Über den Individualismus gibt es eine Menge Missverständnisse. Für die einen trägt er als handlungsleitendes, fundamentales Werte- und Normengefüge die Hauptschuld an vielen Übeln dieser Welt, vor allem in den modernen westlichen Demokratien und Industriegesellschaften. Werteverfall und Ich-Sucht lauten die Hauptvorwürfe. Für die anderen ist der Individualismus als sozialphilosophische Theorie verfehlt und abzulehnen, weil er die individuellen Glücksstrebungen der Menschen überbetone und gemeinschaftliche, soziale Werte und Aufgaben vernachlässige. Als Gegenentwürfe werden kollektivistische und vor allem in jüngster Zeit kommunitaristische Theorien entwickelt und diskutiert.Doch das gegenwärtige Zeitalter des "eigenen Lebens" (Ulrich Beck) ist nicht durch Werteverfall und Ich-Sucht bedroht. Vielmehr ist zu befürchten, dass es nicht gelingt, die schöpferischen Impulse von Menschen in politisch-öffentliche Themen, Prioritäten und Formen zu übersetzen.Die Kreativität von Menschen ist insbesondere auch für Unternehmen als "quasi-öffentliche" Organisationen (Peter Ulrich/Edgar Fluri) eine zunehmend wichtiger werdende Ressource. Sie gilt es durch eine Führungsphilosophie zu nutzen und zu fördern, die dem einzelnen Menschen im Unternehmen möglichst viel Entscheidungsspielraum, Entfaltungsmöglichkeiten und Verantwortung bietet. Eine darauf ausgerichtete individualistische Unternehmensführung soll sowohl einen ethischen Orientierungsrahmen für modernes, kooperatives Management-Handeln geben als auch die Grundbedingung für erfolgreiche Unternehmen formulieren. Denn nur dasjenige Unternehmen wird in einem sich immer härter gestaltenden Wettbewerb die Nase vorn haben, das die "besten Köpfe" gewinnen und was noch wichtiger ist auch halten kann. Daher werden Führungsstil, eine problemlösungsorientierte Kommunikation sowie eine vertrauensvolle und zugleich effektive Zusammenarbeit zu Hauptthemen der Unternehmenskultur.Erstmals wird in dieser Arbeit eine philosophisch und betriebswirtschaftlich fundierte Analyse vorgelegt, die den Boden bereitet für eine praxisrelevante individualistische Unternehmensführung. Empirisch untermauerte Managementtheorien wie die von Bartlett und Ghoshal ("Der Einzelne zählt") und Beraterphilosophien wie die von Reinhard K. Sprenger ("Aufstand des Individuums") erhalten auf diese Weise eine explizite philosophisch-kritische Fundierung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2004Managementethik in individualistischen Mäandern
Karl Hackstette verbindet Philosophie und Unternehmensführung
Karl Hackstette: Individualistische Unternehmensführung. Eine wirtschaftsphilosophische Untersuchung. Metropolis-Verlag, Marburg 2003, 238 Seiten, 34,80 Euro.
Jürgen Habermas forderte einmal die Philosophen auf, nicht länger zu schweigen, sondern sich einzumischen. Das tun sie mittlerweile eifrig. Auch in der Arena der Managementwissenschaft sind sie zu hören. Perspektivenwechsel und sorgfältige Argumentation, Begriffsklarheit und gründliches Quellenstudium - das sollte man auf jeden Fall von ihnen erwarten. Auch Karl Hackstette, gemäß Geleitwort des Buches ein "gelernter Philosoph", mischt sich ein. Er hat eine verständliche Abneigung gegen alles Kollektivistische, und es stört ihn, daß der Individualismus so gründlich mißverstanden wird. Nicht Ich-Sucht und Beliebigkeit der Werte, sondern Autonomie und Selbstentfaltung bildeten den Kern des Individualismus.
"Der Mensch ist das Maß aller Dinge", meinte schon Protagoras, nicht ahnend, daß dieser Satz einmal in unzähligen Leitbildern und Führungsgrundsätzen gedreht und gewendet werden sollte, um Unternehmen ein menschlicheres Antlitz zu verpassen. In zwei bekannten Managementbüchern wird solchen Versuchen vehement eine Absage erteilt und darüber hinaus leidenschaftlich für eine am Individuum ausgerichtete Führung plädiert: Christopher Bartlett und Sumantra Ghosal entwerfen das Modell einer "individualisierten Unternehmung", mit dem sich auch Großunternehmen durch Rückbesinnung auf die Eigenverantwortung des einzelnen die Beweglichkeit eines Kleinunternehmens aneignen können. Und Reinhard Sprenger probt den "Aufstand des Individuums", um zu zeigen, "warum wir Führung neu denken müssen". Beide Bücher haben es Hackstette angetan. Er möchte allerdings ihre doch beratungsnahen Aussagen philosophisch-kritisch untermauern.
Der Autor nimmt ausführlich auf Karl Popper Bezug, greift dessen Entzauberung Platons als freiheitsverachtenden "Philosophenkönig" auf, stellt die beiden Kollektivisten Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx den Individualisten Immanuel Kant und John Stuart Mill gegenüber, geht sowohl auf Thomas Nagels Ideen zum Altruismus als auch auf Amitai Etzionis Kommunitarismus ein, und er zieht durchaus auch zeitgenössische Denker und Streiter von der betriebswirtschaftlichen Front heran, wie Fredmund Malik, Peter Ulrich und Hartmut Kreikebaum. Hackstette mäandert auf diese Weise durch die Problemfelder einer individualistischen Führungsethik - denn dies ist das eigentliche Thema des Buches, das nur wenig mit Unternehmensführung zu tun hat, anders als es der Buchtitel unglücklicherweise suggeriert.
Hackstette brilliert, wenn er Philosophisches erklärt; aber er laviert, wenn er die Schnittstellen zur Erkenntnis- und Systemtheorie berührt. So stellt er Niklas Luhmann kurzerhand in die kollektivistische Ecke, ohne dessen ausgewogene Gedanken zum kollektiven Handeln auch nur zu streifen. Er bürstet den Radikalen Konstruktivismus als "nicht überzeugend und klar genug" ab, ohne auf die umfassende Literatur zu diesem Thema zurückzugreifen. Und er weicht der aktuellen Diskussion um den "freien Willen" aus, wobei ihm ein Artikel im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" von 2001 als einziger Hintergrund dient.
Schlimm kommt es, wenn er praktische Handlungsempfehlungen geben möchte. Hackstette ersetzt dann wohlmeinend die Hierarchie durch "Vernetzung", bleibt jedoch die Details schuldig. Er erfindet die betriebliche Mitbestimmung neu und läßt Unternehmensziele - vorbei an "den Betriebsräten" - durch Verträge zwischen dem Management und "unabhängigen, nach bestimmten demokratischen Verfahren entsandten Mitarbeitern" fixieren. Und da er einem Bedürfnis der Mitarbeiter nach "tribaler Geborgenheit" ablehnend gegenübersteht, kommt für ihn eine "Corporate-Identity-Kultur" nur dann in Frage, "wenn sie von den Mitarbeitern verlangt oder gewünscht wird".
Ja, die Philosophie möge sich ruhig einmischen. Allerdings führt der Weg zur Managementwissenschaft durch ein verwirrendes Minenfeld voller Begriffe, Modelle und Konzepte. Sie zu entschärfen und nicht tiefer zu vergraben, das wäre doch eine Aufgabe für die Philosophen.
HEINZ K. STAHL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl Hackstette verbindet Philosophie und Unternehmensführung
Karl Hackstette: Individualistische Unternehmensführung. Eine wirtschaftsphilosophische Untersuchung. Metropolis-Verlag, Marburg 2003, 238 Seiten, 34,80 Euro.
Jürgen Habermas forderte einmal die Philosophen auf, nicht länger zu schweigen, sondern sich einzumischen. Das tun sie mittlerweile eifrig. Auch in der Arena der Managementwissenschaft sind sie zu hören. Perspektivenwechsel und sorgfältige Argumentation, Begriffsklarheit und gründliches Quellenstudium - das sollte man auf jeden Fall von ihnen erwarten. Auch Karl Hackstette, gemäß Geleitwort des Buches ein "gelernter Philosoph", mischt sich ein. Er hat eine verständliche Abneigung gegen alles Kollektivistische, und es stört ihn, daß der Individualismus so gründlich mißverstanden wird. Nicht Ich-Sucht und Beliebigkeit der Werte, sondern Autonomie und Selbstentfaltung bildeten den Kern des Individualismus.
