'Ich habe das Leben wie alle gelebt, das Leben der kleinen Leute, der Masse.'
Im Herbst 1944 resümiert Hans Fallada in einer Gefängniszelle sein Leben in der NS-Diktatur, die Zeit der inneren Emigration. Unter den Bedingungen der Haft, in ständiger Angst vor Entdeckung schreibt er sich vom Alpdruck der Nazizeit frei. Seine freimütigen, bisweilen provokanten Erinnerungen galten lange Jahre als verschollen. Mit dieser Edition werden sie erstmals veröffentlicht.
Bekenntnishaftes lag dem Erzähler Fallada fern, doch in der seelischen Bedrängnis des Jahres 1944 wird die Selbstreflexion zur Überlebensstrategie. Im 'Todeshause' bringt er seine politische Abrechnung zu Papier. 'Ich weiß, daß ich wahnsinnig bin. Ich gefährde nicht nur mein Leben, ich gefährde [.] das Leben vieler Menschen, von denen ich berichte', notiert der Getriebene. Er schreibt von Bespitzelung und Denunziation, von der Gefährdung seines Lebensquells, der literarischen Arbeit, und vom Schicksal vieler Freunde und Zeitgenossen wie Ernst Rowohlt und Emil Jannings. Zur Tarnung und um Papier zu sparen, verwendet er Kürzel. Seine Notate, den Blicken der Wärter ständig ausgesetzt, werden zu einer Art 'Geheimschrift'. Am Ende gelingt es ihm, das Manuskript aus dem Gefängnis zu schmuggeln.
'... noch heute, nach elf Jahren habe ich mich nicht an diese braunen Uniformen und an die Bulldoggenschnauzen ihrer Träger gewöhnen können. ... Sie zerstören jeden Menschen - und mit den Puppen, die dann zurückbleiben, haben sie leichtes Spiel.'
Im Herbst 1944 resümiert Hans Fallada in einer Gefängniszelle sein Leben in der NS-Diktatur, die Zeit der inneren Emigration. Unter den Bedingungen der Haft, in ständiger Angst vor Entdeckung schreibt er sich vom Alpdruck der Nazizeit frei. Seine freimütigen, bisweilen provokanten Erinnerungen galten lange Jahre als verschollen. Mit dieser Edition werden sie erstmals veröffentlicht.
Bekenntnishaftes lag dem Erzähler Fallada fern, doch in der seelischen Bedrängnis des Jahres 1944 wird die Selbstreflexion zur Überlebensstrategie. Im 'Todeshause' bringt er seine politische Abrechnung zu Papier. 'Ich weiß, daß ich wahnsinnig bin. Ich gefährde nicht nur mein Leben, ich gefährde [.] das Leben vieler Menschen, von denen ich berichte', notiert der Getriebene. Er schreibt von Bespitzelung und Denunziation, von der Gefährdung seines Lebensquells, der literarischen Arbeit, und vom Schicksal vieler Freunde und Zeitgenossen wie Ernst Rowohlt und Emil Jannings. Zur Tarnung und um Papier zu sparen, verwendet er Kürzel. Seine Notate, den Blicken der Wärter ständig ausgesetzt, werden zu einer Art 'Geheimschrift'. Am Ende gelingt es ihm, das Manuskript aus dem Gefängnis zu schmuggeln.
'... noch heute, nach elf Jahren habe ich mich nicht an diese braunen Uniformen und an die Bulldoggenschnauzen ihrer Träger gewöhnen können. ... Sie zerstören jeden Menschen - und mit den Puppen, die dann zurückbleiben, haben sie leichtes Spiel.'
