In the Beauty of the Lilies begins in 1910 and traces God s relation to four generations of American seekers, beginning with Clarence Wilmot, a clergyman in Paterson, New Jersey. He loses his faith but finds solace at the movies, respite from the bleak facts of life, his life, gutted by God s withdrawal. His son, Teddy, becomes a mailman who retreats from American exceptionalism, religious and otherwise, into a life of studied ordinariness. Teddy has a daughter, Esther, who becomes a movie star, an object of worship, an All-American goddess. Her neglected son, Clark, is possessed of a native Christian fervor that brings the story full circle: in the late 1980s he joins a Colorado sect called the Temple, a handful of God s elect hastening the day of reckoning. In following the Wilmots collective search for transcendence, John Updike pulls one wandering thread from the tapestry of the American Century and writes perhaps the greatest of his later novels.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.1998Moderne im Rückspiegel
John Updikes amerikanisches Jahrhundert · Von Florian Illies
John Updikes Leser brauchen ein langes Gedächnis. So müssen sie sich siebenhundert Seiten lang den Umstand merken, daß sich Reverend Clarence Wilmot anno 1910 mitunter die Zähne mit Baking Soda putzt - sonst entginge ihnen das pikante Detail, daß sein Urenkel Clark es ihm rund achtzig Jahre später gleichtut. Und zwar just in jenem Moment, als er mit seinem Eintritt in eine christliche Sekte die familiäre Heilsgeschichte scheinbar doch noch zu einem guten Ende führt. Clark trinkt aber nicht nur aus demselben Zahnputzbecherchen, er leert auch denselben Kelch. Schmerzvoll betrachtet Pfarrer Wilmot in jenem dramatischen Moment, als er für immer vom Glauben abfällt (er hatte zuviel Nietzsche gelesen), den Stich über seinem Ehebett, der Jesus bei seinem Flehen zeigt, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen.
Achtzig Jahre später wird sein Urenkel dasselbe Gefäß mit ungleich größerer Euphorie zur Hand nehmen: "Der Kelch mit dem Zorn Gottes wird euch guttun", sagt Jesse, der wahnsinnige Sektenguru, als er Clark und seine Mannen mit sich in den Tod reißt. Wer als Romancier Kreise zieht, die sich so elegant schließen, muß den Bleistift zeitweise mit dem Zirkel vertauscht haben.
Vielleicht hat John Updike noch nie einen seiner Romane einem derart konstruierten Gefüge unterworfen wie "Gott und die Wilmots", der im Original noch die schöne Verszeile "In the Beauty of the Lilies" im Titel trägt. Leider hat man bei der Erfindung des deutschen Titels die religiöse Symbolik des Originals verschluckt, doch in seiner Trivialität paßt er sich so dem tristen Einband an, der einen neuen Tiefpunkt der Rowohltschen Umschlaggestaltung markiert.
Updikes monumentaler Roman versucht eine Geschichte Amerikas in 4 1/2 Kapiteln. Sie beginnt mit dem Bericht darüber, daß eines schönen Frühlingsnachmittages im Jahre 1910 besagtem Reverend Wilmot plötzlich der Glauben abhanden kommt wie anderen Leuten ein Stock oder Hut. Er muß seinen Beruf aufgeben, die Familie steigt die soziale Leiter herab, am Ende verkauft er wieder eine ewige Wahrheit an die Menschen in einer Kleinstadt in New Jersey, diesmal in Form eines neuen Lexikons. Doch in diesem Buch wollen alle nur Träume kaufen, keine Welterklärungen. So verkümmert Wilmot und verbringt seine trostlosen Nachmittage im Kino. Nach zweihundert Seiten kommt dann die erste Zäsur des Romans, und es ist mit jedem der vier großen Kapitel zunächst wie mit einem neugeborenen Kälbchen, das sich nur mühsam auf den eigenen Beinen halten kann.
