»Ich kann diese brillante, gradlinige Schriftstellerin nicht nachdrücklich genug empfehlen.« James Wood, The New Yorker1971 geschrieben, 2014 erstmals veröffentlicht - der letzte Roman der großen australischen Schriftstellerin Elizabeth Harrower, die damit neu zu entdecken ist.Sydney, in den 60er Jahren. Zoes Bruder Russell bringt eine Zufallsbekanntschaft mit in ihr Elternhaus: den geheimnisvollen Stephen Quayle und seine Schwester Anna. So unterschiedlich die Kreise auch sein mögen, aus denen die Geschwisterpaare kommen, von nun an sind die Lebenswege der vier unausweichlich miteinander verbunden. Ein großer Roman von präziser, bildstarker Sprache und psychologischer Genauigkeit, der uns neu über Familie und Liebe, Tyrannei und Freiheit nachdenken lässt.Übersetzt und mit einem Nachwort von Alissa Walser»Harrower trifft mitten ins Herz.« Washington Post
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2016Generation Sorglos im Intelligenztest
Nach vierzig Jahren doch noch publiziert: Elizabeth Harrowers australischer Roman "In gewissen Kreisen"
In gewissen Kreisen der australischen Metropole Sydney ist es Anfang der sechziger Jahre unüblich, schmerzhafte Wahrheiten auszusprechen. Man hat zu viel Geld, Geschmack und europäisch diskrete Lebensart investiert, um Konflikte bis zum Ende durchzufechten. Die bittere Schwere der Nachkriegszeit macht gerade einer neuen hedonistischen Leichtigkeit Platz, die alten Rollenmuster beginnen sich aufzulösen. An diesem Punkt setzt der Roman der australischen Schriftstellerin Elizabeth Harrower ein: "In gewissen Kreisen" ist das Psychogramm einer lost generation hochbegabter Neurotiker. Und eine Art "Wahlverwandtschaften" mit zwei Geschwisterpaaren, die wie in einem Labor die Naturgesetze erotischer und sozialer Kollisionen untersuchen.
Russell Howard hat im Krieg Erfahrungen gemacht, die seiner Schwester erspart und verwehrt blieben. Diese Zoe ist eine begabte, von ihren Eltern und vom Schicksal verwöhnte höhere Tochter: aufreizend selbstbewusst, kapriziös, intellektuell brillant und natürlich hübsch. Das Leben ist für sie ein Spiel, schlimmstenfalls ein offenes Experiment. Sie ist Herausgeberin der Schülerzeitung, segelt wie ein Champion, hat "Millionen von Büchern gelesen" und ist nur ein bisschen arrogant, kurz: "Sie ist einfach zu viel des Guten", wie ihre Mutter sagt. Oder wie es Zoe später ausdrückt: "Ich wurde in den Himmel gehoben, bis mir ich und meine Bedürfnisse zu den Ohren herauskamen."
Alle Männer finden Zoe bezaubernd, außer einem: Stephen. Der Waisenjunge mit verrückter Stiefmutter und wenig Geld ist ernsthaft, charismatisch, "bedürftig" und chronisch wütend wie eine Figur aus einem Dostojewski-Roman. Er liegt Zoe nicht zu Füßen, und dass er sich seinen Lebensunterhalt als Vertreter verdienen muss, macht ihn für sie erst recht zum faszinierend fremden Wesen. Stephens Schwester, die eigenwillige Anna, ist schon als Fünfzehnjährige in Russell verliebt, aber der hat nur Augen für Lily, das akademisch gebildete Muttertier.
Zweimal Bruder und Schwester und ein fünftes Rad am Wagen, auf Gedeih und Verderb verbunden: Harrower sondiert die komplizierte Familienkonstellation an drei Punkten ihrer Geschichte. Im ersten Teil werden Russell und Anna in die helle, sorglose Welt der Howards eingeführt; mit einer Mischung aus Befangenheit, leisem Neid und trotziger Verachtung registrieren sie Cocktailpartys, ironische Neckereien und folgenlose Kulturanstrengungen. Im zweiten Teil, Jahre später (Harrowers Zeit- und Ortsangaben sind seltsam diffus), kündigt sich dann der Ernst des Lebens an. Zoe kehrt zur Beerdigung ihrer Mutter aus Paris zurück, wo sie sich einen Namen als Fotografin und Filmregisseurin gemacht und einen väterlichen Liebhaber auf Distanz gehalten hat. Im dritten Teil ist der Desillusionierungsprozess noch weiter fortgeschritten. Zoe, inzwischen um die Vierzig und mit Stephen unglücklich verheiratet, hat viel von ihrer Souveränität und Unbefangenheit eingebüßt. Stephen demütigte sie und würdigte nicht einmal ihre stolze Unterwerfung. Die kleine Anna dagegen hat sich zur Künstlerin gemausert und leitet mit einem "versehentlich" verschickten Abschiedsbrief das reinigende Gewitter ein. Am Ende werden die Pole im Magnetfeld der Beziehungen neu ausgerichtet.
