EINE SORGFÄLTIG EDIERTE AUSWAHL VON GEHARD KOFLERS FRÜHWERKEXPERIMENTIERFREUDIG und KRITISCH zeigt sich der SÜDTIROLER LYRIKER Gerhard Kofler in seinen frühen Gedichten, die er auf DEUTSCH, ITALIENISCH UND SÜDTIROLER MUNDART verfasste. Neben Norbert C. Kaser gehörte Kofler einer lyrischen Aufbruchsgeneration an, die gegen Kulturkonservatismus und für die Entwicklung einer modernen, allen Sprachen offenen Literatur schrieb. Dabei ist die MEHRSPRACHIGKEIT seiner Gedichte nicht nur eine biografische Mitgift, sondern auch Stilmittel und Standpunkt im Diskurs um die Begriffe von HEIMAT und IDENTITÄT. Zum 70. Geburtstag des 2005 verstorbenen Schriftstellers erscheint nun in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv eine sorgfältig edierte Auswahl seines FRÜHEN DICHTERISCHEN SCHAFFENS. Neben vollständigen Zyklen aus lange vergriffenen Gedichtbänden finden sich in diesem Band auch UNVERÖFFENTLICHTE ÜBERSETZUNGEN früher Gedichte Koflers aus seinem Nachlass."In der modernen Zeit der vielen nichts sagenden Worte sind Koflers Gedichte eine kleine Kostbarkeit."Die Furche, Anna Lesnik
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2019Die Indianerin besucht Bozens Konditorei
Und der Dorfnarr kaut Hagebutten: Ein Sammelband mit Gerhard Koflers Gedichten in den drei Sprachen der Heimat
Er liebe Wien, bekannte er in einem Interview, aber er liebe Wien als ein Italiener. Geboren 1949 in Bozen, verbrachte Gerhard Kofler nach frühen Jahren in Brixen, wohin er dreijährig mit den Eltern gezogen war, und Studienjahren in Innsbruck und Salzburg (Germanistik, Romanistik) sein Leben vor allem in der Hauptstadt Österreichs. Hier schrieb er seine frühen Gedichte, die ihn allerdings in die Kindheit und Jugend an Eisack und Etsch zurückführten: seine "Südtiroler Extravaganzen", erschienen 1981, "Neue Südtiroler Extravaganzen" 1984 und "Rückseite der Geographie" schließlich 1988.
Darin kommt der Erstklässler in den Blick, der auf dem Fahrrad fotografiert werden möchte, aber unbedingt von hinten, damit man den Schulranzen auf seinem Rücken sieht. Oder ein Krankenhausaufenthalt wegen Scharlach in einem Gebäude in Mussolini-Architektur, das einst die Turnhalle der faschistischen Jugendorganisation "Gioventù Italiana del Littorio" war und in dem nun die katholische Kinderschwester das abgerissene Kalenderblatt wie einen Bußzettel vor sich hält, um den Kleinen zu sagen: "wiederum einen tag näher der ewigkeit".
Es gibt eine Hommage an die Italienischlehrerin, die die Schüler mit der Poesie von Umberto Saba vertraut machte, oder die Erinnerung an diese kleinen Sonntage: "schlechter empfang / im autoradio / kurz vor Feldthurns / die Beatles zurückgefallen / auf den 2. platz / auch pfifferlinge haben wir nachher / nur wenige gefunden". Und immer wieder geht es um Fußball, diese "seele der kindheit" zwischen Juve und Inter und Milan. Aber es gab eben auch die ASSI von Bologna und die Bozener VIRTUS DON BOSCA und "jene / von OBERAU / und viele andere / für uns wichtige mannschaften / am Talferplatz".
In diesen frühen Gedichten macht sich Gerhard Kofler auf die Suche nach einer verlorenen Zeit der doppelten, italienisch-deutschen Alltagskultur, die nun in den Versen zurückkommt und dort aufgehoben bleibt. Damit dies gelingen konnte, verfasste er seine Gedichte als Zwillingsgeschwister, parallel in Italienisch und in Deutsch oder - ohne weitere Varianten - in der Südtiroler Mundart. Diese Mundartgedichte nun sperren sich gegen eine poetische Übersetzung, ihr Eigensinn besteht gerade darin, den lokalen Klang in einem Spiel von Verstehen und Nichtverstehen zu nutzen.
