The Archimedes is a modern merchant steamship in tip-top condition, and in the summer of 1929 it has been picking up goods along the eastern seaboard of the United States before making a run to China. A little overloaded, perhaps—the oddly assorted cargo includes piles of old newspapers and heaps of tobacco—the ship departs for the Panama Canal from Norfolk, Virginia, on a beautiful autumn day. Before long, the weather turns unexpectedly rough—rougher in fact than even the most experienced members of the crew have ever encountered. The Archimedes, it turns out, has been swept up in the vortex of an immense hurricane, and for the next four days it will be battered and mauled by wind and waves as it is driven wildly off course. Caught in an unremitting struggle for survival, both the crew and the ship will be tested as never before. Based on detailed research into an actual event, Richard Hughes's tale of high suspense on the high seas is an extraordinary story of men under pressure and the unexpected ways they prove their mettle—or crack. Yet the originality, art, and greatness of In Hazard stem from something else: Hughes's eerie fascination with the hurricane itself, the inhuman force around which this wrenching tale of humanity at its limits revolves. Hughes channels the furies of sea and sky into a piece of writing that is both apocalyptic and analytic. In Hazard is an unforgettable, defining work of modern adventure.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012Kalte Karibik
SOS-Signale einer untergehenden Weltordnung: Richard Hughes’ Seefahrerroman „In Bedrängnis“ ist eine Parabel auf den
Sturm der Geschichte – dank einer glänzenden Neuübersetzung kann man einen großen Autor nun wiederentdecken
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Thomas, so heißt das Schiffsmaskottchen an Bord der Archimedes, „einem einschraubigen Turbinendampfer von etwas über 9000 Tonnen“, der mit einer Ladung Tabak und Altpapier im November 1929 in Norfolk, Virginia ablegt und Kurs nimmt auf China. Dieser Thomas ist ein kleiner Lemur, ein Katta aus Madagaskar, der gemäß dem Kodex auf einem englischen Schiff ebenso hoch geachtet wird wie sein Besitzer, der Erste Offizier. Einen Nachteil hat das Äffchen jedoch – es mag keine geschlossenen Augen, und deshalb springt es nachts von Koje zu Koje und klappt mit seinen langen Fingern behutsam die Lider der Schlafenden auf.
Was Thomas mit der Besatzung tut, macht der Schriftsteller Richard Hughesauf seine Weise mit dem Leser: Er öffnet ihm die Augen, doch weil er ein äußerst hintergründiger Autor ist, gelingt ihm das so, dass man sich von diesem Meister der literarischen Mimikry leicht täuschen lassen kann. Denn an der Oberfläche ist „In Bedrängnis“ eine handfeste Abenteuer- und Seefahrergeschichte, die davon erzählt, wie ein Frachter in der karibischen See in einen Hurrikan gerät. Die enorme Wirkung aber dieses höchst erstaunlichen Buches – sie liegt nicht in seiner Dramatik, sondern in seiner Fachlichkeit.
Er wolle, erkärt Hughes, dass man die Archimedes nicht so sehe, „wie ein Verliebter eine Frau sieht, sondern so, wie ein Medizinstudent es tut“. Und deshalb breitet er zunächst eine Fülle technischer Details über das Schiff aus, wie ein Chirurg, der das Besteck prüft, bevor er sein Skalpell ansetzt. Denn, so Hughes, „am Ausmaß des Fortschritts, den ein großer moderner Dampfer gegenüber dem kleinen Schoner darstellt, bemisst sich, womit die Besatzung eines Dampfers konfrontiert ist, wenn einmal dessen Kraftquellen ausfallen“. Anders gesagt, die Technik zeigt ihre teuflische Kehrseite in dem Augenblick, da sie versagt. Die vielen nautischen Begriffen stellen den Übersetzer vor keine leichte Aufgabe, und Michael Walter hat diese Herausforderung vorzüglich gemeistert. Er folgt dem Autor in dessen gut sortierte Werkstatt, ohne das ironische Understatement aus dem Auge zu verlieren.
