Erst in den letzten 200 Jahren begann man, die Ehe als eine persönliche und private Beziehung zu sehen, die emotionale und sexuelle Wünsche erfüllen sollte. Sobald dies geschah, wurde freie Entscheidung die gesellschaftliche Norm der Partnerwahl, Liebe wurde der Hauptgrund zu heiraten, und als erfolgreich wurde die Ehe definiert, die den Bedürfnissen der Beteiligten entsprach. Doch diese Entwicklung hatte zur Folge, dass die Erwartungen an die Ehe immer größer wurden. Kaum hatte das Ideal der Liebesheirat über die Zweckgemeinschaft triumphiert, als das Recht auf Scheidung gefordert wurde, falls die Liebe verging. Die renommierte Familienhistorikerin Stephanie Coontz zeigt, wie wenig wir über die Geschichte der Institution Ehe wissen und wie erhellend eine Beschäftigung mit der Vergangenheit für die Zukunft unserer Paarbeziehungen sein kann.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2007Arm voll Wollust
Stephanie Coontz erzählt eine Geschichte der Ehe
Die kritische Phase jeder Ehe ist das Frühstück. Dass das noch zerknautschte und zerzauste Etwas des anderen Geschlechts, das einer da im Bademantel gegenübersitzt, seit jeher und auf immer eigens für diese bestimmt war und ist, erscheint tief zweifelhaft, und zweifelhafter noch, insofern das hartgekochte Ei auch heute morgen wieder weich ist.
So enttäuscht kann allerdings nur werden, wer von der Ehe zweierlei erwartet: Liebe und Versorgung. Diese Voraussetzung ist, so Stephanie Coontz in ihrer gründlichen Geschichte der Ehe, weder natürlich noch selbstverständlich. Erst seit zweihundert Jahren ist sie normal geworden. Und normal eben als Erwartung eher denn als Erfüllung.
Schon Lieben und Versorgen reimen sich ja nicht. Liebe, als Passion, will vom Geliebten fasziniert sein, verführt durchs Unberechenbare, während Leistungen von Versorgern pünktlich auf dem Tisch zu stehen oder auf dem Konto einzutreffen haben. Beides, Liebe und Versorgung, in ein und derselben Institution Ehe kombinieren zu wollen, wie die Moderne es unternahm, ist nicht wenig abenteuerlich.
Ein Abenteuer für Feige
Umsichtig bedenkt Stephanie Coontz Gewinn und Verlust der modernen Liebes- und Versorgungsehe. Je mehr von der Ehe erwartet wird, desto brüchiger wird sie. Aber dies Brüchige indiziert nicht bloß institutionellen Zerfall, sondern auch individuelle Freiheit.
Ihre Bilanz entfaltet Coontz ohne unangemessenen Tiefsinn. Hegel kommt bei ihr nicht vor, wohl aber Hugh Hefner. Dieser dürfte für die Wirklichkeit der Ehe, in ihrer umfassenden Banalität, historisch wahrhaft die bedeutsamere Figur sein.
Coontz interessiert sich für Scheckbuch und Mitgift, für Lockenwickler und Vibratoren, für Tanzstunden und fürs Geschirrspülen. Denn in ihnen machten oder machen Eheleute gegen alle Wahrscheinlichkeit ihre Einsätze bis zum rien ne va plus; Voltaire sah in der Ehe das einzige Abenteuer, das den Feigen offensteht.
Stephanie Coontz’ Buch über das Abenteuer gesellschaftlicher Normalität wäre – hätte es denn einen fähigen Übersetzer gefunden („sie war wirklich einer der schönsten kleinen Arm voll weiblicher Wollust, auf denen ich jemals lag”, analphabetisiert Wolfdietrich Müller, immerhin erheiternd) – Unverheirateten wie Verheirateten zu empfehlen gewesen. Jenen als gelinde Warnung, mit Hoffnungsschimmer am Horizont. Diesen als Anleitung, ihre Lage zu erkennen. So sie solche Hilfe denn nötig haben. Liebe macht blind, sagen das Sprichwort und Sigmund Freud. Aber die Ehe tut einiges, die Sehkraft zu restituieren. Schon beim Frühstück. ANDREAS DORSCHEL
STEPHANIE COONTZ: In schlechten wie in guten Tagen. Die Ehe – eine Liebesgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Wolfdietrich Müller. Gustav Lübbe Verlag, Berlin 2006. 573 Seiten, 26,95 Euro.