Sprache ist Identität; und für Gerhard Kofler, der in einem mehrsprachigen Umfeld sozialisiert wurde (mit Kameraden aus Südtirol, aber auch aus Neapel oder dem Trentino oder aus Wien), musste Sprache dies reflektieren. So wurde er zu einem Pionier des mehrsprachigen Schreibens. Als Autor und Kulturvermittler - Kofler war Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung und Literatur- und Theaterkritiker - arbeitete er an einer modernen, überregionalen und sprachoffenen Literatur Südtirols. Seine an die 20 Gedichtbände wurden mehrfach preisgekrönt; er schrieb auch Verse in Spanisch und dem Dialekt Neapels. Und er übersetzte: Umberto Saba etwa ins Deutsche sowie, unter anderen, Paul Jandl und Friederike Mayröcker ins Italienische.
Gerhard Kofler starb 2005. In dem Sammelband "in fließenden übergängen / in vasi comunicanti" sind seine drei frühen Südtirol-Gedichtbände, die er als eine Trilogie gesehen hat, nun dankenswerterweise wieder aufgelegt worden, zusammen mit "Intermezzo a Vienna" aus dem Jahr 1993, das allerdings, wie auch die späteren Poesiebände Koflers, keine Mundartgedichte mehr von ihm enthält.
Wenn man nun auf die übermütige Idee käme, eine der drei Sprachen für ihre schönere Schönheit prämieren zu wollen, dann würde das Deutsche im Vergleich vermutlich abfallen. Ein Beispiel: "un bimbo / calcia / il pallone giallo / contro il muro / della scuola dei frati. // il mio pallone / mi sembra / non sia ancora tornato." Und im Deutschen: "ein kind / schießt / den gelben ball / gegen die mauer / der Internatsschule. // mein ball / so scheint mir / ist noch nicht zurückgekommen."
Das Deutsche ist fraglos härter. Und soll es wohl auch sein. Denn es wäre durchaus leicht zu mildern gewesen. Die "scuola dei frati" etwa hätte im Deutschen statt der "Internatsschule" auch die "Schule der Mönche" oder die "Klosterschule" sein können. Aber liegt nicht genau in dieser italienisch-deutschen Spannung die Koexistenz der kulturellen Verschiedenheit, die Südtirol prägt?
Und mit welcher wunderbaren Intensität präsentiert sich daneben die Mundart! So heißt es in dem Gedicht über einen wunderlichen Mann im Dorf, einen Außenseiter, der aus der Psychiatrie entlassen wurde: "obn in Presels in der summerfrisch / isch er gsessen mit a hetschebetschschtaudn / hot se ins maul gschteckt und dron gekuit / der erschte norrate in meinem lebn / hot nimmer gonz dazuaghert zum hof". Ein Glossar (das die im Band fehlende Übersetzung perfekt ausgleicht) erklärt dann "hetschebetschschtaudn" als den Hagebuttenstrauch. Diese Hagebutten, die der Dorfnarr kaute (für das Kind der erste Narr), werden nach seinem Tod zum Epitaph: "und fir mi seins auf oamol / gonz bluatig gwesn, / die hetschebetschn, de a nimmer / dazuaghert hobn zum hof / ober gsegn hat mer se holt/ do no olleweil."
Auf einmal scheinen die Früchte dem Kind blutrot, auch sie sind zu Außenseitern geworden. Sie sind unheimlich heimatlich wie der Verstorbene. Er ist begraben. Aber Hagebutten sieht man immer noch. Und damit auch ihn.
Auch die "Hoanzn Nanna" mit ihren 17 Katzen und dem Hühnerdreck überall, die den Schweinen Brennnessel kocht und eine Stimme wie eine Kröte ("wosnhottel") hat, "zum firchtn", wird zu einem wunderbaren dörflichen Ur-Porträt: "wia a indianer / der grod aussn / reservat kimmt / huckt sie bei die / groaßeltern / in der Boazner Konditterei".
Das sorgfältige, mit zahlreichen Anmerkungen, die auch Koflers Überarbeitungen anzeigen, versehene Buch ist eine Fundgrube für Leser, die am faszinierenden Phänomen des mehrsprachigen Schreibens interessiert sind. Und es ist ein Leuchtfeuer lyrischer Epiphanien. Gedichte, die lange vergriffen und vielleicht vergessen waren, sind nun noch "in tempo" also "rechtzeitig", wieder da: "cerchi anche tu / l'orologica / del momento felice" oder eben: "auch du suchst / die uhrwerkslogik / des glücklichen moments".
ANGELIKA OVERATH
Gerhard Kofler: "in fließenden übergängen/in vasi comunicanti". Gedichte in Deutsch, Italienisch und Südtiroler Mundart.