Doch nach dreißig, vierzig Seiten hat sich auch Teddy hochgerappelt, der Sohn des gefallenen Pfarrers, der Gott nicht vergibt, seinem Vater kein Zeichen seiner Existenz gegeben zu haben. Er sammelt trotzig Briefmarken und wird dann später Briefträger (so konsequent agiert das Schicksal in diesem Roman). Mit Frau und Kindern führt er eine introvertierte Kleinstadtexistenz. Tochter Essie wird zur Hauptfigur des dritten Teils. Sie hat den Hader ihres Vaters und die Verzweiflung ihres Großvaters überwunden und ist sich sicher, daß Gott sie liebhat. Liebhaben muß. Doch ist er nicht der einzige. Nach einer Mißwahl und ein paar Nacktfotos wird sie unter dem Künstlernamen Alma de Mott zu einer gefeierten Hollywood-Diva im Amerika der Nachkriegszeit, Verhältnisse mit Gary Cooper und Clark Gable inklusive.
Als sie längst zu einem Fossil des Kinos geworden ist, das nur für Kurzauftritte in Seifenopern aus seiner Höhle kriecht, tritt ihr Sohn Clark auf den Plan, der vom Leben als reicher Erbe und den Nächten in Los Angeles übersättigt ist und sein Heil in einer asketischen Sekte sucht, die dann in einem spektakulären Showdown ihr Ende in einem Feuerinferno findet. Updike läßt Clark trotz seines Heldentodes zwar nicht in die Geschichte, aber immerhin in die Abendnachrichten eingehen, weil dieser in den Filmen seiner Mutter gelernt hatte, daß immer zuerst die Bösen zu töten und die Frauen und Kinder zu retten sind, bevor man den Tod sucht. Unter den Kindern, die er vor dem Flammentod rettete, könnte auch sein eigener Nachwuchs sein, denn die Verhältnisse in der Sekte waren etwas unübersichtlich. Doch Updike läßt der russischen Matrjoschka seines Romans nicht noch eine Geschichte entschlüpfen.
Er hängt vielmehr ein winziges Nachwort an, eine Seite nur, die zugleich den Schlüssel dafür in sich trägt, warum dieser große Entwurf eines amerikanischen Jahrhundertromans am Ende nicht aufgeht: Weil Updike zu sehr darum bemüht war, einen amerikanischen Jahrhundertroman zu schreiben. Gut dreißig Sachbücher listet Updike auf der letzten Seite auf, die die Geschichte der Wirtschaft, des Kinos und des Sektenkultes in Amerika behandeln und die für ihn bei der Abfassung "nützlich" waren. Es ist nun keineswegs so, daß der Leser von dieser Mitteilung überrascht wird. Während des gesamten Buches war Updikes Zettelkasten dem Romancier permanent ins Wort gefallen.
Immer wieder schoben sich überflüssige Details, die das Romangeschehen zeitlich verorten sollten, vorwitzig nach vorne, meist nur notdürftig mit der Handlung zusammengeflickt. Wenn ein Haus errichtet wurde "in einer Bauweise, die typisch für Delaware ist", dann klingt das eher nach jener Volksenzyklopädie, die der ehemalige Reverend Wilmot verkauft als nach dem großen Autor der "Rabbit"-Romane. Und wenn er mit dem Hinweis aufwartet, "die Papiere waren alle adrett mit der Maschine beschrieben wie in den meisten modernen Büros", um zu zeigen, daß man sich im Zeitalter der Schreibmaschine befindet, dann spürt man, welche sprachlichen Klimmzüge dieses Erinnern an eine vergangene Moderne dem Autor an seinem Laptop abverlangte.
Es ist das große Problem dieses Romans, daß er Geschichte nicht aus sich selbst heraus entstehen läßt, sondern mühsam rekonstruiert. Immer wieder muß eine der Romangestalten Zeitung lesen oder Nachrichten schauen, damit Updike unvermittelt Baseballergebnisse aus dem Jahr 1927 oder 1987 einstreuen, Hinweise auf Roosevelt und Saddam Hussein unterbringen oder auf enervierende Weise Filmtitel über die Seiten verstreuen kann. Hier kennt sich einer aus - so soll man wohl denken. Man denkt jedoch: Hier will jemand zeigen, daß er sich auskennt. So kommt es, daß Updike, der wie kein anderer die Nuancen und Abgründe der amerikanischen Mittelklasse-Seelen in seinen Romanen erfaßte und mit einer genauen, souveränen Prosa beschrieb, merkwürdig unsicher wirkt.