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Stephanie Coontz erzählt eine Geschichte der Ehe
Die kritische Phase jeder Ehe ist das Frühstück. Dass das noch zerknautschte und zerzauste Etwas des anderen Geschlechts, das einer da im Bademantel gegenübersitzt, seit jeher und auf immer eigens für diese bestimmt war und ist, erscheint tief zweifelhaft, und zweifelhafter noch, insofern das hartgekochte Ei auch heute morgen wieder weich ist.
So enttäuscht kann allerdings nur werden, wer von der Ehe zweierlei erwartet: Liebe und Versorgung. Diese Voraussetzung ist, so Stephanie Coontz in ihrer gründlichen Geschichte der Ehe, weder natürlich noch selbstverständlich. Erst seit zweihundert Jahren ist sie normal geworden. Und normal eben als Erwartung eher denn als Erfüllung.
Schon Lieben und Versorgen reimen sich ja nicht. Liebe, als Passion, will vom Geliebten fasziniert sein, verführt durchs Unberechenbare, während Leistungen von Versorgern pünktlich auf dem Tisch zu stehen oder auf dem Konto einzutreffen haben. Beides, Liebe und Versorgung, in ein und derselben Institution Ehe kombinieren zu wollen, wie die Moderne es unternahm, ist nicht wenig abenteuerlich.
Ein Abenteuer für Feige
Umsichtig bedenkt Stephanie Coontz Gewinn und Verlust der modernen Liebes- und Versorgungsehe. Je mehr von der Ehe erwartet wird, desto brüchiger wird sie. Aber dies Brüchige indiziert nicht bloß institutionellen Zerfall, sondern auch individuelle Freiheit.
Ihre Bilanz entfaltet Coontz ohne unangemessenen Tiefsinn. Hegel kommt bei ihr nicht vor, wohl aber Hugh Hefner. Dieser dürfte für die Wirklichkeit der Ehe, in ihrer umfassenden Banalität, historisch wahrhaft die bedeutsamere Figur sein.
Coontz interessiert sich für Scheckbuch und Mitgift, für Lockenwickler und Vibratoren, für Tanzstunden und fürs Geschirrspülen. Denn in ihnen machten oder machen Eheleute gegen alle Wahrscheinlichkeit ihre Einsätze bis zum rien ne va plus; Voltaire sah in der Ehe das einzige Abenteuer, das den Feigen offensteht.
Stephanie Coontz’ Buch über das Abenteuer gesellschaftlicher Normalität wäre – hätte es denn einen fähigen Übersetzer gefunden („sie war wirklich einer der schönsten kleinen Arm voll weiblicher Wollust, auf denen ich jemals lag”, analphabetisiert Wolfdietrich Müller, immerhin erheiternd) – Unverheirateten wie Verheirateten zu empfehlen gewesen. Jenen als gelinde Warnung, mit Hoffnungsschimmer am Horizont. Diesen als Anleitung, ihre Lage zu erkennen. So sie solche Hilfe denn nötig haben. Liebe macht blind, sagen das Sprichwort und Sigmund Freud. Aber die Ehe tut einiges, die Sehkraft zu restituieren. Schon beim Frühstück. ANDREAS DORSCHEL
STEPHANIE COONTZ: In schlechten wie in guten Tagen. Die Ehe – eine Liebesgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Wolfdietrich Müller. Gustav Lübbe Verlag, Berlin 2006. 573 Seiten, 26,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Noch weniger als die Ehe sei dieses Buch zu empfehlen, kennt Rezensent Andreas Dorschel keine Gnade, obwohl er nur die Übersetzung untragbar findet, nicht den "umsichtigen" und anregungsreichen Text der Autorin. "Gründlich" zudem sei Stephanie Coontz' Studie von den Gewinnen und Verlusten der modernen Ehe und dennoch frei von falschem Tiefsinn, beispielsweise Hegelschen Sentenzen. Voltaire habe viel unterhaltsamer vom einzigen Abenteuer für Feige gesprochen. Das Kernproblem für unverbesserlich Hoffnungsvolle bestehe der Autorin zufolge darin, dass seit etwa zweihundert Jahren sowohl Liebe als auch Versorgung von der Ehe erwartet werde, also eine Art Contradictio in Adjecto. Die Liebe möge vielleicht blind machen, formuliert der Rezensent seine eigene Botschaft zum Thema, die Ehe begehe diesen Fehler mit Sicherheit nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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