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2009Freiheitstraum im Luftschutzraum
Unsicherer Kantonist: Hans Falladas Gefängnistagebuch des Jahres 1944
Die paradoxe Biographie dieses Schriftstellers gleicht einem Kolportageroman. Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nannte, Sohn eines Reichsgerichtsrats, psychisch labil, durchwanderte nicht nur die Sanatorien, sondern nach wiederholten Unterschlagungen auch die Gefängnisse. Von drei Süchten war er besessen, von der Alkohol-, der Rauschgift- und der Schreibsucht. Immer wieder ins gesellschaftliche Zwielicht zurücksinkend, bewahrte er sich doch einen klaren Blick für die Realität der Gesellschaft. So konnte er zum erzählerischen Sachwalter des "kleinen Mannes" und zum Chronisten der zwanziger Jahre, der Weimarer Republik werden. Aus der Vielzahl seiner Romane ragen vor allem der Welterfolg "Kleiner Mann - was nun?" von 1932, "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" von 1934, und, drei Jahre später, "Wolf unter Wölfen" hervor.
Zur verkappten Selbstanalyse eines völlig zerrütteten und desolaten Ichs wurde der 1944 in der gefängnishaften Landesanstalt Strelitz entstandene Roman "Der Trinker": ein bestürzendes Psychogramm vom Willensverlust eines Süchtigen. In dieses Romanmanuskript hinein versteckte Fallada neben einigen Erzählungen mit kaum lesbarer Kleinschrift und raffiniert getarnter Anordnung der Zeilen sein "Gefängnistagebuch 1944". Es wurde entziffert von Jenny Williams und Sabine Lange, deren Nachwort und Kommentare der Leser nicht überschlagen sollte, und liegt nun unter dem Titel "In meinem fremden Land" im Druck vor.
Es ist nicht das erste hinter geschlossenen Mauern entstandene Tagebuch Falladas. Schon 1924 gelang es ihm während einer mehrmonatigen Haft im Gefängnis von Greifswald, seine Beobachtungen und Erfahrungen in der Zelle und beim Arbeitseinsatz schriftlich festzuhalten. Von diesem 1999 im Aufbau Verlag erschienenen Tagebuch unterscheidet sich grundsätzlich das von 1944. Nicht die Qualen des Lebens in der Anstalt sind der Gegenstand der Berichte, sondern die Erfahrungen des Schriftstellers in der Hitlerdiktatur.
Daraus hätte ein eindringliches selbstbiographisches Dokument werden können. Aber es ist hier wie in allen Fällen, wo die Absicht der Selbstrechtfertigung Tatsachen zwar nicht leugnet, wohl aber verbiegt. Halten wir uns zunächst an die Vorzüge des Tagebuchs. Es zeigt an Beispielen eigener Erlebnisse, mit welcher Rüpelhaftigkeit und Rücksichtslosigkeit schon bald nach der "Machtergreifung" Hitlers Organe der Partei und der SA Hetzjagden beginnen und alle geltenden Rechte außer Kraft setzen. Versiert erzählt sind die anekdotischen Geschichten von seinem Verleger, dem genialen Tausendsassa Ernst Rowohlt, und die Beispielfälle von Peter Suhrkamps Willensstärke und Hilfsbereitschaft. Ein wundersamer Traum aus der Zeit des Luftkriegs, vom völlig autarken Leben in einem Luftschutzraum, einem wahren unterirdischen Palast, offenbart, wie viel Poesie dieser von den Furien seiner Psyche und seiner Süchte gejagte Schriftsteller auch im Repertoire hatte. Oft aber kann man zwischen den Zeilen die ungewollte Selbstenthüllung dessen mitlesen, der seine Fahne notfalls auch nach dem Wind hängt, die versteckte üble Nachrede nicht scheut und die Rhetorik des Anwalts seiner selbst beherrscht.
So passt die Gebärde des hasserfüllten Nazigegners nicht zur Bereitschaft, auf Goebbels' Wunsch die Vorlage für einen Film zu schreiben, in dem Emil Jannings einen Volkshelden spielen sollte, einen Droschkenkutscher, der zum Zeugen nationalen Wandels und nationaler Größe wird. Das Unternehmen zerschlug sich, übrig blieb damals der erbötige Roman "Der eiserne Gustav". So wird die anfänglich achtungsvolle Schilderung der harten Lebensschule Peter Suhrkamps entwertet durch die bereitwillige Wiedergabe von Gerüchten, er habe nach der Entmächtigung des jüdischen Verlegers Samuel Fischer in erbschleicherischer Absicht mit den Nazis paktiert - was sicher nicht dazu geführt hätte, dass Suhrkamps Gesundheit im Konzentrationslager ruiniert wurde, wie es tatsächlich geschah. Noch ärgerlicher sind die gewundenen Begründungen Falladas für sein Verbleiben im Lande, trotz aller Schikanen, für seine Treue zum deutschen Volk. Mit seinen verbrämten Nadelstichen gegen Schriftsteller im "sicheren Exil" schwenkte er ganz auf die Argumentationslinie von Wortführern der "inneren Emigration" ein, die nach dem Krieg manchem Verbannten die Rückkehr verleideten.
