Diese fünfzehn Stories erzählen verhalten, knapp und einfach von alltäglichen Menschen und Ereignissen, aber die Magie dieser scheinbar kunstlosen Sprache erschließt hinter der Oberfläche einen Bezirk menschlicher Erfahrungen, in dem nichts mehr alltäglich und gleichgültig ist: Einsamkeit, Vergeblichkeit und Mehrdeutigkeit des Daseins werden in diesen Geschichten bezwingend vergegenwärtigt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2014KRIEGSKLASSIKER
Ernest Hemingways
„In unserer Zeit“
Im Krieg sind Präzision und Schnelligkeit gefragt, nicht Schnörkel oder schöne Worte. Effektiv gilt es zu sein, und im Angesicht des Schreckens die berühmten Verhaltenslehren der Kälte zu befolgen. Der Mantel der Coolness lässt sich mit Ende des Kriegs freilich nicht einfach ablegen. Wie er die Überlebenden auf Jahre hinaus lähmt, davon erzählt Ernest Hemingway in „Fiesta“ und in vielen seiner Kurzgeschichten – die „short stories“, auch sie sind ein Produkt des Krieges, der in literarischer Hinsicht wie eine Schule der Verknappung gewirkt hat. Dabei gibt es noch eine Steigerung der „short story“, eine Art „shortest story“ oder Mikrogeschichte.
Die Rede ist von den sechzehn Erzählvignetten, die Hemingway den Kurzgeschichten seines ersten Bandes, „In unserer Zeit“ aus dem Jahr 1925, vorangestellt hat. Acht von ihnen haben den Ersten Weltkrieg zum Gegenstand; sie handeln davon, wie ein Soldat durch eine Verletzung außer Gefecht gesetzt wird, von einer Hinrichtung, einer Evakuierung, von Todesangst und vom Warten auf den Gegner. Es sind jeweils nur ein paar – ohnehin kurze – Sätze, die kaum in so etwas wie ein Pointe münden. Und doch sind sie in ihrer Lakonie extrem evokativ. Man riecht den Angstschweiß, hört den Regen auf die Planen der Flüchtlingswagen prasseln, bekommt mit einem betrunkenen Küchencorporal Lust auf Befehlsverweigerung.
Nirgends zeigt sich Hemingways stilbildende Meisterschaft, seine lyrische Kraft deutlicher. So kurz sind diese Schnappschüsse (mit Betonung auf „Schüsse“), dass hier genug Platz bleibt für einen von ihnen, die Nummer 3: „Wir waren in einem Garten in Mons. Der junge Buckley kam von jenseits des Flusses mit einer Patrouille zurück. Der erste Deutsche, den ich sah, kletterte über die Gartenmauer. Wir warteten, bis er ein Bein drüben hatte, dann knallten wir ihn ab. Er trug seine ganze Ausrüstung und sah schrecklich erstaunt aus und fiel hinunter in den Garten. Dann kamen noch drei über die Mauer weiter unten. Wir schossen sie ab. Sie kamen alle genauso.“
TOBIAS LEHMKUHL
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ernest Hemingways
„In unserer Zeit“
Im Krieg sind Präzision und Schnelligkeit gefragt, nicht Schnörkel oder schöne Worte. Effektiv gilt es zu sein, und im Angesicht des Schreckens die berühmten Verhaltenslehren der Kälte zu befolgen. Der Mantel der Coolness lässt sich mit Ende des Kriegs freilich nicht einfach ablegen. Wie er die Überlebenden auf Jahre hinaus lähmt, davon erzählt Ernest Hemingway in „Fiesta“ und in vielen seiner Kurzgeschichten – die „short stories“, auch sie sind ein Produkt des Krieges, der in literarischer Hinsicht wie eine Schule der Verknappung gewirkt hat. Dabei gibt es noch eine Steigerung der „short story“, eine Art „shortest story“ oder Mikrogeschichte.
Die Rede ist von den sechzehn Erzählvignetten, die Hemingway den Kurzgeschichten seines ersten Bandes, „In unserer Zeit“ aus dem Jahr 1925, vorangestellt hat. Acht von ihnen haben den Ersten Weltkrieg zum Gegenstand; sie handeln davon, wie ein Soldat durch eine Verletzung außer Gefecht gesetzt wird, von einer Hinrichtung, einer Evakuierung, von Todesangst und vom Warten auf den Gegner. Es sind jeweils nur ein paar – ohnehin kurze – Sätze, die kaum in so etwas wie ein Pointe münden. Und doch sind sie in ihrer Lakonie extrem evokativ. Man riecht den Angstschweiß, hört den Regen auf die Planen der Flüchtlingswagen prasseln, bekommt mit einem betrunkenen Küchencorporal Lust auf Befehlsverweigerung.
Nirgends zeigt sich Hemingways stilbildende Meisterschaft, seine lyrische Kraft deutlicher. So kurz sind diese Schnappschüsse (mit Betonung auf „Schüsse“), dass hier genug Platz bleibt für einen von ihnen, die Nummer 3: „Wir waren in einem Garten in Mons. Der junge Buckley kam von jenseits des Flusses mit einer Patrouille zurück. Der erste Deutsche, den ich sah, kletterte über die Gartenmauer. Wir warteten, bis er ein Bein drüben hatte, dann knallten wir ihn ab. Er trug seine ganze Ausrüstung und sah schrecklich erstaunt aus und fiel hinunter in den Garten. Dann kamen noch drei über die Mauer weiter unten. Wir schossen sie ab. Sie kamen alle genauso.“
TOBIAS LEHMKUHL
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