»In diesem neuen Licht« ist ein Buch über Männer und Frauen, über unausgesprochene Freundschaft und versehentlichen Verrat, verletzte Liebe und unverbrüchliche Treue, über Prinzessinnen und Pistolen, Sun-Tzu-Schach und D. H. Lawrence, Priester und Pathologen, Südseemythen und Inzest. Mit Schauplätzen vom Rhein bis zum Rio Grande, von Ananasplantagen in Ghana bis in ein Naturreservat in Panama, von 1923 bis ins neue Jahrtausend. Ein Roman, so leicht wie das Leben, so ernsthaft wie ein Spiel, über das Scheitern, das darin liegt, ein Glück verloren zu haben. Gregor Hens erzählt von einem Netz aus Freundschaft und Liebe, den entgegengesetzten Enden des gleichen Gefühls. In diesem Buch kann noch immer jeder Moment der alles entscheidende sein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2006Drei Spieler sind beim Schach einer zuviel
Schwarz ist am Zug: Der neue Roman von Gregor Hens
Von Sandra Kerschbaumer
Zwei Männer sitzen beim Schach, beobachtet von einer Frau. Schwarz entscheidet sich für die Slawische Verteidigung, ein solider Zug, defensiv, aber man behält den Überblick. Bald schon ist die Bauernkette auf der Damenseite bedroht. Ein Ablenkungsmanöver, aber Gregor Hens interessiert sich für dieses Spiel, bei dem sich Angriffe von einem Nebenschauplatz aus entwickeln, Figuren eingreifen und wieder verschwinden, jemand, der eben noch im Zentrum des Bretts stand, auf einmal an Einfluß verliert. Genau dies will der Autor auch in seinem neuen Roman: Figuren abbilden, die zueinander in Beziehung stehen, die jederzeit fallen können, aber doch hoffen, bis zum Ende durchzukommen.
Zu den Schlüsselfiguren auf dem Brett des Autors gehören der angeschlagene Übersetzer Tobias Vlaming, vor einiger Zeit von seiner Frau verlassen, sein Schachpartner David, ein New Yorker Dichter und Dandy, und dessen attraktive Frau Tess, die als Juristin für eine amerikanische Kanzlei um die Welt saust. Zusammen bilden sie ein Dreieck, dem erstaunliche Fähigkeiten zugeschrieben werden. Aber gerade deren Fülle läßt sie mitunter unglaubwürdig erscheinen.
Außerdem ist es meistens der Erzähler, der den Figuren ihr Genie, ihre Nonchalance, ihre messerscharfe Intelligenz bescheinigt, ohne daß diese durch Handeln und Reden beglaubigt würden. Nicht selten plaudern die Figuren ein wenig geistlos in einem Düsseldorfer Loft oder gehen aufgekratzt zum Sechstagerennen. Auch sonst kommt dem Erzähler eine zentrale Rolle zu, denn er springt ebenso unvermittelt in die Vergangenheit der Figuren wie in ihre Zukunft und entwirft in weitschweifenden, manchmal phantastischen Vorgriffen den weiteren Gang des Geschehens. Selbstreflexiv läßt er uns wissen, daß die gewählte immer nur eine unter vielen Möglichkeiten sei. Die Abschweifungen informieren aber nicht nur über Tess und ihre Begleiter, sondern auch über das Leben einer unüberschaubaren Menge von Nebenfiguren: Pater, Pathologen und Polizisten, die als Bauern über das Spielfeld verteilt sind und überraschend in die Handlung eingreifen.
Weil Gregor Hens der Partie gerne Glanz und Raffinesse verleihen möchte, läßt er Vlaming einen Roman von D. H. Lawrence übersetzen und zieht damit eine zweite Fiktionsebene in seinen eigenen Roman ein. Die immer freier und üppiger werdende Nachdichtung füllt ganze Kapitel mit exotischen Szenen, mit brodelnden Stierkämpfen, melancholischen Indios und wild wuchernder Vegetation. Denn der Roman von Lawrence kreist um eine durch Mexiko vagabundierende Schöne ohne Heimat und Ziel: "Sie hatte nichts gesucht, nichts gewollt von diesem Land, es hätte genausogut ein anderes sein können." Mittelamerika aber eignet sich als Kontrast und die Romanschönheit als Projektionsfläche für ihren Übersetzer. Denn auch dieser weiß nicht, was sein Leben bestimmt, fragt sich, ob er und seine Freunde ihre Entscheidungen steuern oder bloß Figuren sind, die nicht wissen, wer sie von einem Feld zum anderen schiebt.