Stark ist dieses Tagebuch dort, wo Fallada in bewährter Weise Geschichten erzählt und der Leser nicht mehr fragt, wo der Lebensbericht in die Erfindung übergeht - er nimmt das Buch wie ein Stück fiktionalisierter Zeitgeschichte. Sobald aber Urteile über bekannte Personen des literarischen Lebens gefällt werden, endet die Freiheit der Fiktion. In seinen besten Romanen ein unbestechlicher Erzähler, bleibt Fallada in diesem Tagebuch ein unsicherer Kantonist.
WALTER HINCK
Hans Fallada: "In meinem fremden Land". Gefängnistagebuch 1944. Hrsg. von Jenny Williams und Sabine Lange. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 333 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unsicherer Kantonist: Hans Falladas Gefängnistagebuch des Jahres 1944
Die paradoxe Biographie dieses Schriftstellers gleicht einem Kolportageroman. Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nannte, Sohn eines Reichsgerichtsrats, psychisch labil, durchwanderte nicht nur die Sanatorien, sondern nach wiederholten Unterschlagungen auch die Gefängnisse. Von drei Süchten war er besessen, von der Alkohol-, der Rauschgift- und der Schreibsucht. Immer wieder ins gesellschaftliche Zwielicht zurücksinkend, bewahrte er sich doch einen klaren Blick für die Realität der Gesellschaft. So konnte er zum erzählerischen Sachwalter des "kleinen Mannes" und zum Chronisten der zwanziger Jahre, der Weimarer Republik werden. Aus der Vielzahl seiner Romane ragen vor allem der Welterfolg "Kleiner Mann - was nun?" von 1932, "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" von 1934, und, drei Jahre später, "Wolf unter Wölfen" hervor.
Zur verkappten Selbstanalyse eines völlig zerrütteten und desolaten Ichs wurde der 1944 in der gefängnishaften Landesanstalt Strelitz entstandene Roman "Der Trinker": ein bestürzendes Psychogramm vom Willensverlust eines Süchtigen. In dieses Romanmanuskript hinein versteckte Fallada neben einigen Erzählungen mit kaum lesbarer Kleinschrift und raffiniert getarnter Anordnung der Zeilen sein "Gefängnistagebuch 1944". Es wurde entziffert von Jenny Williams und Sabine Lange, deren Nachwort und Kommentare der Leser nicht überschlagen sollte, und liegt nun unter dem Titel "In meinem fremden Land" im Druck vor.
Es ist nicht das erste hinter geschlossenen Mauern entstandene Tagebuch Falladas. Schon 1924 gelang es ihm während einer mehrmonatigen Haft im Gefängnis von Greifswald, seine Beobachtungen und Erfahrungen in der Zelle und beim Arbeitseinsatz schriftlich festzuhalten. Von diesem 1999 im Aufbau Verlag erschienenen Tagebuch unterscheidet sich grundsätzlich das von 1944. Nicht die Qualen des Lebens in der Anstalt sind der Gegenstand der Berichte, sondern die Erfahrungen des Schriftstellers in der Hitlerdiktatur.