Und Richard Hughes (1900-1976) wusste sehr genau, wovon er sprach. Er war nicht nur ein überaus vielseitiger Autor, der schon als Student in Oxford zum Star der universitären Literaturszene avancierte, er war zugleich selbst ein Abenteurer und Weltreisender, der noch mit über sechzig das Ägäische Meer allein in einem Segelboot überquerte. Sein bekanntester Roman „Ein Sturmwind auf Jamaika“ erschien 1929 und war damals ein Bestseller, der später aufwendig verfilmt worden ist. Bei uns ist das Buch unverzeihlicherweise seit langem vergriffen. In diesem ebenso grandios erzählten wie gewagten Roman geht es um eine Gruppe von Kindern, die in die Hände von Piraten fallen, wobei sich die Piraten als weitaus humaner erweisen, als es die Kinder sind. Ein unkorrektes Buch wie dieses würde in unseren ausmoderierten Zeiten keinen Verleger finden.
Richard Hughes war als Romancier ein scharfer Analytiker. Auch in seinem überragenden, mit subtiler Symbolik aufgeladenem Roman „In Bedrängnis“ geht er gerade dann wie ein Ingenieur vor, wenn er nicht Maschinen, sondern Menschen beschreibt. So etwa schildert er, wie der nach den Strapazen völlig entkräftete Leitende Ingenieur vom Schlaf übermannt wird. Gerade als er sich ausmalt, wie es wäre, früher in Pension zu gehen und sich ganz der Familie zu widmen, stürzt er über die Reling ins Meer. Keiner an Bord bemerkt sein Verschwinden, und am Schluss heißt es, als die Wache sechs Glasen läutete, war dies „das einzige Geläut, das je erscholl über dem Grab von Mr. Ramsey MacDonald, ehemals Leitender Ingenieur“.
Dieser letzte Satz im Buch ist eine gallige Parodie auf das Genre, dessen Vorgaben Hughes formal erfüllt und inhaltlich konterkariert. „In Bedrängnis“ ist oft mit Joseph Conrads „Taifun“ verglichen worden. Doch Hughes distanziert sich von dem vermeintlichen Vorbild, indem er schreibt, dass Hurrikane im Jahr 1929 zuverlässiger vorausgesagt werden konnten als noch zu Conrads Zeiten. Aber das gilt natürlich nur für meteorologische Turbulenzen, und man kann diese Bemerkung durchaus als Hinweis darauf verstehen, dass ein Unwetter zwar das Sujet des Romans ist, aber nicht sein Thema. Die Handlung setzt unmittelbar nach dem Börsencrash von 1929 ein, und als Hughes 1938 den Roman veröffentlichte, war die Weltwirtschaftskrise kaum überwunden und der Zweite Weltkrieg warf bereits seinen Schatten voraus – zentrifugale Kräfte waren entfesselt, welche die alte Weltordnung zerreißen sollten wie ein Sturm die Takelage eines Seglers.
Vor diesem Hintergrund muss man den Roman als zeitlose Parabel lesen, die genau nachzeichnet, wie eine Krise funktioniert. So wird den Offizieren irgendwann mit Erschrecken klar, dass sie ihr Überleben weniger ihren hektischen Aktivitäten zu verdanken haben als vielmehr dem Sturm selbst, der sie vor Fehlentscheidungen bewahrt hat – eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis. Geschichten über Naturkatastrophen sind immer Geschichten, die von menschlicher Bewährung handeln. Anders aber als bei Conrad, der den Taifun als Probe auf den wahren Wert der Männlichkeit erscheinen lässt, integrieren bei Hughes die Protagonisten den Sturm fugenlos in ihr eingeschränktes Weltbild.
Captain Edwardes etwa erlebt alles wie im Rausch, ein willkommener Adrenalin-Stoß auf seine alten Tage, während der Zyklon für den jüngsten Offizier Watchett einem emotionalen Stimmbruch gleichkommt. In der Gefahr hatte ihn allein der delirante Gedanke an ein Mädchen am Leben erhalten. Nun, da sie vorüber ist, scheint auch die Liebe verflogen zu sein, als hätten die neuen männlichen Töne in seinem Wesen die zarteren verdrängt. Der Erste Offizier Mr. Buxton wiederum klammert sich in der Not an die viktorianischen Werte wie an eine rettende Planke. Und der chinesische Heizer Ao Ling schließlich, der wegen kommunistischer Agitation in Ketten gelegt wurde, sieht in den britischen Imperialisten übermenschliche Wesen, die den Sturm, für ihn ein chinesischer Drache, zu Tode reiten und ihm dabei sämtliche Schuppen ausreißen. Die anderen Chinesen betrachten den Hurrikan einfach als Vertragsbruch und verweigern jede Mithilfe bei den Rettungsaktionen.