Der Schachspieler Hens versetzt sie alle nach Mexiko. Dort bewegen sie sich auf den Spuren von Lawrence und seiner Literatur, wohnen auf der Ranch, die dieser in den zwanziger Jahren nutzte, und führen so die bis dahin kaum verbundenen Ebenen zusammen. Lässig werden Schauplätze gewechselt - "also, wer kommt mit?" -, weltläufig verfallen die Figuren ins Englische. Gregor Hens, der als Professor in Ohio lehrt, will den weiten Horizont seines Buches betonen, verfällt aber gelegentlich in Stereotypen, etwa bei der Schilderung neoaztekischer Rituale: Vlaming und sein Freund David geraten in eine Menge dichtgedrängter Indios, die auf die Wiederkehr eines seit Jahrhunderten schlafenden Gottes warten. Neidvoll bemerken die deutschen Zuschauer, daß diese Einheimischen "immerhin noch an etwas glauben! Und begeisterungsfähig sind. Und ihr Land lieben. Die Erde lieben, auf der sie ihren Mais ziehen. Götter verehren, die in dieser Erde wohnen."Im Reflexiven sind die Stärken dieses Buches wohl eher nicht zu finden. Interessanter wird es, wenn sich auf der Ranch in Mexiko die Konstellationen langsam verschieben. Eine Frau kämpft um ihre Stellung, ein fremder Junge taucht plötzlich auf, und im Haus wird jetzt Internet-Schach gespielt. Bei dieser seltsamen Variante namens Sun-Tzu-Schach werden die Startpositionen von Weiß und Schwarz ausgelost, und auf dem abgedunkelten Spielfeld sind nur diejenigen Figuren zu erkennen, die man gerade schlagen kann. Über allen anderen Feldern des Gegners liegt ein grauer Nebel. Hier ist Hens wieder ganz dicht bei der zentralen Frage seines Buches: Was im Leben unterliegt dem Zufall, was ist Bestimmung und was Strategie?
Gregor Hens: "In diesem neuen Licht". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 336 Seiten, geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwarz ist am Zug: Der neue Roman von Gregor Hens
Von Sandra Kerschbaumer
Zwei Männer sitzen beim Schach, beobachtet von einer Frau. Schwarz entscheidet sich für die Slawische Verteidigung, ein solider Zug, defensiv, aber man behält den Überblick. Bald schon ist die Bauernkette auf der Damenseite bedroht. Ein Ablenkungsmanöver, aber Gregor Hens interessiert sich für dieses Spiel, bei dem sich Angriffe von einem Nebenschauplatz aus entwickeln, Figuren eingreifen und wieder verschwinden, jemand, der eben noch im Zentrum des Bretts stand, auf einmal an Einfluß verliert. Genau dies will der Autor auch in seinem neuen Roman: Figuren abbilden, die zueinander in Beziehung stehen, die jederzeit fallen können, aber doch hoffen, bis zum Ende durchzukommen.
Zu den Schlüsselfiguren auf dem Brett des Autors gehören der angeschlagene Übersetzer Tobias Vlaming, vor einiger Zeit von seiner Frau verlassen, sein Schachpartner David, ein New Yorker Dichter und Dandy, und dessen attraktive Frau Tess, die als Juristin für eine amerikanische Kanzlei um die Welt saust. Zusammen bilden sie ein Dreieck, dem erstaunliche Fähigkeiten zugeschrieben werden. Aber gerade deren Fülle läßt sie mitunter unglaubwürdig erscheinen.
Außerdem ist es meistens der Erzähler, der den Figuren ihr Genie, ihre Nonchalance, ihre messerscharfe Intelligenz bescheinigt, ohne daß diese durch Handeln und Reden beglaubigt würden. Nicht selten plaudern die Figuren ein wenig geistlos in einem Düsseldorfer Loft oder gehen aufgekratzt zum Sechstagerennen. Auch sonst kommt dem Erzähler eine zentrale Rolle zu, denn er springt ebenso unvermittelt in die Vergangenheit der Figuren wie in ihre Zukunft und entwirft in weitschweifenden, manchmal phantastischen Vorgriffen den weiteren Gang des Geschehens. Selbstreflexiv läßt er uns wissen, daß die gewählte immer nur eine unter vielen Möglichkeiten sei. Die Abschweifungen informieren aber nicht nur über Tess und ihre Begleiter, sondern auch über das Leben einer unüberschaubaren Menge von Nebenfiguren: Pater, Pathologen und Polizisten, die als Bauern über das Spielfeld verteilt sind und überraschend in die Handlung eingreifen.
