Produktdetails
  • Verlag: Penguin
  • ISBN-13: 9780141030449
  • Artikelnr.: 21625044
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2007

Wenn Gaddafi den Schalter umlegt
Libyen von innen: Hisham Matars Roman „Im Land der Männer”
Die Menge johlt, als der Gehenkte am Strick noch einen Moment lang wie ein Fisch in der Luft zappelt. Schon ist sie nicht mehr zu bändigen, stürmt das Stadion, Einzelne klammern sich dem Verräter an die Füße, doch ihre Wirkung entfaltet diese Hinrichtungsszene, die zugleich Schlüsselszene von Hisham Matars Libyen-Roman „Im Land der Männer” ist, erst in der unheimlichen Stille, die ihr folgt. Wie abwesend starren Musa, der politisch Verbündete des Opfers, Najwa, die Nachbarin, und Sluma, ihr neunjähriger Sohn und zugleich Erzähler des Romans, auf den Bildschirm, auf dem jetzt nur noch das Standbild einer rosafarbenen Blume zu sehen ist – Anzeichen dafür, dass der Große Revolutionsführer Gaddafi genug gesehen und den Schalter umgelegt hat, mit dem er Übertragungen nach Gutdünken unterbrechen kann. Es ist diese fassungslose Schockstarre der Intellektuellen im Libyen der siebziger Jahre, in dem Gaddafi gleichsam den Schalter umlegt, das er gleichschaltet, welche Matar mit Gespür für die Zwischentöne aufzeichnet. Trotz rasender Mobs, Folter und Hinrichtungen ist sein Libyen ein Land im Flüsterton.
Da ist nicht nur die unheimliche Stille des absurd harmlosen Standbilds, das eingeblendet wird, wenn ein „Verräter” bei einem öffentlichen Verhör die falsche Antwort gibt, so lange, bis er zur richtigen geprügelt worden ist. Da ist der Sprecher im Hintergrund, der dem Kameramann Weisungen für die Inszenierung des Schreckens zuraunt, leise, bestimmt und für das Fernsehpublikum doch zu hören. Da sind die Stimmen der anderen in der überwachten Telefonleitung. Es sind die Stimmen der Einflüsterer eines Überwachungsstaates, die gerade deshalb so unheimlich sind, weil sie sich vom unterdrückten Flüstern der Geschundenen und Verfolgten kaum unterscheiden. Und da ist die zurückgehaltene Stimme des Erzählers selbst, der sich Jahre später an den Jungen von neun Jahren zu erinnern versucht, welcher er in den Revolutionswirren war, die Stimme eines Erzählers, der in sich hineinhorcht und sich alles Laute verbietet.
„Im Land der Männer” ist ein stilles Buch über eine lärmende Zeit. Dass Matar die Revolution dabei aus der Perspektive eines Neunjährigen beschreibt, ist ein Glücksfall. Denn Slumas Perspektive ist unsere: Begriffsstutzig stehen wir wie er den Geschehnissen gegenüber, bevor uns wie ihn die Ahnung um den Terror beschleicht. So versteht er nicht recht, warum das weiße Auto den freundlichen Professor von gegenüber abholt und hofft, wie der Leser, es möge eine Verwechslung sein – bis die Hinrichtung alle Illusionen zerstört, seine, unsere, die einer ganzen Generation libyscher Studenten, die von mehr Demokratie träumen.
Zugleich verstört diese Perspektive, denn sie zeigt eine irritierende Parallelität der Grausamkeiten. Während Libyen unter der Gewalt der Revolutionsgarden erzittert, erschrickt Sluma über die eigene Grausamkeit: die Bedenkenlosigkeit, mit der er den verwaisten Nachbarsjungen verhöhnt, den Steinwurf auf einen behinderten Freund, seine Gleichgültigkeit einem ertrinkenden Bettler gegenüber. Gewiss, dies ist die Grausamkeit von Kindern. Und doch verstört sie, zeigt sie doch, dass die Grausamkeit der Folterer sich nur graduell von der des Alltags unterscheidet.
Matar zeigt uns einen Jungen, innerlich zerrissen wie sein Land. Wenn dieser, anders etwa als Salman Rushdies Saleem Sinai in „Mitternachtskinder”, dennoch nicht recht zum Symbol seines Landes taugt, dann liegt das daran, dass Matar sich sowohl dem grand récit als auch der flamboyanten Metaphorik, die Einzel- und Gemeinschaftsschicksal in eins setzt, verweigert. Matar, der selbst im Tripolis der Siebziger aufgewachsen ist und es mit diesem Buch auf die Shortlist des Man-Booker-Preises geschafft hat, ist kein schillernder Fabulierer wie Rushdie, eher ein zurückhaltender Chronist des Privaten wie J. M. Coetzee, der uns jedoch gerade durch die intime, unschuldige Perspektive die Schrecknisse eines Terrorregimes nachempfinden lässt, von dem wir so wenig wissen. Noch heute ist Libyen ein weißer – oder schwarzer – Fleck auf der Landkarte des öffentlichen Bewusstseins, ein Land, das man mit dem Lockerbie-Anschlag in Verbindung bringt und willkürlich verhängten Todesstrafen an bulgarischen Krankenschwestern. Dass dieses Libyen, das Libyen Gaddafis, nicht das Land der Libyer ist, ist eine einfache Wahrheit, an die Matars Roman ebenso nachdrücklich wie still erinnert.RALF HERTEL
HISHAM MATAR: Im Land der Männer. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Luchterhand, München 2007. 256 Seiten, 19,95 Euro.
Hisham Matar, 2006 nominiert für den Booker Prize Foto: AFP
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