Hughes, dieser Anatom der Krise, zoomt immer wieder in die Innenwelt der Mannschaft. Wie der Maschinist die Kessel anheizt, um zu überprüfen, ob sie dem Druck standhalten, so setzt der Autor seine Figuren einem Belastungstest aus. Man hat den Roman als Abgesang auf das britische Empire gedeutet. Das mag überzogen sein, aber Hughes zeigt allemal ein Wertesystem, das zu starr ist, um den neuen Stürmen widerstehen zu können. Die Krise schweißt die Männer nicht zusammen, in ihr offenbart das strikte Klassensystem an Bord vielmehr seine grotesken Züge, und wenn Edwardes den Kommandanten des Bergungsschiffes dazu bringt, ihm auf Knien zu schwören, dass er beim Bergelohn Abstriche machen wird, wirkt diese Szene in ihrem Widerspruch zwischen schnöden Geschäftsinteressen und zeremoniellem Ehrenhandel geradezu gespenstisch.
Erst als alles glücklich überstanden ist, kommen den Offizieren beim Essen in der Messe die Tränen, weil sie plötzlich davon überzeugt sind, das Schiff sänke. Mit Verzögerung brechen sich die Emotionen Bahn. Alle werden vom Captain mit einer Dosis Bromid zur Nervenberuhigung in die Kojen geschickt. Diese nüchterne Art entspricht auch Richard Hughes’ Temperament, der ein illusionsloser Diagnostiker war und das menschliche Drama, das sich während einer Havarie abspielt, bewusst versachlichte, weil es mit dem Genre ohnehinschon gesetzt ist. Er verordnete der Erzählkunst sozusagen Brom statt Pathos. Dieser anti-romantische Gestus macht „In Bedrängnis“ zu einem nachgeholten Höhepunkt der Literaturmoderne. Wiederzuentdecken ist ein Autor von Weltrang.
Richard Hughes: In Bedrängnis. Roman. Aus dem Englischen von Michael Walter. Dörlemann Verlag, Zürich 2012. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Hier ist ein Autor,
der dem Zyklon der Krise
ins Auge geschaut hat
In der Stunde der Bewährung
helfen die überkommenen
Werte nicht mehr weiter
„Einem solchen Wind ausgesetzt zu sein, war ungefähr so, als müsse man sich an die blanken Tragflächen eines dahinrasenden Flugzeugs klammern.“
FOTO: HARRY GRUYAERT/MAGNUM PHOTO
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SOS-Signale einer untergehenden Weltordnung: Richard Hughes’ Seefahrerroman „In Bedrängnis“ ist eine Parabel auf den
Sturm der Geschichte – dank einer glänzenden Neuübersetzung kann man einen großen Autor nun wiederentdecken
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Thomas, so heißt das Schiffsmaskottchen an Bord der Archimedes, „einem einschraubigen Turbinendampfer von etwas über 9000 Tonnen“, der mit einer Ladung Tabak und Altpapier im November 1929 in Norfolk, Virginia ablegt und Kurs nimmt auf China. Dieser Thomas ist ein kleiner Lemur, ein Katta aus Madagaskar, der gemäß dem Kodex auf einem englischen Schiff ebenso hoch geachtet wird wie sein Besitzer, der Erste Offizier. Einen Nachteil hat das Äffchen jedoch – es mag keine geschlossenen Augen, und deshalb springt es nachts von Koje zu Koje und klappt mit seinen langen Fingern behutsam die Lider der Schlafenden auf.
Was Thomas mit der Besatzung tut, macht der Schriftsteller Richard Hughesauf seine Weise mit dem Leser: Er öffnet ihm die Augen, doch weil er ein äußerst hintergründiger Autor ist, gelingt ihm das so, dass man sich von diesem Meister der literarischen Mimikry leicht täuschen lassen kann. Denn an der Oberfläche ist „In Bedrängnis“ eine handfeste Abenteuer- und Seefahrergeschichte, die davon erzählt, wie ein Frachter in der karibischen See in einen Hurrikan gerät. Die enorme Wirkung aber dieses höchst erstaunlichen Buches – sie liegt nicht in seiner Dramatik, sondern in seiner Fachlichkeit.
