Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr bereiste Samuel Herzog Indien, war unterwegs in sämtlichen Bundesländern. Dabei entstanden zahlreiche wunderbar leichtfüßige Texte, Aperçus, allesamt ausgehend von einem bestimmten Augenblick an einem bestimmten Ort. Oder vielmehr von einem Foto, das diesen einen Augenblick festhält. Es sind kurze Betrachtungen, überraschende Begegnungen sowie Reflexionen über Gott (bzw. die Götter) und die Welt.Oft ist Samuel Herzog zu Fuß unterwegs. Ein Flaneur in Indien. Mit wachem Geist und viel Neugier lässt er sich trieben, blickt um sich, hält inne. Dabei kommt er immer wieder ins Sinnieren. So auch in Bastar, als er auf dem leeren Marktplatz sitzt und die Frauen in ihren leuchtenden Saris sieht, die Männer mit hängenden Bäuchen und gestählten Hemden, die Lastwagen, Ochsenkarren und rollenden Verkaufsstände. Der immer gleiche Alltag. Doch liegt nicht gerade darin oft das Außergewöhnliche? Und ist nicht der Stillstand die Essenz des Reisens?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2019NEUE SPIELE UND BÜCHER FÜR DIE REISE
Für die Tasche Da sitzt ein Mann auf einem Stein und schreibt etwas auf. Bei Journalisten ist das eine normale Sache, denn wenn die reisen, machen sie unterwegs Notizen. Bei Samuel Herzog ist es aber ein bisschen mehr.
Schon seit Jahren sammelt er sie, diese Aperçus oder Episoda, die er längere Bildunterschriften nennt, da ihm immer ein Foto als Ausgangspunkt dient. Und so muss man sich das dann auch vorstellen: Da harrt einer aus und schaut und findet einen Gedanken, zwei, drei, eine Geschichte, eine Miniatur - zu kurz für eine Reportage, zu zerbrechlich, um sie unter ein Bild zu stellen, und zu schade, um sie nicht zu erzählen.
Der Schweizer Autor hat Erfahrung mit der Weltumspannung. Als Zugbegleiter war er einst in Liegewagen in Europa unterwegs, als Haartourist lässt er sich auf allen Kontinenten die Frisur richten, als Mitglied der "Hoio"-Redaktion importiert er Gewürze von einer fiktiven Insel, recherchiert Nahrungsmittel und ihre Zubereitung, darüber hinaus befasst er sich mit Kunst und Literatur, er bringt also die besten Voraussetzungen mit, um mit Stift und Zettel ausgerüstet in die Welt zu ziehen. Für das Buch "Indien im Augenblick" reiste er kreuz und quer durch Indien, ohne Anfang, ohne Ende, und er fand Sätze wie diesen: "Die Stadt Bophal hat ein Herz aus Fleisch." Er fuhr zur Insel der glückseligen Kühe - und schaffte es nicht. Er wünschte sich Mensch zu sein, so wie ein Frosch ein Frosch ist, und spätestens nach ein paar Texten muss man ihm zustimmen, "dass das Leben außerordentlich ist".
Praktischerweise enthält das Buch auch die Koordinaten, an denen er saß und schrieb. Man kann also mit einem GPS-Gerät ebenfalls durch Indien reisen, sich an genau die Stelle setzen und überprüfen, oder nachleben, wie das so ist, dieses "Hier bin ich, und so ist das hier". Man kann aber auch lesen. Laut eigener Aussage hat sich Herzog irgendwann damit angefreundet, "im Episodenhaften steckenzubleiben". Vielleicht muss man das auch, um die Dinge bemerken zu können, die sonst keiner sieht. Um zu werden, was er ist: ein literarischer Weltvermesser.
weit
Samuel Herzog: "Indien im Augenblick". Rotpunktverlag, 208 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, 24 Euro
Für den Tisch 60 Kontaktpersonen, 72 Frachtplättchen, 96 Wissenssteine, 40 Schiffskarten, ein Reisetagebuch, vier Expeditionstableaus, vier Ruhmespunktmarker und ein Spielplan: Das ist die Ausrüstung, mit der sich die Spieler auf "Humboldt's Great Voyage" begeben. Zumindest am Küchentisch, mit maximal vier Personen ab mindestens zehn Jahren, gut 30 Minuten lang. Ob man den fünf Jahren, die Alexander von Humboldt 1799 bis 1804 durch Lateinamerika reiste, wo er forschte, zeichnete und versuchte, den Chimborazo zu besteigen, auf spielerische Weise gerecht wird, sei dahingestellt. Aber darum geht es bei diesem Brettspiel nicht, das pünktlich zum 250. Geburtstag des preußischen Naturforschers auf den Markt gekommen ist. Die Spieler sammeln in Bordeaux, Santa Cruz, Caracas, Philadelphia, Havanna oder Acapulco möglichst viele Wissenssteine und Frachtplättchen, also Zigarren, Diamanten, Münzen, Skulpturen oder auch Curare, ein. Zudem knüpfen sie möglichst viele Kontakte. Ein großer Spaß! Und wenn man bedenkt, dass Alexander von Humboldt als einer der ersten Naturschützer gilt, dann hinterlässt die Expedition am Tisch einen überaus vertretbaren Fußabdruck.
