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Mary Hooligan durchlebt noch einmal ihre Vergangenheit. Sie ist Anfang vierzig, lebt einen Winter lang in einem fremden Haus und erinnert sich an viele Tage und Nächte. Wie Schatten, wie Bruchstücke an der Schwelle zwischen Schlaf und Wachen, ziehen die Erinnerungen an ihr vorüber - die lauen Sommerabende im irischen Dorf, der Duft der Weißdornhecken, der Schnulzensänger, mit dem sie die erste Nacht verbrachte, die Angst vor einer Schwangerschaft, die Flucht nach England. Später die Tage als Verkäuferin, Ehefrau und Mutter, das Scheitern der Ehe. Erotische Erlebnisse zu zweit und zu dritt, der…mehr

Produktbeschreibung
Mary Hooligan durchlebt noch einmal ihre Vergangenheit. Sie ist Anfang vierzig, lebt einen Winter lang in einem fremden Haus und erinnert sich an viele Tage und Nächte. Wie Schatten, wie Bruchstücke an der Schwelle zwischen Schlaf und Wachen, ziehen die Erinnerungen an ihr vorüber - die lauen Sommerabende im irischen Dorf, der Duft der Weißdornhecken, der Schnulzensänger, mit dem sie die erste Nacht verbrachte, die Angst vor einer Schwangerschaft, die Flucht nach England. Später die Tage als Verkäuferin, Ehefrau und Mutter, das Scheitern der Ehe. Erotische Erlebnisse zu zweit und zu dritt, der Tod der Mutter, eine alte Freundin, verschiedene Liebhaber und skurrile Gestalten sind verwoben in diesen Teppich der Erinnerung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1999

Eimerweise Zeit schlürfen
Edna O'Briens Roman "In langen Nächten"

Ihre Mutter versteckte "The Country Girls" unter einem Kissenberg, der Pfarrer veranstaltete mit ihrem Debütroman ein Autodafé, und die Postbotin wollte die junge Autorin nackt durchs Dorf peitschen. Das war vor 38 Jahren. Inzwischen hat sich das Land geändert, aus dem Edna O'Brien 1960 nach London floh, und sie selbst ist zu einer Grand Old Lady der irischen Gegenwartsliteratur avanciert.

Zu einer nicht unumstrittenen allerdings. Die femme fatale mit den roten Haaren, die zeitweise am liebsten selbst die Buchdeckel ihrer Texte zierte, gab den Frauen eine Stimme zwischen Herzblut und Heißblütigkeiten; eine Stimme, die mit kontrolliertem Erzählen bisweilen nicht allzuviel am Hut hat. Die 1932 im County Claire geborene Schriftstellerin muß, wie der Ancient Mariner, ihre Geschichten von (und mit) den irischen Männern immer noch einmal loswerden, und sie trifft damit ihre - vorwiegend weibliche - Leserschaft mitten in die Seele.

Offensichtlich gibt es Typen wie in O'Briens drittem Roman "Girls in their Married Bliss" (1964) überall: "They expected you to pay for the pictures, raped you in the back seat, came home, ate your baked beans and then wanted some new experimental kind of sex and no worries from you about might you have a baby." Vor lauter gutverkäuflicher women's lib-Literatur aus der Feder der Irin - oder vor Büchern, die so aussehen - hat man die andere Edna O'Brien gerne überlesen. Die der streng durchgearbeiteten Kurzgeschichten, wie sie in der preisgekrönten Sammlung "Lantern Slides" (1990) zu finden sind. Oder die der poetischen, sprunghaften, offenen Prosa wie in "Night".

