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Die kalydonische Jagd ist einer der großen Mythen der griechischen Geschichte: Im 13. Jahrhundert vor Chr. dankte Oineus, Herrscher von Ätolien, den Göttern für die reiche Ernte, vergaß jedoch, auch Artemis ein Opfer zu bringen. Die Göttin der Jagd und der Ernte rächte sich, indem sie einen Eber in das Land sandte, der Schafe riss, die aufkeimende Saat zertrampelte und Reben entwurzelte. Meleagros, der Sohn des ätolischen Königs, rief daraufhin die tapfersten Krieger seiner Zeit zusammen, unter ihnen auch die Argonauten. Obwohl sie schon an ihrem Sammelpunkt in Kalydon schreckliche Verluste…mehr

Produktbeschreibung
Die kalydonische Jagd ist einer der großen Mythen der griechischen Geschichte: Im 13. Jahrhundert vor Chr. dankte Oineus, Herrscher von Ätolien, den Göttern für die reiche Ernte, vergaß jedoch, auch Artemis ein Opfer zu bringen. Die Göttin der Jagd und der Ernte rächte sich, indem sie einen Eber in das Land sandte, der Schafe riss, die aufkeimende Saat zertrampelte und Reben entwurzelte. Meleagros, der Sohn des ätolischen Königs, rief daraufhin die tapfersten Krieger seiner Zeit zusammen, unter ihnen auch die Argonauten. Obwohl sie schon an ihrem Sammelpunkt in Kalydon schreckliche Verluste erlitten hatten, hetzten sie den Keiler durch Salzmarschen, Lagunen und schließlich über die Hänge des Arakynthus. Atalante, die einzige Frau unter diesen Helden, zeichnete sich dabei durch Mut und Schnelligkeit aus. Meleagros fühlte sich zu ihr hingezogen und weckte damit die Eifersucht von Melanion, dem Nachtjäger. Am Ende waren es diese drei Jäger, die den Eber in eine Höhle trieben und ihn legten. Doch wer von ihnen versetzte dem müde gewordenem Rachetier der Artemis den Todesstoß? Atalante? Oder doch Meleagros? Alle berühmten Dichter der Antike haben über diese Jagd geschrieben, ob Hesiod, Ovid oder Apollonius, aber jeder von ihnen hat seine eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt ein jüdischer Dichter die kalydonische Jagd ganz neu: Es ist Solomon Memel, der als Junge in Rumänien die "Säuberungen" der deutschen Truppen miterlebt hat. Seine Eltern fanden in Lagern den Tod, er selbst konnte dank der Hilfe Ruths, seiner großen Jugendliebe, nach Griechenland fliehen, in eben jene Gegend, wo einst der Eber wütete. Sol Memel schloss sich einer Partisanengruppe an, die sich um Geraxos und die Freiheitskämpferin Thyella bildete. Er geriet in Gefangenschaft, erlangte nach der Landung der Alliierten in Thessaloniki wieder die Freiheit und wurde daraufhin selbst zum Jäger. Er beteiligte sich an der brutalen Hinrichtung des Nazi-Kommandanten Eberhardt. Seine Erlebnisse als Verfolgter und als Verfolger verarbeitet er nun zu einem gewaltigen Versepos "Die Keilerjagd" -, das zuerst in einem kleinen Wiener Verlag erscheint. Das Epos erregt großes Aufsehen, wird bald in mehrere Sprachen übersetzt und in Deutschland Pflichtlektüre. Mitte der fünfziger Jahre meldet sich Jakob, ein Jugendfreund des Dichters, aber auch sein Rivale in dem Kampf um die Liebe Ruths, öffentlich zu Wort. Er versucht Unstimmigkeiten in der "Keilerjagd" aufzuzeigen und wirft dem Dichter unterschwellig vor, es mit der Wahrheit nicht sehr genau zu nehmen. Als ein großer Artikel im "Spiegel" diese Kritik harsch zurückweist, nimmt sich Jakob das Leben. Zu Beginn der siebziger Jahre muss sich Sol Memel erneut mit der Frage auseinandersetzen, ob er Mythos und Wirklichkeit verschmolzen oder das historische Geschehen verfälscht habe. Ruth, die er zuletzt kurz nach Kriegsende getroffen hat, als sie ihm half, aus einem britischen Sammellager für "Displaced Persons" herauszukommen, sucht den Dichter in seiner Pariser Wahlheimat auf. Sie will die "Keilerjagd" verfilmen. Sol verfolgt die Dreharbeiten und merkt, dass aus seinem Epos eine ganz neue, erotisch aufgeladene Geschichte wird. Ruth stellt in ihrem Film alle heroischen Elemente der literarische(n) Vorlage(n), insbesondere die Rolle der Atalante/Thyella, rigoros in Frage. Lawrence Norfolk hat in der Hauptfigur seines neuen Romans deutliche Bezüge zum Leben des Dichters Paul Celan angelegt, der 1954 ein Gedicht mit dem Titel "In Gestalt eines Ebers" veröffentlichte. Wie Solomon Memel wuchs auch Celan in Rumänien auf, verlor seine Eltern im Lager und sah sich später durch alte Weggefährten dem Vorwurf ausgesetzt, er habe seine Vergangenheit mystifiziert. Norfolk fasziniert die Vieldeutigkeit dieses Dichterlebens, seine Brüche und Rätsel. Sie entsprechen seinem Verständnis von Geschichte, das er in diesem Roman deutlicher als bisher zum Ausdruck bringt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Roman von Lawrence Norfolk hat einen ungewöhnlichen Aufbau, berichtet Eleonore Frey. Er umfasst drei Teile, einen mythischen, einen historischen und einen "ungestalten Raum", in verschiedener Länge, Tonart und Dichte. Am besten hat der Rezensentin der erste Teil gefallen, ein "hinreißend helldunkler Text", der von der Jagd auf einen kalydonischen Eber handelt. Hier sehe der Leser buchstäblich, das zeigten allein schon die 179 Anmerkungen über die antike Eberjagd, einen Mythos aus der Nacht der Zeiten aufsteigen. Der zweite Teil, eine Episode, die im Paris des Jahres 1970 spielt, macht auf Frey da einen eher konventionellen Eindruck. Ein besonderes Lob spendet die Rezensentin der Übersetzerin Melanie Walz, die eine beachtliche Spracharbeit geleistet und überdies in mühsamer Kleinarbeit und mit detektivischem Gespür antike und zeitgenössische Quellen aufgespürt habe. Dem Werk werde damit die Ehre zuteil, die ihm auch gebühre, freut sich Frey.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Schweine im Weltkrieg
Lawrence Norfolk bläst zur Mythenjagd / Von Renate Schostack

Das Erzählen im nachhinein wird das Schweigen der Wahrhaftigkeit übertönen und sein Dunkel mit Lügen überschwemmen." Dieser Satz markiert in Lawrence Norfolks neuem Roman die Pole, um die des Autors Nachdenken kreist: Literatur und Wahrheit, Mythos und Geschichte. Im Zentrum seines Erzählwerks befindet sich ein schwarzes Loch, eine Höhle. Was dort geschieht, entzieht sich der Erkenntnis. Die Finsternis kann nicht gefilmt werden.

Indes, Norfolk, der mit diesem Buch nach "Lemprière's Wörterbuch" und "Ein Nashorn für den Papst" seinen dritten Roman vorlegt, ist ein viel zu gerissener Autor, um Erkenntnis und Verfilmbarkeit miteinander zu verwechseln. In seinem komplexen Werk wird der Mythos über die Geschichte geblendet. Die Erzählung von der kalydonischen Eberjagd, von der Homer berichtet, überlagert eine in Griechenland spielende Partisanenstory des Zweiten Weltkriegs. Ein episches Gedicht aus den fünfziger Jahren, das beide Elemente verbindet, wird in den siebziger Jahren von einem französischen Team verfilmt, das herausfinden will, was sich 1944/45 wirklich ereignet hat.

Der erste Teil erzählt auf 130 Seiten in wie gehämmert wirkenden Sätzen - das Buch ist blendend übersetzt - den griechischen Mythos nach. Weil ein Herrscher die Göttin Artemis beleidigt hatte, sandte diese, wie Voß übersetzte, "ein borstenumstarrt Waldschwein mit gewaltigen Hauern", das die Fluren verwüstete, Tiere und Menschen vernichtete. Sechzig Heroen, unter ihnen als einzige Frau das "Bärenmädchen" Atalante, jagen das Untier. Norfolk legt über das Geschehen eine von Abkürzungen und Siglen strotzende Draperie der Gelehrsamkeit mit 179 Anmerkungen voller Detailwucherungen (über Hunderassen, Jagdgerät, Obst- und Schiffsbau ecetera) vor, alle säuberlich und - nach Stichproben - akribisch belegt durch Verweise auf antike Literatur und Kunst.

Sie ergeben ein antikisierendes Textgespinst, dem der Geruch von Gewalt, Brand, Blut entsteigt: Den Untaten der Menschen korrespondiert eine mörderische Natur. Der Eber, Metapher des Bösen, wird zum Sinnbild der Ungeheuer, die sich Menschen erschaffen. Am Ende nimmt das wilde Tier, das keine Chance zu entkommen hat, anthropomorphe und damit völlig unmythische Züge an, es erregt Mitleid. Von den Jägern sind nur drei übriggeblieben, Atalante und die Männer Meleagros und Melanion, zwischen denen Eros auf der Lauer liegt. Sie bringen den Eber zur Strecke.

Gelegentlich erinnert das neu-alte Epos an eine moderne Version der "Höhlenkinder im heimlich Grund", doch am Ende findet es zum hohen Pathos zurück. In der allerletzten Anmerkung zieht sich der Mythos ins Dunkel zurück: die Werke sind verloren, die das Geschehen berichteten, selbst die Anthologien, in denen sich davon Spuren fanden, sind vernichtet, die Bibliotheken verbrannt: "Agrapha", das Nicht-Geschriebene, waltet. Dies läßt dem heutigen Autor freie Hand. Solche raffinierten Verteidigungsbarrikaden baut Norfolk immer wieder auf.

Im zweiten, wie eine Filmerzählung angelegten Teil, der nach seinem Schauplatz den Titel "Paris" trägt, frönt der Autor der Technik der raschen Schnitte, der Überblendung von Schauplätzen, den Zeitsprüngen. Im Mittelpunkt steht jetzt Solomon Memel, Sol genannt, der ein Interview gibt und Probeaufnahmen der Verfilmung seines Gedichts "Die Keilerjagd" betrachtet. Modell für Memel stand Paul Celan, der 1954 das Gedicht "In der Gestalt eines Ebers" schrieb und damit dem Roman seinen Titel sowie das Motto lieferte, das verkürzt lautet: "Eber . . . gibt es eben."

Memel ist Jude rumänischer Abstammung, er schreibt auf deutsch, wuchs in Lemberg auf. Die Galizien-Passagen gehören zu den besten des Romans. Die Freunde Solomon, Jakob, Ruth, die im Jahr 1938 gerade die Schule beendet haben, spiegeln die Konstellation Meleager, Melanion, Atalante. Doch die jungen Leute in Lemberg sind nicht Jäger; sie werden zu Gejagten der Nationalsozialisten. Alle drei überleben. Im Rückblick entfaltet Norfolk die Flucht Sols nach Griechenland, wo er von Partisanen gerettet wird, ehe er den deutschen Besatzern in die Hände fällt. Der Bericht über den Befreiungskampf, die divergierenden antifaschistischen Gruppierungen, unter denen die Kämpferin Thyella, Abbild der antiken Atalante, im Mittelpunkt steht, die Jagd auf einen deutschen Abwehroffizier mit dem passenden Namen Eberhardt, könnte freilich spannender sein, wenn er klarer erzählt und nicht ständig durch das hier überstrapazierte Mittel des Schnitts zerhackt wäre.

Damit nicht genug. Norfolk behängt sein bereits überfrachtetes Erzählgerüst mit einem weiteren Gewicht: Memels Gedicht, das seine Kriegserlebnisse verarbeitet, wird zum Welterfolg, zur internationalen Schulbuchlektüre, ehe es durch eine Intrige fast vernichtet wird. Die "Memel-Affäre" liegt zwanzig Jahre zurück, taucht aber in den Gesprächen mit Ruth, der Lemberger Jugendfreundin, die das Werk verfilmt, immer wieder auf. Urheber der Affäre war der dritte des ehemaligen Freundestrios, Jakob. In einer von ihm kommentierten Ausgabe des Gedichts, bei der die im ersten Teil sich allmählich in die Fußnoten schleichenden Zweifel gesteigert wiederkehren, warf er Memel neben allerlei sachlichen Fehlern nichts Geringeres vor, als daß er die ganze Geschichte erfunden habe.

Die Pressekampagne, die sich damals anschloß und die der Romancier genüßlich ausbreitet, ist ganz auf die deutsche Ausgabe zugeschnitten, der im übrigen eine weiterentwickelte Version des englischen Originals zugrunde liegt. Jakob wurde damals als Verrückter entlarvt und beging Selbstmord. Warum er aber den ganzen Hokuspokus angezettelt hat, darüber läßt der Autor den düpierten Leser im dunkeln. Daß selbst Ruth Zweifel an Sols Geschichte hat, daß sie Eberhardt für eine kleine Nummer, Thyella gar für nichtexistent hält, spielt für die Verfilmung der "Keilerjagd" keine Rolle. Wohl aber für ihr Verhältnis zu dem Jugendfreund. Memel zieht sich am Ende aus der Affäre mit einem Satz, der das Vorangegangene Lügen straft: "Die Leben, die unsere Heroen leben, hinterlassen keine Spuren für die Nachkommenden. Ihre Geschichten sterben mit ihnen." Doch das ist nicht das letzte Wort.

Im dritten, nur zwei Seiten umfassenden Teil, der den Titel "Agrapha" trägt, leuchtet noch einmal der Mythos, nun aber der fiktive, auf. Melanion, Norfolks erfundener Jäger, der Meleager und Atalante beschattete, legt sich in der Höhle zu dem sterbenden Eber. Der ominöse Satz: "Der Gejagte zu sein, ist die Furcht des Jägers" implodiert. Im Moment des Todes werden Jäger und Gejagter, Mensch und Tier eins. Dies ist das Herz der Finsternis, ein sentimentales, versöhnliches, weit entfernt von Joseph Conrads afrikanischem Horror.

Norfolk ist ein Autor der Finten und Finessen, ein hochintelligenter Gaukler, ein Jongleur, dessen Spiel man mit angehaltener Luft zuschaut. Gewiß, ein paar Bälle weniger hätten es auch getan, ein paar blinde Motive (Liebe und Tod in der Pariser Metro), die Banalität der Unterhaltungen mit den Film- und Fernsehleuten (zuviel Smalltalk, zuviel Technik) hätten sich leicht streichen lassen. Das ist jedoch nicht das Problem. Norfolk scheinen Menschen, ihre Freuden und Leiden, nur insoweit zu interessieren, wie sie die komplizierte Erzählmaschinerie in Gang halten. Jakob bleibt schattenhaft, Ruth - Deutschenhure, steinreiche Amerikanerin, Regiestar - ist ebenso wie die rätselhafte Partisanin Thyella ein Hollywood-Klischee, Solomon ein Mann ohne Eigenschaften. In einem vor der Niederschrift des Romans entstandenen Text (F.A.Z. vom 2. Mai 1998) schrieb er: "Man arrangiert die Dinge. Man läßt sie mehr bedeuten, als sie eigentlich bedeuten. Man baut etwas um sie herum auf und geht Kompromisse ein. Zu guter Letzt läuft es darauf hinaus, daß man entweder Schriftsteller sein oder saubere Hände haben kann, aber nicht beides zugleich." Norfolk hat keine sauberen Hände, er spielt mit gezinkten Karten.

Lawrence Norfolk: "In Gestalt eines Ebers". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Verlag Albrecht Knaus, München 2001. 349 S., geb., 44,- DM.

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