New York in den 50er Jahren: Auf einer Party erhält eine junge Frau das unmoralische Angebot eines distinguierten Herrn, gegen Bezahlung mit ihm zu gehen. Sie könnte problemlos ablehnen, lässt sich aber darauf ein - und zerstört ihr bisheriges Leben. Erst jetzt wird ihrem Freund, den sie verlässt, bewusst, wie sehr er sie liebt. Das Gefühl, die Chance seines Lebens verpasst zu haben, wird ihn für immer begleiten. Eine beklemmende Liebesgeschichte und der kluge Roman eines bedeutenden Autors aus den USA. Im rauchigen, melancholischen Ton eines Miles-Davis-Stücks erzählt ist "In Love" wie John Williams´ "Stoner" oder die Romane von Richard Yates, eine beglückende Wiederentdeckung.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Angela Schader kommt es so vor, als sei dieser Roman von Alfred Hayes aus dem Jahr 1953 eigentlich zwei Bücher. So gern sie das zweite Buch lesen würde, ihr bleibt zunächst einmal die Lektüre des sichtbaren ersten. Und die hat es in sich, wie Schader versichert, spinnt den Leser ein und eröffnet dem Autor durch eine Mise en abyme mit einem Schriftsteller-Erzähler die Möglichkeit, sein Können über die Figur auszuspielen, wie Schader erklärt. Dass der 1911 geborene Hayes davon ausgiebig Gebrauch macht, gefällt Schader, und sie stellt ihr Gehör auf die sprachlichen Nuancen des Textes ein. So vermag sie außer dem New York der 50er, außer der Liebesgeschichte, die Hayes erzählt, Empfindungen der Figuren wahrzunehmen, Gefühlslagen und die "Defizite einer Liebe". Der Erzähler scheint Schader einerseits sensibel und zuverlässig, andererseits, so erläutert sie, gibt gerade er den Blick frei auf jene andere Perspektive auf das Geschehen, das zweite Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2015Umwege des Gefühls
Vergessenes Meisterwerk? "In Love" von Alfred Hayes
Vor einem knappen Jahr ist in den Vereinigten Staaten eine Neuauflage von "In Love" erschienen, dem vierten Roman des 1985 verstorbenen englischen Schriftstellers Alfred Hayes. In der englischsprachigen Presse wurde das schmale Buch als Wiederentdeckung gefeiert, als bestes Buch eines Mannes, der zu Unrecht in Vergessenheit geraten war. Das konnte man sich nun zwar nicht mehr erklären, wollte es andererseits aber auch nicht groß hinterfragen, denn es macht sich immer gut, aus der Mottenkiste der hunderttausend vergessenen Bücher diesen einen Band herausziehen zu können, von dem sich sagen lässt: Seht doch, es ist ein Meisterwerk!
"In Love" erzählt eine New Yorker Liebesgeschichte, die in den fünfziger Jahren spielt, aber - und darin mag ein Grund für die überschwängliche Begeisterung liegen - in der Unverbindlichkeit, mit der sie geführt wird, auch gut in die Gegenwart passt. Ein junger Mann liebt eine junge Frau, will sich aber nicht festlegen. Sie träumt von romantischer Liebe, Geld, einer geblümten Wohnzimmertapete und einem schnellen Wagen vor der Tür. Folglich gerät sie ins Grübeln, als ein Fremder ihr eines Tages eintausend Dollar bietet, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt. Ein unmoralisches Angebot, über das sie sich zunächst empört, dann aber insofern doch annimmt, als sie dem Herren mehr als nur eine Chance gibt, sie von sich zu überzeugen. Und genau dies ist der Moment, in dem - oh, Wunder - der inzwischen abgelegte Lover seinerseits versteht, dass er die Frau wirklich liebte.
An hübschen Formulierungen zur Beschreibung dieser ewigen Liebeswirrnis fehlt es dem Buch nicht. Ehrlichkeit ist in diesem Sinn ein hohes Gut, Bekenntnisse gibt es also zuhauf: "Den Verlust einer Frau ohne Bedeutung als schmerzhaft zu empfinden, darunter zu leiden, war absurd. Es war absurd, dass ich litt. Und weil es absurd war, musste ich es verstecken", heißt es da beispielsweise.
Aber wenn man dieses schmale Buch als das ernst nimmt, was es sein will, nämlich nicht nur als Roman, sondern als Phänomenologie, kommt man nicht umhin, an ein paar andere Bücher zu denken, die denselben Ehrgeiz hatten und diesem besser gerecht wurden - an Stendhals "Rot und Schwarz" etwa oder Prousts "Eine Liebe von Swan", um gleich in die oberste Schublade zu langen. An Tolstois "Kreutzersonate" und vielleicht auch an Milan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins".