Daraus hätte ein eindringliches selbstbiographisches Dokument werden können. Aber es ist hier wie in allen Fällen, wo die Absicht der Selbstrechtfertigung Tatsachen zwar nicht leugnet, wohl aber verbiegt. Halten wir uns zunächst an die Vorzüge des Tagebuchs. Es zeigt an Beispielen eigener Erlebnisse, mit welcher Rüpelhaftigkeit und Rücksichtslosigkeit schon bald nach der "Machtergreifung" Hitlers Organe der Partei und der SA Hetzjagden beginnen und alle geltenden Rechte außer Kraft setzen. Versiert erzählt sind die anekdotischen Geschichten von seinem Verleger, dem genialen Tausendsassa Ernst Rowohlt, und die Beispielfälle von Peter Suhrkamps Willensstärke und Hilfsbereitschaft. Ein wundersamer Traum aus der Zeit des Luftkriegs, vom völlig autarken Leben in einem Luftschutzraum, einem wahren unterirdischen Palast, offenbart, wie viel Poesie dieser von den Furien seiner Psyche und seiner Süchte gejagte Schriftsteller auch im Repertoire hatte. Oft aber kann man zwischen den Zeilen die ungewollte Selbstenthüllung dessen mitlesen, der seine Fahne notfalls auch nach dem Wind hängt, die versteckte üble Nachrede nicht scheut und die Rhetorik des Anwalts seiner selbst beherrscht.
So passt die Gebärde des hasserfüllten Nazigegners nicht zur Bereitschaft, auf Goebbels' Wunsch die Vorlage für einen Film zu schreiben, in dem Emil Jannings einen Volkshelden spielen sollte, einen Droschkenkutscher, der zum Zeugen nationalen Wandels und nationaler Größe wird. Das Unternehmen zerschlug sich, übrig blieb damals der erbötige Roman "Der eiserne Gustav". So wird die anfänglich achtungsvolle Schilderung der harten Lebensschule Peter Suhrkamps entwertet durch die bereitwillige Wiedergabe von Gerüchten, er habe nach der Entmächtigung des jüdischen Verlegers Samuel Fischer in erbschleicherischer Absicht mit den Nazis paktiert - was sicher nicht dazu geführt hätte, dass Suhrkamps Gesundheit im Konzentrationslager ruiniert wurde, wie es tatsächlich geschah. Noch ärgerlicher sind die gewundenen Begründungen Falladas für sein Verbleiben im Lande, trotz aller Schikanen, für seine Treue zum deutschen Volk. Mit seinen verbrämten Nadelstichen gegen Schriftsteller im "sicheren Exil" schwenkte er ganz auf die Argumentationslinie von Wortführern der "inneren Emigration" ein, die nach dem Krieg manchem Verbannten die Rückkehr verleideten.
Stark ist dieses Tagebuch dort, wo Fallada in bewährter Weise Geschichten erzählt und der Leser nicht mehr fragt, wo der Lebensbericht in die Erfindung übergeht - er nimmt das Buch wie ein Stück fiktionalisierter Zeitgeschichte. Sobald aber Urteile über bekannte Personen des literarischen Lebens gefällt werden, endet die Freiheit der Fiktion. In seinen besten Romanen ein unbestechlicher Erzähler, bleibt Fallada in diesem Tagebuch ein unsicherer Kantonist.
WALTER HINCK
Hans Fallada: "In meinem fremden Land". Gefängnistagebuch 1944. Hrsg. von Jenny Williams und Sabine Lange. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 333 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Katrin Hillgruber zeigt sich alles in allem beeindruckt von dieser "authentischen Analyse" der NS-Herrschaft, die der Schriftsteller Hans Fallada heimlich in Form eines Gefängnistagebuchs niederschrieb. Nach einem Angriff auf seine Frau war er, der schon so oft in Kliniken und Heilanstalten eingeliefert werden musste, 1944 inhaftiert worden. Zwar waren seine Ansichten bisweilen sehr fragwürdig, so bezeichnet die Rezensentin etwa seine antisemitische Haltung mitfühlend als "vom Zeitgeist affiziert", auch nennt sie ihn einen Regimekritiker. Trotzdem enthält das Tagebuch genug "schreckliche und komische Momente", um die Lektüre lohnenswert und zu einem eindrücklichen und stimmigen "Sittengemälde" zu machen. Besonders gut gefallen Hillgruber Falladas "zutiefst menschliche Spontaneität", seine Spottlust und auch gegen die "maliziöse Fantasie", mit der er über Peter Suhrkamp herzieht, hat sie letztlich nichts einzuwenden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH