Ein paar Quadratzentimeter Stoff, ein bisschen technisches Knowhow, eine steife Brise - und schon schwebt die Kamera an der Drachenschnur in den Himmel. Der Fotograf verbündet sich mit dem Wind, zähmt dessen unerschöpfliche Energie. Die dabei entstehenden Bilder provozieren unseren Sinn für Orientierung, spielen mit Strukturen und Geweben und bieten Nahaufnahmen von Indien aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel: Überdimensionierte Schatten zeichnen Muster auf einen Strand, architektonische Details, die sonst verborgen bleiben, werden auf einmal sichtbar, die Menschenströme der Kumbh Mela bekommen plötzlich eine Richtung.
Nicolas Chorier hat seinen Drachen über der Millionenstadt Mumbai steigen lassen, er hat Fischern am einsamen Strand bei der Arbeit zugeschaut, und er blickt Dachdeckern beim Vollenden einer Kuppel über die Schulter. Der sorgfältig nach den jeweiligen Windverhältnissen ausgewählte kite erlaubt - einmal am Himmel installiert - dem Fotografen auf den richtigen Augenblick zu warten. Die Kamera fliegt, ein stiller Zuschauer, und ermöglicht einen intimen und gleichzeitig fremden Blick auf die Vielfalt indischen Lebens. Bild für Bild lässt sich so der Subkontinent neu entdecken - aus einer Perspektive, die ursprünglich nur den Wolken und indischen Gottheiten vorbehalten war. Die expressiven Aufnahmen werden ergänzt durch anekdotische Schilderungen von Choriers Odyssee durch Indien.
Nicolas Chorier hat seinen Drachen über der Millionenstadt Mumbai steigen lassen, er hat Fischern am einsamen Strand bei der Arbeit zugeschaut, und er blickt Dachdeckern beim Vollenden einer Kuppel über die Schulter. Der sorgfältig nach den jeweiligen Windverhältnissen ausgewählte kite erlaubt - einmal am Himmel installiert - dem Fotografen auf den richtigen Augenblick zu warten. Die Kamera fliegt, ein stiller Zuschauer, und ermöglicht einen intimen und gleichzeitig fremden Blick auf die Vielfalt indischen Lebens. Bild für Bild lässt sich so der Subkontinent neu entdecken - aus einer Perspektive, die ursprünglich nur den Wolken und indischen Gottheiten vorbehalten war. Die expressiven Aufnahmen werden ergänzt durch anekdotische Schilderungen von Choriers Odyssee durch Indien.
Wenn es eine Blickrichtung gibt, aus der man sich an der Welt satt gesehen hat, dann ist es von oben. Was soll es nach all den Luftbildbänden am Himmel noch Neues geben, denkt man sich, beginnt lustlos zu blättern, stutzt und ist verblüfft, weil man tatsächlich etwas Neues sieht. Denn der Luftfotograf Nicolas Chorier besteigt im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen kein Luftschiff, keinen Heißluftballon und auch keinen Hubschrauber. Er bleibt am Boden und befestigt seine ferngesteuerte Kamera an einem Lenkdrachen, der bis zu dreihundert Meter hoch aufsteigen kann - das ist echte Vogelperspektive und nicht nur so dahingesagt. "Kite Aerial Photography" heißt diese Technik im Fachjargon, und Chorier gilt als Meister seines Fachs. Er zeigt ein Indien, wie man es schon tausendmal gesehen zu haben glaubt, Pilgermassen, Maharajapaläste, Teeplantagen. Doch die Aufnahmen haben einen eigenartigen Reiz, eine seltsam distanzierte Intimität, eine verstörende Kombination aus Nähe und Ferne, Flüchtigkeit und Übersicht. Man wird zum Betrachter des Unbeobachteten, zum Zufallszeugen, den selbst das Taj Mahal noch überrascht: Die vorbeifliegende Drachenkamera beraubt es der Perfektion seiner strengen Symmetrie, der Wucht seiner strikten Proportionalität - das Mahnmal wirkt nicht mehr wie ein Palast der Trauer, sondern fast wie ein Pavillon des stillen Schmerzes, so zart und verhuscht und perspektivisch verschoben steht es jetzt da. Und wenn man den Kampfsportlern am Strand von Kozhikode zuschaut, die sich mit Schwert und Schild messen und so offensichtlich von keinem Motorengeräusch und keinem fremden Blick in ihrer Konzentration gestört werden, fühlt man sich ein paar Sekunden lang wie eine Möwe. Andererseits: Was fühlen Möwen schon? Vielleicht ist ja alles auch nur Einbildung.
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"Indien von oben" von Nicolas Chorier. Frederking & Thaler Verlag, München 2007. 192 Seiten, 177 Farbfotos. Gebunden, 39,90 Euro.
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Seine Flugdrachen baut der französische Fotograf Nicolas Chorier nach japanischen Vorbildern. Aufsehen hat er mit ihnen zuletzt jedoch in Indien erregt – obgleich ihm daran gar nicht gelegen ist. Am liebsten ist ihm, wenn die Kamera, die er am Lenkseil seiner Drachen befestigt, unbemerkt bleibt, um die Unbefangenheit einer Szenerie zu bewahren. Das ist in Indien allerdings kaum möglich. So wäre Chorier beinahe verhaftet worden, weil er keine Genehmigung für die Luftbildaufnahmen vorweisen konnte – um schließlich in jenem Polizisten einen treuen Helfer zu finden, der ihn ursprünglich arretieren sollte. Auch musste der Fotograf sich vorsehen vor den vielen indischen Kindern, die ihrerseits gerne Drachen steigen lassen und sich einen Sport daraus machen, die Schnüre ihrer Konkurrenten mit Glasscherben zu durchtrennen. Unbekümmert konnte der Fotograf sich hingegen unter die Teilnehmer beim Drachenfestival in Goa reihen, wo die hier gezeigte Aufnahme entstand.
Choriers Aufnahmetechnik hat zur Folge, dass sich sein Bildband „Indien von oben” ästhetisch abhebt aus der Masse der zahlreichen Luftbild-Folianten, die in letzter Zeit erschienen sind. Denn Chorier fotografiert nicht lotrecht nach unten und beraubt dadurch vor allem Bauwerke nicht ihrer Raumwirkung. Auch kommt die drachengesteuerte Kamera ihren Motiven näher als mittels eines Flugzeugs oder Helikopters. Somit – und das ist der entscheidende Vorzug – geraten sehr oft auch Menschen in den Blick. STEFAN FISCHER
NICOLAS CHORIER: Indien von oben. Frederking & Thaler, München 2007, 192 Seiten, 100 Farbfotos, 39,90 Euro.
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