"In gewissen Kreisen" ist als Roman bei weitem nicht so perfekt wie Zoe. Der Erzählfaden ist manchmal wirr und dramaturgisch verworren, die fast durchweg gefühlskalten Intellektuellen und Künstler sind nicht eben Sympathieträger. Harrower schätzt geistreiche Sentenzen ("Man kann von einem Ertrinkenden nicht erwarten, dass er einen anderen vor dem Ertrinken rettet") und anspruchsvolle Dialoge, während sie die banalen Dinge des Lebens, ja selbst die Schicksalsmomente von Liebe, Heirat und Tod, allenfalls beiläufig und widerwillig erwähnt. Vor allem im dritten Teil wird der Psychojargon manchmal schwer erträglich: "Permanente Pflegerin, Analytikerin, Führerin und Lenkerin hatte sie nie sein wollen. Sie hatte Neurose für Stärke gehalten und alles in sich selbst unterdrückt, was möglicherweise sein Selbstwertgefühl angegriffen hätte, und dabei hatte sie auch noch eine gleichberechtigte Partnerschaft erwartet."
Dennoch ist "In gewissen Kreisen" streckenweise grandios: als subtiles Porträt einer verwundeten Frau und jener "Generation Sorglos", die auf die harte Tour lernen muss, dass Leben und Lieben auch Schmerz und Arbeit bedeuten. Die Entstehungsgeschichte des Romans ist selbst ein Drama mit Happy Ending: Nach vier gefeierten Romanen über mehr oder weniger unglückliche Ehen geriet Elizabeth Harrower in eine tiefe Krise. 1971 zog sie das bereits druckfertige Manuskript von "In Certain Circles" zurück, wenig später hörte sie ganz zu schreiben auf. Über die Motive ist viel spekuliert worden; die Übersetzerin Alissa Walser nennt in ihrem Nachwort einige. Harrower war nach dem Tod ihrer Mutter offenbar wie paralysiert, und sie empfand die Schriftstellerei zunehmend als sinnlose Mühsal. Erst vor zwei Jahren wurde der letzte Roman der mittlerweile Achtundachtzigjährigen doch noch publiziert und als Entdeckung gefeiert.
"In gewissen Kreisen" bewahrt wie in einer Zeitkapsel den Geist der sechziger Jahre auf, aber er hat ein wenig Patina angesetzt. Harrower ist als Erzählerin so sophisticated, unsentimental und protestantisch zerknirscht wie Zoe. Das macht ihren Roman manchmal zäh, aber so funktioniert nun mal die literarische Moderne der Sechziger: Kluge, elegante, psychisch leicht verkorkste und grotesk weltfremde Individuen holen aus ihrem tiefsten Inneren wie am Fließband druckreife Bonmots und freudianische Selbstanalysen heraus. Sie wollen die Wahrheit sagen, weil das Leben zu kurz für Lügen ist, aber die Form muss gewahrt, das Gefühl unter Kontrolle bleiben. Für Zoe gibt es "auf Erden vielleicht nichts Mutigeres, als sich zu erlauben, verstanden zu werden". Selbst sie, die freigeistige, kühne Frau, zieht sich in einen Schuldturm aus Masochismus, Scham und Selbstmitleid zurück und nimmt den Mann, der sie erniedrigt, noch mütterlich-verständnisvoll in Schutz. "In gewissen Kreisen" erzählt in gewisser Weise auch von weiblicher Emanzipation, unerbittlich, sprunghaft und spröde, aber auch ohne Fleisch und Blut oder gar prickelndes Salz auf der Haut.
