Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.1998Ich verliert, Mensch gewinnt
Verwirrend: Peter Mathys kennt einen, der sich selbst nicht kennt
Sein Fall beginnt in Bath, Südengland. Er betritt die Abtei - zufällig oder nicht (denn der Alltag ist eine ganz große Hure, wie der Romaneingang eröffnet). Was ihn anzieht, ist das zweideutig Mysteriöse, der modrige Geruch aus feinem Steinstaub mit ein wenig Rosenwasser, die Kontraste von schwarz scheinenden Fenstern in hellem Sandstein, der Lichteinfall durch bleigefaßte Scheiben. Er steuert auf die Gedenktafeln an den Wänden zu. Dort bleibt er hängen. Nichtsahnend liest er von seinem Tod ein Jahr zuvor, betrauert von seiner Frau Sonja und seinen beiden Kindern. Die hat er jedoch am Vortag erst verabschiedet und wird wenig später bei einem Anruf zu Hause vom guten Schulaufsatz der Tochter erfahren.
Schon beginnt die Reihe der Verwicklungen des Arthur B. Renner, des unauffälligen und wenig wagemutigen Schweizer Verwaltungsbeamten mittlerer Laufbahn. Er ist ein gutmütiger Mensch, wie wir von ihm erfahren, einer, der sich schon als Kind nicht wehren konnte, aber durch seine Geschicklichkeit auch die großen Gegner zu Fall bringt. Nach Hause zurückgekehrt, wird ihm der Zutritt zu seinem Büro versperrt, seine Kreditkarte vom Automaten eingezogen, vom Bankcomputer wird er für tot erklärt und in seiner leeren Wohnung von einer Aufforderung Sonjas empfangen, gekritzelt auf einen Zettel: "Räume Deine Sachen bis Ende des Monats aus der Wohnung, am 1. April ziehen neue Mieter ein."
Ein Albtraum von Mobbing und also ein Kriminalsujet moderneren Zuschnitts? Der Held ohne Identität, die von eifersüchtigen Kollegen oder der raffinierten Ehefrau zugewiesene Amnesie, unvermeidlich gestützt von der Bürokratie. So weit fühlt sich der Liebhaber noch im Genre heimisch. Aber da stolpert er auch schon über die unlogischen Elemente: Warum paßt der Schlüssel zur Wohnung, warum richtet sich Sonjas Zettel an ihn, warum überläßt ihm ein drittes Kreditinstitut die Hälfte aus dem gemeinschaftlichen Konto, wenn doch die englische Gedenktafel nachweislich alt ist und die dortigen Presseberichte seinen Unfalltod vor einem Jahr dokumentieren? Welches Motiv hat Sonja, sich aus der so intensiv erotisch gestimmten Liebesbeziehung abzusetzen? Und schließlich, warum sucht er keine Zeugen auf, um seine Identität zu beweisen?
In klarer, schnörkelloser Sprache führt uns der Autor, der Schweizer Rechtsanwalt und Notar Peter Mathys, mit seinem Erstlingsroman in eine Crossword-puzzle-Kriminalgeschichte hinein. Aber die stilistischen Hinweise und der einsträngige Aufbau trügen. Denn die zunächst klar wirkenden Linien bleiben nur vermeintlich klar, und die Sache kippt immer dann, wenn der Leser meint, die Lösung gefunden zu haben. Der Roman wechselt seine Farbe, changiert zwischen Kriminalgeschichte und psychologischem Roman.
Bis kurz vor Ende des Romans bleibt dem in Sachen Renner Recherchierenden also verborgen, mit welchem Fall er es tatsächlich zu tun hat. Dabei folgt ihm der Leser durch die Schrecken des Liebesverlustes und der Ausgestoßenheit aus den normalen gesellschaftlichen Abläufen wie Arbeiten, Wohnen, Geldbezug und der Möglichkeit, sich auszuweisen, und erschließt sich mit ihm verborgene Milieus staubiger Advokatenkanzleien, schmieriger Kneipen, stinkender Hinterzimmer, in denen gefälschte Pässe wie andernorts die Genußgüter gehandelt werden.
