilder nicht nur sein fotografisches Talent, sie sind Zeugnisse aus einer Zeit, als die Berge zum Sehnsuchtsziel und die Menschen mobiler wurden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2019Auffe muas i
Ernst Baumann aus Bad Reichenhall war der bedeutendste Bergfotograf in den 20er- und 30er-Jahren.
Seine Bilder zeigen das wilde und schöne Bayern ganz zu Beginn des Massentourismus
VON ALENA SPECHT
Bad Reichenhall – Schnurgerade führt die neue Autobahn bei Bernau im Chiemgau entlang der Alpen nach Salzburg. Weder Leitplanken noch Verkehrsschilder stören die Aussicht. Nur ein einziges Auto ist unterwegs. Die Szene wirkt friedlich, ja idyllisch – Mobilität, das bedeutete in den 20er-und 30er-Jahren noch Freiheit. Die Menschen stiegen vom Fahrrad gerade um auf Motorrad oder Auto und machten sich auf in die Berge.
Ernst Baumann hielt diese Entwicklung in seinen Fotos fest. Er war damals einer der erfolgreichsten Bergfotografen Deutschlands. Das jetzt neu erschienene Buch „Ernst Baumann. In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre“, herausgegeben von Alfred Büllesbach und Rudolf Schicht, erzählt vom Leben und Arbeiten Baumanns. Die 124 Abbildungen und Fotos, größtenteils in Schwarzweiß, zeigen beeindruckende Landschaften, Orte und Menschen.
Baumann wurde 1906 in Bad Reichenhall geboren. Schon in jungen Jahren war er viel in den Bergen unterwegs, ein „ausgezeichneter Bergsteiger“, erzählt Rudolf Schicht, der Schwiegersohn von Baumann. Er machte zunächst eine Korbflechterlehre, um den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Als er diese mit Auszeichnung bestanden hatte, widmete sich Baumann aber nur noch der Fotografie. Mit 18 bekam er seine erste Kamera geschenkt, eine Plattenkamera mit Stativ, Filmkassetten und Belichtungstabelle. Mit solcher Ausrüstung war Fotografieren umständlich. Trotzdem schleppte Baumann sie die Berge hinauf. „Er hat überall fotografiert“, sagt Schicht.
Erst mit der Rolleiflex und der Leica wurde es leichter und handlicher. Baumann konnte seine Fotos lebendiger gestalten, Stimmungen vermitteln. „Seine Fotos sind gestalterisch, nicht dokumentarisch“, sagt Schicht. „Er hat die Vorteile der neuen Technik sehr schnell erkannt,“ sagt auch Alfred Büllesbach. „Die Fotos haben eine bestimme Ästhetik. Es sind viel mehr als nur Bergsteigerfotos.“
Es sind Fotos, die zeigen, wie das ländliche Oberbayern und die Moderne aufeinanderprallten. Die Alpen wirken darauf aus heutiger Sicht geradezu wildromantisch und entrückt, dicke Gletscher bedeckten noch die Gipfel, wo heute Schneefelder in der Sommerhitze ausapern. Klimawandel und Massentourismus lagen damals noch in der fernen Zukunft. Den Alpen haftete etwas scheinbar Ewiges an.
Die Bergtouristen standen zu Baumanns Zeiten noch in Cordhosen und Flanellhemden auf Skiern, mit einfachster Ausrüstung klettern sie an steilen Berghängen hinauf. „Da war man von Goretex weit entfernt“, sagt Büllesbach. „In fast allen Bergbüchern dieser Zeit sind Fotos von Baumann drin. Für die Bergfotografie hat er eine große Rolle gespielt.“ Auch in der Werbung war Baumann vertreten. Er machte Fotos für Kamerahersteller und die Automobilindustrie.
Die Berge erlebten zur Zeit Baumanns den ersten Boom. „Da kamen mehrere Faktoren zusammen“, sagt Büllesbach. Immer mehr Bergfilme flimmerten über die Kinoleinwände. Der wohl bedeutendste Filmemacher damals war Luis Trenker. Baumann begleitete ihn oft bei den Dreharbeiten und machte Fotos für seine Filmplakate. „Die Bergfilme waren ein ganz wichtiger Impulsgeber“, sagt Büllesbach.