Hrsg. von Maria Piok und Christine Riccabona. Haymon Verlag, Innsbruck 2019. 332 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und der Dorfnarr kaut Hagebutten: Ein Sammelband mit Gerhard Koflers Gedichten in den drei Sprachen der Heimat
Er liebe Wien, bekannte er in einem Interview, aber er liebe Wien als ein Italiener. Geboren 1949 in Bozen, verbrachte Gerhard Kofler nach frühen Jahren in Brixen, wohin er dreijährig mit den Eltern gezogen war, und Studienjahren in Innsbruck und Salzburg (Germanistik, Romanistik) sein Leben vor allem in der Hauptstadt Österreichs. Hier schrieb er seine frühen Gedichte, die ihn allerdings in die Kindheit und Jugend an Eisack und Etsch zurückführten: seine "Südtiroler Extravaganzen", erschienen 1981, "Neue Südtiroler Extravaganzen" 1984 und "Rückseite der Geographie" schließlich 1988.
Darin kommt der Erstklässler in den Blick, der auf dem Fahrrad fotografiert werden möchte, aber unbedingt von hinten, damit man den Schulranzen auf seinem Rücken sieht. Oder ein Krankenhausaufenthalt wegen Scharlach in einem Gebäude in Mussolini-Architektur, das einst die Turnhalle der faschistischen Jugendorganisation "Gioventù Italiana del Littorio" war und in dem nun die katholische Kinderschwester das abgerissene Kalenderblatt wie einen Bußzettel vor sich hält, um den Kleinen zu sagen: "wiederum einen tag näher der ewigkeit".
Es gibt eine Hommage an die Italienischlehrerin, die die Schüler mit der Poesie von Umberto Saba vertraut machte, oder die Erinnerung an diese kleinen Sonntage: "schlechter empfang / im autoradio / kurz vor Feldthurns / die Beatles zurückgefallen / auf den 2. platz / auch pfifferlinge haben wir nachher / nur wenige gefunden". Und immer wieder geht es um Fußball, diese "seele der kindheit" zwischen Juve und Inter und Milan. Aber es gab eben auch die ASSI von Bologna und die Bozener VIRTUS DON BOSCA und "jene / von OBERAU / und viele andere / für uns wichtige mannschaften / am Talferplatz".
In diesen frühen Gedichten macht sich Gerhard Kofler auf die Suche nach einer verlorenen Zeit der doppelten, italienisch-deutschen Alltagskultur, die nun in den Versen zurückkommt und dort aufgehoben bleibt. Damit dies gelingen konnte, verfasste er seine Gedichte als Zwillingsgeschwister, parallel in Italienisch und in Deutsch oder - ohne weitere Varianten - in der Südtiroler Mundart. Diese Mundartgedichte nun sperren sich gegen eine poetische Übersetzung, ihr Eigensinn besteht gerade darin, den lokalen Klang in einem Spiel von Verstehen und Nichtverstehen zu nutzen.
Sprache ist Identität; und für Gerhard Kofler, der in einem mehrsprachigen Umfeld sozialisiert wurde (mit Kameraden aus Südtirol, aber auch aus Neapel oder dem Trentino oder aus Wien), musste Sprache dies reflektieren. So wurde er zu einem Pionier des mehrsprachigen Schreibens. Als Autor und Kulturvermittler - Kofler war Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung und Literatur- und Theaterkritiker - arbeitete er an einer modernen, überregionalen und sprachoffenen Literatur Südtirols. Seine an die 20 Gedichtbände wurden mehrfach preisgekrönt; er schrieb auch Verse in Spanisch und dem Dialekt Neapels. Und er übersetzte: Umberto Saba etwa ins Deutsche sowie, unter anderen, Paul Jandl und Friederike Mayröcker ins Italienische.
Gerhard Kofler starb 2005. In dem Sammelband "in fließenden übergängen / in vasi comunicanti" sind seine drei frühen Südtirol-Gedichtbände, die er als eine Trilogie gesehen hat, nun dankenswerterweise wieder aufgelegt worden, zusammen mit "Intermezzo a Vienna" aus dem Jahr 1993, das allerdings, wie auch die späteren Poesiebände Koflers, keine Mundartgedichte mehr von ihm enthält.