Er wolle, erkärt Hughes, dass man die Archimedes nicht so sehe, „wie ein Verliebter eine Frau sieht, sondern so, wie ein Medizinstudent es tut“. Und deshalb breitet er zunächst eine Fülle technischer Details über das Schiff aus, wie ein Chirurg, der das Besteck prüft, bevor er sein Skalpell ansetzt. Denn, so Hughes, „am Ausmaß des Fortschritts, den ein großer moderner Dampfer gegenüber dem kleinen Schoner darstellt, bemisst sich, womit die Besatzung eines Dampfers konfrontiert ist, wenn einmal dessen Kraftquellen ausfallen“. Anders gesagt, die Technik zeigt ihre teuflische Kehrseite in dem Augenblick, da sie versagt. Die vielen nautischen Begriffen stellen den Übersetzer vor keine leichte Aufgabe, und Michael Walter hat diese Herausforderung vorzüglich gemeistert. Er folgt dem Autor in dessen gut sortierte Werkstatt, ohne das ironische Understatement aus dem Auge zu verlieren.
Und Richard Hughes (1900-1976) wusste sehr genau, wovon er sprach. Er war nicht nur ein überaus vielseitiger Autor, der schon als Student in Oxford zum Star der universitären Literaturszene avancierte, er war zugleich selbst ein Abenteurer und Weltreisender, der noch mit über sechzig das Ägäische Meer allein in einem Segelboot überquerte. Sein bekanntester Roman „Ein Sturmwind auf Jamaika“ erschien 1929 und war damals ein Bestseller, der später aufwendig verfilmt worden ist. Bei uns ist das Buch unverzeihlicherweise seit langem vergriffen. In diesem ebenso grandios erzählten wie gewagten Roman geht es um eine Gruppe von Kindern, die in die Hände von Piraten fallen, wobei sich die Piraten als weitaus humaner erweisen, als es die Kinder sind. Ein unkorrektes Buch wie dieses würde in unseren ausmoderierten Zeiten keinen Verleger finden.
Richard Hughes war als Romancier ein scharfer Analytiker. Auch in seinem überragenden, mit subtiler Symbolik aufgeladenem Roman „In Bedrängnis“ geht er gerade dann wie ein Ingenieur vor, wenn er nicht Maschinen, sondern Menschen beschreibt. So etwa schildert er, wie der nach den Strapazen völlig entkräftete Leitende Ingenieur vom Schlaf übermannt wird. Gerade als er sich ausmalt, wie es wäre, früher in Pension zu gehen und sich ganz der Familie zu widmen, stürzt er über die Reling ins Meer. Keiner an Bord bemerkt sein Verschwinden, und am Schluss heißt es, als die Wache sechs Glasen läutete, war dies „das einzige Geläut, das je erscholl über dem Grab von Mr. Ramsey MacDonald, ehemals Leitender Ingenieur“.
Dieser letzte Satz im Buch ist eine gallige Parodie auf das Genre, dessen Vorgaben Hughes formal erfüllt und inhaltlich konterkariert. „In Bedrängnis“ ist oft mit Joseph Conrads „Taifun“ verglichen worden. Doch Hughes distanziert sich von dem vermeintlichen Vorbild, indem er schreibt, dass Hurrikane im Jahr 1929 zuverlässiger vorausgesagt werden konnten als noch zu Conrads Zeiten. Aber das gilt natürlich nur für meteorologische Turbulenzen, und man kann diese Bemerkung durchaus als Hinweis darauf verstehen, dass ein Unwetter zwar das Sujet des Romans ist, aber nicht sein Thema. Die Handlung setzt unmittelbar nach dem Börsencrash von 1929 ein, und als Hughes 1938 den Roman veröffentlichte, war die Weltwirtschaftskrise kaum überwunden und der Zweite Weltkrieg warf bereits seinen Schatten voraus – zentrifugale Kräfte waren entfesselt, welche die alte Weltordnung zerreißen sollten wie ein Sturm die Takelage eines Seglers.
