Seit seinem Welterfolg "Lemprière's Wörterbuch" gilt der britische Autor Lawrence Norfolk als "Meister mystisch-vertrackter Historien" (Der Spiegel). In seinem neuen Roman greift er den Mythos von der kalydonischen Eberjagd auf. Im 13. Jahrhundert vor Christus richtete ein Eber schreckliche Verwüstungen an. Sechzig Krieger und eine Frau jagten das riesige Tier, das Artemis, die Göttin der Ernte, in das Land schickte, weil man ihr nicht gehuldigt hatte. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs wiederholt sich diese Jagd auf dramatische Weise: Diesmal sind griechische Partisanen die Jäger, und eine deutscher Wehrmachtsoffizier ist die Beute. Ein junger rumänischer Dichter wird Zeuge dieser Jagd. In einem Versepos verarbeitet er später die Ereignisse und wird zum gefeierten Autor. Doch auch er muss sich den Fragen nach Mythos und Realität, Geschichte und Wirklichkeit stellen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Schweine im Weltkrieg
Lawrence Norfolk bläst zur Mythenjagd / Von Renate Schostack
Das Erzählen im nachhinein wird das Schweigen der Wahrhaftigkeit übertönen und sein Dunkel mit Lügen überschwemmen." Dieser Satz markiert in Lawrence Norfolks neuem Roman die Pole, um die des Autors Nachdenken kreist: Literatur und Wahrheit, Mythos und Geschichte. Im Zentrum seines Erzählwerks befindet sich ein schwarzes Loch, eine Höhle. Was dort geschieht, entzieht sich der Erkenntnis. Die Finsternis kann nicht gefilmt werden.
Indes, Norfolk, der mit diesem Buch nach "Lemprière's Wörterbuch" und "Ein Nashorn für den Papst" seinen dritten Roman vorlegt, ist ein viel zu gerissener Autor, um Erkenntnis und Verfilmbarkeit miteinander zu verwechseln. In seinem komplexen Werk wird der Mythos über die Geschichte geblendet. Die Erzählung von der kalydonischen Eberjagd, von der Homer berichtet, überlagert eine in Griechenland spielende Partisanenstory des Zweiten Weltkriegs. Ein episches Gedicht aus den fünfziger Jahren, das beide Elemente verbindet, wird in den siebziger Jahren von einem französischen Team verfilmt, das herausfinden will, was sich 1944/45 wirklich ereignet hat.
Der erste Teil erzählt auf 130 Seiten in wie gehämmert wirkenden Sätzen - das Buch ist blendend übersetzt - den griechischen Mythos nach. Weil ein Herrscher die Göttin Artemis beleidigt hatte, sandte diese, wie Voß übersetzte, "ein borstenumstarrt Waldschwein mit gewaltigen Hauern", das die Fluren verwüstete, Tiere und Menschen vernichtete. Sechzig Heroen, unter ihnen als einzige Frau das "Bärenmädchen" Atalante, jagen das Untier. Norfolk legt über das Geschehen eine von Abkürzungen und Siglen strotzende Draperie der Gelehrsamkeit mit 179 Anmerkungen voller Detailwucherungen (über Hunderassen, Jagdgerät, Obst- und Schiffsbau ecetera) vor, alle säuberlich und - nach Stichproben - akribisch belegt durch Verweise auf antike Literatur und Kunst.
Sie ergeben ein antikisierendes Textgespinst, dem der Geruch von Gewalt, Brand, Blut entsteigt: Den Untaten der Menschen korrespondiert eine mörderische Natur. Der Eber, Metapher des Bösen, wird zum Sinnbild der Ungeheuer, die sich Menschen erschaffen. Am Ende nimmt das wilde Tier, das keine Chance zu entkommen hat, anthropomorphe und damit völlig unmythische Züge an, es erregt Mitleid. Von den Jägern sind nur drei übriggeblieben, Atalante und die Männer Meleagros und Melanion, zwischen denen Eros auf der Lauer liegt. Sie bringen den Eber zur Strecke.