"Der Mensch ist das Maß aller Dinge", meinte schon Protagoras, nicht ahnend, daß dieser Satz einmal in unzähligen Leitbildern und Führungsgrundsätzen gedreht und gewendet werden sollte, um Unternehmen ein menschlicheres Antlitz zu verpassen. In zwei bekannten Managementbüchern wird solchen Versuchen vehement eine Absage erteilt und darüber hinaus leidenschaftlich für eine am Individuum ausgerichtete Führung plädiert: Christopher Bartlett und Sumantra Ghosal entwerfen das Modell einer "individualisierten Unternehmung", mit dem sich auch Großunternehmen durch Rückbesinnung auf die Eigenverantwortung des einzelnen die Beweglichkeit eines Kleinunternehmens aneignen können. Und Reinhard Sprenger probt den "Aufstand des Individuums", um zu zeigen, "warum wir Führung neu denken müssen". Beide Bücher haben es Hackstette angetan. Er möchte allerdings ihre doch beratungsnahen Aussagen philosophisch-kritisch untermauern.
Der Autor nimmt ausführlich auf Karl Popper Bezug, greift dessen Entzauberung Platons als freiheitsverachtenden "Philosophenkönig" auf, stellt die beiden Kollektivisten Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx den Individualisten Immanuel Kant und John Stuart Mill gegenüber, geht sowohl auf Thomas Nagels Ideen zum Altruismus als auch auf Amitai Etzionis Kommunitarismus ein, und er zieht durchaus auch zeitgenössische Denker und Streiter von der betriebswirtschaftlichen Front heran, wie Fredmund Malik, Peter Ulrich und Hartmut Kreikebaum. Hackstette mäandert auf diese Weise durch die Problemfelder einer individualistischen Führungsethik - denn dies ist das eigentliche Thema des Buches, das nur wenig mit Unternehmensführung zu tun hat, anders als es der Buchtitel unglücklicherweise suggeriert.
Hackstette brilliert, wenn er Philosophisches erklärt; aber er laviert, wenn er die Schnittstellen zur Erkenntnis- und Systemtheorie berührt. So stellt er Niklas Luhmann kurzerhand in die kollektivistische Ecke, ohne dessen ausgewogene Gedanken zum kollektiven Handeln auch nur zu streifen. Er bürstet den Radikalen Konstruktivismus als "nicht überzeugend und klar genug" ab, ohne auf die umfassende Literatur zu diesem Thema zurückzugreifen. Und er weicht der aktuellen Diskussion um den "freien Willen" aus, wobei ihm ein Artikel im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" von 2001 als einziger Hintergrund dient.
Schlimm kommt es, wenn er praktische Handlungsempfehlungen geben möchte. Hackstette ersetzt dann wohlmeinend die Hierarchie durch "Vernetzung", bleibt jedoch die Details schuldig. Er erfindet die betriebliche Mitbestimmung neu und läßt Unternehmensziele - vorbei an "den Betriebsräten" - durch Verträge zwischen dem Management und "unabhängigen, nach bestimmten demokratischen Verfahren entsandten Mitarbeitern" fixieren. Und da er einem Bedürfnis der Mitarbeiter nach "tribaler Geborgenheit" ablehnend gegenübersteht, kommt für ihn eine "Corporate-Identity-Kultur" nur dann in Frage, "wenn sie von den Mitarbeitern verlangt oder gewünscht wird".
Ja, die Philosophie möge sich ruhig einmischen. Allerdings führt der Weg zur Managementwissenschaft durch ein verwirrendes Minenfeld voller Begriffe, Modelle und Konzepte. Sie zu entschärfen und nicht tiefer zu vergraben, das wäre doch eine Aufgabe für die Philosophen.
HEINZ K. STAHL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das eigentliche Thema des Buches sei die "individualistische Führungsethik" und nicht Unternehmensführung, wie es der Titel suggeriere, präzisiert Heinz K. Stahl in seiner Besprechung. Der Autor, der sich selbst als "gelernten Philosophen" bezeichne, plädiert darin für eine "am Individuum ausgerichtete Führung" und kontrastiere die "Kollektivisten" Georg Friedrich Wilhelm Hegel und Karl Marx mit den "Individualisten" Immanuel Kant und John Stuart Mill, weiß der Rezensent zu berichten. Hackstette "brilliert, wenn er Philosophisches erklärt", scheitere aber, wenn er "praktische Handlungsempfehlungen geben möchte, lautet das Urteil Stahls.
© Perlentaucher Medien GmbH
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