MARTIN HALTER
Elizabeth Harrower: "In
gewissen Kreisen". Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt und mit einem Nachwort von Alissa Walser. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 279 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach vierzig Jahren doch noch publiziert: Elizabeth Harrowers australischer Roman "In gewissen Kreisen"
In gewissen Kreisen der australischen Metropole Sydney ist es Anfang der sechziger Jahre unüblich, schmerzhafte Wahrheiten auszusprechen. Man hat zu viel Geld, Geschmack und europäisch diskrete Lebensart investiert, um Konflikte bis zum Ende durchzufechten. Die bittere Schwere der Nachkriegszeit macht gerade einer neuen hedonistischen Leichtigkeit Platz, die alten Rollenmuster beginnen sich aufzulösen. An diesem Punkt setzt der Roman der australischen Schriftstellerin Elizabeth Harrower ein: "In gewissen Kreisen" ist das Psychogramm einer lost generation hochbegabter Neurotiker. Und eine Art "Wahlverwandtschaften" mit zwei Geschwisterpaaren, die wie in einem Labor die Naturgesetze erotischer und sozialer Kollisionen untersuchen.
Russell Howard hat im Krieg Erfahrungen gemacht, die seiner Schwester erspart und verwehrt blieben. Diese Zoe ist eine begabte, von ihren Eltern und vom Schicksal verwöhnte höhere Tochter: aufreizend selbstbewusst, kapriziös, intellektuell brillant und natürlich hübsch. Das Leben ist für sie ein Spiel, schlimmstenfalls ein offenes Experiment. Sie ist Herausgeberin der Schülerzeitung, segelt wie ein Champion, hat "Millionen von Büchern gelesen" und ist nur ein bisschen arrogant, kurz: "Sie ist einfach zu viel des Guten", wie ihre Mutter sagt. Oder wie es Zoe später ausdrückt: "Ich wurde in den Himmel gehoben, bis mir ich und meine Bedürfnisse zu den Ohren herauskamen."
Alle Männer finden Zoe bezaubernd, außer einem: Stephen. Der Waisenjunge mit verrückter Stiefmutter und wenig Geld ist ernsthaft, charismatisch, "bedürftig" und chronisch wütend wie eine Figur aus einem Dostojewski-Roman. Er liegt Zoe nicht zu Füßen, und dass er sich seinen Lebensunterhalt als Vertreter verdienen muss, macht ihn für sie erst recht zum faszinierend fremden Wesen. Stephens Schwester, die eigenwillige Anna, ist schon als Fünfzehnjährige in Russell verliebt, aber der hat nur Augen für Lily, das akademisch gebildete Muttertier.
Zweimal Bruder und Schwester und ein fünftes Rad am Wagen, auf Gedeih und Verderb verbunden: Harrower sondiert die komplizierte Familienkonstellation an drei Punkten ihrer Geschichte. Im ersten Teil werden Russell und Anna in die helle, sorglose Welt der Howards eingeführt; mit einer Mischung aus Befangenheit, leisem Neid und trotziger Verachtung registrieren sie Cocktailpartys, ironische Neckereien und folgenlose Kulturanstrengungen. Im zweiten Teil, Jahre später (Harrowers Zeit- und Ortsangaben sind seltsam diffus), kündigt sich dann der Ernst des Lebens an. Zoe kehrt zur Beerdigung ihrer Mutter aus Paris zurück, wo sie sich einen Namen als Fotografin und Filmregisseurin gemacht und einen väterlichen Liebhaber auf Distanz gehalten hat. Im dritten Teil ist der Desillusionierungsprozess noch weiter fortgeschritten. Zoe, inzwischen um die Vierzig und mit Stephen unglücklich verheiratet, hat viel von ihrer Souveränität und Unbefangenheit eingebüßt. Stephen demütigte sie und würdigte nicht einmal ihre stolze Unterwerfung. Die kleine Anna dagegen hat sich zur Künstlerin gemausert und leitet mit einem "versehentlich" verschickten Abschiedsbrief das reinigende Gewitter ein. Am Ende werden die Pole im Magnetfeld der Beziehungen neu ausgerichtet.