Immer deutlicher steht all das mit der Welt der Hobbykünstler, der Kleinfamilie und dem vorherigen behaglichen Leben im Widerspruch. Aber im szenischen Aufbau wird der Spannungsbogen weiträumig geführt. Dem Helden fehlt jeder Rahmen, zu wissen, auf welche der zur Wahl stehenden Identitäten er sich beziehen und ob er sich mehr fürchten sollte vor der Vergangenheit, die man ihm weggenommen hat, oder vor der Zukunft, in der es ihn nicht mehr gibt. Das ist seine Not, und damit unterhält sich der Leser. So gut, daß er die Geschichte auch bald wieder vergißt. BARBARA S. BRUCKER
Peter Mathys: "In Sachen Renner". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 240 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verwirrend: Peter Mathys kennt einen, der sich selbst nicht kennt
Sein Fall beginnt in Bath, Südengland. Er betritt die Abtei - zufällig oder nicht (denn der Alltag ist eine ganz große Hure, wie der Romaneingang eröffnet). Was ihn anzieht, ist das zweideutig Mysteriöse, der modrige Geruch aus feinem Steinstaub mit ein wenig Rosenwasser, die Kontraste von schwarz scheinenden Fenstern in hellem Sandstein, der Lichteinfall durch bleigefaßte Scheiben. Er steuert auf die Gedenktafeln an den Wänden zu. Dort bleibt er hängen. Nichtsahnend liest er von seinem Tod ein Jahr zuvor, betrauert von seiner Frau Sonja und seinen beiden Kindern. Die hat er jedoch am Vortag erst verabschiedet und wird wenig später bei einem Anruf zu Hause vom guten Schulaufsatz der Tochter erfahren.
Schon beginnt die Reihe der Verwicklungen des Arthur B. Renner, des unauffälligen und wenig wagemutigen Schweizer Verwaltungsbeamten mittlerer Laufbahn. Er ist ein gutmütiger Mensch, wie wir von ihm erfahren, einer, der sich schon als Kind nicht wehren konnte, aber durch seine Geschicklichkeit auch die großen Gegner zu Fall bringt. Nach Hause zurückgekehrt, wird ihm der Zutritt zu seinem Büro versperrt, seine Kreditkarte vom Automaten eingezogen, vom Bankcomputer wird er für tot erklärt und in seiner leeren Wohnung von einer Aufforderung Sonjas empfangen, gekritzelt auf einen Zettel: "Räume Deine Sachen bis Ende des Monats aus der Wohnung, am 1. April ziehen neue Mieter ein."
Ein Albtraum von Mobbing und also ein Kriminalsujet moderneren Zuschnitts? Der Held ohne Identität, die von eifersüchtigen Kollegen oder der raffinierten Ehefrau zugewiesene Amnesie, unvermeidlich gestützt von der Bürokratie. So weit fühlt sich der Liebhaber noch im Genre heimisch. Aber da stolpert er auch schon über die unlogischen Elemente: Warum paßt der Schlüssel zur Wohnung, warum richtet sich Sonjas Zettel an ihn, warum überläßt ihm ein drittes Kreditinstitut die Hälfte aus dem gemeinschaftlichen Konto, wenn doch die englische Gedenktafel nachweislich alt ist und die dortigen Presseberichte seinen Unfalltod vor einem Jahr dokumentieren? Welches Motiv hat Sonja, sich aus der so intensiv erotisch gestimmten Liebesbeziehung abzusetzen? Und schließlich, warum sucht er keine Zeugen auf, um seine Identität zu beweisen?
In klarer, schnörkelloser Sprache führt uns der Autor, der Schweizer Rechtsanwalt und Notar Peter Mathys, mit seinem Erstlingsroman in eine Crossword-puzzle-Kriminalgeschichte hinein. Aber die stilistischen Hinweise und der einsträngige Aufbau trügen. Denn die zunächst klar wirkenden Linien bleiben nur vermeintlich klar, und die Sache kippt immer dann, wenn der Leser meint, die Lösung gefunden zu haben. Der Roman wechselt seine Farbe, changiert zwischen Kriminalgeschichte und psychologischem Roman.
Bis kurz vor Ende des Romans bleibt dem in Sachen Renner Recherchierenden also verborgen, mit welchem Fall er es tatsächlich zu tun hat. Dabei folgt ihm der Leser durch die Schrecken des Liebesverlustes und der Ausgestoßenheit aus den normalen gesellschaftlichen Abläufen wie Arbeiten, Wohnen, Geldbezug und der Möglichkeit, sich auszuweisen, und erschließt sich mit ihm verborgene Milieus staubiger Advokatenkanzleien, schmieriger Kneipen, stinkender Hinterzimmer, in denen gefälschte Pässe wie andernorts die Genußgüter gehandelt werden.
Immer deutlicher steht all das mit der Welt der Hobbykünstler, der Kleinfamilie und dem vorherigen behaglichen Leben im Widerspruch. Aber im szenischen Aufbau wird der Spannungsbogen weiträumig geführt. Dem Helden fehlt jeder Rahmen, zu wissen, auf welche der zur Wahl stehenden Identitäten er sich beziehen und ob er sich mehr fürchten sollte vor der Vergangenheit, die man ihm weggenommen hat, oder vor der Zukunft, in der es ihn nicht mehr gibt. Das ist seine Not, und damit unterhält sich der Leser. So gut, daß er die Geschichte auch bald wieder vergißt. BARBARA S. BRUCKER
Peter Mathys: "In Sachen Renner". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 240 S., geb., 38,- DM.
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