Weil Gregor Hens der Partie gerne Glanz und Raffinesse verleihen möchte, läßt er Vlaming einen Roman von D. H. Lawrence übersetzen und zieht damit eine zweite Fiktionsebene in seinen eigenen Roman ein. Die immer freier und üppiger werdende Nachdichtung füllt ganze Kapitel mit exotischen Szenen, mit brodelnden Stierkämpfen, melancholischen Indios und wild wuchernder Vegetation. Denn der Roman von Lawrence kreist um eine durch Mexiko vagabundierende Schöne ohne Heimat und Ziel: "Sie hatte nichts gesucht, nichts gewollt von diesem Land, es hätte genausogut ein anderes sein können." Mittelamerika aber eignet sich als Kontrast und die Romanschönheit als Projektionsfläche für ihren Übersetzer. Denn auch dieser weiß nicht, was sein Leben bestimmt, fragt sich, ob er und seine Freunde ihre Entscheidungen steuern oder bloß Figuren sind, die nicht wissen, wer sie von einem Feld zum anderen schiebt.
Der Schachspieler Hens versetzt sie alle nach Mexiko. Dort bewegen sie sich auf den Spuren von Lawrence und seiner Literatur, wohnen auf der Ranch, die dieser in den zwanziger Jahren nutzte, und führen so die bis dahin kaum verbundenen Ebenen zusammen. Lässig werden Schauplätze gewechselt - "also, wer kommt mit?" -, weltläufig verfallen die Figuren ins Englische. Gregor Hens, der als Professor in Ohio lehrt, will den weiten Horizont seines Buches betonen, verfällt aber gelegentlich in Stereotypen, etwa bei der Schilderung neoaztekischer Rituale: Vlaming und sein Freund David geraten in eine Menge dichtgedrängter Indios, die auf die Wiederkehr eines seit Jahrhunderten schlafenden Gottes warten. Neidvoll bemerken die deutschen Zuschauer, daß diese Einheimischen "immerhin noch an etwas glauben! Und begeisterungsfähig sind. Und ihr Land lieben. Die Erde lieben, auf der sie ihren Mais ziehen. Götter verehren, die in dieser Erde wohnen."Im Reflexiven sind die Stärken dieses Buches wohl eher nicht zu finden. Interessanter wird es, wenn sich auf der Ranch in Mexiko die Konstellationen langsam verschieben. Eine Frau kämpft um ihre Stellung, ein fremder Junge taucht plötzlich auf, und im Haus wird jetzt Internet-Schach gespielt. Bei dieser seltsamen Variante namens Sun-Tzu-Schach werden die Startpositionen von Weiß und Schwarz ausgelost, und auf dem abgedunkelten Spielfeld sind nur diejenigen Figuren zu erkennen, die man gerade schlagen kann. Über allen anderen Feldern des Gegners liegt ein grauer Nebel. Hier ist Hens wieder ganz dicht bei der zentralen Frage seines Buches: Was im Leben unterliegt dem Zufall, was ist Bestimmung und was Strategie?
Gregor Hens: "In diesem neuen Licht". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 336 Seiten, geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zweierlei findet die Rezensentin Sandra Kerschbaumer an Gregor Hens' Roman irritierend: Zum einen, dass die vom Autor bemühte "Weltläufigkeit" mitunter in Platitüden erstarrt, und zum anderen, dass Hens' Figuren (der kriselnde Übersetzer Tobias Vlaming, sein dandyhaft-künstlerischer Schachpartner und dessen als hochkarätige Juristin arbeitende Frau) in ihren Worten und Taten die Brillanz, die ihnen vom Erzähler ständig zugeschrieben wird, nicht einlösen. Auch das "reflexive" Moment, das sich unter anderem daraus ergibt, dass mit Vlamings aktuellem Übersetzungsprojekt - einem exotischen D.H. Lawrence-Roman - eine zweite, perspektivierende Erzählebene in den Text eingeflochten ist, hat die Rezensentin nicht überzeugen können. Lediglich in Nebenkonstellationen gelinge es Hens, seine vom Schachspiel geprägte Vision eines mysteriösen Zusammenhangs zwischen "Zufall", "Bestimmung" und "Strategie" umzusetzen, so ihr Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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