Vor diesem Hintergrund muss man den Roman als zeitlose Parabel lesen, die genau nachzeichnet, wie eine Krise funktioniert. So wird den Offizieren irgendwann mit Erschrecken klar, dass sie ihr Überleben weniger ihren hektischen Aktivitäten zu verdanken haben als vielmehr dem Sturm selbst, der sie vor Fehlentscheidungen bewahrt hat – eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis. Geschichten über Naturkatastrophen sind immer Geschichten, die von menschlicher Bewährung handeln. Anders aber als bei Conrad, der den Taifun als Probe auf den wahren Wert der Männlichkeit erscheinen lässt, integrieren bei Hughes die Protagonisten den Sturm fugenlos in ihr eingeschränktes Weltbild.
Captain Edwardes etwa erlebt alles wie im Rausch, ein willkommener Adrenalin-Stoß auf seine alten Tage, während der Zyklon für den jüngsten Offizier Watchett einem emotionalen Stimmbruch gleichkommt. In der Gefahr hatte ihn allein der delirante Gedanke an ein Mädchen am Leben erhalten. Nun, da sie vorüber ist, scheint auch die Liebe verflogen zu sein, als hätten die neuen männlichen Töne in seinem Wesen die zarteren verdrängt. Der Erste Offizier Mr. Buxton wiederum klammert sich in der Not an die viktorianischen Werte wie an eine rettende Planke. Und der chinesische Heizer Ao Ling schließlich, der wegen kommunistischer Agitation in Ketten gelegt wurde, sieht in den britischen Imperialisten übermenschliche Wesen, die den Sturm, für ihn ein chinesischer Drache, zu Tode reiten und ihm dabei sämtliche Schuppen ausreißen. Die anderen Chinesen betrachten den Hurrikan einfach als Vertragsbruch und verweigern jede Mithilfe bei den Rettungsaktionen.
Hughes, dieser Anatom der Krise, zoomt immer wieder in die Innenwelt der Mannschaft. Wie der Maschinist die Kessel anheizt, um zu überprüfen, ob sie dem Druck standhalten, so setzt der Autor seine Figuren einem Belastungstest aus. Man hat den Roman als Abgesang auf das britische Empire gedeutet. Das mag überzogen sein, aber Hughes zeigt allemal ein Wertesystem, das zu starr ist, um den neuen Stürmen widerstehen zu können. Die Krise schweißt die Männer nicht zusammen, in ihr offenbart das strikte Klassensystem an Bord vielmehr seine grotesken Züge, und wenn Edwardes den Kommandanten des Bergungsschiffes dazu bringt, ihm auf Knien zu schwören, dass er beim Bergelohn Abstriche machen wird, wirkt diese Szene in ihrem Widerspruch zwischen schnöden Geschäftsinteressen und zeremoniellem Ehrenhandel geradezu gespenstisch.
Erst als alles glücklich überstanden ist, kommen den Offizieren beim Essen in der Messe die Tränen, weil sie plötzlich davon überzeugt sind, das Schiff sänke. Mit Verzögerung brechen sich die Emotionen Bahn. Alle werden vom Captain mit einer Dosis Bromid zur Nervenberuhigung in die Kojen geschickt. Diese nüchterne Art entspricht auch Richard Hughes’ Temperament, der ein illusionsloser Diagnostiker war und das menschliche Drama, das sich während einer Havarie abspielt, bewusst versachlichte, weil es mit dem Genre ohnehinschon gesetzt ist. Er verordnete der Erzählkunst sozusagen Brom statt Pathos. Dieser anti-romantische Gestus macht „In Bedrängnis“ zu einem nachgeholten Höhepunkt der Literaturmoderne. Wiederzuentdecken ist ein Autor von Weltrang.
Richard Hughes: In Bedrängnis. Roman. Aus dem Englischen von Michael Walter. Dörlemann Verlag, Zürich 2012. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Hier ist ein Autor,
der dem Zyklon der Krise
ins Auge geschaut hat
In der Stunde der Bewährung
helfen die überkommenen
Werte nicht mehr weiter
„Einem solchen Wind ausgesetzt zu sein, war ungefähr so, als müsse man sich an die blanken Tragflächen eines dahinrasenden Flugzeugs klammern.“
FOTO: HARRY GRUYAERT/MAGNUM PHOTO
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