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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Hase & Koehler
  • Seitenzahl: 190
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 290g
  • ISBN-13: 9783775813716
  • Artikelnr.: 22477082
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.1998

Mit zu viel Zorn und Scham geschrieben
Die Wehrmacht auf dem Müllhaufen der Geschichte

August Graf von Kageneck: In Zorn und Scham. Ungesammelte Gedanken zum größten anzunehmenden Unfall unserer Geschichte. Mit einem Vorwort von Helge Hansen. v. Hase & Koehler Verlag, 1998. 192 Seiten, 32,- Mark.

Etwas schnoddrig stellt sich August Graf von Kageneck seinen Lesern vor: "Ich gehöre zur Kriegsgeneration. Zweiter Weltkrieg, versteht sich. Jahrgang 1922. Panzertruppe. 13 Monate Ostfront, drei Monate Westfront. EK I und Verwundetenabzeichen in Silber, für zwei Kratzer und einen Treffer in die Schnauze."

Diese militärische Vita sei nicht gerade toll, meint er. Von Heldentum könne nicht geredet werden, fügt er mit gekonntem Understatement des Kavalleristen hinzu. Hunderttausende hätten sich braver geschlagen. "Trotzdem werde ich ein Kriegsbuch schreiben." Er, der "nie mehr als einen Panzerspähtrupp geführt hat", will sich aber nicht über dramatische Kämpfe um Panzerlöcher und Schützengräben verbreiten. Nein, es gelte, einen Skandal zu untersuchen: das "ganze Unternehmen Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg" - in Zorn und Scham.

Und August von Kageneck hält Wort. Doch bevor er zu Wort kommt, stellt der Verlag dem stürmischen Text des Autors einige klärende und beschwichtigende Erläuterungen voran. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, daß der Verlag nicht bedingungslos den Thesen von Kagenecks folge. Seine Sicht sei sehr subjektiv und "nicht selten überspitzt". Doch Kageneck mache es sich nicht leicht und urteile nicht nur als ehemaliger Offizier, sondern auch als Journalist mit Auslandserfahrung.

Der Verfasser des Vorworts ist der General a. D. Helge Hansen, Jahrgang 1936. Er ist ein "Produkt" der Bundeswehr. 1957 wurde er Soldat und stieg zum Vier-Sterne-General auf. Jetzt pensioniert, betrachtet sich der Jüngere als Kamerad, der den Älteren nicht belehrt, doch sachlich und tolerant Ratschläge erteilt. Hansens Deutungen der Ausführungen von Kagenecks sind keine Korrekturen. Sie sind Nachhilfen. Der Leser erhält einen Hinweis, wie der Verlag den eigenwilligen Autor verstanden wissen will: als Zeitzeugen mit kontroversen Vorstellungen von einer tragischen Vergangenheit.

Skepsis drückt sich auch in der schillernden Unterzeile aus, die dem Haupttitel "In Zorn und Scham" hinzugefügt worden ist. Sie lautet: "Ungesammelte Gedanken zum größten anzunehmenden Unfall unserer Geschichte". Das ist umständlich formuliert. Aber das Buch ist auch umständlich und damit unübersichtlich. Kageneck will ein "Kriegsbuch" geschrieben haben. Ganze Partien handeln jedoch vom Völkermord an den Juden, vom Antisemitismus und von der Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung den jüdischen Mitmenschen gegenüber. Hitler ist zudem eine Zentralfigur des Geschehens. Die Wehrmacht und der Krieg sind "nur" ein Teil des "Skandals", den Kageneck "brandmarkt". Natürlich gehen die Komplexe ineinander über. Doch dem Leser bleibt es überlassen, die Zusammenhänge aufzuschlüsseln.

Und wendet der Autor sich der Armee zu, taumelt er zwischen Extremen: Auf der einen Seite wütet er gegen die Generale. Andererseits läßt er nichts auf die Truppe kommen. Kageneck ist bedingungslos gegen eine pauschale Verurteilung der Gesamtwehrmacht. Aber mit einem fast gehässigen Pointilismus werden die Heerführer und Marschälle, die Befehlshaber und hohen Kommandeure publizistisch hingerichtet. Der Autor lehnt die Wehrmacht-Ausstellung von Reemtsma ab. Das militärische Führerkorps wird jedoch verdammt. Er findet zwar einzelne Generale verdienstvoll. Ihre Tapferkeit, ihren Opfermut und die Führungskunst stellt er heraus. Hochachtung empfindet Kageneck vor den Männern des 20. Juli. Er würdigt auch den Widerstand gegen Hitler, den der General von Seydlitz in sowjetischer Gefangenschaft nach Stalingrad demonstriert hat. Sonst aber lastet der Verfasser der militärischen Elite totales Versagen an. Reichswehr und Wehrmacht seien die einzigen wirklichen Machtgruppen des Reiches gewesen. Sie hätten die Machtergreifung Hitlers verhindern können. Doch anstatt den Diktator zu bremsen und rechtzeitig auszuschalten, seien sie seine willfährigen Helfer geworden. Und die Armee habe in einem verbrecherischen Krieg ihre "Sauberkeit" verloren. Die Schuld der Generalität sei immens.