Katharina Matzig
Remo Conzadori, Nestore Mangone: "Humboldt's Great Voyage", ab 10 Jahren, ca. 32,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Da sitzt ein Mann auf einem Stein und schreibt etwas auf. Bei Journalisten ist das eine normale Sache, denn wenn die reisen, machen sie unterwegs Notizen. Bei Samuel Herzog ist es aber ein bisschen mehr.
Schon seit Jahren sammelt er sie, diese Aperçus oder Episoda, die er längere Bildunterschriften nennt, da ihm immer ein Foto als Ausgangspunkt dient. Und so muss man sich das dann auch vorstellen: Da harrt einer aus und schaut und findet einen Gedanken, zwei, drei, eine Geschichte, eine Miniatur - zu kurz für eine Reportage, zu zerbrechlich, um sie unter ein Bild zu stellen, und zu schade, um sie nicht zu erzählen.
Der Schweizer Autor hat Erfahrung mit der Weltumspannung. Als Zugbegleiter war er einst in Liegewagen in Europa unterwegs, als Haartourist lässt er sich auf allen Kontinenten die Frisur richten, als Mitglied der "Hoio"-Redaktion importiert er Gewürze von einer fiktiven Insel, recherchiert Nahrungsmittel und ihre Zubereitung, darüber hinaus befasst er sich mit Kunst und Literatur, er bringt also die besten Voraussetzungen mit, um mit Stift und Zettel ausgerüstet in die Welt zu ziehen. Für das Buch "Indien im Augenblick" reiste er kreuz und quer durch Indien, ohne Anfang, ohne Ende, und er fand Sätze wie diesen: "Die Stadt Bophal hat ein Herz aus Fleisch." Er fuhr zur Insel der glückseligen Kühe - und schaffte es nicht. Er wünschte sich Mensch zu sein, so wie ein Frosch ein Frosch ist, und spätestens nach ein paar Texten muss man ihm zustimmen, "dass das Leben außerordentlich ist".
Praktischerweise enthält das Buch auch die Koordinaten, an denen er saß und schrieb. Man kann also mit einem GPS-Gerät ebenfalls durch Indien reisen, sich an genau die Stelle setzen und überprüfen, oder nachleben, wie das so ist, dieses "Hier bin ich, und so ist das hier". Man kann aber auch lesen. Laut eigener Aussage hat sich Herzog irgendwann damit angefreundet, "im Episodenhaften steckenzubleiben". Vielleicht muss man das auch, um die Dinge bemerken zu können, die sonst keiner sieht. Um zu werden, was er ist: ein literarischer Weltvermesser.
weit
Samuel Herzog: "Indien im Augenblick". Rotpunktverlag, 208 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, 24 Euro
Für den Tisch 60 Kontaktpersonen, 72 Frachtplättchen, 96 Wissenssteine, 40 Schiffskarten, ein Reisetagebuch, vier Expeditionstableaus, vier Ruhmespunktmarker und ein Spielplan: Das ist die Ausrüstung, mit der sich die Spieler auf "Humboldt's Great Voyage" begeben. Zumindest am Küchentisch, mit maximal vier Personen ab mindestens zehn Jahren, gut 30 Minuten lang. Ob man den fünf Jahren, die Alexander von Humboldt 1799 bis 1804 durch Lateinamerika reiste, wo er forschte, zeichnete und versuchte, den Chimborazo zu besteigen, auf spielerische Weise gerecht wird, sei dahingestellt. Aber darum geht es bei diesem Brettspiel nicht, das pünktlich zum 250. Geburtstag des preußischen Naturforschers auf den Markt gekommen ist. Die Spieler sammeln in Bordeaux, Santa Cruz, Caracas, Philadelphia, Havanna oder Acapulco möglichst viele Wissenssteine und Frachtplättchen, also Zigarren, Diamanten, Münzen, Skulpturen oder auch Curare, ein. Zudem knüpfen sie möglichst viele Kontakte. Ein großer Spaß! Und wenn man bedenkt, dass Alexander von Humboldt als einer der ersten Naturschützer gilt, dann hinterlässt die Expedition am Tisch einen überaus vertretbaren Fußabdruck.
Katharina Matzig
Remo Conzadori, Nestore Mangone: "Humboldt's Great Voyage", ab 10 Jahren, ca. 32,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main