"In gewissen Kreisen" ist als Roman bei weitem nicht so perfekt wie Zoe. Der Erzählfaden ist manchmal wirr und dramaturgisch verworren, die fast durchweg gefühlskalten Intellektuellen und Künstler sind nicht eben Sympathieträger. Harrower schätzt geistreiche Sentenzen ("Man kann von einem Ertrinkenden nicht erwarten, dass er einen anderen vor dem Ertrinken rettet") und anspruchsvolle Dialoge, während sie die banalen Dinge des Lebens, ja selbst die Schicksalsmomente von Liebe, Heirat und Tod, allenfalls beiläufig und widerwillig erwähnt. Vor allem im dritten Teil wird der Psychojargon manchmal schwer erträglich: "Permanente Pflegerin, Analytikerin, Führerin und Lenkerin hatte sie nie sein wollen. Sie hatte Neurose für Stärke gehalten und alles in sich selbst unterdrückt, was möglicherweise sein Selbstwertgefühl angegriffen hätte, und dabei hatte sie auch noch eine gleichberechtigte Partnerschaft erwartet."
Dennoch ist "In gewissen Kreisen" streckenweise grandios: als subtiles Porträt einer verwundeten Frau und jener "Generation Sorglos", die auf die harte Tour lernen muss, dass Leben und Lieben auch Schmerz und Arbeit bedeuten. Die Entstehungsgeschichte des Romans ist selbst ein Drama mit Happy Ending: Nach vier gefeierten Romanen über mehr oder weniger unglückliche Ehen geriet Elizabeth Harrower in eine tiefe Krise. 1971 zog sie das bereits druckfertige Manuskript von "In Certain Circles" zurück, wenig später hörte sie ganz zu schreiben auf. Über die Motive ist viel spekuliert worden; die Übersetzerin Alissa Walser nennt in ihrem Nachwort einige. Harrower war nach dem Tod ihrer Mutter offenbar wie paralysiert, und sie empfand die Schriftstellerei zunehmend als sinnlose Mühsal. Erst vor zwei Jahren wurde der letzte Roman der mittlerweile Achtundachtzigjährigen doch noch publiziert und als Entdeckung gefeiert.
"In gewissen Kreisen" bewahrt wie in einer Zeitkapsel den Geist der sechziger Jahre auf, aber er hat ein wenig Patina angesetzt. Harrower ist als Erzählerin so sophisticated, unsentimental und protestantisch zerknirscht wie Zoe. Das macht ihren Roman manchmal zäh, aber so funktioniert nun mal die literarische Moderne der Sechziger: Kluge, elegante, psychisch leicht verkorkste und grotesk weltfremde Individuen holen aus ihrem tiefsten Inneren wie am Fließband druckreife Bonmots und freudianische Selbstanalysen heraus. Sie wollen die Wahrheit sagen, weil das Leben zu kurz für Lügen ist, aber die Form muss gewahrt, das Gefühl unter Kontrolle bleiben. Für Zoe gibt es "auf Erden vielleicht nichts Mutigeres, als sich zu erlauben, verstanden zu werden". Selbst sie, die freigeistige, kühne Frau, zieht sich in einen Schuldturm aus Masochismus, Scham und Selbstmitleid zurück und nimmt den Mann, der sie erniedrigt, noch mütterlich-verständnisvoll in Schutz. "In gewissen Kreisen" erzählt in gewisser Weise auch von weiblicher Emanzipation, unerbittlich, sprunghaft und spröde, aber auch ohne Fleisch und Blut oder gar prickelndes Salz auf der Haut.
MARTIN HALTER
Elizabeth Harrower: "In
gewissen Kreisen". Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt und mit einem Nachwort von Alissa Walser. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 279 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Martin Halter geht es etwas zu psychologisch zu in Elizabeth Harrowers Roman, der ihm die 60er Jahre in Sydneys verwöhnter höherer Gesellschaft näher bringt, allerdings auch die Fährnisse einer allzu verworren und sentenziös erzählten Familienkonstellation. Dass die Autorin geistreiche Dialoge mehr schätzt als die Schicksalsmomente des Lebens, macht die Lektüre für Halter nicht immer einfach. Grandios findet er den Roman als Porträt einer Frau der damaligen "lost generation" immer dann, wenn die Autorin ihre protestantische Ader mal abklemmt und weniger klug und weltfremd daherpsychologisiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» In gewissen Kreisen ist das Psychogramm einer lost generation hochbegabter Neurotiker. « Frankfurter Allgemeine Zeitung 20161005