»Sie können das nicht verstehen. … Früher dachte ich ähnlich wie Sie. Gegenseitige Achtung, ein geordnetes Miteinander, keine Gewalt, das waren meine Ziele, die ich durchsetzen wollte. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.«
Jens Baumgard, Lehrer an einer Gesamtschule, kann es nicht fassen:
Einige seiner Schüler zeigen sich offen aggressiv, aber keinem seiner Kollegen scheint das aufzufallen.…mehr»Sie können das nicht verstehen. … Früher dachte ich ähnlich wie Sie. Gegenseitige Achtung, ein geordnetes Miteinander, keine Gewalt, das waren meine Ziele, die ich durchsetzen wollte. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.«
Jens Baumgard, Lehrer an einer Gesamtschule, kann es nicht fassen: Einige seiner Schüler zeigen sich offen aggressiv, aber keinem seiner Kollegen scheint das aufzufallen. Eines Tages wird ein ausländischer Schüler brutal zusammengeschlagen und Jens kann die einzige Zeugin der Tat zu einer Aussage überreden.
Bei seinem Gang zur Polizei ist Jens überzeugt, das Richtige zu tun. Tatsächlich erkennt er erst nach und nach, worauf er sich da eingelassen hat. Denn seine Gegner gehören zu einer Gruppe von Neonazis und schon bald müssen er und seine Familie erfahren, dass es in ihrem Leben keine Sicherheit mehr gibt…
Die hier erzählte Geschichte dürfte niemanden kalt lassen. Themen wie das dargestellte gehen leider immer wieder durch die Medien, manch einer kennt sie sogar aus eigener Erfahrung oder durch Betroffene im Bekanntenkreis.
Die Autorin schafft es von der ersten Seite an, den Leser zu fesseln. Ich jedenfalls mochte das Buch nicht aus der Hand legen, so intensiv waren die Schilderungen, so brennend der Wunsch zu lesen, wie es weitergeht. Beim Lesen kochten immer wieder die Gefühle hoch. Fassungslosigkeit, Wut, Angst – emotional keine leichte Lektüre. Durch wechselnde Erzählperspektiven wird die Handlung mal aus der Sicht des Lehrers, mal aus der seiner Frau oder seiner Kinder erlebt. Diese vier weisen zudem verschiedene Charaktere und Ansichten auf, was den Leser stetig zum Nachdenken anregt. Was würde ich tun? Ein Gedanke, der mich durch das ganze Buch begleitet hat.
Bei dem Wort Neonazis denkt man zunächst an Ausländerhass, aber in diesem Buch stehen im Grunde andere Themen im Vordergrund. Da geht es um Zivilcourage, um Gerechtigkeit, um die Sorge um die eigene Familie und um die Frage, wie weit man bereit ist, sich für Dinge oder Menschen, die einem wichtig sind, einzusetzen. Deutlich (und meines Erachtens nach zu recht) wird angeprangert, wie sehr der Staat leider immer wieder versagt, was den Schutz seiner Bürger angeht. Wie sehr sich so mancher dadurch im Stich gelassen und auf sich selbst gestellt fühlt!
Hier setzt mein Kritikpunkt an. Denn eben diese Aussagen sind doch auch die Argumente derer, die „Flüchtlinge raus!“ brüllen. Auch die fühlen sich im Stich gelassen, glauben, dass der Staat sich nicht um sie kümmert und dass dies ihre Gewalt als reinen Selbstschutz legitimiert. In keiner Weise will ich das in Schutz nehmen, jegliche rechte Ansichten sind mir zuwider. Aber ich fürchte, dass ein Leser, der ohnehin schon „besorgt“ ist, sich durch die Deutlichkeit, in der die Ohnmacht des Staates und der Polizei dargestellt wird, bestärkt fühlen könnte.
Eine Woche nach Beenden des Buchs weiß ich immer noch nicht, was ich an der Stelle des Protagonisten Jens tun würde. Aber ich weiß, dass ich mir wünsche, dass in dieser Welt mehr und gründlicher nachgedacht wird. Dazu regt das Buch an. Ich wünsche mir allerdings auch mehr Mut zur Zivilcourage und ein stärkeres Verurteilen von gewalttätigen Lösungen. Und was das angeht, könnte das Buch womöglich den gegenteiligen Effekt haben.
Fazit: Viel Stoff zum Nachdenken. Schwierige Themen, für die es keine einfachen Lösungen gibt.
»Sie wissen, auf was Sie sich einlassen, nehme ich an?«