Gelegentlich erinnert das neu-alte Epos an eine moderne Version der "Höhlenkinder im heimlich Grund", doch am Ende findet es zum hohen Pathos zurück. In der allerletzten Anmerkung zieht sich der Mythos ins Dunkel zurück: die Werke sind verloren, die das Geschehen berichteten, selbst die Anthologien, in denen sich davon Spuren fanden, sind vernichtet, die Bibliotheken verbrannt: "Agrapha", das Nicht-Geschriebene, waltet. Dies läßt dem heutigen Autor freie Hand. Solche raffinierten Verteidigungsbarrikaden baut Norfolk immer wieder auf.
Im zweiten, wie eine Filmerzählung angelegten Teil, der nach seinem Schauplatz den Titel "Paris" trägt, frönt der Autor der Technik der raschen Schnitte, der Überblendung von Schauplätzen, den Zeitsprüngen. Im Mittelpunkt steht jetzt Solomon Memel, Sol genannt, der ein Interview gibt und Probeaufnahmen der Verfilmung seines Gedichts "Die Keilerjagd" betrachtet. Modell für Memel stand Paul Celan, der 1954 das Gedicht "In der Gestalt eines Ebers" schrieb und damit dem Roman seinen Titel sowie das Motto lieferte, das verkürzt lautet: "Eber . . . gibt es eben."
Memel ist Jude rumänischer Abstammung, er schreibt auf deutsch, wuchs in Lemberg auf. Die Galizien-Passagen gehören zu den besten des Romans. Die Freunde Solomon, Jakob, Ruth, die im Jahr 1938 gerade die Schule beendet haben, spiegeln die Konstellation Meleager, Melanion, Atalante. Doch die jungen Leute in Lemberg sind nicht Jäger; sie werden zu Gejagten der Nationalsozialisten. Alle drei überleben. Im Rückblick entfaltet Norfolk die Flucht Sols nach Griechenland, wo er von Partisanen gerettet wird, ehe er den deutschen Besatzern in die Hände fällt. Der Bericht über den Befreiungskampf, die divergierenden antifaschistischen Gruppierungen, unter denen die Kämpferin Thyella, Abbild der antiken Atalante, im Mittelpunkt steht, die Jagd auf einen deutschen Abwehroffizier mit dem passenden Namen Eberhardt, könnte freilich spannender sein, wenn er klarer erzählt und nicht ständig durch das hier überstrapazierte Mittel des Schnitts zerhackt wäre.
Damit nicht genug. Norfolk behängt sein bereits überfrachtetes Erzählgerüst mit einem weiteren Gewicht: Memels Gedicht, das seine Kriegserlebnisse verarbeitet, wird zum Welterfolg, zur internationalen Schulbuchlektüre, ehe es durch eine Intrige fast vernichtet wird. Die "Memel-Affäre" liegt zwanzig Jahre zurück, taucht aber in den Gesprächen mit Ruth, der Lemberger Jugendfreundin, die das Werk verfilmt, immer wieder auf. Urheber der Affäre war der dritte des ehemaligen Freundestrios, Jakob. In einer von ihm kommentierten Ausgabe des Gedichts, bei der die im ersten Teil sich allmählich in die Fußnoten schleichenden Zweifel gesteigert wiederkehren, warf er Memel neben allerlei sachlichen Fehlern nichts Geringeres vor, als daß er die ganze Geschichte erfunden habe.
Die Pressekampagne, die sich damals anschloß und die der Romancier genüßlich ausbreitet, ist ganz auf die deutsche Ausgabe zugeschnitten, der im übrigen eine weiterentwickelte Version des englischen Originals zugrunde liegt. Jakob wurde damals als Verrückter entlarvt und beging Selbstmord. Warum er aber den ganzen Hokuspokus angezettelt hat, darüber läßt der Autor den düpierten Leser im dunkeln. Daß selbst Ruth Zweifel an Sols Geschichte hat, daß sie Eberhardt für eine kleine Nummer, Thyella gar für nichtexistent hält, spielt für die Verfilmung der "Keilerjagd" keine Rolle. Wohl aber für ihr Verhältnis zu dem Jugendfreund. Memel zieht sich am Ende aus der Affäre mit einem Satz, der das Vorangegangene Lügen straft: "Die Leben, die unsere Heroen leben, hinterlassen keine Spuren für die Nachkommenden. Ihre Geschichten sterben mit ihnen." Doch das ist nicht das letzte Wort.
Im dritten, nur zwei Seiten umfassenden Teil, der den Titel "Agrapha" trägt, leuchtet noch einmal der Mythos, nun aber der fiktive, auf. Melanion, Norfolks erfundener Jäger, der Meleager und Atalante beschattete, legt sich in der Höhle zu dem sterbenden Eber. Der ominöse Satz: "Der Gejagte zu sein, ist die Furcht des Jägers" implodiert. Im Moment des Todes werden Jäger und Gejagter, Mensch und Tier eins. Dies ist das Herz der Finsternis, ein sentimentales, versöhnliches, weit entfernt von Joseph Conrads afrikanischem Horror.
Norfolk ist ein Autor der Finten und Finessen, ein hochintelligenter Gaukler, ein Jongleur, dessen Spiel man mit angehaltener Luft zuschaut. Gewiß, ein paar Bälle weniger hätten es auch getan, ein paar blinde Motive (Liebe und Tod in der Pariser Metro), die Banalität der Unterhaltungen mit den Film- und Fernsehleuten (zuviel Smalltalk, zuviel Technik) hätten sich leicht streichen lassen. Das ist jedoch nicht das Problem. Norfolk scheinen Menschen, ihre Freuden und Leiden, nur insoweit zu interessieren, wie sie die komplizierte Erzählmaschinerie in Gang halten. Jakob bleibt schattenhaft, Ruth - Deutschenhure, steinreiche Amerikanerin, Regiestar - ist ebenso wie die rätselhafte Partisanin Thyella ein Hollywood-Klischee, Solomon ein Mann ohne Eigenschaften. In einem vor der Niederschrift des Romans entstandenen Text (F.A.Z. vom 2. Mai 1998) schrieb er: "Man arrangiert die Dinge. Man läßt sie mehr bedeuten, als sie eigentlich bedeuten. Man baut etwas um sie herum auf und geht Kompromisse ein. Zu guter Letzt läuft es darauf hinaus, daß man entweder Schriftsteller sein oder saubere Hände haben kann, aber nicht beides zugleich." Norfolk hat keine sauberen Hände, er spielt mit gezinkten Karten.
Lawrence Norfolk: "In Gestalt eines Ebers". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Verlag Albrecht Knaus, München 2001. 349 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lawrence Norfolk bläst zur Mythenjagd / Von Renate Schostack
Das Erzählen im nachhinein wird das Schweigen der Wahrhaftigkeit übertönen und sein Dunkel mit Lügen überschwemmen." Dieser Satz markiert in Lawrence Norfolks neuem Roman die Pole, um die des Autors Nachdenken kreist: Literatur und Wahrheit, Mythos und Geschichte. Im Zentrum seines Erzählwerks befindet sich ein schwarzes Loch, eine Höhle. Was dort geschieht, entzieht sich der Erkenntnis. Die Finsternis kann nicht gefilmt werden.
Indes, Norfolk, der mit diesem Buch nach "Lemprière's Wörterbuch" und "Ein Nashorn für den Papst" seinen dritten Roman vorlegt, ist ein viel zu gerissener Autor, um Erkenntnis und Verfilmbarkeit miteinander zu verwechseln. In seinem komplexen Werk wird der Mythos über die Geschichte geblendet. Die Erzählung von der kalydonischen Eberjagd, von der Homer berichtet, überlagert eine in Griechenland spielende Partisanenstory des Zweiten Weltkriegs. Ein episches Gedicht aus den fünfziger Jahren, das beide Elemente verbindet, wird in den siebziger Jahren von einem französischen Team verfilmt, das herausfinden will, was sich 1944/45 wirklich ereignet hat.