Natürlich geht es auch in diesem 1972 erschienenen, erst jetzt auf deutsch veröffentlichten Roman um Männer und Frauen und um Edna O'Briens eigenes Leben. "In langen Nächten" titelt die Übersetzung denn auch beziehungsreich; doch eigentlich spielt sich alles in einer einzigen long night's journey into day ab: in jener langen Nacht, in der Mary Hooligan irgendwo in der Fremde in ihrem geliehenen Himmelbett liegt und schon seit Stunden Schäfchen und Äpfel zählt. Vergeblich. "Jesus, eimerweise Zeit, in die man die Hand hineinsteckt, tief hinein" - so tief, daß man in Irland ankommt, in einem mickrigen Dorf namens Coose, wo es an den Dreschtagen nicht genug Eßbesteck für alle gibt, dafür Aberglauben für jeden doppelt. Auf dieser Reise ins Abgestandene und Abgelutschte führt die Ich-Erzählerin eine frische, zerrissen-lyrische und widerspenstige Sprache im Mund.

Einhundertsechzig Seiten lang monologisiert O'Briens gealterte Molly Bloom ihre Vergangenheit in die Nacht hinein - eine Frau um die Vierzig, die, wie sie sich tröstet, ihr Teil gehabt hat, "zum Beispiel einen Holzfäller aus Scandia mit besonders starker Stoßkraft". Sie läßt die Eltern wiederauferstehen, den Sohn, die Liebhaber. Und den Ort, an dem sie begraben sein will: Er ist "von kabbeligen Wassern umgeben und wird von einem Paar unfruchtbarer Schwäne beherrscht. Oder sind es Gänse?" Ein Fleckchen Erde voller Tristesse und voller Geschnatter, nicht mehr als eine kleine grüne Insel, die für die große steht.

Dort ereifert man sich bei der Beerdigung von Marys Mutter über einen verstauchten Fuß, ein halbes Dutzend verlorene Schafe und am meisten über ein herrenloses Fahrrad: Wer hat hier wohl mit wem ein Stelldichein gehabt? Dort feiert man zu Sankt-Peter-und-Paul Umzüge im Kostüm - Mary als Schneewittchen in transparentem Flitter -, auf der Kirmes sausen die Kettenkarusselle und Schiffschaukeln, der Hundemeister und Mrs. Hoare-O'Shaughnessy bereiten zur allgemeinen Bewunderung Speiseeis zu, und am Abend wird getanzt und gefummelt. Dazu ein paar Fledermäuse und Sommermotten, die den Kalksteinfelsen umschwirren, hinter dem Schneewittchen ruckzuck seine Unschuld verliert. Irland eben.

Ein erinnertes Irland, so wie das der Autorin: ein Land aus Schnappschüssen, Anekdoten und Klischees, das - wie die tote Mutter - über alles seine Netze wirft, auch über die Jahre in einer baufälligen Hütte in der englischen Provinz und über die Gegenwart im Himmelbett. "In langen Nächten" - von Momo Edel in all seinen Verspieltheiten scheinbar mühelos übersetzt - ist ein bißchen wie Gargantua auf gälisch und ein bißchen wie Colette, sprachverliebt wie John Banville, dem Kleinen zugewandt wie Mary Morrissy, und mit seinem Spott tritt es dem Pathos im Vorbeigehen meist kräftig auf die Füße. "Vogelkacke auf dem Fenster. Verdammte Nachlässigkeit. Ich hatte an mir herabgesehen und die Stellen betrachtet, die langsam verkommen. Der arme alte Korpus, Korpus collosum, Musculus ciliare, Dentatum, Substantia spongiosum und Urethra und weiß der Teufel was noch . . . Bald werde ich nur noch als Anstandswauwau zur Verfügung stehen, während irgendein Mädchen gekrault wird. So komme ich dem Leib Christi immer näher und näher." Aber derweil sich Mary auf ihrer Reise durch die irische Nacht in den alten Geschichten verheddert, derweil sie zwischen fragiler Poesie, fließender Prosa und vorsätzlicher Pampigkeit ihren Monolog spinnt, kommt sie - und mit ihr Edna O'Brien - der Erlösung von Schriftstellern tatsächlich immer näher: dem wundersam wahnsinnigen Text. ALEXANDRA M. KEDVES

Edna O'Brien: "In langen Nächten". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Momo Edel. Rotbuch Verlag, Hamburg 1998, 160 S., geb., 28,- DM.

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