Trenkers pathetische Dramen in Fels und Eis zogen das großstädtische Publikum in den Kinosaal. Auch der Strukturwandel in der Arbeitswelt trug zum Entstehen des Bergtourismus bei. Der Acht-Stunden-Arbeitstag schenkte den Städtern mehr Freizeit, in der Natur suchten sie den Ausgleich zum Leben in den hektischen und dreckigen Metropolen. Immer mehr Leute schnallten sich Skier an, die erste Lifte machten das mühevolle Aufsteigen überflüssig. All das hat Baumann zum Thema seiner Bilder gemacht. „Die Fotos waren gefragt“, sagt Büllesbach. Trotz fehlender Lehre und ohne Fotostudio kamen sie an. „Er hat eine neue, frische Art in die Bergfotografie gebracht“, findet Schicht. Auch heute noch wirken seine Aufnahmen technisch perfekt, Belichtung und Fokus sitzen stets genau richtig. Baumann legte großen Wert auf eine stimmige Komposition. Dem Himmel verlieh er mit Orangefiltern Dramatik.
Mitherausgeber Schicht hat selbst 50 Jahre lang als Fotograf gearbeitet und von Baumann gelernt. Das gemeinsame Geschäft in Bad Reichenhall führte er nach dessen Tod im Jahr 1985 weiter und schloss es erst vor fünf Jahren. Baumann hat die Berge geliebt, war sich aber auch der Gefahren bewusst. Ein Freund von ihm verunglückte tödlich bei einer gemeinsamen Tour, er selbst erlitt beim Skifahren einen Oberschenkelbruch. Doch überhöhte Redensarten über Gefahrensehnsucht und Heldenrhetorik „findet man zum Glück bei Baumann nicht“, sagt Büllesbach. „Baumann habe sich selbst als fotografierender Bergsteiger gesehen“, pflichtet ihm Schicht bei. „Die Berge waren für ihn eine schöne Landschaft, die man weitergeben und zeigen muss.“
Wie schön und wild diese Landschaft einst war, das erschließt sich erst heute so richtig – denn vielerorts ist sie inzwischen ausgerechnet durch Tourismus und Verkehr zerstört.
„Ernst Baumann. In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre“ ist im Morisel Verlag in München erschienen und kostet 24,90 Euro.
Die Bergtouristen standen
zu Baumanns Zeiten
noch in Cordhosen auf Skiern
So gemütlich ging es einst in Bayern zu. Ein Bergsteigerpaar entspannte auf der Reiteralpe (oben), auf der Alpenstraße konnte man gefahrlos radeln (unten, von links), die Salzburger Autobahn war immer frei, und am Hochkalter hämmerten sich die Burschen todesmutig die Wand hinauf.
Foto: Ernst/Baumann/Morisel VErlag
Ernst Baumann mit seiner analogen Leica M, dem klassischen Werkzeug der ersten Reportagefotografen. Bis heute werden seine technisch versierten Bilder nachgedruckt.
Foto: Morisel VErlAg
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Ernst Baumann aus Bad Reichenhall war der bedeutendste Bergfotograf in den 20er- und 30er-Jahren.
Seine Bilder zeigen das wilde und schöne Bayern ganz zu Beginn des Massentourismus
VON ALENA SPECHT
Bad Reichenhall – Schnurgerade führt die neue Autobahn bei Bernau im Chiemgau entlang der Alpen nach Salzburg. Weder Leitplanken noch Verkehrsschilder stören die Aussicht. Nur ein einziges Auto ist unterwegs. Die Szene wirkt friedlich, ja idyllisch – Mobilität, das bedeutete in den 20er-und 30er-Jahren noch Freiheit. Die Menschen stiegen vom Fahrrad gerade um auf Motorrad oder Auto und machten sich auf in die Berge.
Ernst Baumann hielt diese Entwicklung in seinen Fotos fest. Er war damals einer der erfolgreichsten Bergfotografen Deutschlands. Das jetzt neu erschienene Buch „Ernst Baumann. In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre“, herausgegeben von Alfred Büllesbach und Rudolf Schicht, erzählt vom Leben und Arbeiten Baumanns. Die 124 Abbildungen und Fotos, größtenteils in Schwarzweiß, zeigen beeindruckende Landschaften, Orte und Menschen.
Baumann wurde 1906 in Bad Reichenhall geboren. Schon in jungen Jahren war er viel in den Bergen unterwegs, ein „ausgezeichneter Bergsteiger“, erzählt Rudolf Schicht, der Schwiegersohn von Baumann. Er machte zunächst eine Korbflechterlehre, um den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Als er diese mit Auszeichnung bestanden hatte, widmete sich Baumann aber nur noch der Fotografie. Mit 18 bekam er seine erste Kamera geschenkt, eine Plattenkamera mit Stativ, Filmkassetten und Belichtungstabelle. Mit solcher Ausrüstung war Fotografieren umständlich. Trotzdem schleppte Baumann sie die Berge hinauf. „Er hat überall fotografiert“, sagt Schicht.