Immer wenn er sich von dem engen Korsett seiner Romankonstruktion löst, wenn er seine Figuren plaudern läßt über das Leben und das Lebenlassen, über das Gewinnen und Verlieren und, wie so oft, wenn es um Liebe geht, dann ist Updike bezwingend. Doch leider wird der Menschenbeobachter und Stilist in diesem Band wiederum selbst bezwungen: War es in "Brasilien", seinem letzten in Deutschland erschienenen Roman, noch die Übermacht des Sexus, die ihm die Sprache verschlug, so ist es nun die Historie, die ihn zu Boden drückt.
Updike ist der große Meister der kleinen Beobachtung, der in einem kurzen Selbstgespräch vor dem Badezimmerspiegel das ganze Amerika der sechziger Jahre darstellen kann. Nun jedoch hat er sich ans ganz Große gewagt und anhand einer Familiengeschichte versucht, das Ende der Religion in Amerika mit dem Beginn des Kinokultes kurzzuschließen. Updike, der Mann, der ins Tenorfach wechselt.
Es gibt eine Szene in diesem Roman, den Maria Carlsson sehr angenehm ins Deutsche übersetzt hat, der den Charakter des ganzen Werkes deutlich hervortreten läßt. Als Alma, die gealterte Filmdiva, im Autoradio vom Tod ihres Sohnes beim Sektenmassaker hört, ist sie verstört, "aber sie war sich nicht sicher, ob ihre Reaktion ehrlich war, sie überprüfte ihr Gesicht im Rückspiegel, ob sie wie eine Schauspielerin aussah". In dieser schönen Beschreibung versteckt sich zugleich auch Updikes literarisches Verfahren.
Die zeitliche Nähe des Massenselbstmords der Davidianer- Sekte in Waco/Texas (deren Geschichte zu Updikes "nützlichen Büchern" gehört) zur Entstehung seines Romans ist so frappierend, daß man davon ausgehen kann, daß er ihn vom bösen Ende her konstruiert hat. So wirken die Wilmots dann auch nie wie die amerikanischen Verwandten der Buddenbrooks - weil ihre Geschichte eben nicht aus ihrer Zeit heraus erzählt, sondern nur rückblickend illustriert wird. Das kommt davon, wenn man den Badezimmerspiegel mit dem Rückspiegel vertauscht.
John Updike: "Gott und die Wilmots". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 735 Seiten, geb., 45,- DM.
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John Updikes amerikanisches Jahrhundert · Von Florian Illies
John Updikes Leser brauchen ein langes Gedächnis. So müssen sie sich siebenhundert Seiten lang den Umstand merken, daß sich Reverend Clarence Wilmot anno 1910 mitunter die Zähne mit Baking Soda putzt - sonst entginge ihnen das pikante Detail, daß sein Urenkel Clark es ihm rund achtzig Jahre später gleichtut. Und zwar just in jenem Moment, als er mit seinem Eintritt in eine christliche Sekte die familiäre Heilsgeschichte scheinbar doch noch zu einem guten Ende führt. Clark trinkt aber nicht nur aus demselben Zahnputzbecherchen, er leert auch denselben Kelch. Schmerzvoll betrachtet Pfarrer Wilmot in jenem dramatischen Moment, als er für immer vom Glauben abfällt (er hatte zuviel Nietzsche gelesen), den Stich über seinem Ehebett, der Jesus bei seinem Flehen zeigt, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen.
Achtzig Jahre später wird sein Urenkel dasselbe Gefäß mit ungleich größerer Euphorie zur Hand nehmen: "Der Kelch mit dem Zorn Gottes wird euch guttun", sagt Jesse, der wahnsinnige Sektenguru, als er Clark und seine Mannen mit sich in den Tod reißt. Wer als Romancier Kreise zieht, die sich so elegant schließen, muß den Bleistift zeitweise mit dem Zirkel vertauscht haben.
