Eine Welt des Scheins oder : Der absolute Ausschluss absoluter Wahrheiten
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist der Titel des siebenbändigen Hauptwerks Marcel Prousts (1871-1922), das von „In Swanns Welt“ eingeleitet wird.
„In Swanns Welt“ lebt weniger von der Entwicklung einer
Romanhandlung hin zu einem bestimmten erzählerischen Höhepunkt, sondern vielmehr aus einem…mehrEine Welt des Scheins oder : Der absolute Ausschluss absoluter Wahrheiten
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist der Titel des siebenbändigen Hauptwerks Marcel Prousts (1871-1922), das von „In Swanns Welt“ eingeleitet wird.
„In Swanns Welt“ lebt weniger von der Entwicklung einer Romanhandlung hin zu einem bestimmten erzählerischen Höhepunkt, sondern vielmehr aus einem außerordentlich intensiven Wandern zwischen Bildern der Erinnerung, nämlich in einer Rückblende wachgerufener Eindrücke aus Kindheit (Teil 1: Combray), Jugend (Teil 3: Ortsnamen; Namen überhaupt) und Erwachsenenalter (Teil 2: Eine Liebe von Swann) der Protagonisten.
Die Subjektivität und Individualität von Wahrnehmungen und Empfindungen beleuchten diese Welt in einem jeweils einzigartigen, unwiederholbaren und unvermeidlich individuellen Schein. Das Individuum erlebt diesen individuellen „Schein“ als Wahrheit, die für andere Beobachter häufig fremdartig wirkt und nicht nachvollziehbar ist. Die Existenz allgemeinverbindlicher, absoluter Wahrheiten ist nach dieser Erkenntnis völlig ausgeschlossen.
Die Frage stellt sich, welches (absolute) Sein von dieser Welt wohl übrigbliebe, entfernte man den (nur individuell als existent empfundenen) Schein.
Immer wieder löst sich Marcel Proust aus der -nur formalen- romanhaften Darstellungsform. Dann gewinnt sein Werk den Charakter des tiefgründigen philosophischen Essais. Ihn bewegt die offenbare Individualität und Subjektivität jeder Wahrnehmung, die in ihrer -als traurig empfundenen- Flüchtigkeit selbst das wahrnehmende Individuum in späteren zeitlichen oder räumlichen Zusammenhängen und Umständen kaum mehr zum Leben wiedererwecken kann. Nur die Erinnerung an die gewesene Empfindung bleibt.
Schon aber zum Zeitpunkt einer Wahrnehmung oder Empfindung fallen äußerlicher Eindruck und sprachlicher Ausdruck mehr oder weniger stark auseinander. Inwieweit können Empfindungen tatsächlich sprachlich ausgedrückt werden? Immer wieder (insbesondere in den sprachphilosophischen Abschnitten) wird deutlich, dass den Autor das Problem des Auseinanderfallens von Empfindung und Ausdrucksfähigkeit stark bewegt hat.
Marcel Proust bemüht sich um eine höchst präzise sprachliche Darstellung seiner Gedanken und Eindrücke - und doch scheint gerade er deutlich zu spüren, wie bei aller -geradezu verzweifelten- Anstrengung nur eine sprachliche Annäherung an einen nie ganz erreichbaren Grenzwert möglich ist, letztlich also immer eine sprachliche Lücke zu dem idealerweise Auszudrückenden verbleibt.
Seine scharfe Beobachtungsgabe und seine phänomenale Ausdrucksfähigkeit führen zur Ausbildung höchst komplexer, vielschichtiger Satzbauwerke, die sich erst durch mehrfaches Lesen schichtweise erschließen lassen, um dann aber auch ihre ganze Gedankendichte und Ausdruckskraft zu entfalten.