Wenn man nun auf die übermütige Idee käme, eine der drei Sprachen für ihre schönere Schönheit prämieren zu wollen, dann würde das Deutsche im Vergleich vermutlich abfallen. Ein Beispiel: "un bimbo / calcia / il pallone giallo / contro il muro / della scuola dei frati. // il mio pallone / mi sembra / non sia ancora tornato." Und im Deutschen: "ein kind / schießt / den gelben ball / gegen die mauer / der Internatsschule. // mein ball / so scheint mir / ist noch nicht zurückgekommen."
Das Deutsche ist fraglos härter. Und soll es wohl auch sein. Denn es wäre durchaus leicht zu mildern gewesen. Die "scuola dei frati" etwa hätte im Deutschen statt der "Internatsschule" auch die "Schule der Mönche" oder die "Klosterschule" sein können. Aber liegt nicht genau in dieser italienisch-deutschen Spannung die Koexistenz der kulturellen Verschiedenheit, die Südtirol prägt?
Und mit welcher wunderbaren Intensität präsentiert sich daneben die Mundart! So heißt es in dem Gedicht über einen wunderlichen Mann im Dorf, einen Außenseiter, der aus der Psychiatrie entlassen wurde: "obn in Presels in der summerfrisch / isch er gsessen mit a hetschebetschschtaudn / hot se ins maul gschteckt und dron gekuit / der erschte norrate in meinem lebn / hot nimmer gonz dazuaghert zum hof". Ein Glossar (das die im Band fehlende Übersetzung perfekt ausgleicht) erklärt dann "hetschebetschschtaudn" als den Hagebuttenstrauch. Diese Hagebutten, die der Dorfnarr kaute (für das Kind der erste Narr), werden nach seinem Tod zum Epitaph: "und fir mi seins auf oamol / gonz bluatig gwesn, / die hetschebetschn, de a nimmer / dazuaghert hobn zum hof / ober gsegn hat mer se holt/ do no olleweil."
Auf einmal scheinen die Früchte dem Kind blutrot, auch sie sind zu Außenseitern geworden. Sie sind unheimlich heimatlich wie der Verstorbene. Er ist begraben. Aber Hagebutten sieht man immer noch. Und damit auch ihn.
Auch die "Hoanzn Nanna" mit ihren 17 Katzen und dem Hühnerdreck überall, die den Schweinen Brennnessel kocht und eine Stimme wie eine Kröte ("wosnhottel") hat, "zum firchtn", wird zu einem wunderbaren dörflichen Ur-Porträt: "wia a indianer / der grod aussn / reservat kimmt / huckt sie bei die / groaßeltern / in der Boazner Konditterei".
Das sorgfältige, mit zahlreichen Anmerkungen, die auch Koflers Überarbeitungen anzeigen, versehene Buch ist eine Fundgrube für Leser, die am faszinierenden Phänomen des mehrsprachigen Schreibens interessiert sind. Und es ist ein Leuchtfeuer lyrischer Epiphanien. Gedichte, die lange vergriffen und vielleicht vergessen waren, sind nun noch "in tempo" also "rechtzeitig", wieder da: "cerchi anche tu / l'orologica / del momento felice" oder eben: "auch du suchst / die uhrwerkslogik / des glücklichen moments".
ANGELIKA OVERATH
Gerhard Kofler: "in fließenden übergängen/in vasi comunicanti". Gedichte in Deutsch, Italienisch und Südtiroler Mundart.
Hrsg. von Maria Piok und Christine Riccabona. Haymon Verlag, Innsbruck 2019. 332 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"ein Leuchtfeuer lyrischer Epiphanien" Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Angelika Overath "In seiner konsequenten Mehrsprachigkeit war Gerhard Kofler einer der interessantesten und produktivsten österreichischen Lyriker ... Der Band mit frühen Gedichten in Deutsch, Italienisch und Südtiroler Mundart macht schmerzlich bewusst, dass Kofler schon vor 12 Jahren verstorben ist und stellt unter Beweis, welche lebendige Leuchtkraft seine Poesie noch immer hat." Ö1, Ex libris, Cornelius Hell "Eine (Wieder)Begegnung mit einem großen Poeten, der viel zu früh gestorben ist ... Sehr lesenswert!" BUCHKULTUR, Nils Jensen "Seine Gedichte sind brüchig und heiser, stimmlich nie zu hoch geschraubt, voller Melancholie, Grimm, Ironie, sein tropfend fließender Wortgesang ist weit von jeder artifiziellen Empfindsamkeit entfernt, stets ,die uhrwerkslogik/ des glücklichen moments' suchend." Die Neue Südtiroler Tageszeitung, Heinrich Schwazer