Vielleicht hat John Updike noch nie einen seiner Romane einem derart konstruierten Gefüge unterworfen wie "Gott und die Wilmots", der im Original noch die schöne Verszeile "In the Beauty of the Lilies" im Titel trägt. Leider hat man bei der Erfindung des deutschen Titels die religiöse Symbolik des Originals verschluckt, doch in seiner Trivialität paßt er sich so dem tristen Einband an, der einen neuen Tiefpunkt der Rowohltschen Umschlaggestaltung markiert.
Updikes monumentaler Roman versucht eine Geschichte Amerikas in 4 1/2 Kapiteln. Sie beginnt mit dem Bericht darüber, daß eines schönen Frühlingsnachmittages im Jahre 1910 besagtem Reverend Wilmot plötzlich der Glauben abhanden kommt wie anderen Leuten ein Stock oder Hut. Er muß seinen Beruf aufgeben, die Familie steigt die soziale Leiter herab, am Ende verkauft er wieder eine ewige Wahrheit an die Menschen in einer Kleinstadt in New Jersey, diesmal in Form eines neuen Lexikons. Doch in diesem Buch wollen alle nur Träume kaufen, keine Welterklärungen. So verkümmert Wilmot und verbringt seine trostlosen Nachmittage im Kino. Nach zweihundert Seiten kommt dann die erste Zäsur des Romans, und es ist mit jedem der vier großen Kapitel zunächst wie mit einem neugeborenen Kälbchen, das sich nur mühsam auf den eigenen Beinen halten kann.
Doch nach dreißig, vierzig Seiten hat sich auch Teddy hochgerappelt, der Sohn des gefallenen Pfarrers, der Gott nicht vergibt, seinem Vater kein Zeichen seiner Existenz gegeben zu haben. Er sammelt trotzig Briefmarken und wird dann später Briefträger (so konsequent agiert das Schicksal in diesem Roman). Mit Frau und Kindern führt er eine introvertierte Kleinstadtexistenz. Tochter Essie wird zur Hauptfigur des dritten Teils. Sie hat den Hader ihres Vaters und die Verzweiflung ihres Großvaters überwunden und ist sich sicher, daß Gott sie liebhat. Liebhaben muß. Doch ist er nicht der einzige. Nach einer Mißwahl und ein paar Nacktfotos wird sie unter dem Künstlernamen Alma de Mott zu einer gefeierten Hollywood-Diva im Amerika der Nachkriegszeit, Verhältnisse mit Gary Cooper und Clark Gable inklusive.
Als sie längst zu einem Fossil des Kinos geworden ist, das nur für Kurzauftritte in Seifenopern aus seiner Höhle kriecht, tritt ihr Sohn Clark auf den Plan, der vom Leben als reicher Erbe und den Nächten in Los Angeles übersättigt ist und sein Heil in einer asketischen Sekte sucht, die dann in einem spektakulären Showdown ihr Ende in einem Feuerinferno findet. Updike läßt Clark trotz seines Heldentodes zwar nicht in die Geschichte, aber immerhin in die Abendnachrichten eingehen, weil dieser in den Filmen seiner Mutter gelernt hatte, daß immer zuerst die Bösen zu töten und die Frauen und Kinder zu retten sind, bevor man den Tod sucht. Unter den Kindern, die er vor dem Flammentod rettete, könnte auch sein eigener Nachwuchs sein, denn die Verhältnisse in der Sekte waren etwas unübersichtlich. Doch Updike läßt der russischen Matrjoschka seines Romans nicht noch eine Geschichte entschlüpfen.
Er hängt vielmehr ein winziges Nachwort an, eine Seite nur, die zugleich den Schlüssel dafür in sich trägt, warum dieser große Entwurf eines amerikanischen Jahrhundertromans am Ende nicht aufgeht: Weil Updike zu sehr darum bemüht war, einen amerikanischen Jahrhundertroman zu schreiben. Gut dreißig Sachbücher listet Updike auf der letzten Seite auf, die die Geschichte der Wirtschaft, des Kinos und des Sektenkultes in Amerika behandeln und die für ihn bei der Abfassung "nützlich" waren. Es ist nun keineswegs so, daß der Leser von dieser Mitteilung überrascht wird. Während des gesamten Buches war Updikes Zettelkasten dem Romancier permanent ins Wort gefallen.
