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Vier Erzählungen, die eintauchen in den Raum der Kindheit. Wanderungen durch die Stollen eines anderen Raums. Im Haus die Stimmen der Geschwister, des Vaters, der Stuck, die Bedrohung, die sich frei staffelnden Visionen des Bruders. Die erste Erzählung - "Das Haus" - nimmt ihren Anfang im Garten, die letzte Erzählung - "Der Garten" - erfüllt diesen Raum mit unerwartet gewendeten Bildern. "Jeder auf seinem Stern" bildet den glücklicheren Ruhepol auf der Wanderung durch die kalten Zonen der Angst. "Das Geld": Zone des Schreckens, Phantasmagorie der Unterdrückung. "Der Garten": Raum der Bedrohung ebenso wie Hort der Sehnsucht.…mehr

Produktbeschreibung
Vier Erzählungen, die eintauchen in den Raum der Kindheit. Wanderungen durch die Stollen eines anderen Raums. Im Haus die Stimmen der Geschwister, des Vaters, der Stuck, die Bedrohung, die sich frei staffelnden Visionen des Bruders. Die erste Erzählung - "Das Haus" - nimmt ihren Anfang im Garten, die letzte Erzählung - "Der Garten" - erfüllt diesen Raum mit unerwartet gewendeten Bildern. "Jeder auf seinem Stern" bildet den glücklicheren Ruhepol auf der Wanderung durch die kalten Zonen der Angst. "Das Geld": Zone des Schreckens, Phantasmagorie der Unterdrückung. "Der Garten": Raum der Bedrohung ebenso wie Hort der Sehnsucht.
Autorenporträt
Wolfgang Hermann, geb. 1961, lebt in Vorarlberg. Studium der Philosophie in Wien. Lebte in Berlin, Paris, Tokyo und in der Provence. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, feierte u.a. mit seinen Faustini-Romanen große Erfolge. Er wurde mehrfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.1998

Ich, ich, ich
Sind so kleine Augen: Wolfgang Hermanns einsames Kind

Kinderjahre gelten im allgemeinen als Zeit des Glücks: Ein Kind darf spielen, tausend kleine Abenteuer genießen, muß sich um nichts sorgen und nichts verantworten. In der Sicht der Eltern lebt der Nachwuchs in einem hausgemachten Garten Eden und braucht sich vor Vertreibung nicht zu fürchten. Wie aber empfindet das Kind? Erziehungsberater und vergleichbare Instanzen wissen, daß der frühe Lebensabschnitt durchaus problematisch sein kann. Da ängstigt die noch unbegriffene Welt, bedrückt das Gebots- und Verbotssystem der scheinbar omnipotenten Erwachsenen, erzeugt die eigene Inferiorität ohnmächtige Wut. Menschen tun sich oft genug schwer im Umgang mit sich selbst, um wieviel schwerer im Umgang miteinander, auch wenn sie so eng verbunden sind wie Eltern und Kinder, ja gerade dann. Die Wirklichkeit einer Familie ist nicht mit dem simplen Schwarzweißraster zu erfassen.

Um Familienwirklichkeit geht es in den vier Geschichten des Erzählers Wolfgang Hermann. Der Autor, 1961 geboren, denkt sich von der ersten bis zur letzten Seite seines Büchleins in die Kindheit zurück. Zwar bekennt er nirgends, von der eigenen Vergangenheit zu berichten, und daß die wortführende Knabenfigur in der ersten Person Singularis spricht, wäre noch kein Beweis. Aber so viel Intimität mit der Seele des kindlichen Helden, wie sämtliche Erzählungen sie offenbaren, kann nur zustande kommen, wenn der Erzähler sich selbst in die Darstellung einbringt.

Hermanns "Ich" hat keinen Namen, desgleichen bleiben Vater, Mutter, Bruder, Schwester anonym. Wo die Familie wohnt, sagt "Ich" uns nicht, seine Umgebung interessiert ihn als Spiellandschaft, nicht als geographischer Ort. Das deutet darauf hin, daß er noch sehr jung ist. Auch darüber teilt er nichts mit, aber man darf ihn auf acht, neun Jahre schätzen. "Ich" ist also weit entfernt vom Erzähler, dieser jedoch nicht von seinem Geschöpf. Im Umgang mit seinem kleinen Helden tut der Autor von sich, was ihn als gereiften Mann charakterisiert: seine philosophische Bildung, seine Erfahrungen als Globetrotter, seine vielfältige literarische Tätigkeit, sein Amt als Universitätslektor in Tokio. Wolfgang Hermann schrumpft auf die Dimension von "Ich".

Im wesentlichen jedenfalls. Von einem Aspekt seines Erwachsenseins hat er sich nicht ganz getrennt, nämlich von seinen Darstellungsmitteln. Das befremdet zuweilen, war jedoch unvermeidlich, denn die Ausdrucksmöglichkeiten eines kleinen Jungen taugen nicht zum Medium dessen, was Hermann mitteilen wollte. Die Besichtigung der Welt allein aus kindlicher Perspektive provoziert nämlich ein Dilemma: Überläßt man das Berichten dem Kleinen, dann bleibt allzu vieles ungeformt und halb gesagt. Kommt man dem Jungen mit erwachsener Gestaltungskunst zu Hilfe, dann beschädigt man die kindliche Originalität.

Was aber wollte der Autor mitteilen? Der Gesamttitel verrät es im voraus: "In kalten Zimmern" ist die Kindheit verbracht worden, von der die vier Erzählungen handeln. Zwischen Schularbeit und Freizeit, Herumstreunen und Tagträumen enthüllt sich ein Knabenleben voller Enttäuschungen und Ängste. Die Gespenster, die den kleinen "Ich" plagen, sind aus der Familie geboren, er kann sich ihnen nicht entziehen.

Der Vater, verständnislos, egoistisch, kehrt den Hausdespoten hervor. Die Mutter ist zwar lieb, besitzt aber zu wenig Persönlichkeit, im permanenten Machtkampf der Eheleute zieht sie ständig den kürzeren. Gegen solche Zumutungen wehrt sich der große Bruder auf äußerst ruppige Art, die zuweilen den Kleinen erschreckt, zu der gewiß aber auch er einst finden wird. Die pubertierende Schwester erscheint dem Brüderchen unverständlich, ein sonderbar fremdes Tier.

Kein Zweifel, "Ich" hat eine Menge Probleme, keines davon darf man belächeln, sie wiegen schwer für den Winzling. Und da nicht nur "Ich", sondern durch ihn der Autor spricht, wird deutlich genug, daß die Angsterlebnisse noch in "Ichs" Erwachsenenzeit hineinzuwirken drohen. Das heißt, die kindliche Zustandsschilderung ist in nuce schon die Anamnese, die Jahrzehnte später irgendein Psychologe erheben könnte. Wolfgang Hermann hat sich voll auf die Seite des ohnmächtigen Kindes geschlagen, er läßt nur dessen Version gelten und billigt niemandem sonst eine Stellungnahme, geschweige denn eine Verteidigung zu.

Auf die Dauer langweilt die Einseitigkeit ein bißchen. Im Grunde variiert jede Textpartie nur die vorhergehenden Partien. Wenn einen die Lektüre dennoch eine gute Weile zu halten vermag, so dank des Autors Diktion, die, einfallsreich und geschmeidig, immer wieder zu erlesen wirkt für den daherschwatzenden Hosenmatz. SABINE BRANDT

Wolfgang Hermann: "In kalten Zimmern". Vier Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 88 S., br., 12,80 DM.

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