Ist das zu hoch gegriffen? Nein. Wer den Anspruch hat, eine Liebesstudie zu schreiben, muss wissen, worauf er sich einlässt. Und Alfred Hayes, der übrigens Anfang der Fünfziger, als er "In Love" schrieb, auch mehrere Drehbücher für Filme des italienischen Neorealismus verfasste, schien seinen analytischen Fähigkeiten selbst ein wenig zu misstrauen. Nur so ist jedenfalls zu erklären, warum er sein Liebespaar zum Ende hin auf einen Umweg führt, der dessen Zerrüttungsprozess zwar verlängert, zur Ergründung ihrer Gefühlswelten aber nur wenig beiträgt. "In Love" ist deswegen zwar kein Meisterwerk, aber immer noch ein ziemlich gutes Buch.
LENA BOPP
Alfred Hayes: "In Love". Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nagel & Kimche, Zürich 2015. 143 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vergessenes Meisterwerk? "In Love" von Alfred Hayes
Vor einem knappen Jahr ist in den Vereinigten Staaten eine Neuauflage von "In Love" erschienen, dem vierten Roman des 1985 verstorbenen englischen Schriftstellers Alfred Hayes. In der englischsprachigen Presse wurde das schmale Buch als Wiederentdeckung gefeiert, als bestes Buch eines Mannes, der zu Unrecht in Vergessenheit geraten war. Das konnte man sich nun zwar nicht mehr erklären, wollte es andererseits aber auch nicht groß hinterfragen, denn es macht sich immer gut, aus der Mottenkiste der hunderttausend vergessenen Bücher diesen einen Band herausziehen zu können, von dem sich sagen lässt: Seht doch, es ist ein Meisterwerk!
"In Love" erzählt eine New Yorker Liebesgeschichte, die in den fünfziger Jahren spielt, aber - und darin mag ein Grund für die überschwängliche Begeisterung liegen - in der Unverbindlichkeit, mit der sie geführt wird, auch gut in die Gegenwart passt. Ein junger Mann liebt eine junge Frau, will sich aber nicht festlegen. Sie träumt von romantischer Liebe, Geld, einer geblümten Wohnzimmertapete und einem schnellen Wagen vor der Tür. Folglich gerät sie ins Grübeln, als ein Fremder ihr eines Tages eintausend Dollar bietet, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt. Ein unmoralisches Angebot, über das sie sich zunächst empört, dann aber insofern doch annimmt, als sie dem Herren mehr als nur eine Chance gibt, sie von sich zu überzeugen. Und genau dies ist der Moment, in dem - oh, Wunder - der inzwischen abgelegte Lover seinerseits versteht, dass er die Frau wirklich liebte.
An hübschen Formulierungen zur Beschreibung dieser ewigen Liebeswirrnis fehlt es dem Buch nicht. Ehrlichkeit ist in diesem Sinn ein hohes Gut, Bekenntnisse gibt es also zuhauf: "Den Verlust einer Frau ohne Bedeutung als schmerzhaft zu empfinden, darunter zu leiden, war absurd. Es war absurd, dass ich litt. Und weil es absurd war, musste ich es verstecken", heißt es da beispielsweise.
Aber wenn man dieses schmale Buch als das ernst nimmt, was es sein will, nämlich nicht nur als Roman, sondern als Phänomenologie, kommt man nicht umhin, an ein paar andere Bücher zu denken, die denselben Ehrgeiz hatten und diesem besser gerecht wurden - an Stendhals "Rot und Schwarz" etwa oder Prousts "Eine Liebe von Swan", um gleich in die oberste Schublade zu langen. An Tolstois "Kreutzersonate" und vielleicht auch an Milan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins".
Ist das zu hoch gegriffen? Nein. Wer den Anspruch hat, eine Liebesstudie zu schreiben, muss wissen, worauf er sich einlässt. Und Alfred Hayes, der übrigens Anfang der Fünfziger, als er "In Love" schrieb, auch mehrere Drehbücher für Filme des italienischen Neorealismus verfasste, schien seinen analytischen Fähigkeiten selbst ein wenig zu misstrauen. Nur so ist jedenfalls zu erklären, warum er sein Liebespaar zum Ende hin auf einen Umweg führt, der dessen Zerrüttungsprozess zwar verlängert, zur Ergründung ihrer Gefühlswelten aber nur wenig beiträgt. "In Love" ist deswegen zwar kein Meisterwerk, aber immer noch ein ziemlich gutes Buch.
LENA BOPP
Alfred Hayes: "In Love". Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nagel & Kimche, Zürich 2015. 143 S., geb., 16,90 [Euro].
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