Immer wieder schoben sich überflüssige Details, die das Romangeschehen zeitlich verorten sollten, vorwitzig nach vorne, meist nur notdürftig mit der Handlung zusammengeflickt. Wenn ein Haus errichtet wurde "in einer Bauweise, die typisch für Delaware ist", dann klingt das eher nach jener Volksenzyklopädie, die der ehemalige Reverend Wilmot verkauft als nach dem großen Autor der "Rabbit"-Romane. Und wenn er mit dem Hinweis aufwartet, "die Papiere waren alle adrett mit der Maschine beschrieben wie in den meisten modernen Büros", um zu zeigen, daß man sich im Zeitalter der Schreibmaschine befindet, dann spürt man, welche sprachlichen Klimmzüge dieses Erinnern an eine vergangene Moderne dem Autor an seinem Laptop abverlangte.
Es ist das große Problem dieses Romans, daß er Geschichte nicht aus sich selbst heraus entstehen läßt, sondern mühsam rekonstruiert. Immer wieder muß eine der Romangestalten Zeitung lesen oder Nachrichten schauen, damit Updike unvermittelt Baseballergebnisse aus dem Jahr 1927 oder 1987 einstreuen, Hinweise auf Roosevelt und Saddam Hussein unterbringen oder auf enervierende Weise Filmtitel über die Seiten verstreuen kann. Hier kennt sich einer aus - so soll man wohl denken. Man denkt jedoch: Hier will jemand zeigen, daß er sich auskennt. So kommt es, daß Updike, der wie kein anderer die Nuancen und Abgründe der amerikanischen Mittelklasse-Seelen in seinen Romanen erfaßte und mit einer genauen, souveränen Prosa beschrieb, merkwürdig unsicher wirkt.
Immer wenn er sich von dem engen Korsett seiner Romankonstruktion löst, wenn er seine Figuren plaudern läßt über das Leben und das Lebenlassen, über das Gewinnen und Verlieren und, wie so oft, wenn es um Liebe geht, dann ist Updike bezwingend. Doch leider wird der Menschenbeobachter und Stilist in diesem Band wiederum selbst bezwungen: War es in "Brasilien", seinem letzten in Deutschland erschienenen Roman, noch die Übermacht des Sexus, die ihm die Sprache verschlug, so ist es nun die Historie, die ihn zu Boden drückt.
Updike ist der große Meister der kleinen Beobachtung, der in einem kurzen Selbstgespräch vor dem Badezimmerspiegel das ganze Amerika der sechziger Jahre darstellen kann. Nun jedoch hat er sich ans ganz Große gewagt und anhand einer Familiengeschichte versucht, das Ende der Religion in Amerika mit dem Beginn des Kinokultes kurzzuschließen. Updike, der Mann, der ins Tenorfach wechselt.
Es gibt eine Szene in diesem Roman, den Maria Carlsson sehr angenehm ins Deutsche übersetzt hat, der den Charakter des ganzen Werkes deutlich hervortreten läßt. Als Alma, die gealterte Filmdiva, im Autoradio vom Tod ihres Sohnes beim Sektenmassaker hört, ist sie verstört, "aber sie war sich nicht sicher, ob ihre Reaktion ehrlich war, sie überprüfte ihr Gesicht im Rückspiegel, ob sie wie eine Schauspielerin aussah". In dieser schönen Beschreibung versteckt sich zugleich auch Updikes literarisches Verfahren.
Die zeitliche Nähe des Massenselbstmords der Davidianer- Sekte in Waco/Texas (deren Geschichte zu Updikes "nützlichen Büchern" gehört) zur Entstehung seines Romans ist so frappierend, daß man davon ausgehen kann, daß er ihn vom bösen Ende her konstruiert hat. So wirken die Wilmots dann auch nie wie die amerikanischen Verwandten der Buddenbrooks - weil ihre Geschichte eben nicht aus ihrer Zeit heraus erzählt, sondern nur rückblickend illustriert wird. Das kommt davon, wenn man den Badezimmerspiegel mit dem Rückspiegel vertauscht.
John Updike: "Gott und die Wilmots". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 735 Seiten, geb., 45,- DM.
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