Erst mit der Rolleiflex und der Leica wurde es leichter und handlicher. Baumann konnte seine Fotos lebendiger gestalten, Stimmungen vermitteln. „Seine Fotos sind gestalterisch, nicht dokumentarisch“, sagt Schicht. „Er hat die Vorteile der neuen Technik sehr schnell erkannt,“ sagt auch Alfred Büllesbach. „Die Fotos haben eine bestimme Ästhetik. Es sind viel mehr als nur Bergsteigerfotos.“
Es sind Fotos, die zeigen, wie das ländliche Oberbayern und die Moderne aufeinanderprallten. Die Alpen wirken darauf aus heutiger Sicht geradezu wildromantisch und entrückt, dicke Gletscher bedeckten noch die Gipfel, wo heute Schneefelder in der Sommerhitze ausapern. Klimawandel und Massentourismus lagen damals noch in der fernen Zukunft. Den Alpen haftete etwas scheinbar Ewiges an.
Die Bergtouristen standen zu Baumanns Zeiten noch in Cordhosen und Flanellhemden auf Skiern, mit einfachster Ausrüstung klettern sie an steilen Berghängen hinauf. „Da war man von Goretex weit entfernt“, sagt Büllesbach. „In fast allen Bergbüchern dieser Zeit sind Fotos von Baumann drin. Für die Bergfotografie hat er eine große Rolle gespielt.“ Auch in der Werbung war Baumann vertreten. Er machte Fotos für Kamerahersteller und die Automobilindustrie.
Die Berge erlebten zur Zeit Baumanns den ersten Boom. „Da kamen mehrere Faktoren zusammen“, sagt Büllesbach. Immer mehr Bergfilme flimmerten über die Kinoleinwände. Der wohl bedeutendste Filmemacher damals war Luis Trenker. Baumann begleitete ihn oft bei den Dreharbeiten und machte Fotos für seine Filmplakate. „Die Bergfilme waren ein ganz wichtiger Impulsgeber“, sagt Büllesbach.
Trenkers pathetische Dramen in Fels und Eis zogen das großstädtische Publikum in den Kinosaal. Auch der Strukturwandel in der Arbeitswelt trug zum Entstehen des Bergtourismus bei. Der Acht-Stunden-Arbeitstag schenkte den Städtern mehr Freizeit, in der Natur suchten sie den Ausgleich zum Leben in den hektischen und dreckigen Metropolen. Immer mehr Leute schnallten sich Skier an, die erste Lifte machten das mühevolle Aufsteigen überflüssig. All das hat Baumann zum Thema seiner Bilder gemacht. „Die Fotos waren gefragt“, sagt Büllesbach. Trotz fehlender Lehre und ohne Fotostudio kamen sie an. „Er hat eine neue, frische Art in die Bergfotografie gebracht“, findet Schicht. Auch heute noch wirken seine Aufnahmen technisch perfekt, Belichtung und Fokus sitzen stets genau richtig. Baumann legte großen Wert auf eine stimmige Komposition. Dem Himmel verlieh er mit Orangefiltern Dramatik.
Mitherausgeber Schicht hat selbst 50 Jahre lang als Fotograf gearbeitet und von Baumann gelernt. Das gemeinsame Geschäft in Bad Reichenhall führte er nach dessen Tod im Jahr 1985 weiter und schloss es erst vor fünf Jahren. Baumann hat die Berge geliebt, war sich aber auch der Gefahren bewusst. Ein Freund von ihm verunglückte tödlich bei einer gemeinsamen Tour, er selbst erlitt beim Skifahren einen Oberschenkelbruch. Doch überhöhte Redensarten über Gefahrensehnsucht und Heldenrhetorik „findet man zum Glück bei Baumann nicht“, sagt Büllesbach. „Baumann habe sich selbst als fotografierender Bergsteiger gesehen“, pflichtet ihm Schicht bei. „Die Berge waren für ihn eine schöne Landschaft, die man weitergeben und zeigen muss.“
Wie schön und wild diese Landschaft einst war, das erschließt sich erst heute so richtig – denn vielerorts ist sie inzwischen ausgerechnet durch Tourismus und Verkehr zerstört.
„Ernst Baumann. In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre“ ist im Morisel Verlag in München erschienen und kostet 24,90 Euro.
Die Bergtouristen standen
zu Baumanns Zeiten
noch in Cordhosen auf Skiern
So gemütlich ging es einst in Bayern zu. Ein Bergsteigerpaar entspannte auf der Reiteralpe (oben), auf der Alpenstraße konnte man gefahrlos radeln (unten, von links), die Salzburger Autobahn war immer frei, und am Hochkalter hämmerten sich die Burschen todesmutig die Wand hinauf.
Foto: Ernst/Baumann/Morisel VErlag
Ernst Baumann mit seiner analogen Leica M, dem klassischen Werkzeug der ersten Reportagefotografen. Bis heute werden seine technisch versierten Bilder nachgedruckt.
Foto: Morisel VErlAg
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