Nun ist August von Kageneck der jüngste Sohn eines Generals. Der Vater war Flügeladjutant des letzten deutschen Kaisers und mit dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, der in Sarajevo ermordet wurde, befreundet. Die Familie hatte enge Kontakte mit Hindenburg, und zwei der Brüder des Autors sind mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet worden. August von Kageneck selbst war begeisterter Soldat. Heute schämt er sich seines Soldatentums.

Wie ist dieser Wandel zu erklären? Kageneck schreibt: "Achtzehn Millionen Mißbrauchte dienten in der Wehrmacht, vereinnahmt von der menschenverachtenden Ideologie ihres Obersten Führers, nolens volens zum Werkzeug seines Eroberungskrieges geworden." Das könnten die Soldaten mit einer "Kollektivscham" wiedergutmachen: "Scham, nicht Schuld." Die Diskussion über Kollektivschuld oder individuelle Schuld hingegen sei überholt. Reue werde jetzt verlangt. Die Deutschen seiner Generation brauchten zwar nicht ewig in Sack und Asche gekleidet zu gehen. Doch aus einer kollektiven Reue könne eine Lehre gezogen werden: Nie wieder darf es zu einer solchen Katastrophe kommen, "zu diesem Schiffbruch der Moral".

Dieser Quantensprung der Selbstanklage ist der Schlüssel zum Begreifen der Unversöhnlichkeit, mit der Kageneck schreibt. Ein missionarischer Eifer, die Vergangenheit moralisch aufzuarbeiten, führt die Feder. Nicht nur mit den Streitkräften geht der Autor streng ins Gericht. Auch seinen "Stand" klagt er an. Aristokratie und Großbürgertum, die Politiker und Wirtschaftsführer der dreißiger Jahre werden einer "rigorosen Prüfung" unterzogen - und sie bestehen als Angeklagte diese Prüfung nicht: Sie trügen alle Schuld am Untergang der Weimarer Republik. Und Kageneck, der Schüler des Aloisus-Kollegs der Jesuiten in Bad Godesberg, vergißt nicht, daran zu erinnern, daß katholische Bischöfe zur Hitlerzeit die Hand zum "deutschen Gruß" erhoben. Die hämische Bemerkung ordnet sich in den verbalen Radikalismus ein, mit dem der alte Soldat in einem Nebensatz feststellt: "Vom pervertierten preußischen Kasernenhof zum Appellplatz eines Konzentrationslagers ist kein sehr weiter Weg."

Das sind Brocken im Geröll abwertender, vielfach verächtlicher Urteile. Dabei kann Kageneck auch anders schreiben. Elegant und souverän, stilistisch vollkommen und voller Informationen hat der frühere Pariser Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" für eine französische Leserschaft das gleiche Thema abgehandelt, mit dem er sich jetzt auseinandersetzt. Die Arbeit nannte er "Examen de Conscience" - Gewissenserforschung (siehe F.A.Z. vom 4. November 1996). Das in Französisch geschriebene Buch ist ein Zwilling der deutschen Ausgabe. Im Inhalt sind sie gleich, die Streitschriften. Doch "Examen de Conscience" ist eine bewegende Klage, "In Zorn und Scham" eine provozierende Anklage. Dem französischen Text kann ein ehemaliger Wehrmacht-Soldat zustimmen, dem deutschen allenfalls mit tiefer Skepsis. Zeitgeschichte, die mit Ressentiments überlastet ist, reizt zum Widerspruch. Es darf doch nicht der ganze ideologische Müll auf das Feld der Wehrmacht gekippt werden. Gewiß, Aufrichtigkeit ist dem Autor nicht abzustreiten. Doch nur das ausgleichende Vorwort des Generals Hansen macht das Pamphlet Kagenecks erträglich.

ADELBERT WEINSTEIN

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