Der erste Teil erzählt auf 130 Seiten in wie gehämmert wirkenden Sätzen - das Buch ist blendend übersetzt - den griechischen Mythos nach. Weil ein Herrscher die Göttin Artemis beleidigt hatte, sandte diese, wie Voß übersetzte, "ein borstenumstarrt Waldschwein mit gewaltigen Hauern", das die Fluren verwüstete, Tiere und Menschen vernichtete. Sechzig Heroen, unter ihnen als einzige Frau das "Bärenmädchen" Atalante, jagen das Untier. Norfolk legt über das Geschehen eine von Abkürzungen und Siglen strotzende Draperie der Gelehrsamkeit mit 179 Anmerkungen voller Detailwucherungen (über Hunderassen, Jagdgerät, Obst- und Schiffsbau ecetera) vor, alle säuberlich und - nach Stichproben - akribisch belegt durch Verweise auf antike Literatur und Kunst.
Sie ergeben ein antikisierendes Textgespinst, dem der Geruch von Gewalt, Brand, Blut entsteigt: Den Untaten der Menschen korrespondiert eine mörderische Natur. Der Eber, Metapher des Bösen, wird zum Sinnbild der Ungeheuer, die sich Menschen erschaffen. Am Ende nimmt das wilde Tier, das keine Chance zu entkommen hat, anthropomorphe und damit völlig unmythische Züge an, es erregt Mitleid. Von den Jägern sind nur drei übriggeblieben, Atalante und die Männer Meleagros und Melanion, zwischen denen Eros auf der Lauer liegt. Sie bringen den Eber zur Strecke.
Gelegentlich erinnert das neu-alte Epos an eine moderne Version der "Höhlenkinder im heimlich Grund", doch am Ende findet es zum hohen Pathos zurück. In der allerletzten Anmerkung zieht sich der Mythos ins Dunkel zurück: die Werke sind verloren, die das Geschehen berichteten, selbst die Anthologien, in denen sich davon Spuren fanden, sind vernichtet, die Bibliotheken verbrannt: "Agrapha", das Nicht-Geschriebene, waltet. Dies läßt dem heutigen Autor freie Hand. Solche raffinierten Verteidigungsbarrikaden baut Norfolk immer wieder auf.
Im zweiten, wie eine Filmerzählung angelegten Teil, der nach seinem Schauplatz den Titel "Paris" trägt, frönt der Autor der Technik der raschen Schnitte, der Überblendung von Schauplätzen, den Zeitsprüngen. Im Mittelpunkt steht jetzt Solomon Memel, Sol genannt, der ein Interview gibt und Probeaufnahmen der Verfilmung seines Gedichts "Die Keilerjagd" betrachtet. Modell für Memel stand Paul Celan, der 1954 das Gedicht "In der Gestalt eines Ebers" schrieb und damit dem Roman seinen Titel sowie das Motto lieferte, das verkürzt lautet: "Eber . . . gibt es eben."
Memel ist Jude rumänischer Abstammung, er schreibt auf deutsch, wuchs in Lemberg auf. Die Galizien-Passagen gehören zu den besten des Romans. Die Freunde Solomon, Jakob, Ruth, die im Jahr 1938 gerade die Schule beendet haben, spiegeln die Konstellation Meleager, Melanion, Atalante. Doch die jungen Leute in Lemberg sind nicht Jäger; sie werden zu Gejagten der Nationalsozialisten. Alle drei überleben. Im Rückblick entfaltet Norfolk die Flucht Sols nach Griechenland, wo er von Partisanen gerettet wird, ehe er den deutschen Besatzern in die Hände fällt. Der Bericht über den Befreiungskampf, die divergierenden antifaschistischen Gruppierungen, unter denen die Kämpferin Thyella, Abbild der antiken Atalante, im Mittelpunkt steht, die Jagd auf einen deutschen Abwehroffizier mit dem passenden Namen Eberhardt, könnte freilich spannender sein, wenn er klarer erzählt und nicht ständig durch das hier überstrapazierte Mittel des Schnitts zerhackt wäre.
Damit nicht genug. Norfolk behängt sein bereits überfrachtetes Erzählgerüst mit einem weiteren Gewicht: Memels Gedicht, das seine Kriegserlebnisse verarbeitet, wird zum Welterfolg, zur internationalen Schulbuchlektüre, ehe es durch eine Intrige fast vernichtet wird. Die "Memel-Affäre" liegt zwanzig Jahre zurück, taucht aber in den Gesprächen mit Ruth, der Lemberger Jugendfreundin, die das Werk verfilmt, immer wieder auf. Urheber der Affäre war der dritte des ehemaligen Freundestrios, Jakob. In einer von ihm kommentierten Ausgabe des Gedichts, bei der die im ersten Teil sich allmählich in die Fußnoten schleichenden Zweifel gesteigert wiederkehren, warf er Memel neben allerlei sachlichen Fehlern nichts Geringeres vor, als daß er die ganze Geschichte erfunden habe.
Die Pressekampagne, die sich damals anschloß und die der Romancier genüßlich ausbreitet, ist ganz auf die deutsche Ausgabe zugeschnitten, der im übrigen eine weiterentwickelte Version des englischen Originals zugrunde liegt. Jakob wurde damals als Verrückter entlarvt und beging Selbstmord. Warum er aber den ganzen Hokuspokus angezettelt hat, darüber läßt der Autor den düpierten Leser im dunkeln. Daß selbst Ruth Zweifel an Sols Geschichte hat, daß sie Eberhardt für eine kleine Nummer, Thyella gar für nichtexistent hält, spielt für die Verfilmung der "Keilerjagd" keine Rolle. Wohl aber für ihr Verhältnis zu dem Jugendfreund. Memel zieht sich am Ende aus der Affäre mit einem Satz, der das Vorangegangene Lügen straft: "Die Leben, die unsere Heroen leben, hinterlassen keine Spuren für die Nachkommenden. Ihre Geschichten sterben mit ihnen." Doch das ist nicht das letzte Wort.
Im dritten, nur zwei Seiten umfassenden Teil, der den Titel "Agrapha" trägt, leuchtet noch einmal der Mythos, nun aber der fiktive, auf. Melanion, Norfolks erfundener Jäger, der Meleager und Atalante beschattete, legt sich in der Höhle zu dem sterbenden Eber. Der ominöse Satz: "Der Gejagte zu sein, ist die Furcht des Jägers" implodiert. Im Moment des Todes werden Jäger und Gejagter, Mensch und Tier eins. Dies ist das Herz der Finsternis, ein sentimentales, versöhnliches, weit entfernt von Joseph Conrads afrikanischem Horror.
Norfolk ist ein Autor der Finten und Finessen, ein hochintelligenter Gaukler, ein Jongleur, dessen Spiel man mit angehaltener Luft zuschaut. Gewiß, ein paar Bälle weniger hätten es auch getan, ein paar blinde Motive (Liebe und Tod in der Pariser Metro), die Banalität der Unterhaltungen mit den Film- und Fernsehleuten (zuviel Smalltalk, zuviel Technik) hätten sich leicht streichen lassen. Das ist jedoch nicht das Problem. Norfolk scheinen Menschen, ihre Freuden und Leiden, nur insoweit zu interessieren, wie sie die komplizierte Erzählmaschinerie in Gang halten. Jakob bleibt schattenhaft, Ruth - Deutschenhure, steinreiche Amerikanerin, Regiestar - ist ebenso wie die rätselhafte Partisanin Thyella ein Hollywood-Klischee, Solomon ein Mann ohne Eigenschaften. In einem vor der Niederschrift des Romans entstandenen Text (F.A.Z. vom 2. Mai 1998) schrieb er: "Man arrangiert die Dinge. Man läßt sie mehr bedeuten, als sie eigentlich bedeuten. Man baut etwas um sie herum auf und geht Kompromisse ein. Zu guter Letzt läuft es darauf hinaus, daß man entweder Schriftsteller sein oder saubere Hände haben kann, aber nicht beides zugleich." Norfolk hat keine sauberen Hände, er spielt mit gezinkten Karten.
Lawrence Norfolk: "In Gestalt eines Ebers". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Verlag Albrecht Knaus, München 2001. 349 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Norfolk ist ein Autor der Finten und Finessen, ein hochintelligenter Gaukler, ein Jongleur, dessen Spiel man mit angehaltener Luft zuschaut." Frankfurter Allgemeine Zeitung